by Kiefer, Lena
»Warte ab, bis du den Rest siehst.« Theodora lächelte und ging zu einigen Steinstufen, die nach unten führten. »Die Anlage ist etwas verwinkelt und nicht so klar strukturiert wie unsere anderen Häuser. Und natürlich bleibt der Komfort etwas auf der Strecke, wenn es so viele Treppen gibt. Aber sie hat wirklich Charme und die Gärten sind atemberaubend. Ich war von der ersten Sekunde an verliebt.«
»Verstehe ich total. Es ist unheimlich schön hier.« Ich drehte mich einmal um meine eigene Achse und versuchte, alle Eindrücke in mich aufzunehmen. Das Licht, die strukturverputzten Wände, die grob behauenen Steine, aus denen die Wege gemacht waren. Jetzt war alles noch etwas roh und der Dreck tat sein Übriges, aber ich war überzeugt: Daraus konnte man wirklich ein Traumhotel machen, wenn man es richtig anstellte. »Wieso wurde es verkauft?«
»Nikolaos, der griechische Eigentümer, hat es dreißig Jahre selbst geführt. Dann wurde ihm allerdings klar, dass er hier einiges modernisieren muss, um mit den anderen Hotels auf der Insel mithalten zu können – das wollte er in seinem Alter nicht mehr stemmen.« Theodora hielt zielstrebig auf eines der kleineren Gebäude zu. »Seine Tochter wollte es gerne übernehmen, aber die Modernisierungen wären zu teuer für sie geworden. Das war mein Glück.« Wieder strahlte sie und zeigte zu dem Komplex, aus dem wir gerade gekommen waren. »Es gibt das Hauptgebäude, dort sind sechzig Zimmer und zehn Suiten, dann haben wir elf Bungalows auf der Südseite, die wir alle ähnlich ausstatten werden … und die sechs Villen. Die werden unser Meisterstück. Der Zufluchtsort für glückliche Paare.«
Sie ging durch die Tür und ich folgte ihr erneut, diesmal in einen großen Raum, der mit Fensterfronten in Richtung Bucht ausgestattet war. Dahinter führten breite Stufen zu einem kleinen Pool, der exklusiv zu dieser Villa gehören musste, denn dichte Büsche grenzten ihn vom Rest der Anlage ab. Zwar war es innen leer geräumt und zwei Handwerker kratzten Klebereste vom Betonboden, ich konnte mir trotzdem vorstellen, wie man sich hier als Pärchen eine traumhafte Zeit machte. Kurz dachte ich an Miles, auch wenn ich mir ihn und mich hier nicht vorstellen konnte. Er hatte zwar gestern bei unserer Verabschiedung gesagt, dass er nichts dagegen hätte, wenn wir uns öfter trafen, aber ich hatte das nicht erwidert. Wie auch. Er war es schließlich nicht, der durch meine Träume geisterte und meine Gefühle einfach nicht zur Ruhe kommen ließ.
»Kenzie?«, riss mich Theodora aus meinen Gedanken. Sie stand neben einer jungen Frau in Jeans und Top, die ihre langen dunklen Haare in einem Bun gebändigt hatte, wie ich ihn auch oft trug. »Das hier ist Clea. Sie ist Nikolaos’ Tochter und hilft mir als Übersetzerin und mit allem, was mit dem Hotel zu tun hat.«
Die Tochter des Eigentümers, die den Laden selbst gern übernommen hätte? Ich schüttelte Clea die Hand. Sie war etwa Ende 20 und ihr Händedruck der eines Menschen, der es gewohnt war, mit anzupacken. »Schön, dich kennenzulernen«, sagte ich. »Du bist dann sicher diejenige, die hier den Durchblick hat, oder?«
Sie lachte. »Ich bin quasi im Hotel aufgewachsen, bevor ich nach London zum Studieren gegangen bin«, antwortete sie in fast akzentfreiem Englisch. »Aber seit Dora und ihre Leute angefangen haben, alles umzugraben, erkenne ich es selbst nicht wieder. Was gut ist – die Renovierung war wirklich nötig.«
Theodora grinste mir verschwörerisch zu. »Du musst wissen, ich habe Clea als Geschäftsführerin eingeplant, wenn alles fertig ist. Also darf sie nicht zugeben, dass ich hier ihre Kindheitserinnerungen in Schutt und Asche lege.«
»Und wenn ich es doch sage, dann nur auf Griechisch.« Clea lachte wieder. »Es ist toll, dass du hier bist, Kenzie. Wir brauchen dringend tatkräftige Hilfe.«
Das war offensichtlich, auch wenn das Chaos auf den zweiten Blick durchaus organisiert zu sein schien. Ich hätte nicht erwartet, dass Theodora bei ihren Projekten die Strukturierung der Arbeitsabläufe selbst übernahm. Aber sie wirkte ziemlich souverän, als sie jetzt etwas auf einem Klemmbrett checkte, das ihr ein junger Typ mit hellbraunen Haaren hinhielt.
»Okay, dann planen wir die Fliesenarbeiten am großen Pool übermorgen ein … oder nein, am Montag, dann sind wir auf der sicheren Seite. Und wenn das passt, lass die Maler zuerst den linken Flügel streichen, danach kann es dort direkt mit den Bädern weitergehen.«
Er nickte, dann fiel sein Blick auf mich und er lächelte. »Du musst Kenzie sein. Ich bin Dionys.«
»Mein kleiner Bruder«, fügte Clea an. »Er ist gerade mit der Uni fertig und brauchte dringend einen Job, damit er nicht … wie nennt ihr das? Versumpft.«
Ich grinste, weil Dionys das Gesicht bei dieser Beschreibung verzog. »Und er kann für sich selbst reden, vielen Dank, Schwesterherz«, sagte er, während er mir die Hand gab.
»Was hast du studiert?«, fragte ich.
»Philosophie und Englische Literatur. Was wohl der Grund ist, warum ich nun hier als Junge für alles arbeite.«
»Ich sehe dich nicht arbeiten«, neckte seine Schwester ihn. »Wolltest du dich nicht um den Haufen Pflastersteine kümmern?« Es folgte ein schnelles Gespräch auf Griechisch, dem ich kein Stück folgen konnte. Dann verabschiedeten sich beide und ich wurde von Dora nach draußen gelotst.
»Zum Team gehören noch Elliott, er ist aus der Master Class von mir in New York letztes Jahr und hatte zum Glück gerade Zeit, weil er erst im Juni seinen Job in L. A. antritt. Dann Martha, sie kenne ich von einem Projekt in Südafrika, und Bella, sie war in meinem Gastkurs an der Politecnico di Milano. Sie kommen alle im Laufe der Woche an, bis dahin sollten die groben Arbeiten so weit fertig sein, dass wir loslegen können.«
Sie sah sich mehr hoffnungsvoll als überzeugt um und ich konnte es ihr nicht verdenken – hier sah es bisher nicht danach aus, als könnten wir in zwei Tagen damit anfangen, die Ausstattung der Räume zu planen. Aber so würde ich die Zeit nutzen können, um mich mit den Gebäuden vertraut zu machen. Da ich in den nächsten Wochen sehr viel hier herumrennen würde, war es wichtig, dass ich wusste, wo alles war.
Theodora winkte schon wieder nach mir. »Komm, ich brauche dringend etwas zu essen. Und dann zeige ich dir meine Pläne.«
Ich folgte ihr in Richtung Haupthaus, und während ich die Stufen wieder hinaufstieg, war mir eins völlig klar: Das würde ein Haufen Arbeit werden. Ein riesiger Haufen Arbeit. Wahrscheinlich war an Pausen kaum zu denken, an freie Tage am Strand noch weniger. Aber ich fand das nicht schlimm, im Gegenteil.
Ich fand, das waren hervorragende Aussichten.
11
Lyall
»Lyall, danke, dass Sie gekommen sind. Setzen Sie sich bitte.« Der Dekan deutete auf den Stuhl auf der anderen Seite seines wuchtigen Schreibtisches und nahm dann selbst Platz.
»Gibt es ein Problem?«, fragte ich irritiert. Man hatte mich seit meiner Schulzeit nicht mehr in irgendein Büro zitiert, und der ernste Gesichtsausdruck von Mister Rogers half nicht, das ungute Gefühl in meinem Bauch zu vertreiben. Was war hier los? Ich hatte vor drei Minuten noch in einem Kurs zu Gebäudestatik gesessen, als plötzlich die Assistentin von Rogers geklopft hatte.
Er sah mich ernst an. »Es geht um die letzte Prüfung in Ihrem Schwerpunktfach. Sie haben die Klausur vor vier Wochen geschrieben, ist das richtig?«
Ich nickte. »Richtig. Stimmt damit etwas nicht?« Die Ergebnisse waren noch nicht da, deswegen wusste ich nicht, ob ich bestanden hatte. Ich ging jedoch davon aus, obwohl ich in letzter Zeit Probleme hatte, den Stoff in meinen Kopf zu bekommen.
»Das kann man so sagen.« Mister Rogers nahm die Brille ab und sah mich an. »Sie sind ein hervorragender Student, Lyall, daran gibt es keinen Zweifel.« Er zögerte. »Deswegen wundert es mich, dass Sie so eine Klausur nicht bestehen.«
»Ich habe nicht bestanden?« Meine Augen weiteten sich bei dieser Neuigkeit.
»Nein. Sie sind sogar deutlich unter dem Schnitt, der nötig gewesen wäre.«
Ich atmete aus. »Okay. Ich hatte eigentlich kein so schlechtes Gefühl.« Aber was konnte ich in letzter Zeit schon auf mein Gefühl geben? Nichts.
Allerdings erklärte die verpatzte Klausur nicht, wieso ich in diesem Büro saß. Schließlich erfuhr man solche Hiobsbotschaften über das Online-System d
er Uni, nicht vom Dekan selbst. »Warum bin ich hier, Sir?«
»Weil ich mir Gedanken um Sie mache. Auch Ihr Modell im Kurs vom Kollegen Hawthorne war bei Weitem nicht das, was wir von Ihnen gewohnt sind.« Er schaute mich aufmerksam an. »Empfinden Sie Überforderung? Oder haben Sie Sorgen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht mehr als andere auch. Wie kommen Sie darauf?«
»Ihren Dozenten ist aufgefallen, dass Sie in den letzten Monaten stiller geworden sind, sich immer mehr zurückziehen. An Diskussionen beteiligen Sie sich seltener, an Lerngruppen nehmen Sie gar nicht mehr teil. Wenn es Probleme persönlicher Natur gibt, dann sollten Sie mit jemandem reden. Sie wissen, dass wir einen hervorragenden Psychologischen Dienst an der Universität haben, den Sie in Anspruch nehmen können.«
Bei seinen Worten griff die altbekannte Schwärze nach mir, aber ich schüttelte sie ab. »Es gibt keine Probleme, Sir. Es war einfach viel los in letzter Zeit, das ist alles. Und Lerngruppen sind nicht mein Ding. Waren sie noch nie.«
Mister Rogers legte die Fingerspitzen aneinander. »Jeder von uns kommt in Situationen, in denen er überfordert ist, auch gute Studenten wie Sie. Der Abschluss rückt näher, das macht Druck. Wenn dann noch Probleme in Familie oder Beziehung dazukommen, kann es schnell passieren, dass es zu viel wird. Es ist keine Schande, das zuzugeben.«
Der Gedanke an Kenzie überfiel mich ungefragt und wieder einmal spielte mein Hirn die Szene auf der regennassen Straße in Kilmore ab. Probleme in Familie oder Beziehung? Mister Rogers hätte den Mund nicht mehr zugekriegt, wenn ich ihm die Wahrheit darüber gesagt hätte, was bei mir abging.
»Ja, vielleicht bin ich etwas überfordert«, gab ich zu, weil ich glaubte, ihn auf diese Art milde stimmen zu können. »Aber wie Sie schon sagten, ist das nichts Ungewöhnliches in meiner Situation.«
Er sah mich sehr aufmerksam an, dann nickte er. »In Ordnung. Ich kann Sie nicht dazu zwingen, mir zu sagen, was Sie beschäftigt. Ich kann Ihnen nur raten, mit jemandem zu sprechen, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie allein nicht weiterkommen. Meine Tür steht immer offen.«
»Das weiß ich zu schätzen, Sir. Vielen Dank.« Damit konnte ich wohl gehen. Blieb nur eine Frage. »Wissen Sie, wann der Nachholtermin der Klausur ist, die ich nicht bestanden habe?« Das Winter Quarter war in dieser Woche zu Ende, also war ich davon ausgegangen, dass ich die Prüfungen hinter mir hatte.
»Ja, das ist auch ein Grund, warum ich sie herbestellt habe: Es gibt keinen Nachholtermin.« Mister Rogers sah mich bedauernd an. »Der Kurs wird erst im Herbst wiederholt.«
»Was? Nein!« Ich hatte nur noch ein paar Monate und zwei Prüfungen bis zum Abschluss. Wenn ich diese Klausur nachholen musste, würde mein Studium länger dauern – und alles andere sich nach hinten verlagern. »Das geht nicht. Ich darf keine Zeit verlieren.« Schließlich stand hier so viel mehr auf dem Spiel als nur mein Uni-Abschluss. Und wenn ich etwas nicht tun durfte, dann meiner Großmutter einen Grund zu geben, mich vom Rat fernhalten zu wollen. Sie hatte mich eh schon auf dem Kieker.
Mister Rogers schüttelte den Kopf. »Ich kann da nichts machen. Die Prüfungsordnung sieht für Modulabschlussklausuren keine Wiederholungstermine vor.«
»Gibt es nicht noch eine andere Möglichkeit? Meine Familie rechnet fest damit, dass ich im Herbst ins Unternehmen einsteige. Wenn ich das nicht kann, bekomme ich ernsthafte Probleme.« Ich setzte einen verzweifelten Blick auf. Mitleid war jetzt meine einzige Chance.
Der Dekan schien mit sich zu hadern, dann stieß er die Luft aus. »Es gäbe eine Option, aber die wird Sie eine Menge Arbeit kosten.«
»Das schreckt mich nicht ab, Sir.«
Er nickte. »Ich könnte es für Sie möglich machen, dass Sie in einem anderen Schwerpunkt die Abschlussklausur mitschreiben – einem, der die Modulklausur im Spring Quarter anbietet. Allerdings wäre das dann vollkommen neuer Stoff für Sie und sie hätten nur acht Wochen, um sich einzuarbeiten.«
Das klang tatsächlich nach einem Haufen Arbeit, aber es war immerhin ein Ausweg. »Welche Schwerpunkte sind das?« Mein eigener war Projektplanung und – entwicklung, logischerweise. Mit den anderen hatte ich mich nie näher befasst.
Mister Rogers sah auf den Bildschirm seines Computers. »Entweder Gebäudetechnik oder … lassen Sie mich kurz nachschauen. Ah ja, Denkmalpflege.«
Oh, verflucht. Das war beides nicht mein Spezialgebiet, genau genommen hatte ich seit den ersten Semestern nie wieder damit zu tun gehabt. Acht Wochen waren eine sehr knappe Zeit, um sich da einzufinden.
»Okay, dann nehme ich Denkmalpflege.« Das Fach beinhaltete vor allem Vorschriften und Paragraphen, vielleicht konnte ich Finlay dazu bringen, mir beim Lernen zu helfen. Außerdem war Gebäudetechnik wesentlich komplizierter.
»Gut.« Der Dekan nickte. »Ich werde dem Dozenten Bescheid geben, dass Sie an seiner Prüfung teilnehmen. Aber nur, wenn Sie mir im Gegenzug versichern, dass Sie sich eine Lerngruppe suchen werden. Ich bin sicher, mit Ihrem Namen werden Sie keine Probleme haben, eine zu finden.«
Ich presste die Lippen aufeinander. Genau das war der Grund, warum ich Lerngruppen hasste – sobald jemand Henderson hörte, begannen die einen, mir in den Arsch zu kriechen, während die anderen einen Hass auf mich bekamen, weil ich für sie das Sinnbild des privilegierten reichen Erben war. Aber was nützte es? Ich hatte keine Wahl.
»Versprochen, Sir.«
»Sehr schön.« Er stand auf und gab mir die Hand. »Viel Erfolg, Lyall. Und passen Sie auf sich auf.«
»Das werde ich. Danke für die Chance, ich weiß das zu schätzen.«
Er nickte und deutete zur Tür. Damit war ich entlassen.
Es war mitten in der Nacht, als mein Handy klingelte. Ich hatte den Rest des Tages versucht, die Inhalte der Prüfung für Denkmalpflege herauszusuchen und Literatur dafür zu bestellen – es war kaum zu fassen, wie viele Bücher es zu dem Thema gab, die allesamt klausurrelevant waren. Irgendwann nach eins hatte ich mich dann tatsächlich ins Bett gelegt, konnte aber nicht schlafen. Da störte es nicht, dass es ungefähr vier Uhr war und mich jemand anrief. Es war ohnehin keine Seltenheit – wenn die Familie über die ganze Welt verstreut war, passierte es häufig, dass einer von uns die Zeitzonen durcheinanderbrachte.
»Hallo?«, fragte ich, weil das Display mich im Dunkeln so geblendet hatte, dass ich den Namen nicht erkannte.
»Oh, du bist wach, wunderbar«, ertönte die fröhliche Stimme meiner Mutter. »Ich dachte schon, du schläfst noch.«
»Um vier Uhr morgens wäre das kein großer Skandal, oder?« Ich setzte mich auf und strich mir die Haare zurück.
»Es ist vier Uhr bei dir? Oh je. Ich dachte, es wäre schon Morgen in Chicago. Ich bin einfach zu selten in Europa.«
Ich unterdrückte ein Gähnen. »Wo brennt es denn, Mum?«
»Auf Korfu. Genau genommen im Kefi Palace .«
Das neue Hotelprojekt, das sie nach der Abfuhr des Rates nun auf eigene Faust umsetzte? Was konnte beim Umbau einer solchen Anlage schon schiefgehen? Das Ding war gerade mal vier Stockwerke hoch und brauchte einfach nur frische Tapeten und einen neuen Boden.
»Okay«, sagte ich. »Und was ist das Problem?«
Meine Mutter seufzte tief. »Hier läuft eigentlich alles ganz gut, aber bei unserem Resort in Dubai ist der Innenausbau komplett zum Erliegen gekommen. Robert kann einfach nicht mit den Saudis umgehen.« Man konnte das Augenrollen über ihren Chefarchitekten förmlich hören. »Ich muss dorthin. Und brauche für diese Zeit eine Vertretung für das Projekt hier.«
Ich ahnte, worauf das hinauslaufen würde.
»Schatz, könntest du das nicht übernehmen?«, kam da schon die erwartete Frage. »Es wären nicht mehr als drei Wochen, maximal vier. Nur bis ich alles in Dubai geregelt habe.«
Ich holte Luft. »Mum, ich studiere. Ich mache dieses Jahr meinen Abschluss und habe Unmengen zu tun.« Nach dem heutigen Gespräch mit Dekan Rogers erst recht. »Wie stellst du dir das vor?«
Sie seufzte. »Du bist doch eh so ein Überflieger und machst alles mit links. Wenn du willst, rede ich auch mit der Uni, damit sie dich freistellt.«
»Untersteh dich.« Es fehlte mir gerade no
ch, dass meine Mutter den Dekan anrief und ihm vorheulte, sie würde mich für ihr Projekt brauchen – nachdem er so großzügig gewesen war und mir eine zweite Chance für die Klausur gegeben hatte. Außerdem war es besser, sie erfuhr nichts von der verhauenen Prüfung. Denn immer, wenn ich ihr etwas sagte, das die Familie interessieren konnte – schließlich geierte meine Grandma geradezu darauf, den Männern unter uns mangelnde Leistungsfähigkeit zu unterstellen – brachte ich sie in die Zwickmühle, den Mund halten zu müssen.
»Ich brauche jemanden, der dieses Chaos beherrschen kann«, sagte sie jetzt. »Jemanden mit Talent für Organisation, dem ich hundertprozentig vertrauen kann.«
Ungläubig runzelte ich die Stirn. »Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass sich in deinem unendlichen Portfolio an Kollegen und Bekannten keine einzige Person befindet, die dir da helfen kann?«
»Doch, natürlich kenne ich solche Leute. Aber erstens vertraue ich denen nicht so wie dir. Und zweitens müsste ich sie bezahlen, weil sie sonst irgendwann den Gefallen von mir zurückfordern.«
Ich lachte auf. »Charmant, Mutter. Ich bin also was? Deine Low-Budget-Lösung?«
»Du bist meine No- Budget-Lösung, um genau zu sein.« Ihre Stimme bekam etwas Flehendes. »Komm schon, Lye, lass mich nicht hängen. Du hast mir das hier schließlich eingebrockt, jetzt hilf mir auch dabei, es über die Bühne zu bringen. Korfu ist wunderschön um diese Jahreszeit. Du könntest tagsüber arbeiten und abends im Meer schwimmen.«
Sie wusste, dass sie mich damit locken konnte – ich mochte keine Schwimmbäder und war immer glücklich, wenn ich in freiem Gewässer trainieren durfte. Allerdings würde es kaum dazu kommen, denn falls ich nach Korfu flog und das Projekt beaufsichtigte, bedeutete das, ich musste abends oder nachts für Denkmalpflege lernen. Nein, das ging einfach nicht. Ich würde sie bitten müssen, sich jemand anderen zu suchen.