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The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke

Page 25

by Rainer Maria Rilke


  wachend über unserm Niederschlage,

  daß er klar sei an demselben Fels,

  der die Tore trägt und die Altäre.—

  Sieh, um ihre stillen Schultern früht

  das Gefühl, daß sie die jüngste wäre

  unter den Geschwistern im Gemüt.

  Jubel weiß, und Sehnsucht ist geständig,—

  nur die Klage lernt noch; mädchenhändig

  zählt sie nächtelang das alte Schlimme.

  Aber plötzlich, schräg und ungeübt,

  hält sie doch ein Sternbild unsrer Stimme

  in den Himmel, den ihr Hauch nicht trübt.

  I, 25

  Dich aber will ich nun, Dich, die ich kannte

  wie eine Blume, von der ich den Namen nicht weiß

  noch ein Mal erinnern und ihnen zeigen, Entwandte,

  schöne Gespielin des unüberwindlichen Schrei’s.

  Tänzerin erst, die plötzlich, den Körper voll Zögern,

  anhielt, als göß man ihr Jungsein in Erz;

  trauernd und lauschend—. Da, von den hohen Vermögern

  fiel ihr Musik in das veränderte Herz.

  Nah war die Krankheit. Schon von den Schatten bemächtigt,

  drängte verdunkelt das Blut, doch, wie flüchtig verdächtigt,

  trieb es in seinen natürlichen Frühling hervor.

  Wieder und wieder, von Dunkel und Sturz unterbrochen,

  glänzte es irdisch. Bis es nach schrecklichem Pochen

  trat in das trostlos offene Tor.

  II, 4

  O dieses ist das Tier, das es nicht giebt.

  Sie wußtens nicht und habens jeden Falls

  —sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals,

  bis in des stillen Blickes Licht—geliebt.

  Zwar war es nicht. Doch weil sie’s liebten, ward

  ein reines Tier. Sie ließen immer Raum.

  Und in dem Raume, klar und ausgespart,

  erhob es leicht sein Haupt und brauchte kaum

  zu sein. Sie nährten es mit keinem Korn,

  nur immer mit der Möglichkeit, es sei.

  Und die gab solche Stärke an das Tier,

  daß es aus sich ein Stirnhorn trieb. Ein Horn.

  Zu einer Jungfrau kam es weiß herbei—

  und war im Silber-Spiegel und in ihr.

  II, 8

  Wenige ihr, der einstigen Kindheit Gespielen

  in den zerstreuten Gärten der Stadt:

  wie wir uns fanden und uns zögernd gefielen

  und, wie das Lamm mit dem redenden Blatt,

  sprachen als Schweigende. Wenn wir uns einmal freuten,

  keinem gehörte es. Wessen wars?

  Und wie zergings unter allen den gehenden Leuten

  und im Bangen des langen Jahrs.

  Wagen umrollten uns fremd, vorübergezogen,

  Häuser umstanden uns stark, aber unwahr,—und keines

  kannte uns je. Was war wirklich im All?

  Nichts. Nur die Bälle. Ihre herrlichen Bogen.

  Auch nicht die Kinder … Aber manchmal trat eines,

  ach ein vergehendes, unter den fallenden Ball.

  (In memoriam Egon von Rilke)

  II, 13

  Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter

  dir, wie der Winter, der eben geht.

  Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,

  daß, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.

  Sei immer tot in Eurydike—, singender steige,

  preisender steige zurück in den reinen Bezug.

  Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,

  sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.

  Sei—und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,

  den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,

  daß du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal.

  Zu dem gebrauchten sowohl, wie zum dumpfen und stummen

  Vorrat der vollen Natur, den unsäglichen Summen,

  zähle dich jubelnd hinzu und vernichte die Zahl.

  II, 14

  Siehe die Blumen, diese dem Irdischen treuen,

  denen wir Schicksal vom Rande des Schicksals leihn,—

  aber wer weiß es! Wenn sie ihr Welken bereuen,

  ist es an uns, ihre Reue zu sein.

  Alles will schweben. Da gehn wir umher wie Beschwerer,

  legen auf alles uns selbst, vom Gewichte entzückt;

  o was sind wir den Dingen für zehrende Lehrer,

  weil ihnen ewige Kindheit glückt.

  Nähme sie einer ins innige Schlafen und schliefe

  tief mit den Dingen—: o wie käme er leicht,

  anders zum anderen Tag, aus der gemeinsamen Tiefe.

  Oder er bliebe vielleicht; und sie blühten und priesen

  ihn, den Bekehrten, der nun den Ihrigen gleicht,

  allen den stillen Geschwistern im Winde der Wiesen.

  II, 23

  Rufe mich zu jener deiner Stunden,

  die dir unaufhörlich widersteht:

  flehend nah wie das Gesicht von Hunden,

  aber immer wieder weggedreht,

  wenn du meinst, sie endlich zu erfassen.

  So Entzognes ist am meisten dein.

  Wir sind frei. Wir wurden dort entlassen,

  wo wir meinten, erst begrüßt zu sein.

  Bang verlangen wir nach einem Halte,

  wir zu Jungen manchmal für das Alte

  und zu alt für das, was niemals war.

  Wir, gerecht nur, wo wir dennoch preisen,

  weil wir, ach, der Ast sind und das Eisen

  und das Süße reifender Gefahr.

  II, 24

  O diese Lust, immer neu, aus gelockertem Lehm!

  Niemand beinah hat den frühesten Wagern geholfen.

  Städte entstanden trotzdem an beseligten Golfen,

  Wasser und Öl füllten die Krüge trotzdem.

  Götter, wir planen sie erst in erkühnten Entwürfen,

  die uns das mürrische Schicksal wieder zerstört.

  Aber sie sind die Unsterblichen. Sehet, wir dürfen

  jenen erhorchen, der uns am Ende erhört.

  Wir, ein Geschlecht durch Jahrtausende: Mütter und Väter,

  immer erfüllter von dem künftigen Kind,

  daß es uns einst, übersteigend, erschüttere, später.

  Wir, wir unendlich Gewagten, was haben wir Zeit!

  Und nur der schweigsame Tod, der weiß, was wir sind

  und was er immer gewinnt, wenn er uns leiht.

  II, 28

  O komm und geh. Du, fast noch Kind, ergänze

  für einen Augenblick die Tanzfigur

  zum reinen Sternbild einer jener Tänze,

  darin wir die dumpf ordnende Natur

  vergänglich übertreffen. Denn sie regte

  sich völlig hörend nur, da Orpheus sang.

  Du warst noch die von damals her Bewegte

  und leicht befremdet, wenn ein Baum sich lang

  besann, mit dir nach dem Gehör zu gehn.

  Du wußtest noch die Stelle, wo die Leier

  sich tönend hob—; die unerhörte Mitte.

  Für sie versuchtest du die schönen Schritte

  und hofftest, einmal zu der heilen Feier

  des Freundes Gang und Antlitz hinzudrehn.

  II, 29

  Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,

  wie dein Atem noch den Raum vermehrt.

  Im Gebälk der finstern Glockenstühle

  laß dich läuten. Das, was an dir zehrt,

  wird ein Starkes über dieser Nahrung.

  Geh in der Verwandlung aus und ein.

  Was ist deine leidendste Erfahrung?

  Ist dir Trinken bitter, werde Wein.

  Sei in dieser Nacht aus Übermaß

  Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,

  ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

  Und wenn dich das Irdische vergaß,

  zu der stillen Erde sag: Ich rinne.

  Zu dem raschen Wa
sser sprich: Ich bin.

  NICHT GESAMMELTE GEDICHTE

  1923–1926

  Notes

  IMAGINÄRER LEBENSLAUF

  Erst eine Kindheit, grenzenlos und ohne

  Verzicht und Ziel. O unbewußte Lust.

  Auf einmal Schrecken, Schranke, Schule, Frohne

  und Absturz in Versuchung und Verlust.

  Trotz. Der Gebogene wird selber Bieger

  und rächt an anderen, daß er erlag.

  Geliebt, gefürchtet, Retter, Ringer, Sieger

  und Überwinder, Schlag auf Schlag.

  Und dann allein im Weiten, Leichten, Kalten.

  Doch tief in der errichteten Gestalt

  ein Atemholen nach dem Ersten, Alten …

  Da stürzte Gott aus seinem Hinterhalt.

  [Da dich das geflügelte Entzücken]

  Da dich das geflügelte Entzücken

  über manchen frühen Abgrund trug,

  baue jetzt der unerhörten Brücken

  kühn berechenbaren Bug.

  Wunder ist nicht nur im unerklärten

  Überstehen der Gefahr;

  erst in einer klaren reingewährten

  Leistung wird das Wunder wunderbar.

  Mitzuwirken ist nicht Überhebung

  an dem unbeschreiblichen Bezug,

  immer inniger wird die Verwebung,

  nur Getragensein ist nicht genug.

  Deine ausgeübten Kräfte spanne,

  bis sie reichen, zwischen zwein

  Widersprüchen … Denn im Manne

  will der Gott beraten sein.

  [Durch den sich Vögel werfen, ist nicht der]

  Durch den sich Vögel werfen, ist nicht der

  vertraute Raum, der die Gestalt dir steigert.

  (Im Freien, dorten, bist du dir verweigert

  und schwindest weiter ohne Wiederkehr.)

  Raum greift aus uns und übersetzt die Dinge:

  daß dir das Dasein eines Baums gelinge,

  wirf Innenraum um ihn, aus jenem Raum,

  der in dir west. Umgieb ihn mit Verhaltung.

  Er grenzt sich nicht. Erst in der Eingestaltung

  in dein Verzichten wird er wirklich Baum.

  DAUER DER KINDHEIT

  (Für E.M.)

  Lange Nachmittage der Kindheit.…, immer noch nicht

  Leben; immer noch Wachstum,

  das in den Knien zieht—, wehrlose Wartezeit.

  Und zwischen dem, was man sein wird, vielleicht,

  und diesem randlosen Dasein—: Tode,

  unzählige. Liebe umkreist, die besitzende,

  das immer heimlich verratene Kind

  und verspricht es der Zukunft; nicht seiner.

  Nachmittage, da es allein blieb, von einem Spiegel zum andern

  starrend; anfragend beim Rätsel des eigenen

  Namens: Wer? Wer?—Aber die Andern

  kehren nachhause und überwältigens.

  Was ihm das Fenster, was ihm der Weg,

  was ihm der dumpfe Geruch einer Lade

  gestern vertraut hat: sie übertönens, vereitelns.

  Wieder wird es ein Ihriges.

  Ranken werfen sich so manchmal aus dichteren

  Büschen heraus, wie sich sein Wunsch auswirft

  aus dem Gewirr der Familie, schwankend in Klarheit.

  Aber sie stumpfen ihm täglich den Blick an ihren gewohnteren

  Wänden, jenen, den Aufblick, der den Hunden begegnet

  und höhere Blumen

  immer noch fast gegenüber hat.

  Oh wie weit ists von diesem

  überwachten Geschöpf zu allem, was einmal

  sein Wunder sein wird, oder sein Untergang.

  Seine unmündige

  Kraft lernt List zwischen den Fallen.

  Und das Gestirn seiner künftigen Liebe

  geht doch schon längst unter den Sternen,

  gültig. Welches Erschrecken

  wird ihm das Herz einmal reißen dorthin,

  daß es abkommt vom Weg seiner Flucht

  und gerät in Gehorsam und heiteren Einfluß?

  [Welt war in dem Antlitz der Geliebten]

  Welt war in dem Antlitz der Geliebten—,

  aber plötzlich ist sie ausgegossen:

  Welt ist draußen, Welt ist nicht zu fassen.

  Warum trank ich nicht, da ich es aufhob,

  aus dem vollen, dem geliebten Antlitz

  Welt, die nah war, duftend meinem Munde?

  Ach, ich trank. Wie trank ich unerschöpflich.

  Doch auch ich war angefüllt mit zuviel

  Welt, und trinkend ging ich selber über.

  HANDINNERES

  Innres der Hand. Sohle, die nicht mehr geht

  als auf Gefühl. Die sich nach oben hält

  und im Spiegel

  himmlische Straßen empfängt, die selber

  wandelnden.

  Die gelernt hat, auf Wasser zu gehn,

  wenn sie schöpft,

  die auf den Brunnen geht,

  aller Wege Verwandlerin.

  Die auftritt in anderen Händen,

  die ihresgleichen

  zur Landschaft macht:

  wandert und ankommt in ihnen,

  sie anfüllt mit Ankunft.

  SCHWERKRAFT

  Mitte, wie du aus allen

  dich ziehst, auch noch aus Fliegenden dich

  wiedergewinnst, Mitte, du Stärkste.

  Stehender: wie ein Trank den Durst

  durchstürzt ihn die Schwerkraft.

  Doch aus dem Schlafenden fällt,

  wie aus lagernder Wolke,

  reichlicher Regen der Schwere.

  Ô LACRIMOSA

  (Trilogie, zu einer künftigen Musik von Ernst Křenek)

  I

  Oh Träncnvolle, die, verhaltner Himmel,

  über der Landschaft ihres Schmerzes schwer wird.

  Und wenn sie weint, so weht ein weicher Schauer

  schräglichen Regens an des Herzens Sandschicht.

  Oh Tränenschwere. Waage aller Tränen!

  Die sich nicht Himmel fühlte, da sie klar war,

  und Himmel sein muß um der Wolken willen.

  Wie wird es deutlich und wie nah, dein Schmerzland,

  unter des strengen Himmels Einheit. Wie ein

  in seinem Liegen langsam waches Antlitz,

  das waagrecht denkt, Welttiefe gegenüber.

  II

  Nichts als ein Atemzug ist das Leere, und jenes

  grüne Gefülltsein der schönen

  Bäume: ein Atemzug!

  Wir, die Angeatmeten noch,

  heute noch Angeatmeten, zählen

  diese, der Erde, langsame Atmung,

  deren Eile wir sind.

  III

  Aber die Winter! Oh diese heimliche

  Einkehr der Erde. Da um die Toten

  in dem reinen Rückfall der Säfte

  Kühnheit sich sammelt,

  künftiger Frühlinge Kühnheit.

  Wo das Erdenken geschieht

  unter der Starre; wo das von den großen

  Sommern abgetragene Grün

  wieder zum neuen

  Einfall wird und zum Spiegel des Vorgefühls;

  wo die Farbe der Blumen

  jenes Verweilen unserer Augen vergißt.

  [Jetzt wär es Zeit, daß Götter träten aus]

  Jetzt wär es Zeit, daß Götter träten aus

  bewohnten Dingen …

  Und daß sie jede Wand in meinem Haus

  umschlügen. Neue Seite. Nur der Wind,

  den solches Blatt im Wenden würfe, reichte hin,

  die Luft, wie eine Scholle, umzuschaufeln:

  ein neues Atemfeld. Oh Götter, Götter!

  Ihr Oftgekommnen, Schläfer in den Dingen,

  die heiter aufstehn, die sich an den Brunnen,

  die wir vermuten, Hals und Antlitz waschen

  und die ihr Ausgeruhtsein leicht hinzutun

  zu dem, was voll scheint, unserm vollen Leben.

  Noch einmal sei es euer Morgen, Götter.


  Wir wiederholen. Ihr allein seid Ursprung.

  Die Welt steht auf mit euch, und Anfang glänzt

  an allen Bruchstelln unseres Mißlingens …

  [Rose, oh reiner Widerspruch]

  Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,

  Niemandes Schlaf zu sein unter soviel

  Lidern.

  IDOL

  Gott oder Göttin des Katzenschlafs,

  kostende Gottheit, die in dem dunkeln

  Mund reife Augen-Beeren zerdrückt,

  süßgewordnen Schauns Traubensaft,

  ewiges Licht in der Krypta des Gaumens.

  Schlaf-Lied nicht,—Gong! Gong!

  Was die anderen Götter beschwört,

  entläßt diesen verlisteten Gott

  an seine einwärts fallende Macht.

  GONG

  Nicht mehr für Ohren … : Klang,

  der, wie ein tieferes Ohr,

  uns, scheinbar Hörende, hört.

  Umkehr der Räume. Entwurf

  innerer Welten im Frein …,

  Tempel vor ihrer Geburt,

  Lösung, gesättigt mit schwer

  löslichen Göttern … : Gong!

  Summe des Schweigenden, das

  sich zu sich selber bekennt,

  brausende Einkehr in sich

  dessen, das an sich verstummt,

  Dauer, aus Ablauf gepreßt,

 

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