The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke

Home > Fantasy > The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke > Page 24
The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke Page 24

by Rainer Maria Rilke


  blühe. O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein,

  gehärmte. Daß ich euch knieender nicht, untröstliche Schwestern,

  hinnahm, nicht in euer gelöstes

  Haar mich gelöster ergab. Wir, Vergeuder der Schmerzen.

  Wie wir sie absehn voraus, in die traurige Dauer,

  ob sie nicht enden vielleicht. Sie aber sind ja

  unser winterwähriges Laub, unser dunkeles Sinngrün,

  eine der Zeiten des heimlichen Jahres—, nicht nur

  Zeit—, sind Stelle, Siedelung, Lager, Boden, Wohnort.

  Freilich, wehe, wie fremd sind die Gassen der Leid-Stadt,

  wo in der falschen, aus Übertönung gemachten

  Stille, stark, aus der Gußform des Leeren der Ausguß

  prahlt: der vergoldete Lärm, das platzende Denkmal.

  O, wie spurlos zerträte ein Engel ihnen den Trostmarkt,

  den die Kirche begrenzt, ihre fertig gekaufte:

  reinlich und zu und enttäuscht wie ein Postamt am Sonntag.

  Draußen aber kräuseln sich immer die Ränder von Jahrmarkt.

  Schaukeln der Freiheit! Taucher und Gaukler des Eifers!

  Und des behübschten Glücks figürliche Schießstatt,

  wo es zappelt von Ziel und sich blechern benimmt,

  wenn ein Geschickterer trifft. Von Beifall zu Zufall

  taumelt er weiter; denn Buden jeglicher Neugier

  werben, trommeln und plärrn. Für Erwachsene aber

  ist noch besonders zu sehn, wie das Geld sich vermehrt, anatomisch,

  nicht zur Belustigung nur: der Geschlechtsteil des Gelds,

  alles, das Ganze, der Vorgang—, das unterrichtet und macht

  fruchtbar ………

  .… Oh aber gleich darüber hinaus,

  hinter der letzten Planke, beklebt mit Plakaten des > Todlos <,

  jenes bitteren Biers, das den Trinkenden süß scheint,

  wenn sie immer dazu frische Zerstreuungen kaun …,

  gleich im Rücken der Planke, gleich dahinter, ists wirklich.

  Kinder spielen, und Liebende halten einander,—abseits,

  ernst, im ärmlichen Gras, und Hunde haben Natur.

  Weiter noch zieht es den Jüngling; vielleicht, daß er eine junge

  Klage liebt…… Hinter ihr her kommt er in Wiesen. Sie sagt:

  —Weit. Wir wohnen dort draußen.…

  Wo? Und der Jüngling

  folgt. Ihn rührt ihre Haltung. Die Schulter, der Hals—, vielleicht

  ist sie von herrlicher Herkunft. Aber er läßt sie, kehrt um,

  wendet sich, winkt … Was solls? Sie ist eine Klage.

  Nur die jungen Toten, im ersten Zustand

  zeitlosen Gleichmuts, dem der Entwöhnung,

  folgen ihr liebend. Mädchen

  wartet sie ab und befreundet sie. Zeigt ihnen leise,

  was sie an sich hat. Perlen des Leids und die feinen

  Schleier der Duldung.—Mit Jünglingen geht sie

  schweigend.

  Aber dort, wo sie wohnen, im Tal, der Alteren eine, der Klagen,

  nimmt sich des Jünglinges an, wenn er fragt:—Wir waren,

  sagt sie, ein Großes Geschlecht, einmal, wir Klagen. Die Väter

  trieben den Bergbau dort in dem großen Gebirg; bei Menschen

  findest du manchmal ein Stück geschliffenes Ur-Leid

  oder, aus altem Vulkan, schlackig versteinerten Zorn.

  Ja, das stammte von dort. Einst waren wir reich.—

  Und sie leitet ihn leicht durch die weite Landschaft der Klagen,

  zeigt ihm die Säulen der Tempel oder die Trümmer

  jener Burgen, von wo Klage-Fürsten das Land

  einstens weise beherrscht. Zeigt ihm die hohen

  Tränenbäume und Felder blühender Wehmut,

  (Lebendige kennen sie nur als sanftes Blattwerk);

  zeigt ihm die Tiere der Trauer, weidend,—und manchmal

  schreckt ein Vogel und zieht, flach ihnen fliegend durchs Aufschaun,

  weithin das schriftliche Bild seines vereinsamten Schreis.—

  Abends führt sie ihn hin zu den Gräbern der Alten

  aus dem Klage-Geschlecht, den Sibyllen und Warn-Herrn.

  Naht aber Nacht, so wandeln sie leiser, und bald

  mondets empor, das über Alles

  wachende Grab-Mal. Brüderlich jenem am Nil,

  der erhabene Sphinx—: der verschwiegenen Kammer

  Antlitz.

  Und sie staunen dem krönlichen Haupt, das für immer,

  schweigend, der Menschen Gesicht

  auf die Waage der Sterne gelegt.

  Nicht erfaßt es sein Blick, im Frühtod

  schwindelnd. Aber ihr Schaun,

  hinter dem Pschent-Rand hervor, scheucht es die Eule. Und sie,

  streifend im langsamen Abstrich die Wange entlang,

  jene der reifesten Rundung,

  zeichnet weich in das neue

  Totengehör, über ein doppelt

  aufgeschlagenes Blatt, den unbeschreiblichen Umriß.

  Und höher, die Sterne. Neue. Die Sterne des Leidlands.

  Langsam nennt sie die Klage:—Hier,

  siehe: den Reiter, den Stab, und das vollere Sternbild

  nennen sie: Fruchtkranz. Dann, weiter, dem Pol zu:

  Wiege; Weg; Das Brennende Buch; Puppe; Fenster.

  Aber im südlichen Himmel, rein wie im Innern

  einer gesegneten Hand, das klar erglänzende M,

  das die Mütter bedeutet …… —

  Doch der Tote muß fort, und schweigend bringt ihn die ältere

  Klage bis an die Talschlucht,

  wo es schimmert im Mondschein:

  die Quelle der Freude. In Ehrfurcht

  nennt sie sie, sagt:—Bei den Menschen

  ist sie ein tragender Strom.—

  Stehn am Fuß des Gebirgs.

  Und da umarmt sie ihn, weinend.

  Einsam steigt er dahin, in die Berge des Ur-Leids.

  Und nicht einmal sein Schritt klingt aus dem tonlosen Los.

  *

  Aber erweckten sie uns, die unendlich Toten, ein Gleichnis,

  siehe, sie zeigten vielleicht auf die Kätzchen der leeren

  Hasel, die hängenden, oder

  meinten den Regen, der fällt auf dunkles Erdreich im Frühjahr.—

  Und wir, die an steigendes Glück

  denken, empfänden die Rührung,

  die uns beinah bestürzt,

  wenn ein Glückliches fällt.

  ANHANG ZU

  DUINO ELEGIEN

  Notes

  [FRAGMENT EINER ELEGIE]

  Soll ich die Städte rühmen, die überlebenden

  (die ich anstaunte) großen Sternbilder der Erde.

  Denn nur zum Rühmen noch steht mir das Herz, so gewaltig

  weiß ich die Welt. Und selbst meine Klage

  wird mir zur Preisung dicht vor dem stöhnenden Herzen.

  Sage mir keiner, daß ich die Gegenwart nicht

  liebe; ich schwinge in ihr; sie trägt mich, sie giebt mir

  diesen geräumigen Tag, den uralten Werktag

  daß ich ihn brauche, und wirft in gewährender Großmut

  über mein Dasein niegewesene Nächte.

  Ihre Hand ist stark über mir und wenn sie im Schicksal

  unten mich hielte, vertaucht, ich müßte versuchen

  unten zu atmen. Auch bei dem leisesten Auftrag

  säng ich sie gerne. Doch vermut ich, sie will nur,

  daß ich vibriere wie sie. Einst tönte der Dichter

  über die Feldschlacht hinaus; was will eine Stimme

  neben dem neuen Gedröhn der metallenen Handlung

  drin diese Zeit sich verringt mit anstürmender Zukunft.

  Auch bedarf sie des Anrufes kaum, ihr eigener Schlachtlärm

  übertönt sich zum Lied. So laßt mich solange

  vor Vergehendem stehn; anklagend nicht, aber

  noch einmal bewundernd. Und wo mich eines

  das mir vor Augen versinkt, etwa
zur Klage bewegt

  sei es kein Vorwurf für euch. Was sollen jüngere Völker

  nicht fortstürmen von dem was der morschen oft

  ruhmloser Abbruch begrub. Sehet, es wäre

  arg um das Große bestellt, wenn es irgend der Schonung

  bedürfte. Wem die Paläste oder der Gärten

  Kühnheit nicht mehr, wem Aufstieg und Rückfall

  alter Fontänen nicht mehr, wem das Verhaltene

  in den Bildern oder der Statuen ewiges Dastehn

  nicht mehr die Seele erschreckt und verwandelt, der gehe

  diesem hinaus und tue sein Tagwerk; wo anders

  lauert das Große auf ihn und wird ihn wo anders

  anfalln, daß er sich wehrt.

  [URSPRÜNGLICHE FASSUNG DER ZEHNTEN ELEGIE]

  [Fragmentarisch]

  Daß ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsich

  Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.

  Daß von den klar geschlagenen Hämmern des Herzens

  keiner versage an weichen, zweifelnden oder

  jähzornigen Saiten. Daß mich mein strömendes Antlitz

  glänzender mache; daß das unscheinbare Weinen

  blühe. O wie werdet ihr dann, Nächte, mir lieb sein,

  gehärmte. Daß ich euch knieender nicht, untröstliche Schwestern,

  hinnahm, nicht in euer gelöstes

  Haar mich gelöster ergab. Wir Vergeuder der Schmerzen.

  Wie wir sie absehn voraus in die traurige Dauer,

  ob sie nicht enden vielleicht. Sie aber sind ja

  Zeiten von uns, unser winter-

  währiges Laubwerk, Wiesen, Teiche, angeborene Landschaft,

  von Geschöpfen im Schilf und von Vögeln bewohnt.

  Oben, der hohen, steht nicht die Hälfte der Himmel

  über der Wehmut in uns, der bemühten Natur?

  Denk, du beträtest nicht mehr dein verwildertes Leidtum,

  sähest die Sterne nicht mehr durch das herbere Blättern

  schwärzlichen Schmerzlaubs, und die Trümmer von Schicksal

  böte dir höher nicht mehr der vergrößernde Mondschein,

  daß du an ihnen dich fühlst wie ein einstiges Volk?

  Lächeln auch wäre nicht mehr, das zehrende derer,

  die du hinüberverlorest—, so wenig gewaltsam,

  eben an dir nur vorbei, traten sie rein in dein Leid.

  (Fast wie das Mädchen, das grade dem Freier sich zusprach,

  der sie seit Wochen bedrängt, und sie bringt ihn erschrocken

  an das Gitter des Gartens, den Mann, der frohlockt und ungern

  fortgeht: da stört sie ein Schritt in dem neueren Abschied,

  und sie wartet und steht und da trifft ihr vollzähliges Aufschaun

  ganz in das Aufschaun des Fremden, das Aufschaun der Jungfrau,

  die ihn unendlich begreift, den draußen, der ihr bestimmt war,

  draußen den wandernden Andern, der ihr ewig bestimmt war.

  Hallend geht er vorbei.) So immer verlorst du;

  als ein Besitzender nicht: wie sterbend einer,

  vorgebeugt in die feucht herwehende Märznacht,

  ach, den Frühling verliert in die Kehlen der Vögel.

  Viel zu weit gehörst du in’s Leiden. Vergäßest

  du die geringste der maßlos erschmerzten Gestalten,

  riefst du, schrieest, hoffend auf frühere Neugier,

  einen der Engel herbei, der mühsam verdunkelten Ausdrucks

  leidunmächtig, immer wieder versuchend,

  dir dein Schluchzen damals, um jene, beschriebe.

  Engel wie wars? Und er ahmte dir nach und verstünde

  nicht daß es Schmerz sei, wie man dem rufenden Vogel

  nachformt, die ihn erfüllt, die schuldlose Stimme.

  GEGEN-STROPHEN

  Oh, daß ihr hier, Frauen, einhergeht,

  hier unter uns, leidvoll,

  nicht geschonter als wir und dennoch imstande,

  selig zu machen wie Selige.

  Woher,

  wenn der Geliebte erscheint,

  nehmt ihr die Zukunft?

  Mehr, als je sein wird.

  Wer die Entfernungen weiß

  bis zum äußersten Fixstern,

  staunt, wenn er diesen gewahrt,

  euern herrlichen Herzraum.

  Wie, im Gedräng, spart ihr ihn aus?

  Ihr, voll Quellen und Nacht.

  Seid ihr wirklich die gleichen,

  die, da ihr Kind wart,

  unwirsch im Schulgang

  anstieß der ältere Bruder?

  Ihr Heilen.

  Wo wir als Kinder uns schon

  häßlich für immer verzerrn,

  wart ihr wie Brot vor der Wandlung.

  Abbruch der Kindheit

  war euch nicht Schaden. Auf einmal

  standet ihr da, wie im Gott

  plötzlich zum Wunder ergänzt.

  Wir, wie gebrochen vom Berg,

  oft schon als Knaben scharf

  an den Rändern, vielleicht

  manchmal glücklich behaun;

  wir, wie Stücke Gesteins,

  über Blumen gestürzt.

  Blumen des tieferen Erdreichs,

  von allen Wurzeln geliebte,

  ihr, der Eurydike Schwestern,

  immer voll heiliger Umkehr

  hinter dem steigenden Mann.

  Wir, von uns selber gekränkt,

  Kränkende gern und gern

  Wiedergekränkte aus Not.

  Wir, wie Waffen, dem Zorn

  neben den Schlaf gelegt.

  Ihr, die ihr beinah Schutz seid, wo niemand

  schützt. Wie ein schattiger Schlafbaum

  ist der Gedanke an euch

  für die Schwärme des Einsamen.

  FROM

  SONETTE AN ORPHEUS

  (1923)

  Notes

  Written as a monument for Vera Ouckama Knoop

  Château de Muzot, February 1922

  I, I

  Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!

  O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!

  Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung

  ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.

  Tiere aus Stille drangen aus dem klaren

  gelösten Wald von Lager und Genist;

  und da ergab sich, daß sie nicht aus List

  und nicht aus Angst in sich so leise waren,

  sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr

  schien klein in ihren Herzen. Und wo eben

  kaum eine Hütte war, dies zu empfangen,

  ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen

  mit einem Zugang, dessen Pfosten beben,—

  da schufst du ihnen Tempel im Gehör.

  I, 2

  Und fast ein Mädchen wars und ging hervor

  aus diesem einigen Glück von Sang und Leier

  und glänzte klar durch ihre Frühlingsschleier

  und machte sich ein Bett in meinem Ohr.

  Und schlief in mir. Und alles war ihr Schlaf.

  Die Bäume, die ich je bewundert, diese

  fühlbare Ferne, die gefühlte Wiese

  und jedes Staunen, das mich selbst betraf.

  Sie schlief die Welt. Singender Gott, wie hast

  du sie vollendet, daß sie nicht begehrte,

  erst wach zu sein? Sieh, sie erstand und schlief.

  Wo ist ihr Tod? O, wirst du dies Motiv

  erfinden noch, eh sich dein Lied verzehrte?—

  Wo sinkt sie hin aus mir? … Ein Mädchen fast.…

  I, 3

  Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll

  ein Mann ihm folgen durch die schmale Leier?

  Sein Sinn ist Zwiespalt. An der Kreuzung zweier

  Herzwege steht kein Tempel für Apoll.

  Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr,

  nicht Werbung um ein endlich noch Erreichtes;

  Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes.

  Wann aber sind wir? Und w
ann wendet er

  an unser Sein die Erde und die Sterne?

  Dies ists nicht, Jüngling, daß du liebst, wenn auch

  die Stimme dann den Mund dir aufstößt,—lerne

  vergessen, daß du aufsangst. Das verrinnt.

  In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch.

  Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind.

  I, 5

  Errichtet keinen Denkstein. Laßt die Rose

  nur jedes Jahr zu seinen Gunsten blühn.

  Denn Orpheus ists. Seine Metamorphose

  in dem und dem. Wir sollen uns nicht mühn

  um andre Namen. Ein für alle Male

  ists Orpheus, wenn es singt. Er kommt und geht.

  Ists nicht schon viel, wenn er die Rosenschale

  um ein paar Tage manchmal übersteht?

  O wie er schwinden muß, daß ihrs begrifft!

  Und wenn ihm selbst auch bangte, daß er schwände.

  Indem sein Wort das Hiersein übertrifft,

  ist er schon dort, wohin ihrs nicht begleitet.

  Der Leier Gitter zwängt ihm nicht die Hände.

  Und er gehorcht, indem er überschreitet.

  I, 7

  Rühmen, das ists! Ein zum Rühmen Bestellter,

  ging er hervor wie das Erz aus des Steins

  Schweigen. Sein Herz, o vergängliche Kelter

  eines den Menschen unendlichen Weins.

  Nie versagt ihm die Stimme am Staube,

  wenn ihn das göttliche Beispiel ergreift.

  Alles wird Weinberg, alles wird Traube,

  in seinem fühlenden Süden gereift.

  Nicht in den Grüften der Könige Moder

  straft ihm die Rühmung lügen, oder

  daß von den Göttern ein Schatten fällt.

  Er ist einer der bleibenden Boten,

  der noch weit in die Türen der Toten

  Schalen mit rühmlichen Früchten hält.

  I, 8

  Nur im Raum der Rühmung darf die Klage

  gehn, die Nymphe des geweinten Quells,

 

‹ Prev