by Kiefer, Lena
»Ja, so nennt man das auch«, sagte sie mit einem trockenen Lachen.
»Scheiße, Edie! Wie konntet ihr nur?« Das war die Grenze gewesen, die die beiden nie überschritten hatten. Obwohl sie seit vier Jahren ineinander verliebt waren, hatten sie nie Sex gehabt – weil sie glaubten, dann wäre es unmöglich, sich noch voneinander fernzuhalten. Zu Recht, wenn ich mir meine Schwester so ansah.
»Es war … es war nicht geplant, Lye. Wir haben uns auf einer Party getroffen, sind aber bald verschwunden, durch die Stadt gefahren und irgendwann auf dem Dach des Mandarin Oriental gelandet. Dort haben wir geredet, gelacht, es war so entspannt wie seit Jahren nicht mehr zwischen uns. Aber als zwölf Uhr war, hat sich die Stimmung plötzlich komplett verändert. Fin hat mich geküsst, und ich habe es abgebrochen, weil ich wusste, es endet sonst in einem Desaster. Nur … dann stand ich unten vor dem Hotel und wusste, er ist da oben in der Suite … ich habe es nicht ausgehalten, also bin ich zu ihm. Wir dachten wohl beide, dass es der Schlussstrich sein könnte, den wir nie hingekriegt haben. Dass wir merken, es ist überhaupt nicht so besonders zwischen uns, wie wir es uns immer vorgestellt haben.«
Ich schnaubte, weil das genau nach Finlay klang. »Und? Wie beschissen war die Idee auf einer Skala von 1 bis 10?«
»24 ungefähr.« Edina schaute unglücklich in ihren Becher. »Ich bin früh am Morgen abgehauen und seitdem haben wir nicht mehr geredet.«
»Und wie geht es dir damit?« Ich wusste nicht, warum ich fragte. Ich konnte ihr die Antwort schließlich vom Gesicht ablesen.
Edina lachte auf, weil sie wohl das Gleiche dachte. »Wenn ich gedacht habe, vorher wäre es schlimm gewesen … vergiss es. Ich halte es kaum aus, ihn nicht zu sehen, ihn nicht anzurufen und mit ihm zu reden. Nicht nur, weil wir Sex hatten, sondern weil ich wieder gemerkt habe, wie wichtig er mir ist. Fin ist der Einzige, den ich will, Lye. Ich werde niemals einen anderen so lieben können wie ihn.« Sie holte tief Luft. »Aber ich weiß, dass wir keine Chance haben. Also versuche ich, mich damit abzufinden.«
Es war das alte Lied, und es wurde nicht schöner, nur weil man es immer wieder spielte. Aber noch während ich nach Worten suchte, die nicht klangen, als hätte ich bei einer früheren Aufnahme auf Repeat gedrückt, schüttelte Edina schon den Kopf. »Ich bin deinetwegen hier, nicht weil ich dich vollheulen will.« Sie deutete auf den Papierkorb, aus dem die Einladung ragte wie ein erhobener Zeigefinger. »Du wirst nicht zur Neueröffnung gehen?«
»Nein, ich habe abgesagt.«
»Es ist echt unklug, dich nicht dort blicken zu lassen. Das weißt du, oder?«
»Ja, aber ich kann nicht. Sie … Kenzie ist vielleicht dort, und es ist besser, wenn wir uns nicht begegnen.« Vor allem für mich. Denn wenn ich Glück hatte, war sie längst darüber hinweg. Ich wünschte ihr so sehr, dass es so war. Obwohl sich mein Magen bei dem Gedanken, dass sie mit jemand anderem zusammen war, schmerzhaft verknotete.
»Hast du nie wieder mit ihr gesprochen seitdem?«, fragte Edina.
Ich schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?« Meine Schwester verengte die Augen. »Offenbar magst du sie immer noch und Kilmore ist kein Hinderungsgrund mehr.«
»Es liegt nicht an Kilmore, dass ich sie nicht anrufen kann.«
»Woran denn dann? Sie ist bestimmt nicht nachtragend. Ich bin sicher, dass –«
»Sie weiß Bescheid«, unterbrach ich sie. »Kenzie weiß über Ada Bescheid, Edie.« Es gab keinen Grund, meiner Schwester das noch länger zu verheimlichen. »Und deswegen wird sie nie wieder auch nur ein Wort mit mir reden.«
Edina sah mich alarmiert an. »Was weiß sie darüber?«
»Alles.« Ich holte Luft. »Dass sie tot ist, wie sie gestorben ist und was ich damit zu tun hatte.«
»Seit wann schon?«
»Ende August. Sie hat es erfahren, bevor sie abgereist ist.«
»Etwa von dir?«
Ich schüttelte den Kopf und verkniff mir ein Ich wünschte, sie hätte es von mir erfahren. Denn auch dann hätte man das zwischen uns nicht retten können. Wer würde so etwas schon akzeptieren? Jemandem zu sagen, er solle sich umbringen, war unverzeihlich. Völlig egal, was mich dazu gebracht hatte. »Nein, sie hat die Aufnahme von Adas und meinem letzten Gespräch von jemandem bekommen. Wahrscheinlich von Freddie.«
»Meine Güte, Lye!« Jetzt war der Schock Edina ins Gesicht geschrieben. »Und du hast es niemandem gesagt? Du weißt, dass das eine Sache für den Rat wäre.«
»Ja, weiß ich! Aber ich wollte nicht, dass man die Kavallerie auf Kenzie hetzt.« Zum Teil ihretwegen, jedoch auch, weil ich ihr nicht noch demonstrieren wollte, wie meine Familie tickte – und dass sie tatsächlich davon überzeugt war, alles mit Geld kaufen zu können, sogar ihr Schweigen. Kenzie wäre sicher zu stolz gewesen, den Betrag anzunehmen, aber sie hätte gewusst, dass man ihr nicht traute. Dass ich ihr nicht traute.
»Und stattdessen riskierst du, dass man dir das Leben ruiniert? Deine Zukunft?« Meine Schwester sah mich so streng an wie sonst nie. »Kenzie ist echt cool, aber wie konntest du so leichtsinnig sein? Da hätte alles passieren können. Sie hätte es der Presse erzählen können oder –«
Ich unterbrach sie. »Aber das hat sie nicht.«
»Nein. Was bedeutet, dass sie noch viel anständiger ist, als ich dachte.« Edina stieß die Luft aus. »Oder dass es für euch noch eine Chance gibt.«
»Das sicher nicht«, schnaubte ich und es galt mir selbst. »Du warst nicht dabei. Du hast nicht gesehen, wie Kenzie mich angeschaut hat, als hätte sie mich noch nie im Leben gesehen. Ihr ist in dem Moment klar geworden, dass alles, was sie über mich gedacht hat, falsch ist. Wenn sie noch irgendetwas für mich empfindet, dann Hass.«
»Hass ist ein heftiges Wort.«
»Das stimmt. Aber ich habe ihr ins Gesicht gelogen, in einer Situation, als sie mir zu hundert Prozent vertraut hat. Wenn sie mich nicht wegen dem hasst, was ich Ada angetan habe, dann auf jeden Fall deswegen.«
Edina fischte die Einladung aus dem Eimer und strich das Papier auf ihrem Oberschenkel glatt. »Logan meinte, dass im Rat über dich gesprochen wurde, seit du Weihnachten nicht in Kilmore warst. Öfter sogar. Grandma hat durchblicken lassen, dass es Konsequenzen haben wird, wenn du nicht zeigst, dass die Familie wichtig für dich ist.«
So etwas Ähnliches hatte meine Mutter auch gesagt.
Meine Schwester beugte sich vor. »Wir müssen nach vorne sehen, Lyall. Weitermachen, uns auf unsere Ziele konzentrieren. Das Studium abschließen, in den Rat eintreten, Grandmas Entscheidungen sabotieren, die Regeln ändern … und vielleicht ist dann ja noch Zeit für die Weltherrschaft.« Sie grinste.
Ich lachte leise auf, sagte aber nichts.
»Höre ich da ein ›Ich gehe zu der verdammten Eröffnung‹ heraus?«, fragte Edina.
»Ich denke darüber nach, okay?«
»Okay. Dann jetzt dazu.« Sie zeigte auf mein Modell. »Was wird das, wenn es fertig ist? Sieht aus wie eine Mischung aus dem Empire State Building, dem Coldwell House und diesem Pförtnerkabuff auf Grandmas Anwesen.« Sie zog mich nur auf, aber ich schnitt eine Grimasse.
»Es ist mein Untergang«, murrte ich unwillig. »Und null das, was ich wollte, viel zu plump, langweilig und einfallslos. Aber ich muss es heute Nachmittag abliefern, wenn ich eine Chance auf die Punkte haben will.«
»Alles klar.« Edina stand auf. »Dann frühstücken wir jetzt etwas und anschließend retten wir deine Note. Und das ohne Trübsal zu blasen. Deal?«
Ich lächelte, weil ich sie wirklich vermisst hatte.
»Deal.«
4
Kenzie
»Wie geht es Ihnen heute, Miss Stayton?«
»Gut. Ich meine … es war schon besser, aber ich schätze, besser geht es immer.« Ich lächelte schief und strich mit den Händen über die Armlehnen des roten Ledersessels.
»Ja, das ist wohl wahr.« Dr. Hanson lächelte zurück und nahm ihr Klemmbrett in die Hand. »Gab es denn in den letzten zwei Wochen Momente, in denen es Ihnen nicht gut ging?«
Sofort schoss mir die Erinnerung an die Einladung der Hendersons in den Kopf. »Ja. Aber ich habe das überwunden.«
»Und wie? Erzählen Sie mir davon.«
Ich schwieg. Wenn ich ihr das sagte, musste ich über Lyall sprechen – und dagegen sperrte sich etwas in mir.
Die Verhaltenstherapie hatte ich begonnen, zwei Monate nachdem ich aus Kilmore zurückgekehrt war. Nicht wegen Lyall, sondern meinetwegen. Als meine Mutter gestorben war, war meine ganze Familie zu Dr. Hanson gegangen – nur ich nicht. Ich hatte damals allein damit fertigwerden und keine Hilfe annehmen wollen, aber nachdem mich Kilmore in jeder Hinsicht erschüttert hatte, war ich nun doch hier. Vor allem, weil ich nach der Sache mit Lyall das Gefühl hatte, mir selbst nicht mehr trauen zu können. Ich war so sehr davon überzeugt gewesen, es besser zu wissen als ganz Kilmore – und hatte feststellen müssen, dass ich auf meine Menschenkenntnis einen Scheiß geben konnte. Und nachdem ich mich nicht einmal mehr auf die Uni hatte konzentrieren können und meine Familie mich jeden Tag gefragt hatte, was los war, hatte ich entschieden, Hilfe zu suchen. Seit drei Monaten kam ich alle 14 Tage hierher, aber nie hatte ich auch nur ein Wort über Lyall verloren. Es ging nicht um ihn, sagte ich mir immer wieder, sondern um mich. Es gab keinen Grund, über ihn zu sprechen und ihm damit Platz in meinen Gedanken einzuräumen.
»Miss Stayton? Wieso zögern Sie?« Die Therapeutin sah mich aufmerksam an. Sie war von der jung gebliebenen, dynamischen Sorte, ein Faktor, warum ich mich bei ihr wohlfühlte. Ich brauchte niemanden, der mich bemutterte. Sondern jemanden, der mir die Wahrheit sagte und half, mit mir zurechtzukommen. Und wir machten Fortschritte, was das anging. Langsam, aber immerhin.
»Weil … keine Ahnung. Es gibt da diese Einladung nach Kilmore, die ich bekommen habe. Das Hotel dort eröffnet den Neubau, an dessen Konzept ich beteiligt war. Aber ich will nicht hingehen.«
Dr. Hanson schaute von ihren Notizen auf. »Warum möchten Sie nicht hingehen?«
Es wäre leicht gewesen, ihr zu erzählen, dass ich nicht wieder mit dem Tod meiner Mutter konfrontiert werden wollte, mit den alten Geschichten über sie. Dr. Hanson hätte mir gesagt, dass diese Gefühle normal waren, und mir Handwerkszeug gegeben, damit ich in der Situation nicht kopflos wurde. Aber es wäre gelogen gewesen. Natürlich war der Gedanke nicht angenehm, wieder nach Kilmore zurückzukehren. Das hatte jedoch kaum etwas mit Mums Tod zu tun.
Ich zögerte, aber dann entschied ich mich für die Wahrheit. Denn über Lyall zu schweigen war das eine, aber zu lügen etwas ganz anderes. Wenn ich das tat, dann war ich genau wie er.
»Als ich im Sommer in Kilmore war, habe ich jemanden kennengelernt, einen Architekturstudenten, der an dem Projekt mitgearbeitet hat«, begann ich. »Wir haben uns erst nicht besonders gut verstanden, er war ein ziemlich arroganter Idiot, aber mit der Zeit … wir haben gemerkt, dass wir einander mögen. Mehr als das. Er war da, als ich wegen der Bilder meiner Mutter ausgeflippt bin, und er hat mir geholfen, nach London zu kommen, als Eleni den Unfall hatte.« Von diesen Geschehnissen wusste meine Therapeutin, aber Lyall hatte ich dabei grundsätzlich ausgespart. »Ich habe mich in ihn verliebt und dachte, er wäre der Richtige. Dumm, oder?« Ich schnaubte. »Wir kannten uns gerade mal ein paar Wochen, und ich habe geglaubt, es wäre für immer.«
Dr. Hanson hob die Schultern. »Wieso nicht? Es gibt keine Regel, ab wann man glauben darf, jemand wäre der Richtige. Und ich glaube nicht, dass Sie ein Mensch sind, der sein Herz leichtfertig verschenkt.«
»Nein, wohl nicht. Nur, dass ich es dem Falschen geschenkt habe.«
»Warum war er der Falsche?«
Ich schwieg erneut. Es wäre die Gelegenheit gewesen, ihr alles zu erzählen, denn die Sache mit Lyall war eh auf dem Tisch. Nur schaffte ich es nicht, diesen Weg bis zum Ende zu gehen. Und damit zuzugeben, wie sehr ich mich getäuscht hatte.
»Er hat mich angelogen«, sagte ich also nur und sah förmlich vor mir, wie die Chance, an dieser Front weiterzukommen, den Hut nahm und aus der Tür verschwand. »Es ging um eine Ex-Freundin von ihm und er hat mir nicht die Wahrheit gesagt. Daraufhin habe ich mich getrennt und ihn seither nicht wiedergesehen.«
Dr. Hanson nickte. »Ich verstehe«, sagte sie, obwohl sie sicher ahnte, dass mehr dahintersteckte. »Was sind also Ihre Bedenken, wenn es um diese Veranstaltung geht? Was ist das Schlimmste, was Ihnen passieren könnte, wenn Sie dort hingehen?«
»Dass er da ist«, antwortete ich. Es war die Wahrheit. Ich wusste nicht, was mit mir passierte, wenn ich Lyall wiedersah. »Und dass es alles schlimmer machen würde, sollte ich ihm begegnen.«
»Inwiefern könnte es schlimmer werden?«
Darüber musste ich kurz nachdenken. »Ich glaube, dass ich mittlerweile halbwegs damit zurechtkomme, was geschehen ist. Deswegen hätte ich Angst davor, alte Wunden wieder aufzureißen.«
»Gibt es denn auch Gründe, warum Sie hingehen wollen würden?«
Ich nickte. »Natürlich. Ich bin sehr neugierig darauf, wie das fertige Hotel aussieht und wie viele meiner Ideen hineingeflossen sind. Schließlich ist dieses Projekt das Herzstück meiner Bewerbung für die UAL.«
»Das sind doch sehr wichtige Gründe. Und könnten Sie sich vorstellen, dass es Ihnen auch bei Ihren schmerzhaften Erinnerungen helfen könnte, wenn Sie noch einmal nach Kilmore gehen?«
Jetzt war es an mir, sie fragend anzusehen. »Sie meinen, dieses Gerede von ›Es könnte die Chance sein, damit abzuschließen‹? Daran glaube ich nicht.«
Sie lachte. »Ich auch nicht. Aber es würde Ihnen sicherlich helfen, Ihre Empfindungen besser zu ordnen. Als Sie im letzten Sommer dorthin gefahren sind, kam der Schmerz über den Tod Ihrer Mutter nach oben – und Sie machen gute Fortschritte, damit umzugehen. Vielleicht würde es Ihnen mit dieser enttäuschten Liebe genauso gehen, ganz egal, ob er da sein wird oder nicht. Sie sind eine sehr starke junge Frau, Miss Stayton. Vielleicht merken Sie, dass die Angst vor dieser Situation größer ist als die Bedrohung durch die Situation selbst.«
Ich ließ ihre Worte auf mich wirken. Es war so einfach, sich vor dem Termin zu drücken. Und es war auch Zeit, die ich eigentlich nicht hatte – neben meinem Studium, das ich mir in diesem Trimester vollgepackt hatte, und der Arbeit für meinen Dad durfte ich immer wieder zu Projekten von Olsen mitfahren, um noch eine Referenz für meine Mappe zu sammeln. Offenbar war das schlechte Gewissen des Chefs wegen der Absage meines Praktikums im letzten Jahr groß genug gewesen, um mir das anzubieten. Theodora Henderson hatte ich nie wegen der versprochenen Empfehlung kontaktiert. Ihre Visitenkarte lag unangetastet in meinem Schreibtisch, weil ich sie auch nicht hatte wegwerfen wollen. Aber selbst wenn ihr Sohn vielleicht nicht bei der Eröffnung sein würde, dann sie garantiert. Ich wusste nicht, ob ich ihr begegnen wollte.
»Sie meinen also, ich soll hingehen?«, fragte ich Dr. Hanson.
»Nein, das meine ich nicht. Ich meine, Sie sollten darüber nachdenken, was das Beste für Sie ist – für Sie und Ihr Weiterkommen. Die Entscheidung liegt jedoch bei Ihnen.«
Da hatte sie recht.
Aber das machte es nicht einfacher.
5
Lyall
Diesen kurzen Moment, wenn ein Flugzeug vom Boden abhob, hatte ich noch nie gemocht. Ich hatte immer das Gefühl, als würde mein Körper sich dagegen wehren, sicheren Grund zu verlassen, bis er dann nachgab und sich damit abfand. Als mich die erhöhte Schwerkraft aus den Klauen ließ, atmete ich auf und entspannte mich.
»Wie kommen wir eigentlich zu der Ehre deiner Anwesenheit?«, zog mich mein Cousin Logan auf. »Du bist schließlich der Erste in der Geschichte der Hendersons, der sich erfolgreich vor Weihnachten gedrückt hat. Ich war schon gespannt, was du als Nächstes aus dem Hut zauberst.«
Finlay neben ihm grinste. »Du weißt doch, dass Lye einem Flug im Privatjet nicht widerstehen kann. Dieser ganze Luxus, der Champagner, die Ledersitze … erst, wenn er davon umgeben ist, lebt er richtig auf.«
Ich zeigte ihm mit einem freundlichen Lächeln meinen Mittelfinger, aber er lachte nur. Er hatte schließlich das luxuriöse Transportmittel für uns organisiert. Es gehörte dem Vater irgendeines Freundes, der ohnehin in Edinburgh abgeholt werden musste. Und so hatten wir immerhin auf dem achtstündigen Flug unsere Ruhe.
»Im Ernst«,
nahm Logan den Faden wieder auf. »Wieso fliegst du mit? Kilmore ist ja nicht gerade dein bevorzugtes Reiseziel.«
»Nein.« Es kam sogar ganz weit hinten auf der Liste. »Aber Mum und Edina haben mir klargemacht, dass ich entweder auftauche oder Grandma mich durch den Wolf drehen wird.« Außerdem waren es nicht einmal 24 Stunden. Ich würde schon am nächsten Vormittag wieder zurück nach Chicago fliegen.
»Und du meinst, du kommst damit klar? Den Erinnerungen, meine ich.« Finlay kramte in einem der Schränke und holte eine Packung M&Ms heraus. Akribisch sortierte er die braunen in eine kleine Schüssel und schob sie mir über den Tisch.
»Wird schon«, antwortete ich vage, als ich danach griff und meinem besten Freund einen Blick zuwarf. Ich hätte ihn am liebsten direkt nach Edinas Besuch angerufen und gefragt, wieso zur Hölle er mir nichts von New York erzählt hatte, aber ich wollte warten, bis er von allein damit zu mir kam. Mit Logan einen Sitz weiter war das jedoch unwahrscheinlich. Auch wenn die beiden Brüder waren, das Thema Edina hatten sie immer ausgeklammert.
»Hast du in letzter Zeit was von Jamie gehört?«, fragte mich Finlay.
»Ja, wir haben vorgestern telefoniert. Es geht ihm echt gut bei Diane in dem Projekt für ehemalige Süchtige. Offenbar hat er die ganze Truppe schon mit seinen Kochkünsten um den Finger gewickelt.« Auch wenn mein Onkel behauptet hatte, er könne nicht mehr auf dem Niveau kochen wie früher, reichte es für seine Mitbewohner anscheinend aus. »Was gibt es Neues aus dem Rat?« Ich sah Logan an.
»Das Projekt deiner Mutter auf Korfu ist momentan Thema Nummer eins.« Er runzelte die Stirn. »Die Standortanalyse hat ergeben, dass es eigentlich nicht infrage kommt – es liegt zu nah an zwei anderen Hotels in der Bucht, der Privatstrand ist ziemlich schmal und für unser Segment ist Korfu nicht exklusiv genug.«
Ich grinste. »Lass mich raten, sie möchte es genau deswegen machen.«
»Hat sie dir davon erzählt?«
»Nein, aber sie will seit Ewigkeiten etwas anderes aufziehen – Hotels, die auch für normale Leute erschwinglich sind.« In ihrem Inneren war Mum eigentlich ein kleiner Hippie und wollte nach Jahren, in denen sie ihre Kreativität in immer neue Luxushotels investiert hatte, vermutlich mal ihr eigenes Ding machen.