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Kiss Me Once

Page 20

by Stella Tack


  Ich musste dringend eine Runde laufen und den Kopf frei kriegen. Sonst würde ich nicht wie sonst ein Guten-Morgen-ich-liebe-das-Leben-und-dich-nur-platonisch-Lächeln aufsetzen können, sondern jegliche Bedenken über Bord werfen und alles aufs Spiel setzen. Und das alles nur, um diese Lippen noch mal küssen zu dürfen. Aber das war keine Option. Nicht zuletzt auch wegen Ivys Sicherheit, die ich eindeutig nicht mehr gewährleisten konnte, wenn ich die ganze Zeit nur sie im Kopf hatte.

  Ich wollte mich gerade aus dem Bett quälen, als ich Ivys Tür zufallen hörte. Mit gespitzten Ohren lauschte ich ihren Schritten, die vor meiner Tür plötzlich innehielten. Mein Herz schlug schneller. Es war völlig irrational, aber ich bekam Panik bei dem Gedanken, dass sie bemerken könnte, dass ich schon wach war, und sie dann womöglich zu mir reinkam. Meine Selbstbeherrschung hing gerade am seidenen Faden und ich brauchte Zeit, um mich zu sammeln.

  Schnell begann ich laut zu schnarchen und kam mir im gleichen Augenblick wie der größte Idiot auf Erden vor. Was tat ich denn da? Gerade als ich mit der schlechtesten Schnarchdarbietung aller Zeiten aufhören wollte, hörte ich ein Geräusch, das verdächtig nach einem Lachen klang, bevor ihre Schritte sich kurz darauf abrupt entfernten. Wahrscheinlich ging sie in Richtung der Duschen.

  Erleichtert atmete ich auf, schwang mich endgültig aus dem Bett und warf mir ein Shirt und eine Jogginghose über. Dann schlüpfte ich in meine Turnschuhe, stöpselte meine Ohren zu und drehte die Musik so laut auf, dass sie meine Gedanken übertönte. Die kreischenden Gitarren und die tiefen Bässe vibrierten in meinen Adern, während ich die Treppen nach unten lief und das Wohnheim verließ. Kaum war die Tür hinter mir zugefallen, begann ich zu laufen.

  Ivy

  »Ich hasse Mrs Garcia.«

  Missmutig knabberte ich an meinem Sandwich, während Alex genüsslich seinen Frappuchino schlürfte. Ryan saß mit verschränkten Armen neben mir und hielt sich zum größten Teil aus unserem Gespräch raus.

  »So schlimm fand ich es heute gar nicht. War doch ganz nett, eine Stunde lang angebrüllt zu werden.« Alex grinste.

  »Na ja, für diejenigen, die schon wieder zu spät waren, war es ja nicht ganz so lang …«, zog ich ihn auf.

  »Hey, ich bin eben ein Freigeist! Der Wecker ist mein natürlicher Feind. Und wenn ich dir so zusehe, wie lustlos du an deinem Sandwich herumkaust, bereue ich meine Entscheidung, überhaupt aufgestanden zu sein und mit dir brunchen zu gehen.«

  »Du bist mitgekommen, weil du selbst noch nichts zum Frühstück hattest, Mr Freigeist«, nuschelte ich und pulte an einer Tomatenscheibe herum.

  Ryan seufzte. »So, das reicht.« Er rupfte mir das Brot aus den Fingern und verschlang den Rest mit einem einzigen Bissen.

  »Hey, das nennt man Mundraub«, protestierte ich.

  Wortlos schob er mir einen riesigen Chocolate Cookie zu. Ich nahm das Friedensangebot an und biss genüsslich ab, während ich den Blick über den Campus schweifen ließ. Bisher war der Tag ganz gut gelaufen. Nach Klassischer Literatur hatten Alex und ich spontan beschlossen, brunchen zu gehen, da meine nächste Vorlesung – Biologie – erst in zwei Stunden anfangen würde. Ich hatte Jeff zwar auch eine Nachricht geschrieben, doch der musste heute die Frühschicht eines Kollegen übernehmen, weshalb ich ihn erst später sehen würde. Danach stand der Horrorfilm-Abend an, den wir endlich nachholen wollten. Ryan würde mitkommen, hatte aber versprochen, sich zurückzuhalten. Was auch immer das heißen mochte. Heute Morgen war die Stimmung zwischen uns (mal wieder) etwas angespannt gewesen. Das Bedürfnis, meine Hand auszustrecken und seine zu nehmen, war so groß, dass ich frustriert in meinen Keks biss.

  »Sag mal.« Alex spielte mit der Sonnenbrille in seinem perfekt sitzenden Haar. »Ich wollte gerne etwas mit dir besprechen.«

  »Mhm?«, murmelte ich und beobachtete Ryan, der gerade seinen zweiten Espresso runterstürzte. Ohne Zucker. Iiiih.

  Ich war mit meinen Gedanken so sehr bei Ryan, dass ich erschrocken zusammenzuckte, als Alex mir etwas unter die Nase hielt. Es war eine Einladung. Aber nicht einfach irgendeine Einladung. Sondern die zur Gala meiner Eltern. Das schwere reinweiße Büttenpapier war mit schlichten, aber stilvollen Blattgoldverzierungen am Rand veredelt worden. Datum sowie das übliche Pipapo wie Dresscode hob sich glänzend von der Karte ab. Unterschrieben war die Einladung mit Familie Redmond. Darunter war sogar ein Familienfoto von uns abgebildet. Ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern, an dem das Bild – kurz vor Semesterbeginn – extra für diesen Anlass gemacht worden war. Wir waren im Salon und ich hatte auf einem Stuhl gesessen, die Beine übereinandergeschlagen, während meine Eltern hinter mir standen und übertrieben in die Kamera lächelten. Am schlimmsten war jedoch das Kostüm, das hatte schrecklich gekniffen.

  »Ich habe heute diese interessante Einladung von meiner Mutter bekommen«, sagte Alex gedehnt, während ich langsam zu ihm aufsah.

  Ryan bemerkte meinen Stimmungswechsel, sah scharf zu Alex und schnappte ihm blitzschnell die Karte aus der Hand. »Bist du noch ganz dicht? Du kannst doch nicht vor aller Augen mit diesem Ding rumfuchteln?«, sagte er mit nur mühsam unterdrückter Wut. »Soll jeder wissen, wer Ivy ist?«

  Doch Alex zog nur eine unschuldige Miene.

  Ich seufzte. Alex wusste also, wer ich war. Und ausgerechnet meine Eltern hatten mich verraten.

  »Ganz ruhig, Pitbull«, gab Alex zurück, während er betont verschwörerisch zu mir hinübersah.

  »Und? Hast du zufällig auch eine Einladung zu dieser Gala bekommen?«

  »Zu Thanksgiving?«, fragte ich zögerlich.

  Alex nickte.

  Ich atmete tief durch und versuchte, mich wieder zu sammeln. »Hast du deiner Mutter erzählt, dass wir an dieselbe Uni gehen?«, fragte ich leise und schlug die Beine übereinander. Dass ich dabei Ryans Unterschenkel streifte, war purer Zufall.

  Alex schüttelte nur den Kopf. »Ich war selbst überrascht. Meine Mom kam gestern damit an, ob ich einen neuen Anzug bräuchte. Wir hätten nämlich eine Einladung von den Redmonds bekommen.« Er dehnte meinen Nachnamen und unterlegte ihn mit gespielter Feierlichkeit.

  Frustriert schloss ich für einen Moment die Augen. »Meine Familie hat mich auch dazu abkommandiert. Eigentlich wollte ich hierbleiben, aber das wird wohl nichts.«

  »Zu blöd«, stimmte Alex zu und rührte in seinem Kaffee herum.

  »Bitte behalte es für dich«, flüsterte ich leise und sah ihn beinahe flehend an.

  Alex musterte mich nachdenklich, bevor ein überraschend verständnisvoller Ausdruck über sein Gesicht huschte. Er nickte kaum merklich, was endlich die Luft zurück in meine Lungen strömen ließ.

  Er räusperte sich. »Die Verbindung wollte eigentlich zu Thanksgiving eine Party schmeißen«, sagte er wieder in normaler Lautstärke und so locker, als wäre nichts gewesen. »Aber da die meisten nach Hause fahren, werden wir sie wohl eine Woche früher veranstalten. Du bist eingeladen, wenn du willst.«

  Sofort war ich hellwach. »Gerne, ich war hier bisher erst auf einer Party – und da habe ich mir Ryan eingefangen.«

  »Ehrlich?« Alex grinste und sah zu Ryan, der uns immer noch anfunkelte.

  »Könnte man auch umgekehrt sehen«, murmelte er.

  Ich schnaubte. »Wäre also nett, mal auf eine Feier zu gehen, auf der ich nicht über eingebildete Typen stolpere.«

  Alex schmunzelte. »Dann darf er gerne draußen warten, während wir uns drinnen amüsieren.«

  Ryan zuckte zusammen, reagierte jedoch nicht auf Alex’ Kommentar und spielte weiterhin den professionellen Security. »Wir müssen los, wenn wir nicht zu spät kommen wollen«, sagte er abrupt.

  Seufzend schnappte ich mir meine Tasche und stand auf, während Alex sitzen blieb. »Was für ein Glück, dass ich erst in einer Stunde Geografie habe.« Alex grinste. »Bis heute Abend dann!«

  Ich winkte zum Abschied und folgte Ryan über den Campus. Er hatte die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und sah sich aufmerksam nach allen Seiten um.

  »Suchst du nach etwas Bestimmtem?«,
erkundigte ich mich, während wir das Gebäude der Naturwissenschaften betraten.

  »Nur einen aufdringlichen Journalismus-Studenten«, murmelte Ryan.

  Erst als wir den Biologie-Vorlesungssaal betraten, entspannte er sich endlich und schenkte mir ein schiefes Lächeln. »Ich bin nur vorsichtig.«

  Wir suchten uns einen Platz in der vorletzten Reihe, und während ich meine Sachen auspackte, stellte mir Ryan ein blaues Gatorade auf den Tisch.

  »Danke.« Lächelnd trank ich einen Schluck.

  Pünktlich auf die Minute kam der Professor und begann, über Mikroorganismen und Zellen zu reden. Das meiste, was wir gerade durchnahmen, hatten wir schon in der Highschool gelernt. Der Unterricht war genauso langweilig wie letzte Woche. Während ich mir Notizen machte, sah ich immer wieder unauffällig zu Ryan hinüber. Er hatte es sich auf seinem Stuhl gemütlich gemacht und schrieb oder zeichnete irgendwas in sein Notizbuch. Die Ähnlichkeit zwischen dieser Situation und meinem Traum war so frappierend, dass ich unruhig auf dem Stuhl herumrutschte. Zum Glück trug ich heute eine Hose und keinen Rock.

  Plötzlich landete ein Zettelchen auf meinem Tisch. Neugierig entfaltete ich es und las:

  Sagt er noch ein Wort,

  Schlafen wir alle gleich ein,

  Und sabbern uns voll.

  #Haikusreimensichimmernochnicht

  – Ryan der Große –

  Grinsend ließ ich den Zettel verschwinden.

  Am Ende der Stunde war der Professor der Erste, der aus dem Raum stürmte, während ich noch meine Notizen verstaute.

  »Warum schreibst du eigentlich alles mit?«, erkundigte sich Ryan. »Alles, was er da gerade heruntergebetet hat, steht auch in deinen Skripten.«

  »Ich weiß, aber so merke ich es mir schneller und muss nicht so viel pauken«, sagte ich und schloss meine Tasche.

  Ryan seufzte. »Kleiner Streber. Aber im Ernst, müssen wir hier jedes Mal sitzen? Es reicht doch auch, wenn wir zu den Prüfungen anwesend sind.«

  »Nur zu den Prüfungen?«, fragte ich ungläubig. »Wer macht denn so was?«

  »Na, ich zum Beispiel.«

  »Du?« Verwirrt starrte ich ihn an. »Du machst doch nichts.«

  Er bedachte mich mit einem genervten Blick. »Ich hab auch schon ein Semester studiert, schon vergessen? Es ist an jeder Uni das Gleiche. Die Prüfungen reichen, der Rest ist reine Zeitverschwendung.«

  »Zeitverschwendung? Du bist Zeitverschwendung.« Insgeheim musste ich Ryan aber recht geben. Den Unterricht hatte ich mir irgendwie spektakulärer vorgestellt.

  »Keine Sorge.« Ryan rempelte mich freundschaftlich an. »Sobald du dich auf eine Fachrichtung festlegst, wird auch der Stoff interessanter. Es sind immerhin nur die Orientierungskurse. Ein, höchstens zwei Semester und du hast es hinter dir.«

  »Aber das ist ja das Problem. Ich habe keine Ahnung, was mich am meisten interessiert«, sagte ich betrübt, während wir uns dem Strom der Studenten anschlossen, die den Hörsaal verließen.

  »Kopf hoch, Süße.« Ryan grinste. »Immerhin hast du nächstes Semester noch die Sprachkurse vor dir.«

  »Ich weiß. Eigentlich wollte ich dieses Semester auch schon ein paar Sprachkurse machen, aber die meisten waren zeitgleich mit den Orientierungskursen«, gab ich zu.

  Ryan nickte, holte sein Handy heraus und klickte sich durch. Neugierig lugte ich über seine Schulter und sah meinen Studienplan.

  »Du willst dich für die Leistungskurse anmelden?«, fragte Ryan beeindruckt. »Deutsch auch? Kannst du das überhaupt?«

  »Ach, nicht perfekt«, winkte ich ab. »Besser bin ich in Französisch und Spanisch. Und in Latein war ich auch schon mal fitter.«

  Verblüfft guckte Ryan mich an. »Sag mal, wie viele Sprachen kannst du eigentlich?«

  »Äh …« Ich überlegte und musste sogar mit den Fingern nachzählen. »Vier. Wobei ich nur drei fließend spreche. In Russisch und Italienisch habe ich nur Grundkenntnisse. Da bin ich froh, wenn ich überhaupt nach dem Weg fragen kann.«

  Ryan stemmte die Tür mit der Schulter auf und ließ mir den Vortritt. »Und woher zum Teufel kannst du so viele Sprachen?«

  Ich zuckte mit den Schultern. »Es hat gewisse Vorteile, wenn man ständig von ausländischen Hausangestellten oder Au-pairs umgeben ist. Mein Dad erzählt immer gern, dass ich als Kind besser Französisch als Englisch sprechen konnte.«

  »Das ist …« Ryan schien nach einem passenden Wort zu suchen. »… total schräg.«

  »Ja, ist es.« Ich lachte. »Aber ich habe auch schöne Erinnerungen. Maria zum Beispiel …« Ich fühlte einen wehmütigen Stich, wie immer, wenn ich ihren Namen aussprach. Schnell räusperte ich mich. »Sie hat mir viel beigebracht. Wegen ihr ist Spanisch fast meine zweite Muttersprache.« Ich grinste schief. »Dad hat mich oft dolmetschen lassen, wenn er Kundentermine aus Übersee hatte.«

  »Und das macht dir Spaß?«, hakte Ryan nach.

  »Ich denke schon«, murmelte ich und lauschte kurz unseren Schritten, die auf dem Kies knirschten. Wir gingen so nah beieinander, dass wir uns hätten berühren können. Ich seufzte. »Zumindest fällt es mir leichter als Mathe. Und Biologie finde ich zu trocken.«

  Ryan schenkte mir einen mitleidigen Blick. »Nun, vielleicht solltest du dich ab nächstem Semester einfach in eine Richtung orientieren, die dir Freude macht.«

  »Mhm, Schauspiel macht mir Spaß«, zog ich ihn auf und musste wieder an die letzte Kursstunde denken. Wir sollten eine bekannte Szene nachspielen oder einen Schauspieler nachmachen, durften dabei aber nur in einer Fantasiesprache sprechen. Und die anderen Studenten mussten sie erraten. Alex, Jeff und ich hatten unser Bestes gegeben, Jacky Chan zu imitieren, indem wir durch den Raum rannten und laut Zing – Zang – Zung – Hiaaa brüllten.

  Ryan schauderte bei der Erinnerung übertrieben. »Glaub mir, die Welt muss deine Interpretation eines Karatemeisters nicht unbedingt sehen.«

  »Du bist einfach unmöglich!«

  Lachend schubste ich ihn weg. Ryan wollte sich gerade dafür revanchieren, als jemand atemlos unsere Namen rief. Überrascht drehten wir uns um und sahen Jeff, der auf uns zugejoggt kam.

  »Hey! Da seid ihr ja.« Keuchend stützte er sich auf den Knien ab. Immer noch knallrot im Gesicht, sah er mich an. »Geht ihr … auch … zur Kunst-AG?«, fragte er nach Luft schnappend.

  »Ja, du auch?« Ich lächelte und Jeffs Augen leuchteten auf.

  »Jap«, sagte er, während wir uns wieder in Bewegung setzten. »Ich habe ein Kunststipendium hier und bin Tutor bei Professor Kimchi. Ich darf euch Frischlinge unterrichten.«

  »Wirklich?« Verblüfft blinzelte ich ihn an. »Nicht schlecht! Was machen wir denn heute?«

  Jeff räusperte sich. Sein Blick zuckte plötzlich zu Ryan. »Ja, das ist so eine Sache. Ich hatte etwas Besonderes geplant, um das Interesse an der Kunst hochzuhalten. Aber … äh … Ryan, kann ich mal kurz mit dir sprechen?«

  »Mit mir?« Ryan stutzte.

  »Ja bitte.« Jeff sah viel zu hoffnungsvoll aus, als dass Ryan hätte Nein sagen können.

  Und tatsächlich blieb Ryan stehen und musterte Jeff misstrauisch. »Klar. Gehst du schon mal vor, Ivy? Oder willst du warten?«

  »Ah nein, macht nur. Wir sind ja schon fast da«, winkte ich ab und deutete auf die MacKenzie Hall. Im Gegensatz zum Rest der Uni, der hauptsächlich aus rotem Ziegelstein bestand, handelte es sich hierbei um ein modernes Gebäude mit hellem Anstrich und sehr viel Glas. »In welchen Unterrichtsraum muss ich, Jeff?«

  »10C«, gab er zurück.

  Ich ging entschlossen weiter. Trotzdem schielte ich immer wieder unauffällig zurück und beobachtete, wie Jeff auf Ryan einredete. Mir schwante Übles. Gerade als ich das Gebäude betrat, rempelte mich jemand hart an und stieß mir die Tasche aus der Hand. Da ich meine Studienunterlagen einfach nur hineingestopft hatte, sprangen die überstrapazierten Schnallen auf und der gesamte Inhalt verteilte sich über den Boden.

  »Oh nein! Das tut mir leid.« Ein Typ, der mir seltsam bekannt vorkam, lä
chelte mich entschuldigend an.

  »Macht nichts. Ich hätte besser aufpassen sollen«, gab ich zurück, kniete mich hin und sammelte meine Sachen wieder ein.

  »Trotzdem ärgerlich.« Er bückte sich und reichte mir ein paar meiner Unterlagen. »Vor allem, wenn man so viel dabei hat.«

  »Danke.« Ächzend richtete ich mich auf und legte den Kopf schief. »Korrigier mich, wenn ich mich irre, aber kennen wir uns nicht? Du kommst mir so bekannt vor.«

  »Ja, stimmt.« Er hielt mir die Hand hin. »Ich bin Austin. Wir haben uns letztens im Dollar Tree getroffen.«

  »Oh …« Meine Hand zuckte in seiner. So unauffällig wie möglich zog ich sie zurück. »Ach ja, der Journalist, richtig? Hast du schon etwas für deine Abschlussprüfungen gefunden?«, fragte ich weiter, um nicht unhöflich zu wirken.

  »Noch nicht.« Er seufzte. »Aber ich arbeite dran.«

  »Tja, na dann viel Glück noch. Ich muss los.« Ich schob mich an ihm vorbei und eilte zum Kunstraum.

  »Danke, dir auch«, rief er mir hinterher.

  Als ich endlich im Kunstraum saß, schlug mein Herz immer noch viel zu schnell. Holy Moly. Was, wenn Ryan recht hatte?

  Ryan

  »Wo warst du denn so lange?«, fragte Ivy, als ich mich fünfzehn Minuten später neben sie fallen ließ.

  »Jeff wollte einfach nicht zum Punkt kommen«, erklärte ich und sah mich aufmerksam um.

  Die Kunst-AG fand in einem Raum statt, der nicht viel größer war als ein gewöhnliches Klassenzimmer. Im Gegensatz zu den Hörsälen, gab es hier normale Tische und Stühle. Allerdings waren so viele Studenten gekommen, dass sie teilweise zu dritt an einem Tisch saßen.

  »Sehr schön! Es freut mich, dass sich so viele für den Kunstkurs interessieren. Da Professor Kimchi sich offensichtlich verspätet, werde ich schon mit der Einführung beginnen«, sagte Jeff sichtlich nervös, während er große Kunstblöcke verteilte.

  »Skizzierst du nicht mit?«, erkundigte sich Ivy, als sie sah, dass ich die Blöcke einfach weiterreichte, ohne mir einen davon zu nehmen.

 

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