Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

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Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition) Page 4

by Kiefer, Lena


  »Der Rat war dagegen«, sagte Logan mit einem Augenrollen. »Ich habe dafür gestimmt, aber Fiona, Moira, Mum und Grandma natürlich nicht.«

  Ich schnaubte. Natürlich. Es durfte bloß keiner aus der Reihe tanzen, sonst wurde er standrechtlich erschossen.

  »Grandma hat mich außerdem gefragt, wann ich mir endlich eine Frau suchen will.« Logan griff sich in seine rotblonden Haare, wie immer, wenn ihn etwas beschäftigte.

  »Verdammt, im Ernst?«, fluchte Finlay und sah seinen Bruder an. »Was hast du ihr daraufhin gesagt?«

  »Was schon? Dass es niemanden gibt momentan.« Er senkte den Blick wieder. Logan war trotz seiner Henderson-Gene im Gegensatz zu uns anderen schrecklich schüchtern, wenn es um Frauen ging, und deswegen in größter Gefahr, dass man ihm irgendein passendes Mädchen vor die Nase setzte. Jeder von uns wusste, was das bedeutete – dass es nicht zählen würde, ob er sie mochte, sondern nur, ob sie gut für die Firma war. Und auch wenn uns diese Vorgehensweise gegen den Strich ging, hatten wir keine andere Lösung, als auf Zeit zu spielen. Um die Strategie, die wir seit Jahren verfolgten – den Rat zu übernehmen und Grandma damit die Macht über Familie und Unternehmen zu entziehen – irgendwann umsetzen zu können und uns von den Regeln zu befreien.

  »Und was willst du jetzt machen?«, fragte ich.

  Logan hob die Schultern. »Erst mal gar nichts. Ich bin 24, ich schätze, ein paar Jahre kann ich mich noch rausreden. Und bis dahin haben wir ja vielleicht schon etwas geregelt.«

  »Tut mir leid, Mann«, sagte ich. »Das alles.« Wie oft musste ich das eigentlich noch sagen, bis wir endlich einen Weg fanden, selbst über uns bestimmen zu dürfen – ohne dass die Familie uns den Rücken kehrte?

  »Muss es nicht.« Logan lächelte schief. »Auch wenn sie bald mit ein paar Kandidatinnen anrückt, kriege ich das schon hin. Und alles andere ist nur eine Frage der Zeit.«

  Finlay sah aus dem Fenster und schien die Wolkendecke plötzlich sehr interessant zu finden, aber ich wusste, was er dachte: Ja, für euch vielleicht. Es dauerte jedoch wie immer nur ein paar Sekunden, dann riss er sich aus seiner Starre, machte einen blöden Scherz über Grandma und war wieder ganz der Alte. Die nächste Stunde verbrachten wir damit, die schlimmsten Situationen mit dem Familienoberhaupt Revue passieren zu lassen, danach guckten wir einen Film und schließlich zog Finlay seinen Laptop hervor.

  »Schauen wir doch mal, wer uns alles beehrt.« Er hatte die Gästeliste geöffnet. »Oho, das ist ja eine illustre Runde. Sogar das Königshaus gibt sich die Ehre, wenn auch nur in Form von Prinzessin Eugenie.« Er las weitere Namen vor, von denen mir gerade mal die Hälfte bekannt vorkam. Aber dann wurde er plötzlich blass und sah schnell zu mir, bevor er den Blick wieder auf den Bildschirm heftete.

  »Was?«, fragte ich, weil ich ahnte: Das hatte nichts Gutes zu bedeuten.

  Er schwieg und schien die richtigen Worte zu suchen.

  »Fin, komm schon, sag es einfach.«

  Mein Cousin drehte den Laptop um, sodass ich auf den Bildschirm sehen konnte. Eine Zeile in der Excel-Liste war markiert und ich las den Namen, der dort stand.

  Kenzie Stayton.

  Ein Fluch lag mir auf der Zunge, aber ich sprach ihn nicht aus. Stattdessen presste ich die Lippen aufeinander und atmete tief ein. Als ich die Luft wieder ausstieß, schüttelte ich den Kopf.

  »Ich hätte nicht gedacht, dass sie kommen würde«, sagte ich leise. Im Gegenteil, ich hatte mir in den letzten Tagen eingeredet, sie würde nie wieder einen Fuß nach Kilmore setzen. Aber Kenzie war kein Feigling. Sicher hatte sie gut darüber nachgedacht und dann entschieden, sich nicht von der Vergangenheit mit mir davon abhalten zu lassen, das Ergebnis ihrer Arbeit zu sehen. Nur – hätte sie nicht zu einem anderen Zeitpunkt vorbeikommen können? Musste es ausgerechnet die Eröffnung sein?

  Finlay drehte den Computer wieder zu sich und klappte den Deckel herunter.

  »Brauchst du einen Drink, Alter?«, erkundigte er sich mitfühlend.

  Ich rieb mir über die Augen. »Viele Drinks. Aber eher heute Abend.«

  »Okay, dann haben wir einen Plan«, sagte Logan. Er wusste nichts davon, was wirklich passiert war, aber er kannte die Story, die ich auch meiner Mutter erzählt hatte. »Wir füllen dich ab und nach einer Stunde musst du dann leider in deine Gemächer, weil du nicht mehr stehen kannst.«

  »Tolle Idee«, nickte ich sarkastisch. »Das wird Grandma sicher noch besser finden als meine Abwesenheit an Weihnachten.«

  »Dann finden wir eine andere Möglichkeit, damit du Kenzie nicht begegnest«, versprach Finlay.

  »Vergiss es. Egal, wie viele Leute da sind, wir werden uns begegnen. Die Frage ist nur, wie das ausgeht.« Es war jetzt fünf Monate her. Fünf Monate – und ich dachte jeden Tag an Kenzie. Wie würde das sein, wenn ich sie nun wiedersah?

  »Betrachte es positiv.« Finlay legte den Kopf schief und holte Luft, aber als ihm bewusst zu werden schien, dass Logan neben ihm saß, wählte er seine Worte mit Bedacht. »Sie hat zu niemandem etwas gesagt, oder? Wahrscheinlich hat sie dich zu den Akten gelegt und ist mit dem Thema längst durch.«

  Ja, aber ich bin es nicht , dachte ich. Ich war nicht über sie hinweg, das merkte ich in diesem Augenblick nur zu deutlich. Da war die vertraute Mischung aus Schuld, Verachtung für mich selbst und großer Sehnsucht. Ich hatte mich nie so gefühlt wie mit Kenzie, so glücklich, so zuversichtlich, so vollkommen. Und ich hatte daran geglaubt, dass wir es schaffen würden. Wie dämlich von mir. Ada war ein tiefschwarzer Fleck auf meiner Seele, der sich nicht entfernen ließ. Es war dumm gewesen, zu denken, Kenzie würde ihn nicht früher oder später entdecken.

  »Ja, vielleicht«, sagte ich nur.

  Aber ob ich darauf hoffen sollte, wusste ich nicht.

  Kilmore war natürlich auch im Winter ganz das verdammt idyllische Kaff, das es im Sommer war – zwar mit Eiseskälte und kahlen Bäumen, dafür aber jeder Menge mysteriösem Charme. Wir waren am Nachmittag im Grand angekommen, und ich hatte erleichtert bemerkt, dass man mir diesmal eines der Gästezimmer in Moiras Haus zugedacht hatte, gemeinsam mit Finlay. Es gab eine erstaunlich entspannte Tea Time ohne unangenehme Fragen – was sicher daran lag, dass Grandma noch nicht da war und Moira alle vier Minuten angerufen wurde, weil irgendein Lieferant sie im Neubau sehen wollte – und nicht einmal Fiona fiel durch ihre nervtötende Art auf. Zumindest nicht, solange die anderen dabei waren. Erst am Abend meldete sie sich zu Wort.

  »Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst«, sagte sie in diesem speziellen Fiona-Tonfall, als ich im Anzug in die Eingangshalle von Moiras Haus trat und feststellen musste, dass meine Cousins wohl schon vorgegangen waren. Unzufrieden zerrte ich an dem Krawattenknoten herum, bis er richtig saß. Immerhin war heute keine schottische Tracht angesagt. Meinen Kilt hatte ich vor meiner Abreise im Sommer entsorgt. Nicht nur wegen des Blutes.

  »Wie könnte ich mir das entgehen lassen?«, fragte ich zurück und hob eine Augenbraue. Seit ich Fiona mit meinem Wissen um ihre Affäre mit einer Angestellten in der Hand hatte, war sie eigentlich weniger ätzend zu mir. Allerdings hatten wir uns nach dem letzten August auch nur noch einmal gesehen – bei einer Hoteleröffnung in Sydney im November.

  »Vielleicht, weil Kenzie auf der Gästeliste steht.« Fionas Gesichtsausdruck wurde lauernd, und ich ahnte, warum sie mich darauf ansprach – sie hoffte, meinem Druckmittel ein eigenes entgegensetzen zu können. Aber dazu würde es nicht kommen.

  »Das ist doch schon ewig her«, winkte ich ab. »Glaubst du echt, ich hänge einem Mädchen nach, das mir vor fünf Monaten zuletzt begegnet ist? Ich bitte dich, Fi. Du solltest mich besser kennen.«

  Sie sah mir aufmerksam ins Gesicht. »Ja, eben. Ich kenne dich. Und ich weiß, sie war nicht irgendein Mädchen. Sie war dein Ausweg. Deine Hoffnung darauf, dass die Sache mit Ada dich nicht ewig heimsuchen würde.«

  Meine Hände wollten sich zu Fäusten ballen, aber ich gab mir den Anschein absoluter Gelassenheit.

  »Netter Versuch.« Ich ging an ihr vorbei zur Tür. »Allerdings musst du früher aufstehen, wenn du glaubst, dass du mich mit ein bisschen Hobbypsychologie aus der Reserve locken kannst. Und jetzt
entschuldige mich, ich muss zu der Eröffnung eines Gebäudes, das ich mitgeplant habe. Was hast du eigentlich dazu beigetragen? Hast du die Concierge auf dem Empfangstresen gevögelt, nachdem die Handwerker weg waren?«

  Fionas Gesicht passte sich an ihre rote Haarfarbe an, aber bevor sie ausflippen konnte, war ich schon hinausgeschlüpft und ging über den Rasen zum Neubau. Ich hatte keine Jacke angezogen und es war echt kalt, aber das half mir, wieder runterzukühlen. Die letzten Stunden hatte ich darüber nachgedacht, wie ich mich verhalten sollte, wenn ich auf Kenzie traf, war aber zu keiner Lösung gekommen. Ich würde es auf mich zukommen lassen müssen.

  Im Neubau war bereits eine Menge los. Wichtige und weniger wichtige, aber allesamt gut gekleidete Leute standen im Eingangsbereich und ließen sich von Kellnern Getränke reichen. Eigentlich hätte ich der Tatsache mehr Beachtung schenken müssen, dass der Grundriss ein echter Erfolg war – trotz der ganzen Menschen konnte man erkennen, wie die Offenheit der Lobby dafür sorgte, dass man ein Gefühl von Weite hatte. Nicht zuletzt auch wegen der Raumteiler, die den Raum perfekt gliederten. Aber ich scannte nur die Anwesenden, um Kenzie zu entdecken. Ohne Ergebnis. Logan und Finlay konnte ich sehen, ebenso wie ihre Eltern Patricia und Eric, außerdem Moira und Grandma sowie meine Mutter. Aber sie war nicht da. Als ich dem Blick meines Cousins begegnete, schüttelte er leicht mit dem Kopf und sagte mir so, dass er sie ebenfalls nicht gesehen hatte. War die Liste nicht aktuell gewesen? Wahrscheinlich war es so, schließlich hatte der Empfang längst begonnen – und Kenzie war ein pünktlicher Mensch. Ich atmete aus, erleichtert, aber ich fühlte mich auch betrogen.

  Betrogen um die Chance, sie noch einmal zu sehen.

  Da Moira bald die Begrüßungsworte sprechen würde, beschloss ich, die Leere in den oberen Stockwerken zu nutzen und mir die Zimmer anzusehen. In einer halben Stunde würden hier unzählige Leute über die ausgelegten Zusatzteppiche gehen und mit großem »Oh« und »Ah« die Räume bewundern, aber momentan war noch eine Kordel an der Haupttreppe gespannt, die das verhindern sollte. Ich überstieg sie nicht, sondern wandte mich in Richtung Küche und fuhr mit dem Aufzug des Personals in den obersten Stock mit den Suiten. Wie erwartet war es hier vollkommen ausgestorben und ebenso still. In einem Hotel dieser Preisklasse wurde auf Schalldämmung extrem hoher Wert gelegt. Also konnte ich in Ruhe durch die einzelnen Räume gehen, mir die Ausstattung ansehen – die zwar vor allem die Handschrift der verantwortlichen Innendesignerin Paula McCoy trug, aber auch die von Mum und Kenzie – und die Zimmer auf mich wirken lassen. Als ich zur letzten und exklusivsten Suite des Neubaus kam, hatte ich plötzlich ein merkwürdiges Gefühl, das berühmte warnende Kribbeln. Ich stieß dennoch die angelehnte Tür auf – und erstarrte.

  Neben dem Bett, gegenüber von einem großformatigen Bild, stand Kenzie.

  Sie fuhr zu mir herum und ich sah den Schock auf ihrem Gesicht. Auf diesem umwerfend hübschen Gesicht, das ich niemals vergessen würde – wie auch, wenn ich es ständig in Gedanken vor mir sah? Hatte sie etwa nicht damit gerechnet, dass ich hier sein würde? Wie hatte sie nicht damit rechnen können?

  Und plötzlich war alles wieder da. Wir waren nicht mehr in dieser Suite, ich im Anzug und sie in dem wunderschönen blauen Kleid, die rotbraunen Wellen hochgesteckt. Wir waren wieder auf der Straße, die aus Kilmore hinausführte, im strömenden Regen, der ihr schwarzes Shirt genauso wie ihre offenen Haare durchweichte, sobald sie ihren Camper verlassen hatte. Wie sie mich angesehen hatte, als wäre ich ein Fremder für sie – und ich genau gewusst hatte, es war etwas Schlimmes passiert. Wie sie die Aufnahme gestartet hatte und mir meine eigene Stimme aus dem Lautsprecher entgegengeschallt war. Und ich auf ihre Frage nichts anderes hatte sagen können als »Ja«. Ich war wie erstarrt gewesen, nicht fähig zu einer Erklärung. Aber das hätte ohnehin nichts geändert. Ich hatte nicht nur diese fürchterlichen Worte zu Ada gesagt, sondern es auch noch verschwiegen. Und ich hatte in Kenzies Augen gesehen, dass sie mir das auch mit der besten Erklärung der Welt nie verzeihen würde.

  All das ging mir in diesem Moment durch den Kopf, während mir schmerzhaft vor Augen geführt wurde, dass sich an meinen Gefühlen für Kenzie trotz der Zeit absolut nichts geändert hatte. Dass mich ihre Anwesenheit überwältigte, der Blick aus ihren hellbraunen Augen, obwohl er so weit von dem Ausdruck entfernt war, den ich mir wünschte. Aber trotzdem kam kein Wort über meine Lippen, keine Begrüßung, keine Entschuldigung.

  Nichts.

  6

  Kenzie

  Ich hatte die ganze Zeit gezweifelt – auf dem Flug nach Edinburgh, auf der Fahrt Richtung Kilmore, sogar noch, als ich in die Stadt gekommen war. Aber in dem Moment, als ich mit Paula den Neubau betreten hatte, war mir klar geworden, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es war unglaublich, wie groß die Lobby nun wirkte, obwohl man den Frühstücksbereich wegen des Schallschutzes mit einer einzelnen Wand abgeteilt hatte. Und ich platzte fast vor Freude, als ich meine Raumteiler sah, die sich wunderbar ins Gesamtkonzept einfügten.

  Als Moira Henderson am Eingang begonnen hatte, die Gäste zu begrüßen, hatte mich jedoch Angst gepackt. Angst davor, dass Lyall hier erscheinen würde. Also hatte ich mich heimlich nach oben geschlichen, um die Suiten anzusehen. Ich hatte die Stille nutzen wollen, um über Samt zu streichen, Mustertapeten zu berühren und mich damit für die Begegnung zu wappnen, die mir vielleicht bevorstand. In der Lair Suite war ich dann schließlich vor dem Bild stehen geblieben, das man dort aufgehängt hatte – ein Gemälde einer schottischen Künstlerin, die mit ihren Farben die Highlands so eindrucksvoll festgehalten hatte, dass ich nichts anderes tun konnte, als minutenlang darauf zu starren. Ich war so gefesselt, dass ich zusammenzuckte, als die Tür aufging.

  Ich drehte mich herum, um zu lächeln und mich zu entschuldigen, weil ich vermutlich nicht hier sein durfte. Aber als ich sah, wer in der Tür stand, blieb mir der Atem weg. Meine Beine versagten den Dienst, ich konnte keinen Muskel bewegen, brachte kein Wort heraus. Ich konnte ihn nur ansehen.

  Lyall.

  Kälte überfiel meinen Körper in einer eisigen Welle, ich versuchte, Luft zu holen und scheiterte dabei auf ganzer Linie. Ich wusste, ich hatte damit rechnen müssen, dass er im Hotel war – ich hatte damit gerechnet, dass er es war. Aber wieso zur verdammten Hölle war er jetzt mit mir in diesem Zimmer? Und warum traf mich sein Anblick noch härter als erwartet?

  Mein Gehirn registrierte innerhalb von einer Sekunde alles, was mir so schmerzhaft im Gedächtnis geblieben war – seine tiefbraunen Haare, die ihm etwas länger in die Stirn fielen als zuletzt. Die dunklen Augen, deren Blick mich jedes Mal aus dem Takt gebracht hatte und es jetzt wieder tat, obwohl er mich nichts daraus lesen ließ. Diese fast schon übermenschlich schönen Züge, die mir noch markanter vorkamen als bei unserer letzten Begegnung. Die feine Narbe an seiner Augenbraue, die er von der Schlägerei damals nach den Highland Games davongetragen hatte. Sein Körper, der in einem perfekt sitzenden Anzug steckte, den ich aber viel zu gut ohne Klamotten in Erinnerung hatte.

  Mein Herz stolperte, strauchelte, drohte zu fallen. Und während ich noch überlegte, ob ich es schaffen würde, schnell an ihm vorbeizugehen und zu verschwinden, sagte er etwas.

  »Hey.«

  Es klang vertraut, als hätten wir uns nur eine Woche nicht gesehen und als wäre all das nicht passiert. Und es berührte etwas in mir. Oft hatte ich daran gedacht, was ich fühlen würde, wenn ich ihm wieder begegnete, wie ich Wut empfinden würde, weil er das zwischen uns zerstört hatte. Weil er mich in eine Krise gestürzt hatte, die ich auch ein halbes Jahr später immer noch nicht überwunden hatte. Weil er seine dunkle Seite vor mir verborgen und mich belogen hatte, aus purem Egoismus. Aber ich fühlte in diesem Moment keine Wut. Nur Verzweiflung. Grenzenlose, alles überschattende Verzweiflung. Darüber, dass er vor mir stand und ich merkte, ich war immer noch nicht über ihn hinweg. Nach fünf verdammten Monaten. Nach allem, was ich über ihn wusste.

  »Hey«, antwortete ich erstickt.

  Sein Blick flackerte und er machte einen Schritt auf mich zu. Ich ging einen zurück, während ich ihm in die Augen sah und mich mit aller Gew
alt erinnerte. An den Moment auf der Straße, an seine Stimme in der Aufnahme, die so kalt und abweisend gewesen war, dass mich auch jetzt noch fröstelte. Ich brauchte diese Version von ihm in meinem Kopf, ich brauchte sie, um das hier zu überleben. Um zu gehen und weiterzumachen, endlich weitermachen zu können und ihn hinter mir zu lassen.

  Mein Verstand kehrte in meinen Kopf zurück. »Ich muss gehen«, murmelte ich und wollte an ihm vorbei.

  »Warte, bitte …«, sagte er in diesem weichen Tonfall, der mich an die Highlands erinnerte. An seinen Atem auf meinem Gesicht, seine Haut an meiner, seine Finger auf meinem Körper. Es ließ mich in meiner Bewegung erstarren, machte mich für einen Moment schwach und trieb mir Tränen in die Augen.

  »Hör auf damit.« Ich sagte es leise, kaum hörbar. Dabei hätte ich ihn anbrüllen müssen, was ihm einfiel, in dieses Zimmer zu kommen und Hey zu sagen, als wäre nichts passiert. So zu tun, als hätte er mir nicht den Boden unter den Füßen weggezogen und mein Herz zum Sterben zurückgelassen. Aber ich konnte ihn nicht anschreien, denn es tat so verflucht weh, ihn zu sehen. Und der Schmerz erstickte nicht nur die Wut, sondern auch meine Worte.

  Lyall holte Luft, aber in diesem Moment hörte man draußen auf dem Flur das melodische Ping des Aufzugs und dann Moiras Stimme, die etwas über die Etage sagte, die Anzahl der Suiten und das Gestaltungskonzept. Die Führung durch den Neubau hatte begonnen und gab mir die Gelegenheit, zu verschwinden.

  Als ich an ihm vorbeiging, hob Lyall den Arm, als wolle er mich aufhalten, ließ ihn jedoch genauso schnell wieder sinken. Für eine Sekunde durchbrach etwas die Dunkelheit in seinen Augen, aber ich stemmte mich mit aller Gewalt dagegen, was es in mir auslöste.

  »Kenzie –« begann er.

  »Nein«, sagte ich schnell. »Ich will nichts hören. Und ich will dich nie wiedersehen. Lass mich in Ruhe.« Damit drängte ich mich endgültig an ihm vorbei und lief auf dem Gang direkt Moira in die Arme.

 

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