Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)
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»Alles okay?«, fragte sie und sah zwischen ihrem Neffen und mir hin und her.
»Ja«, murmelte ich. »Alles super.«
Dann ließ ich die ganze Gruppe stehen und rannte förmlich zur Treppe, die ins Erdgeschoss führte. Unten angekommen, suchte ich mir den nächstgelegenen Ausgang und schlüpfte durch die Tür in den Park. Es war ein kalter Abend, aber ich genoss den scharfen Wind, der mir durch mein Kleid wehte. Es war, als würde er mich bis auf die Knochen von diesen schrecklichen Gefühlen befreien, deren Intensität ich verdrängt haben musste. Nach meiner Abreise im August hatte ich vor mir nur selten zugegeben, wie unglaublich stark ich für Lyall empfunden hatte. Und heute war es, als wären diese Gefühle nur konserviert worden, um im passenden Moment hervorzubrechen. Wie hatte das passieren können? Wie hatte ich glauben können, auch nur ansatzweise über ihn hinweg zu sein?
Ich war am Morgen nach Edinburgh geflogen, allein, obwohl Willa angeboten hatte, mich zu begleiten. Denn auch wenn ihre Gesellschaft eine große Hilfe gewesen wäre, hätte ich ihr sagen müssen, was wirklich passiert war – sonst hätte sie nicht verstanden, wieso mich der Besuch in Kilmore so aufwühlte. Jetzt wünschte ich mir jedoch, ich hätte sie mitgenommen. Willa hätte nämlich einfach eine Flasche Whiskey besorgt, sich ordentlich mit mir betrunken und erst Fragen gestellt, wenn ich dazu bereit gewesen wäre, sie zu beantworten.
Für einen Moment überlegte ich, mich zu verabschieden und zu gehen. Aber das wollte ich nicht. Ich war extra hergekommen, um meine Arbeit zu sehen und mich daran zu freuen. Lyall würde mir das nicht kaputtmachen. Nicht das auch noch.
Ich atmete ein paarmal tief durch, dann ging ich zurück ins Gebäude, auf der Suche nach Paula, deren Gästezimmer ich für die Dauer meines Besuchs hier in Anspruch nahm.
»Kenzie!« Ich drehte mich um und erkannte Theodora Henderson, die mich zu sich heranwinkte. Schnell zwang ich ein Lächeln auf mein Gesicht und ging zu ihr. »Wo warst du denn?«, fragte sie freundlich. »Ich will dich jemandem vorstellen.«
Ich hatte sie bereits vorhin begrüßt, was zum Glück viel weniger unangenehm gewesen war als befürchtet. Offensichtlich hatte Lyall ihr kein Wort darüber gesagt, was zwischen uns passiert war – oder dass wir überhaupt etwas miteinander gehabt hatten. Sonst hätte Theodora kaum so getan, als wäre das hier nur der nächste Termin nach unserem Mittagessen im Sommer. Jetzt schob sie mich zu einem Stehtisch, der direkt neben einem meiner Raumteiler stand, und an dem eine grauhaarige Frau mit strengem Kurzhaarschnitt wartete.
»Gloria, ich möchte dir Kenzie Stayton vorstellen. Kenzie, Gloria Fowler ist für den Fachbereich Innendesign zuständig – an der UAL.«
»Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Miss Stayton.« Sie lächelte. »Dora schwärmt ja in den schillerndsten Farben von Ihnen.«
Gerade noch so verhinderte ich, dass mir der Mund aufklappte. Für eine Sekunde verschwand sogar Lyall aus meinem Kopf. Gloria Fowler war hier! Und Theodora hatte vor ihr positiv über mich gesprochen.
»Es ist mir eine große Ehre, Mrs Fowler.« Ich schüttelte ihre Hand und war nur eine Minute später in eines der interessantesten Gespräche verwickelt, die ich jemals geführt hatte. Gloria Fowler war nicht nur ein wandelndes Fachlexikon und kannte jeden Designer und jede Epoche bis ins Detail – Theodora und sie waren sich auch herrlich uneinig bei vielen Dingen und ich wurde mehr als einmal nach meiner Meinung gefragt, um den freundschaftlichen Streit zu entscheiden. Außerdem musste ich erklären, was ich mir bei dem Konzept mit den Raumteilern gedacht hatte – und freute mich, als Theodora mir sagte, dass mein Original sogar einen Ehrenplatz im Haupthaus gefunden hatte.
»Dora sagte, Sie würden sich bei uns bewerben?«, fragte Gloria irgendwann.
»Das hatte ich vor«, antwortete ich zurückhaltend. »In der Hoffnung, Sie geben auch Bewerbern eine Chance, die keine fünf Auslandspraktika vorzuweisen haben.«
»Auf jeden Fall.« Gloria verdrehte die Augen. »Was mich betrifft, zählen Talent und Ideen, kein Flugmeilenkonto.«
Theodora grinste. »Das habe ich gehört, meine Liebe.«
»Na, hoffentlich. Oh je, da hinten ist Ferdinand Voyer, er hat dem Institut einen unanständig großen Betrag gespendet, da muss ich wohl mal kurz seine Hand schütteln. Miss Stayton, ich freue mich auf Ihre Bewerbung. Wir sehen uns, Dora.«
Sie gab mir eine Visitenkarte, verabschiedete sich und Theodora setzte ihre Wir-stellen-Kenzie-jedem-Anwesenden-vor-Tour fort. In den nächsten Stunden unterhielt ich mich mit dem Beauftragten für schottische Burgenkultur, drei Alumni der UAL , die mittlerweile für Theodora arbeiteten, und einer Frau, die irgendwie mit der Queen verwandt war. Erst als die meisten Gäste gegangen waren und die Lobby sich langsam leerte, kam ich dazu, für eine Minute durchzuatmen. Fakt war, der Abend hatte sich so was von gelohnt. Trotz allem.
Mein Blick schweifte nur kurz über die verbliebenen Gäste – und blieb an Lyall hängen. Er stand neben seinen Cousins und redete mit ihnen, jeder ein Glas Whiskey in der Hand. Finlay schien einen Scherz gemacht zu haben, denn auf einmal lachten alle drei, und der Schmerz in meinem Herzen machte Überstunden. Und plötzlich sah Lyall zu mir, als hätte er meinen Blick gespürt. Als wären wir immer noch miteinander verbunden. Sein Lächeln erstarb, und ich sah etwas in seinen Augen, das er bei unserer Begegnung in der Suite vor mir verborgen hatte: Verletzlichkeit. Bedauern. Und Sehnsucht.
All das traf mich wie ein Schlag, und ich brachte es nicht fertig, den Augenkontakt zu unterbrechen. Nach allem, was ich in den letzten Monaten über ihn gedacht hatte, waren diese Sekunden wie ein Erdbeben, das meine Überzeugungen durchrüttelte. Aber dann schaute Lyall weg und zerschnitt die Verbindung. Ich sah, wie er etwas zu Finlay sagte, sich abwandte und durch den Seitenausgang verschwand. Ich atmete aus – ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte.
»Wie sieht es aus, können wir gehen?« Paula war neben mir aufgetaucht. »Ich habe morgen einen frühen Termin, aber wenn du noch bleiben möchtest, kennst du ja den Weg zu uns nach Hause.«
»Nein.« Ich sah zu der Stelle, an der Lyall verschwunden war. »Wir können gehen.«
Als wir das Gebäude durch den Haupteingang verließen, spürte ich einen tiefen Stich, obwohl das völlig irrational war. Schließlich hatte ich gesagt, ich wolle ihn nie wiedersehen. Jetzt würde es sich erfüllen, wir würden einander mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie mehr begegnen. Ich hätte froh sein sollen oder zumindest erleichtert. Dieses Kapitel war beendet.
Nur fühlte es sich nicht so an, als würde der Schmerz jetzt verschwinden.
Es fühlte sich an, als hätte er eine neue Ebene erreicht.
7
Lyall
Die Ziffern des Digitalweckers auf dem Nachttisch sprangen auf 3:23, und ich war mir ziemlich sicher, dass ich keinen einzigen Minutenwechsel verpasst hatte, seit ich hier lag. Finlay schnarchte leise in dem anderen Bett, aber das war nicht der Grund, warum ich nicht einschlafen konnte – daran war ich schließlich seit Eton gewöhnt. Nein, es lag an dieser Umgebung. An Kilmore, mit all seinen Erinnerungen an Ada, den letzten Sommer und an Kenzie. Vor allem an Kenzie.
Ich entschloss mich, nicht weiter an die Decke zu starren, zog mich an und nahm Jacke und Schuhe, bevor ich das Zimmer verließ und dann ins Erdgeschoss lief. Die Terrassentür lag in Richtung Loch Lair, also öffnete ich sie und trat hinaus.
Der Park war auch im Winter von Laternen beleuchtet und ich ging den Weg hinunter bis zum Zaun. Dahinter lag der Campingplatz, um diese Jahreszeit leer und verlassen, die Saison begann erst im Frühjahr. Ich lief trotzdem zu dem speziellen Stellplatz in der vordersten Reihe, von dem es nur ein paar Meter bis zum Loch waren. Die Holzbank, die auf der Parzelle stand, war von Frost überzogen, aber ich setzte mich trotzdem, sah in die Dunkelheit, dachte an das letzte Mal, als ich hier gewesen war.
Kenzie wiederzusehen war ein Schock gewesen, für meinen Kopf, meine Seele, mein Herz. Ich hatte gewusst, dass ich nicht über sie hinweg war, aber dass alles in mir immer noch so deutlich nach ihr rief, darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Oder auf ihre Reaktion, obwohl ich damit hätte rech
nen müssen. Kenzie hatte gewirkt, als würde sie es nicht ertragen, mit mir im selben Raum zu sein. Weil ich ihr wehgetan hatte, unglaublich weh – mit meinem 18-jährigen Ich in einem Telefonat, mit dem Fakt, dass Ada tot war und ich daran Schuld trug, aber vor allem damit, dass ich es ihr nicht gesagt hatte.
Und auch heute hatte ich nichts gesagt, ihr nichts erklärt, sie nicht einmal sehen lassen, wie ich mich in ihrer Gegenwart fühlte. Dass ich alles dafür getan hätte, um die Zeit zurückzudrehen. Dass es mich sämtliche Beherrschung gekostet hatte, sie nicht wenigstens kurz zu berühren. Als würde ich erst durch sie merken, dass ich noch am Leben war. Dass es Hoffnung gab, worauf auch immer. Nur war die längst gestorben. Es war zu spät.
Ich hatte das gewusst. Aber heute hatte ich es gefühlt . Und das war so viel schlimmer. Fast noch schlimmer als der Morgen vor dreieinhalb Jahren, als mich Moira hektisch geweckt hatte, um mir zu sagen, dass sie Ada im Wald gefunden hatte. Sie war völlig aufgelöst gewesen, hatte mir wirre Fragen gestellt, mich gedrängt, ihr alles darüber zu erzählen. Ich wusste noch, wie es sich angefühlt hatte, als die Wahrheit endlich mein Hirn erreicht hatte – dass Ada tot war. Erst da war mir klar geworden, was sie am Telefon zu mir gesagt hatte, dass sie geweint hatte, mich angefleht, mich mit ihr zu treffen. Und ich ihr an den Kopf geworfen hatte, ich wäre froh, wenn sie für immer verschwinden würde.
Meine Augen füllten sich mit Tränen, als ich daran dachte, dass ich damit nicht nur ihr Leben zerstört hatte, sondern auch mein eigenes. Jede Chance auf eine glückliche Zukunft mit jemandem war bereits vor meinem 19. Geburtstag mit Ada gestorben. Erst war mir das gar nicht aufgefallen, schließlich hatte es in dem Alter seinen Reiz, mitzunehmen, was ging. Aber im vergangenen Sommer hatte ich erkannt, welche Auswirkungen mein Fehler hatte. Dass jemand wie Kenzie für mich auf ewig unerreichbar bleiben würde.
Ich blieb so lange sitzen, bis ich meine Beine kaum mehr spürte, dann stand ich auf, warf einen letzten Blick zum Loch und ging zurück zu Moiras Haus. Die Terrassentür war zum Glück noch offen und ich schloss sie sorgsam hinter mir. Als ich jedoch zur Treppe gehen wollte, sah ich, dass im Wohnzimmer schwaches Licht brannte. Konnte da noch jemand nicht schlafen?
Ich ging durch die Tür und sah meine Mutter, die in eine Decke gewickelt auf Moiras riesiger Couch saß, einen Laptop auf dem Schoß. So viel dazu, dass sie keinen Jetlag kannte. »Hey, Mum«, machte ich mich bemerkbar. »Was tust du denn um diese Zeit hier?«
»Arbeiten.« Sie stellte ihren Laptop auf den Couchtisch und klopfte neben sich auf das Polster, als wäre ich ein Hund. »Aber ich lasse mich gerne von dir unterbrechen. Wir haben ja schon ewig nicht mehr richtig miteinander geredet.«
Ich zog die Jacke aus, setzte mich zu meiner Mutter und sie breitete fürsorglich die Decke über uns beiden aus, nachdem sie festgestellt hatte, dass ich ziemlich durchgefroren war. »Was treibt dich denn um die Zeit nach draußen in die Kälte, mein Schatz?«
»Die Vergangenheit.«
»Ada oder Kenzie?«
Ich schnaubte, weil sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. »Beide.«
»Dann hast du mit Kenzie gesprochen? Ich habe euch gar nicht zusammen gesehen.«
»Nein. Wir sind uns kurz begegnet, aber …« Ich brach ab und schwieg, weil ich nicht erklären konnte, was passiert war, ohne sehr weit auszuholen.
Meine Mutter sah mich an und lächelte. »Du bist immer noch in sie verliebt, oder?«
Ich zögerte einen Moment, dann nickte ich. »Fünf Monate, und es hat sich nichts geändert. Ich dachte, vielleicht wäre es mittlerweile besser, aber Fehlanzeige.«
Mum hob eine Augenbraue. »Und da kämpfst du nicht um sie? Ich weiß nicht, ob es da noch andere Gründe gab, aber wenn es nur wegen dieses Kilmore-Verbots war und du nach der ganzen Zeit immer noch so stark für sie empfindest, dann musst du es ihr sagen. Vielleicht ändert es ja etwas. Sie lebt nicht hier, du auch nicht. Bis ihr es vor der Familie offiziell machen müsstet, wäre genug Zeit, um zu schauen, was daraus wird.«
Ich hatte jetzt zwei Möglichkeiten – ihr die Wahrheit verraten oder lügen. Aber obwohl mich eine Lüge an diesen Punkt gebracht hatte, brachte ich nicht die Kraft auf, meiner Mutter alles zu beichten.
»Ich fürchte, es ist zu spät für einen zweiten Versuch«, sagte ich also nur. »Außerdem wissen wir beide, dass niemand mir verzeihen würde, was ich getan habe.«
»Ach, mein Sohn, der ewige Optimist.« Meine Mutter lächelte und strich mir über die Wange. »Ich weiß, dass du das denkst, aber glaub jemandem, der es wissen muss – irgendwann wächst Gras über alles. Und dann wird es auch eine Frau geben, der du die ganze Geschichte von Ada erzählen kannst und die es verstehen wird.«
Darauf wollte ich nicht antworten, weil ich wusste, wie sehr es meine Mutter deprimieren würde, wenn ich ihr verriet, wie ich mich tatsächlich damit fühlte – wie hilflos, wie hoffnungslos. Dass es Unsinn war, was sie sagte, weil so eine Schuld nicht verjährte. Und dass ich erst im letzten Sommer wieder erlebt hatte, wie jemand auf die Wahrheit reagierte.
Ich brauchte dringend ein anderes Thema. Also deutete ich auf ihren Laptop.
»Was ist das?«, fragte ich. Der Bildschirm wurde von Fotos ausgefüllt, die viele kleinere Gebäude am Meer zeigten.
»Mein Herzensprojekt.« Meine Mutter seufzte. »Ich habe dafür keine Mehrheit im Rat bekommen, aber ich will noch mal versuchen, die anderen zu überzeugen. Ein Resort für halbwegs normale Geldbeutel, mit dem Fokus auf Ruhe und Entspannung, nicht auf Luxus. Hier, sieh es dir an.« Sie schob den Laptop zu mir rüber. »Es ist in die Jahre gekommen, aber mein Gutachter sagt, die Bausubstanz der vorhandenen Gebäude ist top und die Gartenlagen sind auch in Ordnung. Es hat was, findest du nicht?«
Ich klickte mich durch die Bilder und musste ihr recht geben – alles schien etwas veraltet und abgewohnt, aber die Location war einzigartig und hatte einen besonderen Charme. Als wäre man durch ein Portal in eine frühere Welt gereist, die weniger hektisch war. »Es gefällt mir«, sagte ich. »Und es passt perfekt zu dir.«
»Dann drück mir die Daumen, dass die anderen sich überzeugen lassen, wenn ich ihnen das neue Konzept vorstelle.«
Ich sah die Hoffnung in ihrem Blick und fragte mich nicht zum ersten Mal, warum eine Frau wie sie auf das Wohlwollen ihrer Familie angewiesen war. »Wieso machst du es nicht ohne sie, wenn sie nicht einverstanden sind?«
»Ohne wen?«
»Ohne die anderen.« Ich hob die Schultern. »Du wirst doch sicher genug Geld beiseitegelegt haben, um so ein Projekt ohne die Ressourcen der Henderson Group realisieren zu können. Vor allem würde dir dann niemand reinreden, was die Umsetzung angeht oder das Marketing … du müsstest dich nicht ans Corporate Design halten oder an irgendwelche Richtlinien bei der Preisgestaltung. Es wäre einfach nur deins.« Ich lächelte.
Plötzlich wurde die Hoffnung in ihren Augen zu einem Leuchten. »Das ist eine großartige Idee. Und ziemlich gewagt. Von wem hast du nur diesen Hang zur Rebellion geerbt?«
»Na, von dir offenbar nicht«, antwortete ich trocken und erntete ein liebevolles Boxen in die Seite. »Von Dad aber auch nicht. Wahrscheinlich von Urgroßmutter.« Die hatte schließlich gegen jede Vernunft und alle Unkenrufe damals das Familienschloss in ein Hotel umgebaut.
»Wenn das der Fall ist, können wir ja noch viel von dir erwarten.« Meine Mutter unterdrückte ein Gähnen. »So, und jetzt ab ins Bett. Können wir morgen miteinander frühstücken oder geht dein Rückflug zu nachtschlafender Zeit?«
»Ich fliege um 11:30 ab Edinburgh.«
»Schön, dann sehen wir uns noch.« Sie faltete die Decke zusammen und drapierte sie auf der Sofalehne, als würde Architectural Digest morgen zum Shooting vorbeikommen. Anschließend klemmte sie ihren Laptop unter den Arm und ging zur Treppe. »Oh, und Lye?« Meine Mutter blieb stehen. »Alles wird gut. Vertrau mir.«
Ich rang mir ein Lächeln ab und nickte nur. »Gute Nacht, Mum.«
8
Kenzie
»Was soll das denn für ein Restaurant sein?«, fragte Juliet und spähte aus dem Seitenfenster unseres Autos. Wir fuhren durch ein reines Wohngebiet, weit un
d breit war kein Geschäft zu sehen. Ich war geneigt, ihr rechtzugeben. Auch wenn man in der Dunkelheit kaum etwas erkennen konnte, war klar, dass wir es nicht mit einem Szeneviertel zu tun hatten.
»Das ist eine Überraschung«, antwortete mein Vater schon zum zehnten Mal in der letzten halben Stunde, als wäre er einer dieser Kuschelbären, die mit nervtötender Piepsstimme »Ich hab dich lieb« krähten, wenn man ihnen auf den Fuß drückte. Genauso lange waren wir nämlich bereits zu diesem ominösen Restaurant unterwegs, weil es irgendetwas zu feiern gab.
Ich hatte schlecht geschlafen und hätte deswegen beinahe irgendeine Ausrede erfunden – Regelschmerzen, was für die Uni oder eine Verabredung – aber Dads Strahlen war so groß gewesen, dass ich es nicht übers Herz gebracht hatte. Also saß ich nun hier, eingezwängt zwischen Willa und Eleni auf dem Rücksitz des Rover, und wartete darauf, dass wir ankamen.
Sechs Wochen war mein Besuch in Kilmore her und eigentlich schlug ich mich echt gut. Langsam stand der Frühling ins Haus, an manchen Abenden konnte man die milde Luft schon riechen, und ich hatte mich dazu hinreißen lassen, mit Miles essen zu gehen, was sehr viel entspannter abgelaufen war als gedacht. Mit meinen Schwestern gab es keine größeren Katastrophen, Dad hatte erschreckend gute Laune in letzter Zeit – kurz: Es war alles bestens. Wären da nur nicht die Momente gewesen, in denen mich eine ganz eigenartige Hoffnungslosigkeit befiel. Ein Gefühl, das ich nicht richtig greifen konnte und das trotzdem da war, wie ein ständiger Beifahrer. Als würde ich in ein tiefes, schwarzes Loch fallen und niemand fing mich auf. Ich wachte oft nachts davon auf, ohne zu wissen, wovon genau ich geträumt hatte, und konnte danach nicht wieder einschlafen. Und die ganze Zeit hatte ich einen dringenden Verdacht gehabt, mit wem diese Träume zu tun hatten. Aber erst seit gestern Nacht wusste ich, dass ich damit richtiglag.
»Kenz?«, sagte Eleni neben mir leise, damit es niemand mitbekam. »Geht es dir gut?«