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Kiss Me Once

Page 32

by Stella Tack


  »Warte! Mir wird schwindlig!«, sagte ich und stolperte nach vorn, gegen Ryan. Unwillkürlich hielt er mich fest, während ich nach Luft rang.

  »Ich kann das nicht, Ryan«, sagte ich mit kratziger Stimme und drückte seine Brust weg. »Ich kann dieses platonische Freundeding einfach nicht.«

  »Ich auch nicht«, sagte Ryan leise.

  Müde sah ich zu ihm hoch.

  »Ivy …«, stieß er hervor und atmete tief ein. »Es tut mir so leid. Ich wollte dich niemals verletzen. Ich …«

  Plötzlich – von einer Sekunde auf die andere – tauchte hinter Ryan eine Person auf. Freeman. Und an seinen Fingern glitzerte etwas, das verdächtig nach einem Schlagring aussah.

  »Pass auf!«, schrie ich.

  Doch bevor Ryan reagieren konnte, krachte auch schon Freemans Faust gegen seinen Hinterkopf. Ryan ging wie ein gefällter Baum zu Boden.

  Ich war so erschrocken, dass ich nicht mal schreien konnte, als noch ein zweiter Typ mit Anabolikamuskeln aus der Dunkelheit auftauchte. Mein Herz raste und meine Kehle war vor Angst wie zugeschnürt. Hilflos musste ich zusehen, wie Ryan vor Schmerz fluchte und versuchte, sich aufzurichten.

  »Praktisch, dieses Ding.« Freeman betrachtete grinsend den Schlagring, der wie ein obszöner Schmuck an seinen Fingerknöcheln leuchtete.

  »Das ist er also?«, fragte der Typ, der offenbar zu viel Zeit im Sportstudio verbrachte.

  »Ja, das ist die Ratte«, bestätigte Freeman und trat nach Ryan, der vor Schmerzen aufstöhnte.

  Zitternd wich ich einen Schritt zurück – direkt in die Arme eines weiteren Studenten, der sich mir unbemerkt von hinten genähert hatte und mich sofort festhielt.

  Ich ächzte erschrocken. »Scheiße! Finger weg«, fauchte ich, was den Typen jedoch nur abfällig schnauben ließ.

  Adrenalin flutete meine Adern. Ein Ruck ging durch meinen Körper, während ich versuchte, dem Typen wehzutun. Egal wie. Egal wo. Ein Instinkt, von dem ich nicht gewusst hatte, dass ich ihn besaß, übernahm die Kontrolle. Ich trat, fluchte und kratzte. Der Typ grunzte und drehte mir ruckartig den Arm auf den Rücken, sodass ich vor Schmerz aufschrie.

  »Und das ist die Kleine?«, hörte ich ihn verwundert fragen. Fast enttäuscht.

  Freeman nickte, starrte jedoch weiterhin auf Ryan hinab, der sich mit verbissener Miene aufrichtete. Als Ryans Blick kurz zu mir hochzuckte, konnte ich die Angst in seinen Augen deutlich erkennen. Rote Schlieren liefen ihm langsam die Schläfe hinab.

  »Freeman«, sagte Ryan betont kühl und wischte sich das Blut weg.

  Freeman schnalzte mit der Zunge und trat Ryan unglaublich schnell in den Magen. »Wir haben noch eine Rechnung offen.«

  Ryan krümmte sich ächzend, biss jedoch die Zähne zusammen. »Einen Scheiß haben wir«, knurrte er und spuckte verächtlich aus. Er hob den Blick und sah Freeman hasserfüllt an.

  »Lass mich los!«, zischte ich unterdessen den Typen an, der meinen Arm immer noch festhielt.

  »Keine Sorge, Süße«, sagte er. »Austin will nur deinem Freund hier eine kleine Lektion erteilen. Wenn du still bist, passiert dir nichts.«

  »Mir passiert nichts?«, höhnte ich. »Hast du eine Ahnung, was mit euch passiert, wenn das hier vorbei ist?«

  Der Typ grunzte nur belustigt und packte mich noch fester. Ich verzog das Gesicht, als mein Arm vor Schmerzen pochte. Doch das war lange nicht so schlimm wie die Angst um Ryan.

  »Sag ihm, er soll sie sofort loslassen, Freeman. So dumm, ihr etwas anzutun, kannst nicht mal du sein.«

  »Oh, keine Sorge. Ihr wird nichts passieren. Das hier ist was rein Persönliches zwischen uns beiden«, sagte Freeman und ballte die Faust.

  Der andere Typ hatte sich währenddessen hinter Ryan geschlichen und holte im gleichen Augenblick aus wie Freeman.

  »Ryan! Hinter di…«, brüllte ich. Doch sofort wurde ich von einer großen Hand abgewürgt, die sich mir auf den Mund presste.

  Ich atmete viel zu hektisch und meine Sicht verschwamm. Erst verspätet wurde mir klar, dass das Ryan war, der sich so schnell bewegte, dass Freemans Faust ins Leere traf. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete ich, wie Ryan MacCain von einer Sekunde auf die andere den Security in sich herausholte. Problemlos wich er auch dem Faustschlag des Studenten hinter sich aus, sodass der Schlag stattdessen Freeman traf.

  Ächzend schnappte Freeman nach Luft, während der Student irritiert nach hinten stolperte.

  Als Freeman erneut zum Schlag ausholte, machte Ryan einen Schritt zur Seite, packte Austins Arm und nutzte dessen Schwung, um ihm ruckartig den Arm auf den Rücken zu drehen.

  Freeman schrie vor Schmerz auf, als sein Schultergelenk mit Gewalt nach hinten gebogen wurde. Ryan trat ihm hart in die Kniekehle, sodass ihm die Beine wegknickten. Beinahe gleichzeitig schlang Ryan seinen Unterarm um Austins Hals und drückte zu.

  Freeman brüllte und fluchte. Spucke flog ihm von den Lippen, während er vergeblich versuchte, sich aus Ryans Griff zu winden.

  »Bleib zurück oder ich breche ihm den Arm«, stieß Ryan warnend hervor, als Freemans Kumpel auf ihn zustürzte. Der Junge blieb abrupt stehen. »Und du«, befahl Ryan dem Typen, der mich immer noch festhielt. »Lass Ivy los!«

  Als der Typ nicht sofort reagierte, verzog Ryan das Gesicht und übte noch mehr Druck auf Freemans Arm aus, sodass er schmerzerfüllt aufschrie.

  »Tu, was er sagt! Tu, was er sagt!«, röchelte er.

  Ruckartig wurde ich freigelassen. Ich schnappte erleichtert nach Luft und stolperte ein paar Schritte nach vorn.

  »Ivy«, sagte Ryan, »lauf und ruf die Polizei. Freeman hat spontan Lust bekommen, die nächsten paar Jahre im Knast zu verbringen.«

  »Aber ich kann dich doch nicht alleine lassen«, wandte ich entsetzt ein.

  »Geh!«, brüllte Ryan so laut, dass Freemans Kumpel erschrocken zusammenzuckten.

  »Oh nein, ohne mich!«, rief der eine. »Du hast behauptet, dass wir nur einen Kerl ein wenig aufmischen würden.«

  »Fickt euch! Ich lasse mich doch nicht verarschen«, fauchte Freeman und dann ging es ziemlich schnell.

  Ruckartig stieß er nach hinten und rammte seinen Hinterkopf in Ryans Gesicht. Ryan stöhnte schmerzerfüllt auf. Freeman riss sich los, entfernte sich ein paar Schritte von Ryan. Gleichzeitig holte er etwas kleines Schwarzes aus seinem Hosenbund hervor und richtete es auf mich. Schreckensstarr blickte ich in die Mündung einer Waffe.

  »Ruhig bleiben oder ich schieße«, fauchte er.

  Ryan erstarrte. Vorsichtig wich er einen Schritt zurück, dabei ließ er die Waffe jedoch nicht aus den Augen.

  Meine Hände fingen an zu zittern und kalter Schweiß rann mir den Rücken hinunter, während Freemans Kumpel fluchend den Rückzug antraten.

  »Austin, was machst du da?«, fragte der Typ, der mich festgehalten hatte, fassungslos.

  »Scheiße«, fluchte der andere, »spinnst du? Was soll die Aktion?«

  Freeman schien selbst zu bemerken, dass er gerade dabei war, eine riesengroße Dummheit zu begehen, denn er leckte sich nervös über die Lippen. Als Ryan sich vorsichtig in seine Richtung bewegte, zuckte er erschrocken zusammen. »Bleib weg!«, kreischte er und richtete seine Waffe auf Ryan.

  Ryan hob abwehrend die Hände. »Alles gut«, sagte er ruhig. »Tief durchatmen. Hör auf und leg die Waffe weg.«

  Unauffällig wich ich einen Schritt zurück. Ich musste die Polizei verständigen. Oder Harry anrufen.

  »Keine Bewegung oder ich schieße«, fauchte Freeman in meine Richtung.

  Abrupt blieb ich stehen.

  Ryan zog ein finsteres Gesicht. »Hör auf«, wiederholte er seine Worte langsam. »Denk nach, was du da gerade machst. Diese paar Fotos sind die Konsequenzen nicht wert.«

  Freeman lachte verächtlich. Seine Hand an der Waffe zitterte. Schweiß trat auf seine Stirn. »Nicht wert? Nicht wert? Hast du eine Ahnung, wie viel diese Story wert ist? RedEnergies hat Hunderte Mitarbeiter entlassen. Darunter auch meinen Vater.« Er zitterte immer stärker. »Nieman
d hat darüber berichtet. Die Welt hat es verdient, zu erfahren, welchen Mist RedEnergies baut.«

  »Dein Vater?«, hakte Ryan nach und ging einen weiteren Schritt auf Freeman zu.

  »Dreißig Jahre hat er in diesem Drecksladen gearbeitet. Jahrelang war er kaum zu Hause, weil er sich für die Firma den Arsch aufgerissen hat. Und dann haben sie ihn ohne jede Vorwarnung rausgeschmissen. Wir haben alles verloren – und das nur wegen ihrem Vater«, sagte Freeman aufgebracht und deutete mit der Waffe auf mich.

  Ich zuckte zusammen. Ryan machte einen blitzschnellen Ausfallschritt, packte ihn am Schussarm und versuchte, ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen. Freeman schrie erschrocken auf und stolperte zurück.

  Plötzlich zerriss ein lauter Schuss die Luft.

  »Ryan!«, schrie ich und stürzte panisch nach vorn. Dabei stolperte ich prompt über meine eigenen Füße und fiel hin. Sofort rappelte ich mich wieder hoch und rannte weiter auf Ryan zu, der sich stöhnend die Schulter hielt. Ich hatte solche Angst um ihn, dass ich nur am Rande mitbekam, wie die anderen Typen die Flucht ergriffen.

  Freemans Blick zuckte hasserfüllt zu mir, danach zu Ryan, der schmerzverzerrt in die Knie ging.

  »Scheiße!«, stieß Freeman hervor, warf die Waffe weg und verschwand ebenfalls mit hektischen Atemzügen in der Dunkelheit.

  »Ryan!«, rief ich und ließ mich neben ihm zu Boden sinken. Meine Fingerspitzen berührten seine Schulter und als ich meine Hand hob, klebte daran nasses Blut.

  »Ruf … einen Krankenwagen … und die Polizei«, ächzte Ryan. Sein Gesicht war blass und auf seiner Stirn glitzerte der Schweiß.

  »Ja … ja … Krankenwagen.« Völlig aufgelöst und mit zitternden Fingern holte ich das Handy aus meiner Hosentasche. Als ich jedoch den Entsperrungsknopf drückte, blieb das Handy schwarz. »Nein! Nein, nein, nein«, rief ich panisch und begann, wild auf das Handy zu drücken. »Ryan? Keine Angst. Ich hole Hilfe!«, beschwor ich ihn und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. »Ryan? Hörst du mich? Mein Akku ist leer. Ich hole Hilfe, ja?«

  Ryan schaffte es gerade noch zu nicken. Dann senkten sich seine Lider zitternd, bevor er in meinen Armen ohnmächtig wurde.

  Ryan

  Ich fühlte mich grauenhaft. Als hätte ich drei Nächte lang Party gemacht und mich danach von einem Känguru verprügeln lassen. Außerdem war mir eiskalt und ich zitterte am ganzen Körper. Als wäre mein kleiner Bruder wieder mal zu mir ins Bett gekommen, um bei mir zu schlafen. Dabei stahl er mir auch immer die Decke und ich wachte am nächsten Morgen als Eisklotz auf.

  Doch leider wachte ich jetzt nicht auf. Um mich herum blieb es dunkel. Ich zitterte immer heftiger und versuchte, die Augen zu öffnen, doch meine Lider fühlten sich unglaublich schwer an … als würden Gewichte dran hängen. Auch meine Finger wollten sich nicht bewegen. Panik überkam mich. Wo war ich? Was war los? Wo war …

  Eine leichte Berührung an meinen Fingerspitzen riss mich aus meiner Panik. Die Berührung wurde fester und eine warme Hand schloss sich um meine. Klammerte sich förmlich daran fest, während etwas Nasses meine Wangen traf.

  »Ryan.« Die Stimme drang nur schwach durch den Nebel, der sich immer mehr verdichtete. »Schön weiteratmen, hörst du? Der Krankenwagen ist gleich da. Ryan, kannst du mich hören?«

  Ivy! Das war Ivy. Und sie weinte. Schluchzte regelrecht. Es klang, als stünde sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Ich wollte ihr sagen, dass sie aufhören sollte zu weinen. Schließlich gab es keinen Grund dazu … oder? Ich wollte sie in die Arme nehmen und an mich drücken. Doch die Dunkelheit hielt mich fest im Griff. Plötzlich hörte ich einen schrillen Ton, der immer näher kam. Eine Polizeisirene? Warum kam die Polizei?

  »Ivy, der Rettungswagen ist da«, sagte eine Stimme. Eine männliche Stimme, die mir bekannt vorkam. Alex! Dieser Scheißkerl.

  »Ist gut«, schniefte Ivy leise und ließ meine Hand los. Sofort wurde wieder alles taub und leblos. Das Atmen fiel mir immer schwerer und mir wurde noch kälter. So scheißkalt …

  »Keine Angst. Alles wird wieder gut, Ryan.« Es war nur ein Flüstern, gefolgt von einer sanften Berührung auf meiner Stirn. Ein Kuss? Küsste Ivy mich? Leider war das Gefühl viel zu schnell wieder verschwunden.

  Ich trieb ab, hörte das Rauschen von Stimmen, ohne sie wirklich zu verstehen. Einzelne Wortfetzen drangen durch, aber das meiste davon machte keinen Sinn. »… stabil … Ausweis … Blutgruppe … B12 … Schulterdurchschuss … Verletzung … Arterien … axillaris … brachialis … Puls … 45 … 120 … schwach … stabil … Bradykardie … Fraktur … Hinterkopf …«

  »Wird er wieder gesund?«

  »Sind Sie eine Angehörige?«

  »Nein, aber ich muss … Harry? Harry, ich bin’s, Ivy. Du musst sofort … Es ist … Ryan … er ist … nein … er hat nicht … Nein, er ist ohne Bewusstsein … Ich weiß es nicht …«

  Ivy. Hatte ich ihr noch sagen können, dass ich sie liebte? Hoffentlich. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war, aber ich hoffte, dass sie wusste, was ich für sie empfand. Ich hoffte, sie würde …

  Meine Gedanken wurden immer träger. Die Kälte ließ langsam nach und Wärme durchströmte mich, brachte alles in mir zum Kribbeln. Danach setzte ruckartig der Schmerz ein. Ein heißes Pochen, das von meiner Schulter ausging und durch meinen gesamten Körper pulsierte. Ich hörte jemanden schreien. War ich das? Es klang so seltsam. Verzerrt, verzweifelt. Ich biss die Zähne zusammen, bevor sich ein anderes Gefühl in mir ausbreitete. Es wurde immer stärker, zog mich hinab, drückte meinen Verstand nach unten.

  Ich dämmerte weg.

  Nichts. Da war nichts mehr.

  Ivy

  »Miss Redmond?«

  Erschrocken zuckte ich zusammen. War ich etwa eingeschlafen? Ich blinzelte müde und sah verwirrt hoch. Offenbar war ich tatsächlich eingeschlafen, denn von draußen drang helles Sonnenlicht in das Krankenzimmer. Ryan war gestern Abend noch medizinisch versorgt worden und als sie ihn dann auf sein Zimmer gebracht hatten, war ich bei ihm geblieben. Ich wollte ihn nicht alleine lassen. Zu groß war meine Angst um ihn. Immer wieder wirbelten die Ereignisse von gestern Abend durch meinen Kopf: leuchtende Sirenen; Ärzte, die sich um Ryan kümmerten; Harry, dem jede Farbe aus dem Gesicht gewichen war, als er seinen Sohn gesehen hatte, …

  Wo war Harry überhaupt? Er hatte doch auch bei Ryan bleiben wollen. Hatte da sein wollen, wenn sein Sohn aufwachte.

  Mein Blick fiel auf Ryan, der vor mir im Krankenhausbett lag und schlief. Er atmete ruhig, und sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Auf seinem Zeigefinger steckte eine Klammer, die seinen Herzschlag maß. Das leise maschinelle Piepen des Herzmonitors war das beruhigendste Geräusch, das ich jemals gehört hatte.

  »Miss Redmond?«, fragte die Stimme wieder und riss mich endgültig aus meiner verschlafenen Lethargie.

  Ich wandte den Kopf und sah einen fremden Mann im Türrahmen stehen. Er war ziemlich groß. Seine Haare waren zu einem kurzen Militärhaarschnitt geschnitten und er stützte sich auf einen Gehstock, obwohl er nicht älter als dreißig sein konnte. Etwas an ihm irritierte mich. Allerdings war ich noch zu müde, um zu wissen, was.

  »Ja?«, brachte ich krächzend hervor und räusperte mich. »Entschuldigung, sollten wir uns kennen?«

  Der Mann lächelte und offenbarte ein paar Grübchen an seiner Wange. »Wahrscheinlich nicht. Allerdings habe ich schon viel von Ihnen gehört.« Als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er hinzu: »Harry erzählt oft von Ihnen.«

  »Oh …« Ich blinzelte fahrig, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. »Falls Sie Harry suchen, der ist vermutlich in die Cafeteria gegangen, um sich einen Kaffee zu holen.«

  »Ich weiß«, sagte er leise und sah ein wenig verloren aus. »Ich wollte zu Ihnen und …« Er schluckte. »… und zu meinem Bruder.«

  Bruder. Das Wort hallte wie ein Echo in meinen Gedanken wider. Bruder? Hatte Ryan schon einmal einen älteren Bruder erwähnt?

  »Oh … äh … na klar, soll ich rausgehen und Sie ein wenig alleine lassen?«, fragte
ich und stand auf.

  Ryans Bruder winkte ab, schloss die Tür hinter sich und humpelte auf mich zu. Ich überließ ihm meinen Stuhl, den er dankbar annahm. Ächzend setzte er sich hin und streckte sein Bein aus. Gedankenverloren massierte er sein Knie, während er auf seinen Bruder starrte.

  »Wie geht es ihm?«, erkundigte er sich leise.

  Ich seufzte und setzte mich neben Ryan aufs Bett. »Er ist stabil. Eigentlich müsste er jederzeit aufwachen.«

  »Harry sagte, es war ein glatter Durchschuss an der Schulter?«, murmelte der Mann. »Wissen Sie Genaueres?«

  Ich zuckte mit den Schultern. »Wenn ich es richtig verstanden habe, ist die Kugel glatt durch den Schultergürtel geschlagen. Er musste also nicht operiert, sondern nur genäht werden. Allerdings war der Blutverlust sehr hoch, sodass er ohnmächtig geworden ist.«

  »Hätte schlimmer kommen können.«

  »Ja, hätte es«, stimmte ich zu und fühlte, wie das Grauen von gestern Nacht wieder nach mir griff. Ich schüttelte es ab und musterte stattdessen Ryans Bruder. Jetzt wurde mir auch klar, was mich vorhin so irritiert hatte. Es waren seine Augen. Sie waren genauso grün und katzenhaft wie die von Ryan.

  Er bemerkte meinen neugierigen Blick, lächelte und streckte mir seine Hand hin. »Ich bin übrigens Konstantin. Konstantin MacCain.«

  »Freut mich. Ivy. Ivy Redmond«, stellte ich mich ebenfalls vor und schlug ein. Seine Hand war riesig. Richtige Pranken.

  »Hat Ryan von mir erzählt?«, fragte er leise, während er meine Hand so fest umklammert hielt, als hätte er Angst, ich könnte sie loslassen.

  Peinlich berührt schüttelte ich den Kopf. »Nein, leider nicht.«

  Konstantin seufzte und ließ meine Hand endlich los. »Schon gut. Ich bin selbst schuld daran.«

  Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. »Versteht ihr euch nicht gut?«, fragte ich leise und betrachtete Ryans Gesicht, das sich im Schlaf leicht verzog. Sanft streichelte ich über seinen Arm.

  Genau in dem Moment schlug sein Herzschlag auf dem Monitor einmal heftig aus. Ich lächelte, zog die Hand zurück und sah zu Konstantin hinüber, der mich wissend angrinste.

 

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