by Kiefer, Lena
»Trotzdem. Danke.« Lyall lächelte ebenfalls, und zwischen uns entstand ein Hauch Spannung, wie immer, wenn wir mal einen Moment allein hatten. Aber wie sonst auch zerstörte ich ihn, indem ich den Blickkontakt unterbrach und jede Gefühlsregung aus meinem Herzen verbannte.
»Bis morgen.« Ich nickte ihm zu, dann zog ich die Tür hinter mir ins Schloss und ging die wenigen Meter bis zu meinem eigenen Zimmer.
Dort setzte ich mich in den Sessel am Fenster, schaltete die Lampe daneben ein und begann, einen weiteren Entwurf für die Villa zu erstellen. Ich versuchte es mit einem neuen Stil – ein bisschen Boho, zusammen mit mediterranen Elementen. Leichte mit schwereren bestickten Stoffen kombiniert, dazu Olivenholz und helle Dekoration. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, und zeichnete wie im Rausch. Zwei Stunden vergingen, bis ich den Stift hinlegte und beschloss, ins Bett zu gehen. Da klingelte mein Telefon und ich sah den Namen meiner Schwester auf dem Display.
»Willy, ist alles in Ordnung?«
Sie stöhnte genervt in mein Ohr. »Hatten wir nicht besprochen, dass du das nicht mehr machst?«
»Du rufst mich um Mitternacht an, Herrgott«, entgegnete ich. »Was soll ich da denn denken?« Ich war zwar mittlerweile etwas entspannter geworden, was meine Schwestern anging, aber das bedeutete nicht, dass meine Ängste sich vollkommen verabschiedet hatten.
»Dass ich mit dir quatschen will und das nur jetzt in Ruhe tun kann? Außerdem ist es hier erst zehn.« Ich hörte das Grinsen in Willas Stimme. »Was gibt es Neues bei dir? Habt ihr die fiesen Schergen schon erledigt?« Ich hatte ihr vorgestern davon erzählt.
Ich musste lachen. »Nein, noch nicht. Aber wir sind kurz davor. Lyall und Finlay prüfen gerade, ob der Konkurrent gegen irgendwelche Vorschriften verstoßen hat.«
»Oho«, machte meine Schwester. »Das klingt ja fast so, als wärt ihr wieder ein Team, Lyall und du.« Wie immer betonte sie seinen Namen extra unanständig, aber ich ging nicht darauf ein.
»Höchstens wir drei – Lyall, Finlay und ich.«
»Das ist der heiße blonde Cousin, oder?«
»Ja, richtig«, seufzte ich, weil sie unverbesserlich war.
»Dann läuft also nichts zwischen Lyall und dir?«, fragte Willa, und ihr Tonfall klang mehr als nur skeptisch.
»Nein«, wehrte ich ab. »Ich habe dir erzählt, was er getan hat. Da werde ich wohl kaum schwach, nur weil ich in seiner Nähe bin. Ich bin nicht dämlich.«
Willa holte geräuschvoll Luft. »Bist du nicht. Aber ich höre dir an, dass du mit dir kämpfst.«
Wären wir in England gewesen und Lyall weit weg, hätte ich diese Behauptung vom Tisch gewischt, ohne auch nur zu zögern. Aber jetzt war er wieder in meinem Leben und meine Überzeugungen bröckelten. Ich brauchte Willa, die mir half, einen kühlen Kopf zu behalten.
»Ich habe … es gibt Momente, da will ich am liebsten vergessen, dass ich das mit Ada je erfahren habe. Er ist so aufmerksam und freundlich, einfühlsam und …« Ich brach ab. Was brachte es mir, aufzuzählen, welche guten Eigenschaften Lyall hatte, wenn ich auch die Kehrseite kannte?
»Und heiß?«, half Willa großzügig aus.
»Ja, das auch«, seufzte ich. »Er ist genau der Lyall, in den ich mich verliebt habe. Und das macht mich fertig, verstehst du? Ich darf nicht den gleichen Fehler noch mal machen und darauf hereinfallen, nur weil ein Teil von mir Sehnsucht hat und unbedingt wieder etwas mit ihm anfangen will.«
Meine Schwester schwieg einen Moment. »Was wäre die Konsequenz, wenn du es doch tust?«, fragte sie dann.
»Wenn ich was tue? Drauf reinfallen?« War das ihr Ernst?
»Nein, wieder etwas mit ihm anfangen.« Ich konnte förmlich sehen, wie sie die Schultern hob. »Es ist schlimm, was er gemacht hat, klar. Aber auch gute Menschen tun fürchterliche Dinge, wenn man sie dazu bringt. Und die Karten liegen auf dem Tisch, du weißt davon und willst ihn trotzdem zurück. Was also kann dir passieren? Er wird ja nicht noch mehr Leichen im Keller haben.«
»Ich will ihn nicht zurück, ich –« Ein Geräusch unterbrach mich: Es klopfte an meiner Tür. Um die Uhrzeit? So spät musste es wichtig sein.
»Willy, kann ich dich wieder anrufen? Da ist jemand.«
»Klar. Aber erst morgen, ich muss jetzt noch Shadowhunters gucken, und du weißt, ich werde sehr ungemütlich, wenn man mich dabei unterbricht, Alec Lightwood in Gedanken die schwarzen Klamotten auszuziehen.«
»Gut, dann morgen«, sagte ich hastig. »Mach’s gut!«
Ich sprang auf, um die Tür zu öffnen. Davor stand Lyall, die Hände in den Taschen seiner Jeans, ein unsicheres Lächeln auf dem Gesicht.
»Kann ich kurz reinkommen?«, fragte er mich. »Ich wollte dich um etwas bitten, aber es ist besser, wir besprechen das nicht hier draußen.«
Nein! Lass ihn bloß nicht rein. Du bist viel zu verwirrt im Moment.
»Klar.« Ich trat zur Seite und ließ ihn in mein Zimmer, das zum Glück halbwegs aufgeräumt war. Wenn man beruflich etwas mit Einrichtung machen wollte, konnte man Unordnung vermutlich schon deswegen nicht ertragen. Vielleicht kam es auch vom Campen, dass bei mir nie viel herumlag.
Lyall ging ein paar Schritte ins Zimmer, und mir blieb nichts anderes übrig, als die Muskelbewegungen an seinem Rücken zu beobachten, die durch das dunkle Shirt sichtbar wurden. Ich schluckte. Ja, definitiv verwirrt.
»Kommst du voran?«, fragte er, als er das aufgeschlagene Buch sah, das immer noch auf dem Bett lag.
»Ja, endlich.« Ich rang mir ein Lächeln ab. »In der letzten Zeit war ich nicht besonders inspiriert, aber heute lief es ganz gut.«
»Darf ich es sehen?«
Statt zu antworten, nahm ich das Buch und gab es ihm, beobachtete angespannt, wie seine schwarzen Augen über meine Zeichnungen strichen, völlig versunken darin. Es war genau der Blick, den ich am meisten an ihm liebte. Geliebt hatte , korrigierte ich mich, aber dem Gefühl in meinem Bauch war das egal.
»Das ist echt gut«, sagte er schließlich und sah auf. Ich hoffte, er konnte in meinem Gesicht nichts lesen. »Ich würde das Bett vermutlich mit der Sitzecke tauschen, weil der Ausblick am Morgen dann noch mal besser ist. Ansonsten … ist es perfekt. Mum wird begeistert sein.«
»Danke.« Ich lächelte, da mir ein Lob von ihm immer noch etwas bedeutete, aber bevor sich die Stimmung schon wieder aufladen konnte, gab er mir das Buch zurück und ich legte es beiseite. »Du wolltest was mit mir besprechen?«, erinnerte ich ihn.
»Ja, richtig.« Er nickte. »Ich habe vorhin mit meiner Mum telefoniert – sie lässt übrigens schön grüßen. Sie wird noch eine weitere Woche in Dubai bleiben müssen und hat mich deswegen gebeten, dich zu fragen, ob du die Auswahl der Möbel und Stoffe für den Poolbereich übernehmen könntest.«
»Ich? Allein?« Bisher hatten wir alles immer mit Theodora besprochen. Das nun ohne sie zu tun, war eine ziemliche Verantwortung.
»Sie vertraut dir.« Lyall lächelte leicht.
»Mehr als dir?« Skeptisch sah ich ihn an. Da war doch etwas im Busch. Lyall war zwar angehender Architekt und kein Innendesigner, aber er hatte mehr Verständnis von der Materie als so manch alter Hase in dem Geschäft. Wieso also sollte Theodora nicht ihm diese Aufgabe übertragen – ihrem eigenen Sohn, dem sie auch ihre Baustelle anvertraute?
»Ich glaube …« Lyall atmete aus. »Ich glaube, sie setzt darauf, dass wir uns gemeinsam darum kümmern. Nein, falsch, ich weiß , dass es so ist.« Ich konnte nicht genau sagen, ob ihn die Tatsache freute. »Aber keine Sorge, ich überlasse dir diesen Job allein. Es sei denn, du willst dich absichern, aber ich bin überzeugt, das brauchst du nicht.«
Erneut ein Lächeln. Verdammt, hör auf damit.
»Natürlich, ich fühle mich geehrt«, nickte ich. »Solange ich nicht mehr in Hotelanlagen einbrechen muss, bin ich bei allem dabei.« Ich grinste, aber es geriet schief und war schnell wieder verschwunden. »Hast du eigentlich schon herausfinden können, wer dich beschatten lässt?«
Lyall schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Und –« Sein Handy klingelte in der Hosentasche, und ich gab ihm einen Wink, dass er den Anruf
ruhig annehmen konnte. Er zog es hervor. »Mum, gibt es etwas Neues?«
Das Gespräch bestand von seiner Seite hauptsächlich aus Ahas und Mhms , also stand ich vollkommen ahnungslos neben ihm, bis er schließlich auflegte.
»Und, was sagt sie?«, drängte ich ihn.
Lyalls Gesicht hellte sich auf, als er mich ansah. »So wie es aussieht, hat Davidge wirklich die Bodenvorschriften missachtet. In seiner Firma sind alle wie wild am Rotieren, aber die Chancen stehen gut, dass die griechischen Behörden die Baustelle bis zum Ende der Prüfung schließen. Das kann Wochen dauern, bis sie weitermachen dürfen.«
»Was? Das ist großartig!« Ich fiel ihm spontan um den Hals, so erleichtert und froh, dass ich nicht bemerkte, wie schlecht diese Idee war. Denn kaum spürte ich seine Haut unter meinen Fingern, hatte seinen Duft in der Nase, schmolz mein ach so eiserner Wille dahin. Ich ließ Lyall los, aber das Gefühl verschwand nicht. Im Gegenteil, es wurde nur stärker. Er blieb dicht bei mir, meine Hände lagen auf seinen Armen, sein Gesicht war nur Zentimeter von meinem entfernt.
Wir sahen einander an, unsere Blicke verhakten sich ineinander, und plötzlich war sie wieder da, die Verbindung zwischen uns. Der Ausdruck in Lyalls Augen zeigte mir die gleiche Sehnsucht, die auch mich eiskalt und gleichzeitig furchtbar heiß erwischte. Am liebsten hätte ich ihn geküsst, um nur noch ein Mal zu spüren, wie sich das anfühlte. Oder noch einmal für ein paar Augenblicke zurückgespult zu dem Zeitpunkt, bevor alles den Bach runtergegangen war. Lyalls Mund öffnete sich leicht, und ich wusste, dass er das Gleiche dachte wie ich. Aber dann verschloss sich sein Blick plötzlich und er nahm Abstand – und schon war der Moment vorbei.
Lyall trat ein paar Schritte zurück und holte Luft.
»Ich wollte nicht –«
»Hast du nicht«, unterbrach ich ihn hastig.
Er nickte. »Ich gehe lieber. Gute Nacht, Kenzie.«
»Gute Nacht.«
Er ging zur Tür und verschwand. Gemeinsam mit dem Teil von mir, der völlig absurderweise darauf gehofft hatte, dass das mit uns sich lösen konnte, lösen würde. Auch gute Menschen tun fürchterliche Dinge, wenn man sie dazu bringt. Ja, vielleicht stimmte das, was Willa gesagt hatte. Aber ich hatte Lyall nicht dazu gebracht, mich anzulügen. Er hätte mir einfach die Wahrheit sagen und die Chance geben können, damit zurechtzukommen. Aber das hatte er nicht. Er hatte mir gar keine Chance gegeben, mit irgendetwas zurechtzukommen.
Bis heute nicht.
23
Lyall
Fuck. Fuckfuckfuck.
Das war alles, was mir die ganze Nacht durch den Kopf gegangen war, und nicht auf die gute Art. Dumm nur, dass es am Morgen direkt damit weiterging – aber das hatte nichts mit Kenzie und mir zu tun.
»Was soll das heißen, die Lieferung ist weg?« Ich starrte Clea an. Sie hob die Schultern, genauso ratlos wie ich.
»Ich weiß es nicht. Heute Morgen hätte sie per Luftfracht ankommen müssen.« Es ging um eine größere Menge an Antiquitäten, die meine Mutter extra für das Kefi Palace bei ihrem Händler in London ausgesucht und hergeschickt hatte. »Sie war auf dem Cargo-Flug eingecheckt, alles war in Ordnung – nur als sie heute Nacht das Flugzeug entladen haben, war sie nicht da.«
»Und was soll die Ladung gemacht haben? Sich einen Fallschirm genommen und über dem Mittelmeer abgesprungen sein?!« Ich wurde laut, aber das war doch wirklich zum Wahnsinnigwerden. Konnte nicht irgendetwas bei diesem verdammten Projekt mal glattgehen?
»Lyall, ich weiß es nicht, okay?«, rief Clea. »Ich habe schließlich nicht dafür gesorgt, dass die Sachen weg sind. Oder weiß, was da schiefgelaufen ist.«
Ich atmete aus. »Entschuldige. Es ist nur … das waren Einzelstücke. Keine neuen Möbel, die man in gewünschter Stückzahl nachordern könnte. Meine Mutter hat jedes einzelne davon selbst ausgesucht und zusammengestellt, damit das Hotel eine besondere Note bekommt. Wenn das nun alles weg ist …« Bis zur Eröffnung waren es nur noch sieben Wochen, und deswegen hatte Mum bereits demnächst die ersten Fotos machen lassen wollen – für die Website genauso wie für einschlägige Magazine. Dafür brauchten wir zumindest einen Teil eingerichteter Räume, was ohne die Antiquitäten nicht funktionierte. Mit den hochwertigen, aber dennoch austauschbaren Standardmöbeln würde auch das Kefi Palace aussehen wie ein normales Ferienhotel.
»Ich weiß.« Sie seufzte. »Ich werde zum Flughafen fahren und Nachforschungen anstellen. Vielleicht ist die Lieferung noch in London oder es stimmte etwas mit den Frachtpapieren nicht.«
»Oder es hat jemand dafür gesorgt, dass die Möbel nicht ankommen.« Sofort kam mir Davidge in den Sinn. Er versuchte uns zu sabotieren, wo er nur konnte – und jetzt, wo die Behörden drauf und dran waren, seine Baustelle auf Eis zu legen, griff er vielleicht auch zu solchen Methoden.
»Das glaube ich nicht. Bestimmt ist es nur ein Missverständnis.« Clea stand auf. »Ich rufe dich an, wenn ich etwas Neues weiß.« Sie lächelte und nahm ihre Tasche. Gemeinsam gingen wir hinaus, schweigend. Ich erwähnte nicht, dass ich davon ausging, unsere Lieferung nie wiederzusehen.
Während ich in der Eingangstür stand und überlegte, ob ich meine Mum direkt anrufen oder noch bis heute Abend warten sollte, damit Clea mehr herausfinden konnte, kam Dionys mit dem Pick-up zurück und lud eine Kiste mit Gemüse aus. Da ich sah, dass die Ladefläche voll war, ging ich hin, um ihm zu helfen.
»Neue Katastrophen?« Er sah mich mit einem schiefen Grinsen an.
»Wieso, sieht man das in meinem Gesicht?« So viel dazu, dass ich ein tolles Pokerface hatte.
»Nein, in deinem nicht. Aber in dem meiner Schwester.« Dionys zeigte auf den Kleinwagen, den Clea gerade zur Ausfahrt steuerte. »Also, was ist es?«
Ich nahm einen Sack Mehl von der Fläche des Wagens. »Uns ist eine Lieferung verloren gegangen. Beim Einchecken in London war sie noch da, bei der Ankunft hatte sie sich wundersam in Luft aufgelöst.«
»Bezahlt so etwas nicht eure Versicherung?«
»Ja, schon. Aber die Stücke sind nur schwer zu ersetzen, es waren Antiquitäten für die Villen, den Speisesaal und die Lobby.«
Dionys ging vor und schob die Seitentür mit dem Fuß auf, um sich mit der Kiste hindurchzuschieben. »Es gibt immer eine Lösung. Sicher staucht Clea die Leute am Flughafen ordentlich zusammen und dann taucht alles wieder auf.«
»Ja, vielleicht.« Ich setzte weniger Hoffnung in Clea, aber ich sah es Dionys nach, dass er seiner Schwester alles zutraute. Sofort dachte ich an Edina und dass ich schon länger nicht mehr mit ihr gesprochen hatte. Vermutlich sollte ich sie endlich mal wieder anrufen.
»Kann ich irgendwie helfen?«, fragte Dionys und bedeutete mir, den Sack Mehl auf die Stahl-Ablage in der Küche zu legen.
»Das ist nett von dir, aber wenn du nicht gerade einen Antiquitätenhändler mit einer ganzen Halle an exklusiven Stücken kennst, dann eher nicht.« Ich grinste und lud meine Fracht ab.
Dionys legte den Kopf schief. »Ich könnte meinen Onkel Ioannis unten in Lefkimmi anrufen. Der hat zwei Lagerhallen voll mit alten Möbeln, Stoffen, Lampen … einfach allem, was das Herz begehrt.«
»Wirklich?«, fragte ich verblüfft. Ich war immer noch nicht daran gewöhnt, dass auf dieser Insel jeder Einheimische alle anderen Einheimischen kannte – und mit den meisten sogar verwandt war.
»Ist kein richtiger Antiquitätenhändler, es ist auch nicht so schick. Und man muss sich bestimmt ein bisschen durchwühlen und manches aufpolieren, aber es sind immer Schätze dabei. Alle Reichen mit Ferienhäusern auf der Insel kaufen bei ihm ein. Onkel Ioannis ist ein echter Geheimtipp. Soll ich ihn anrufen, dass du vorbeikommst?«
Ich verspürte keine besonders große Lust, einen Tag damit zu verbringen, mich durch die Bestände eines Trödelsammlers zu ackern, aber so bekamen wir vielleicht immerhin genug zusammen, um die totale Katastrophe abzuwenden. »Ja, das wäre super. Danke, Mann.«
»Klar doch.« Dionys strahlte. »Wenn du willst, fahre ich dich nach dem Mittagessen hin, ich habe meinen Onkel selbst schon länger nicht mehr gesehen. Ich sag dir Bescheid, wenn ich ihn erreicht habe.«
Pfeifend ging er zum Kühlraum, um die restlic
hen Lebensmittel zu verstauen, während ich mich auf den Weg runter zum Pool machte. Finlay hatte begonnen, die Bar zu entrümpeln, damit wir sie in den nächsten Tagen abreißen konnten – was wir in Eigenregie tun würden, denn noch war Davidges Baustelle nicht geschlossen und wir konnten die Arbeiter von dort nicht wieder abwerben. Finlay hatte zwar dafür plädiert, Clea die Info streuen zu lassen, dass Davidge bald keine Arbeit mehr hatte, aber mir war es lieber, wenn wir bei der ganzen Sache sauber blieben.
Oder zumindest so sauber wie möglich.
Als ich die Stufen durch die Gärten vom Haupthaus hinunterging, hörte ich bereits von Weitem Finlays Fluchen. Er schien hinter der Bar zu hocken und etwas auszuräumen – nicht allein offenbar. Jemand beugte sich neben ihm in die Schränke unter der Theke, sodass ich nur einen Teil des Rückens und den Hintern sehen konnte. Was sagte es über mich aus, dass ich trotzdem sofort wusste, dass es Kenzie war? Ungefähr genau das Gleiche wie die Tatsache, dass du ständig an sie denkst. Oh, und dass du verflucht scharf auf sie bist.
»Ist das Bernsteinzimmer da unten?«, fragte ich und grinste, als Finlay mit Spinnweben in den Haaren aus dem Schrank auftauchte und Kenzie es ihm gleichtat. Ihr Blick, der mich traf, war in der ersten Sekunde alles andere als unschuldig – bis sie sich verschloss, das Funkeln in ihren hellbraunen Augen aber trotzdem blieb. Gott, sie hätte echt alles von mir haben können, wenn sie mich so ansah.
Dabei war ich es gewesen, der die Annäherung zwischen uns abgebrochen hatte. Sie hatte mich umarmt, ich hatte es erwidert, und irgendwie war da einer dieser Momente gewesen, von denen es in den letzten Tagen viel zu viele und gleichzeitig viel zu wenige gegeben hatte. Nur dass es diesmal nicht nur ein Streiflicht gewesen war, sondern ein kompletter Flashback in die Vergangenheit. Für ein paar Sekunden hatte es sich angefühlt, als wäre das alles nicht passiert – meine Lügen über Ada, unsere Trennung, die schreckliche Zeit danach. Aber dann war es mir wieder eingefallen, und ich hatte mit letzter Willenskraft Abstand genommen, bevor Kenzie es tun konnte. Aus Respekt. Und Angst. Vor allem aus Angst. Davor, dass sie mich küssen würde und dann merkte, dass sie das gar nicht wollte. Weil sie erkannt hatte, dass ich nicht das war, was sie wollte.