Kiss Me Once

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Kiss Me Once Page 11

by Stella Tack


  »Ryan, ich würde gerne frühstücken gehen«, unterbrach ich das Gekicher.

  Die Mädchen sahen irritiert auf. Vermutlich fragten sie sich, warum ich immer noch wie festgewachsen dastand und einen Schirmständer mimte. Ryans Nackenmuskeln spannten sich an.

  »Es ist schon Mittag«, sagte er spöttisch, ohne sich zu mir umzudrehen.

  »Ich habe trotzdem Hunger«, sagte ich und hoffte, dass er den Wink mit dem Zaunpfahl verstand und endlich seinen Hintern vom Sofa wegbekam.

  Das Mädchen, das vorhin so penetrant gelacht hatte, guckte mich genervt an. »Drüben gibt es einen Starbucks«, sagte sie und deutete nach rechts. Schickte sie mich gerade weg?

  »Ja, die haben einen tollen fettarmen Latte«, ergänzte die andere, als wäre ich blöd und wüsste nicht, was Starbucks war.

  »Schön für den Latte, dann wird er sicher nicht dick«, sagte ich bissig und erntete verständnislose Blicke. Ich atmete einmal tief durch. »Kommst du, Ryan?«, stieß ich zwischen den Zähnen hervor. Ich versuchte, ruhig zu bleiben.

  Er stöhnte, drehte den Kopf und funkelte mich wütend an. »Ich warte schon die ganze Zeit auf dich, Ivy. Du hast vorhin nicht auf mein Klopfen reagiert, also habe ich es mir hier gemütlich gemacht. Und jetzt unterhalte ich mich gerade, du kannst also sicher noch ein paar Minuten warten.«

  »Wo wohnst du eigentlich?«, fragte das eine Mädchen und klimperte mit den Wimpern.

  »B11, ihr könnt gerne vorbeischauen«, antwortete Ryan und ließ mich einfach wieder links liegen.

  Mein Magen ballte sich zusammen und die Wut von gestern kam wieder in mir hoch. Vielleicht sogar noch mehr als zuvor. Gestern war eine Ausnahmesituation gewesen. Wir waren beide erschrocken über das, was passiert war, aber das gerade? Nein, einfach nur nein! Ich war kein Snob, aber ein bisschen mehr Respekt hatte ich schon erwartet. Immerhin wurde er dafür bezahlt. Egal, was zwischen uns vorgefallen war und wie unangenehm die Situation jetzt war. Und ich würde garantiert nicht hier herumstehen und mir von Ryan meinen ersten Tag an der UCF verderben lassen. Wenn er weiter mit den blonden Tussis flirten wollte, war das seine Sache, aber ich würde nicht hierbleiben und dabei zusehen.

  Schnell blinzelte ich die Tränen weg, die mir vor lauter Wut in die Augen geschossen waren, und atmete gegen den Schmerz in meiner Brust an. Dann drehte ich mich ruckartig um und ging. Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Es war mein Leben. Und wenn ich um zwölf Uhr mittags frühstücken gehen wollte, würde ich das auch tun. Dazu brauchte ich nicht seine Einwilligung.

  Mit mehr Wucht als unbedingt notwendig stieß ich die Tür auf und wurde von einem noch heißeren Tag als gestern begrüßt. Das Pflaster brannte sich förmlich durch die dünne Sohle meiner Flipflops. Ich atmete tief durch und ging in die Richtung, in der ich den großen Campusplatz vermutete. Gestern hatte ich mich zwar in dem Gewirr aus Gebäuden heillos verlaufen und war statt in der Verwaltung bei den Verbindungen gelandet, aber heute würde es anders ablaufen. Ich würde das schaffen. Alleine.

  Entschlossen lief ich zur Parkanlage, die ich gestern mit Ryan auf dem Weg zum Wohnheim durchquert hatte. Heißer Beton wechselte sich mit knirschendem Kies ab und ein paar große Bäume warfen ihren Schatten über mich. Sonnenflecken kitzelten meine Haut. Obwohl ich immer noch wütend auf Ryan war, fühlte ich, wie die Anspannung mit jedem Schritt langsam nachließ. Mein Blick huschte über die hübsche Anlage und blieb an kleinen Details hängen, die mir gestern entgangen waren. Weiter rechts waren sogar Blumenbeete angelegt worden und in den Bäumen hingen ein paar Lampions – vermutlich noch vom letzten Semester. Es war auch bereits deutlich mehr los als gestern. Studenten tummelten sich auf dem Campus und ich zweifelte nicht daran, dass sich die Anzahl der ankommenden Studenten gegen Abend hin noch mal verdoppeln würde. Fast jede Bank war besetzt und die Luft war erfüllt von Gesprächen und Gelächter.

  Ich war so sehr damit beschäftigt, mich umzusehen, dass ich vor Schreck fast aus der Haut gefahren wäre, als eine große Hand mich an der Schulter packte.

  »Ivy, was fällt dir ein, einfach wegzulaufen?«

  »Aah!« Keuchend fuhr ich zu Ryan herum, der sich schnaufend auf den Knien abstützte. Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich ihn gar nicht näher kommen gehört hatte.

  »Ich laufe nicht weg«, sagte ich kalt und riss meinen Arm los. Seine Finger glitten an meiner Haut ab und hinterließen dort ein kribbelndes Gefühl. »Ich habe dir gesagt, wo ich hingehe.« Ohne auf eine Erwiderung zu warten, ging ich weiter.

  »Ivy!« Kies spritzte auf, als Ryan mich blitzschnell einholte und mir den Weg versperrte. Wütend funkelte er mich an.

  »Was?«, fauchte ich.

  Ryan presste die Lippen zusammen. »So geht das nicht! Du kannst nicht einfach verschwinden, wenn dir etwas nicht in den Kram passt. Dir hätte sonst was passieren können! Ich hatte einen halben Herzinfarkt, als du plötzlich weg warst.«

  Meine Augen verengten sich zu Schlitzen, während ich die Arme vor der Brust verschränkte. Der Zorn brodelte so heiß in mir, dass ich das Gefühl hatte zu kochen. »Sag mal, bist du wirklich so blöd oder nur rettungslos arrogant?«, erkundigte ich mich kalt.

  Ryans Kiefer spannte sich an. »Wie meinst du das? Ich sage nur die Wahrheit. Wenn das hier funktionieren soll, müssen wir zusammenarbeiten.«

  Mein Geduldsfaden riss endgültig. Offenbar war er schon längst überstrapaziert gewesen. »Zusammenarbeiten?«, kreischte ich, fassungslos, dass so viel Dreistigkeit aus einem so hübschen Mund kommen konnte.

  Ryan zuckte zusammen und sah sich hektisch um. Ein paar Studenten starrten uns bereits an, aber das war mir im Augenblick so was von egal. Ich war laut, wenn ich laut sein wollte. Mein ganzes Leben lang hatte ich nur leise gesprochen, den Kopf eingezogen und gelächelt, aber damit war jetzt Schluss. »Das nennst du zusammenarbeiten?«, zischte ich und stieß meinen Zeigefinger in Ryans Brustkorb. »Oh nein, so läuft das nicht. Du kannst in deiner Freizeit so viel den arroganten Bad Boy raushängen lassen, wie du willst. Aber um eine Sache ein für alle Mal klarzustellen: nicht mit mir!« Mit jedem Wort stieß ich ihm meinen Finger fester in seinen Brustkorb.

  »Ich … was?«, fragte Ryan überrascht. Keine Ahnung, ob ihn mein Ton oder das Stupsen so verwirrte, aber was es auch war, es zeigte Wirkung. Der starre Ausdruck wich aus seinem Gesicht. Seine Fassade, die bis gerade eben noch Gleichgültigkeit und unterdrückte Wut gezeigt hatte, bekam Risse. Dahinter sah ich so etwas wie Unsicherheit aufblitzen.

  Ich schnaubte, drückte mich an Ryan vorbei und ging weiter. Nein, eigentlich rannte ich. Quer durch den Park. Mein Herz raste, pumpte heißes Blut durch meine Adern. Dieses Gefühl, endlich meine Meinung gesagt zu haben, war … unbeschreiblich. Mein ganzer Körper kribbelte, als hätte ich Champagner getrunken.

  Hinter mir hörte ich zwar Ryans Schritte, doch er hielt mich nicht auf. Schweigend folgte er mir in gebührendem Abstand, was im Augenblick wahrscheinlich die einzig kluge Entscheidung war. Ein blöder Spruch und ich hätte meine Flipflops nach ihm geworfen.

  Nach einer Weile wurde der Kies wieder von Beton abgelöst, der Weg wurde breiter und die ersten Uni-Komplexe kamen in Sicht. Die roten Baukastenhäuser, die zum Teil auch von moderneren Gebäuden abgelöst wurden, waren kreisrund angelegt. Im Zentrum befand sich ein großer Platz mit einem Springbrunnen, wo ich tatsächlich zwei Cafés sah, die sich lauschig wie an einer Piazza in das Gesamtkonstrukt eingeordnet hatten. Holy Moly! Ich hatte es gefunden.

  Obwohl der Zorn jeglichen Hunger unterdrückt hatte, steuerte ich auf das kleinere Café zu, das mich ein wenig an eine italienische Trattoria erinnerte. Schon nach wenigen Schritten in diese Richtung wehte mir ein himmlischer Duft nach Cannoli und Kaffee entgegen. Es gab zwar bestimmt auch Smoothies, aber ich brauchte gerade etwas Härteres als Spinat, Ananas und Grünkohl.

  Ich suchte mir einen Platz im Schatten und ignorierte Ryan, der sich mir gegenüber auf einen Stuhl fallen ließ. Ich konnte ihn schließlich schlecht zur Hundetränke schicken. Neugierig warf ich einen Blick in die Speisekarte, um die Auswa
hl an italienischem Gebäck und Paninis in Augenschein nehmen zu können. Da das Café nur zur Hälfte gefüllt war, kam die Kellnerin schon nach wenigen Minuten angelaufen und erkundigte sich, ob wir uns schon entschieden hätten.

  »Einen großen Vanilla Latte mit extra Karamell, zwei Cannoli, eine Apfeltasche und ein Schinkenpanino, bitte«, bestellte ich mich quer durch das Angebot, weil ich mich nicht entscheiden konnte – und Hunger hatte.

  Die Kellnerin notierte sich alles und lächelte dann Ryan an. »Und was kann ich dir bringen, Hübscher?«

  Ryan musterte sie kurz, blieb an ihren Augen und den vollen Lippen hängen, bevor sich ein zweideutiges Grinsen auf seinen Lippen ausbreitete. Ich trat ihm so fest gegen das Schienbein, dass er fluchend das Gesicht verzog. »Verfluchte Scheiße!«, stieß er hervor.

  »Wie bitte?« Die Kellnerin starrte ihn verwirrt an.

  »Ja, Ryan, achte auf deine Sprache«, sagte ich zuckersüß und trat noch mal zu.

  Ryan wich im letzten Augenblick aus und funkelte mich an. »Ich hätte gerne einen Espresso und ein Mozzarellapanino.«

  Die Kellnerin blinzelte, notierte sich alles und rauschte wieder ab. Ziemlich schnell diesmal.

  Sobald sie weg war, fegte Ryan die Speisekarte zur Seite und fauchte mich an. »Was sollte das denn werden?«

  »Das weißt du ganz genau«, gab ich zurück und sah ihn wütend an. Unsere Blicke trafen sich und die Spannung zwischen uns steigerte sich. Ich glaube, sämtlichen Gästen in unmittelbarer Umgebung stellte es gerade die Nackenhaare auf.

  Ein paar dunkle Haarsträhnen fielen Ryan ins Gesicht, als er sich vorlehnte. Seine Nasenflügel bebten und sein Geruch drang mir plötzlich in die Nase. Herb und ein wenig nach Pfefferminz. Ein Schauder rann mir den Rücken hinunter. Das letzte Mal, als ich ihm so nahe gewesen war, hatten wir uns danach auf dem Sofa geküsst. Auch jetzt trennte uns kaum eine Handbreit voneinander, während wir uns weiterhin anstarrten. Keiner schien nachgeben zu wollen. Und je länger wir so verharrten, desto mehr Details fielen mir in seinem Gesicht auf. Bislang hatte ich den schwarzen Sprenkel in seinem linken Auge noch gar nicht wahrgenommen. Oder das kleine Muttermal über seiner Augenbraue, das die Form eines kleinen Halbmondes hatte. Im Vergleich zu gestern war er heute etwas blass, wodurch das Grün seiner Augen nur noch kräftiger funkelte. Darunter lagen jedoch tiefe Schatten, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Seine Haare waren zerzaust, wirkten nur kurz mit den Händen durchgekämmt und um seine Mundwinkel lag ein harter Zug, der beinahe wie Hoffnungslosigkeit aussah.

  Plötzlich verschwand meine Wut und ich konnte wieder freier atmen. Gleichzeitig meldete sich aber auch mein schlechtes Gewissen. Was auch immer gestern passiert war, zerrte offensichtlich immer noch an seinen Nerven. Genauso wie an meinen. Ich hatte ja selbst bis weit über mittags gebraucht, um aus dem Bett zu kommen. Jetzt darauf zu bestehen, dass Ryan jeden Tag, jede Sekunde und vor allem sofort auf Abruf bereitstand, war nicht ganz fair. Er war schließlich auch nur ein Mensch und offiziell begann sein Dienst ja erst morgen.

  Meine Wut war inzwischen komplett verflogen. Und je länger ich Ryan anstarrte, desto mehr hatte ich das Gefühl, es würde sich auch an seiner Miene etwas verändern. Die Anspannung schien aus seinem Gesicht zu verschwinden, seine Pupillen weiteten sich ein wenig …

  Das Knarren des Stuhls, als Ryan sich plötzlich zurücklehnte, ließ uns beide zusammenzucken. Er öffnete den Mund und der Ring in seinem Mundwinkel blitzte auf.

  »Ivy …«, begann er stockend. Doch im gleichen Augenblick wurde er von der Kellnerin unterbrochen, die unsere Bestellung brachte. Ryan presste wieder die Lippen zusammen. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen uns aus, während die Kellnerin Unmengen an italienischem Essen vor uns abstellte und mit einem knappen Lächeln wieder verschwand.

  Mitten in der Stille begann mein Magen plötzlich zu knurren. Sehr laut und sehr fordernd. Meine Wangen wurden heiß, während Ryans Mundwinkel zuckten. Seine Schultern sanken ein wenig herab. Er seufzte leise. »Guten Appetit«, sagte er schließlich nur und trank seinen Espresso. Schwarz und ohne Zucker.

  Angeekelt verzog ich das Gesicht, mischte noch extra Zucker in meinen Vanilla Latte mit Karamell und löffelte die Sahne ab. Danach biss ich abwechselnd in den knusprigen Cannolo und den warmen Panino. Während sich mein Blutzuckerspiegel langsam wieder hob, wurde ich immer ruhiger.

  Die nächste Viertelstunde verbrachte ich mit essen. Als ich kurz aufsah, bemerkte ich Ryans Blick, der jede meiner Bewegungen verfolgte, während ich genüsslich in die Apfeltasche biss.

  »Waf?«, fragte ich und schluckte den Bissen hinunter.

  Seine Augenbraue zuckte. »Ich glaube, ich habe noch nie ein Mädchen so viel essen sehen. Hast du keine Angst, dick zu werden?«

  Achselzuckend trank ich einen weiteren Schluck von meinem Latte und unterdrückte einen unsexy Rülpser. »Ich musste mich jahrelang kalorienarm ernähren. Wenn ich noch einen Salat mit fettarmem Schafskäse sehe, raste ich aus«, sagte ich nur trocken. Die Erinnerung an die Diäten, die mir meine Mutter ständig aufgezwungen hatte, verdarb mir prompt den Appetit. Zum Glück hatte ich fast alles aufgegessen. Nur ein halbes Cannolo lag noch auf meinem Teller, den ich jetzt zu Ryan hinüberschob. Ich lehnte mich satt zurück und beobachtete Ryan, wie er sich das halbe Cannolo schnappte.

  »Fettarmer Schafskäse?«, fragte er amüsiert, nachdem er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte.

  Ich seufzte. »Ja. Hast du das schon mal gegessen? Schmeckt nach Schaf.«

  Er riss die Augen auf. »Was? Nein, wie furchtbar!« Er griff sich übertrieben schockiert an die Brust. »Und wann musstest du das essen? Wann immer die Köchin im Urlaub war?«

  Ich guckte düster. »Nein. Meistens zwei bis drei Wochen lang jeden Tag vor wichtigen Events«, sagte ich knapp und das amüsierte Funkeln verschwand aus Ryans Gesicht.

  »Wirklich?«, hakte er nach.

  Ich zögerte kurz, doch dann nickte ich. »Ich musste schließlich in mein Kleid passen, das leider immer genau eine Nummer zu klein war.« Obwohl ich versuchte, es zu verbergen, klang meine Stimme ein klein wenig verbittert.

  »Das tut mir leid«, flüsterte Ryan.

  Ich schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Schon gut. Es gibt Schlimmeres auf der Welt, als ständig Salat essen zu müssen.«

  Plötzlich wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte. Ryan schien es ähnlich zu gehen. Als das Schweigen zwischen uns immer unangenehmer wurde, fing ich an, nervös mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Ich musste wieder daran denken, wie ich mich vorhin Ryan gegenüber verhalten hatte. Total peinlich. Aber ein Teil von mir war immer noch wütend darüber, dass er mich so abweisend behandelt hatte.

  Ryan räusperte sich. Er zögerte kurz, doch dann schien er sich einen Ruck zu geben. »Bitte lauf mir in Zukunft nicht mehr davon.«

  Ich atmete tief durch. »Dann gib mir keinen Grund dazu«, antwortete ich schlicht.

  Er sah mich nachdenklich an, dann nickte er knapp. Dabei fiel ihm eine Haarsträhne ins Gesicht, die er sich schnell wieder zurückstrich. »Okay«, sagte er leise. Es war zwar kein richtiger Waffenstillstand, aber zumindest legte sich die Spannung zwischen uns.

  Kurz darauf kam auch die Kellnerin wieder an unseren Tisch, räumte ab und fragte uns, ob wir noch etwas trinken wollten. Ich verneinte und bat um die Rechnung. Während wir warteten, kehrte langsam auch die gute Laune von heute Morgen wieder zurück.

  »Was willst du noch machen?«, erkundigte sich Ryan, der eine Sonnenbrille vom Rand seines T-Shirts zog und aufsetzte. Holy Moly! Jetzt fehlten nur noch ein anständiger Haarschnitt und ein Knopf in seinem Ohr, und er konnte wirklich als Security durchgehen.

  »Mhm…«, überlegte ich und spielte dabei mit dem Salzstreuer herum. »Eigentlich wollte ich mir nur ein bisschen den Campus ansehen und danach den Rest meines Zeugs auspacken.«

  Er nickte und als die Kellnerin die Rechnung brachte, zahlte ich für uns beide. Als stilles Friedensangebot.

  Ryan

  Ivy bezahlte. Die
Geste war vermutlich als Friedensangebot gemeint, doch ein Teil von mir sträubte sich dagegen. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken eine Rechnung von über fünfzig Dollar beglich – Preise, die meiner Meinung nach für ein Studentencafé unverschämt hoch waren –, oder daran, dass eigentlich ich hatte zahlen wollen. Dieses Essen war zwar kein Date gewesen, trotzdem fühlte ich mich ein bisschen unwohl dabei. Um zumindest etwas beigesteuert zu haben, legte ich heimlich fünf Dollar Trinkgeld auf den Tisch.

  Gedankenverloren sah ich Ivys schlankem Rücken hinterher, der zwischen den Tischen in Richtung Toiletten verschwand. Die Vorstellung, dass ich die nächsten Jahre sehr viel Zeit mit diesem Mädchen verbringen würde, war irgendwie eigenartig. Wenn alles glattlief, waren es zwar nur ein paar Semester, in denen ich mich um Ivy Redmond würde kümmern müssen, aber in dieser Zeit würde sich meine gesamte Welt um sie drehen. Meine Beziehung zu Ivy würde teilweise ziemlich intim werden, selbst wenn meine Aufgabe nur darin bestand, sie in die Vorlesungen zu begleiten, vor der Toilette auf sie zu warten, und sie dabei zu beobachten, wie sie ihr Leben lebte. Langsam wurde mir bewusst, warum mein Gehalt so unverschämt hoch war. Der Bodyguard eines Menschen zu sein, beinhaltete eindeutig mehr, als sich vor eine Kugel zu werfen oder Paparazzi abzuwimmeln. Ein Bodyguard begleitete seinen Schützling durchs Leben. Sah ihn lachen, weinen und war dabei ein fester Bestandteil seines Alltags. Diese Art von Beziehung basierte auf sehr viel Vertrauen. Etwas, das zwischen Ivy und mir noch lange nicht bestand. Wenn ich ehrlich war, war ich mir im Moment auch gar nicht sicher, ob ich diese Art von Beziehung überhaupt zu ihr aufbauen wollte.

  Scheiße! Worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Die Panik drückte mir kurz den Atem ab und ich musste ein paarmal tief durchatmen, bis ich wieder wusste, warum ich das alles hier tat. Ivy war mein Ticket in die Freiheit. Ivy war nur der Anfang. Nicht mehr und nicht weniger. Nichtsdestotrotz musste ich langsam anfangen, diese verkrampfte Stimmung zwischen uns zu kitten. Es konnte schließlich nicht sein, dass wir uns jedes Mal in die Haare bekamen, sobald wir uns sahen.

 

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