Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

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Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition) Page 19

by Kiefer, Lena


  »Japp, und nicht nur das Bernsteinzimmer«, holte mich Finlay in die Gegenwart zurück und schnappte sich eine Flasche Wasser vom Tresen, um sie in wenigen Zügen zu leeren. »Stell dir vor, wir haben auch Atlantis gefunden. Und wenn wir nur ein bisschen länger suchen, dann taucht garantiert noch der Heilige Gral auf.«

  »Das ist gut«, meinte ich trocken. »Wir könnten ein paar Antiquitäten gebrauchen.« In knappen Worten erzählte ich, was mit der Lieferung passiert war.

  Kenzies Augen weiteten sich. »Aber die Sachen sind so wichtig für das Gesamtkonzept! Wie sollen wir ohne das alles zurechtkommen?«

  »Das war doch bestimmt Davidge.« Finlay schnaubte. »Ich wette, der hat das Zeug kurzerhand verschwinden lassen.«

  »Ja, aber das bringt uns gerade nichts.« Ich hob die Schultern. »Dionys will seinen Onkel anrufen, der hat ein Geschäft für alte Möbel, vielleicht finde ich da ein paar Sachen. Er hat mich schon gewarnt, dass es ein bisschen dauern könnte, sich durch das Sortiment zu wühlen, aber besser als nichts. Er fährt mich nachher hin.«

  »Kann ich mitkommen?« Kenzie schien erst in dem Moment, als ich sie ansah, klar zu werden, was sie da gerade gesagt hatte. Trotzdem ruderte sie nicht zurück. »Ich meine, vier Augen sehen mehr als zwei, oder?«

  Ich lächelte. »Klar.« So dumm es auch war, ich würde mir nie die Gelegenheit entgehen lassen, in ihrer Nähe zu sein. Außerdem hatte sie ein gutes Auge und konnte in dem Chaos einer Lagerhalle vermutlich besser den Überblick behalten als ich. »Ich gehe dann mal schauen, wie weit die Jungs mit den Villen sind. Ich melde mich bei dir.«

  Kenzie nickte, während Finlay ziemlich verdorben grinste. »Oha, ein ganzes Arsenal an altem Zeug und ihr mittendrin? Sicher, dass das eine gute Idee ist? Da gibt es doch sicher auch Sofas … und Sessel und … aua!« Er sah Kenzie empört an, die ihn unsanft in die Seite geboxt hatte.

  »Geschieht dir recht«, sagte sie streng und sah dann wieder mich an, wobei sie hoffentlich nicht erkennen konnte, dass Finlays blödsinnige Worte mein Kopfkino wieder angeworfen hatten und mich daran erinnerten, wie Kenzie vorhin unter diesem Tresen gekniet hatte. »Sag mir einfach Bescheid, wenn ihr fahren wollt, okay?« Sie hielt ihr Walkie hoch.

  »Mach ich.«

  Dann beeilte ich mich, zu verschwinden, bevor sie mir ansehen konnte, woran ich gerade gedacht hatte.

  24

  Kenzie

  Die Fahrt nach Lefkimmi dauerte etwas über eine Stunde, die Dionys beinahe ununterbrochen redete, während Lyall ihm einsilbig antwortete und ich auf der Rückbank damit beschäftigt war, auf dem Tablet die Stücke durchzugehen, die Theodora geordert hatte und die nun verschwunden waren. Wieder und wieder warf Lyall mir durch den Rückspiegel einen Blick zu, aber ich widerstand dem Drang, ihn zu erwidern. Warum hatte ich nicht einfach eine Ausrede erfunden, um nicht mitfahren zu müssen – nachdem mein Mund schneller gewesen war als mein Verstand? Ich wusste es nicht. Oder doch, ich wusste es, aber wollte es nicht einmal vor mir selbst zugeben.

  »Da ist es.« Dionys bog mit dem Kleinbus des Hotels um eine Kurve, streifte die Äste einiger Sträucher und kam dann vor etwas zum Stehen, was wie das Relikt aus irgendeinem Krieg aussah. Die gewaltige Doppelhalle war aus grauen Steinen gemauert, hatte ein Dach aus Wellblech und war mit einem großen Zugangstor ausgestattet, das schon bessere Zeiten gesehen hatte. Auch die schmalen Fenster, die sich quer über die Seite zogen, waren dreckig, eines sogar notdürftig mit Plastikfolie zugeklebt. Dort drin sollte sich Ersatz für die exklusiven Antiquitäten von Theodora finden?

  Wir stiegen aus und gingen auf den Eingang zu. Schon auf dem staubigen Vorplatz türmten sich alte, halb verrottete Möbel. Lyall und ich wechselten einen skeptischen Blick und brauchten keine Worte, um zu wissen, dass wir das Gleiche dachten: Was. Zur. Hölle?

  »Schaut nicht so«, mahnte Dionys unbeirrt. »Ihr werdet sehen, er ist ein echter Schatzsucher, mein Onkel.« Damit lief er auch schon auf einen rundlichen, älteren Herrn im grauen Einteiler zu, der gerade aus der Halle kam. Als wir herankamen, schüttelte er zuerst mir, dann Lyall die Hand und redete schließlich in schnellem Griechisch auf seinen Neffen ein, bevor er unter freundlichem Lachen in ein Häuschen neben den Hallen verschwand.

  »Er sagt, wir sollen uns erst einmal umsehen, und wenn ihr etwas Bestimmtes sucht, soll ich ihn holen.« Dionys schlüpfte durch die Schiebetür, aber im gleichen Moment klingelte sein Handy. Er sah auf das Display, dann zu uns – und trat wieder aus der Halle heraus. »Da muss ich kurz rangehen, ist wichtig. Geht doch schon mal rein, okay?«

  Ich sah Lyall an, und er hob die Schultern, bevor er sich hineinwagte und ich ihm folgte.

  Hier drinnen war es nicht nur heller, sondern auch sauberer als erwartet. Der Boden war grau gestrichen worden, vermutlich erst kürzlich, und Strahler an der Decke boten ausreichend Licht, um das Angebot zu sichten.

  »Meine Grandma würde Ioannis einen langen Vortrag darüber halten, dass das Äußere eines Gebäudes die Visitenkarte eines Unternehmens ist – und er sich nicht wundern soll, wenn sein Geschäft bald den Bach runtergeht«, sagte Lyall und machte wieder einmal deutlich, was er von seiner Großmutter hielt.

  »Wahrscheinlich spielt es keine Rolle, wie es von außen aussieht, wenn die Leute wissen, was sich im Inneren befindet.«

  Und das war eine Menge. Lange Regalreihen beherbergten Unmengen an kleineren Stücken – Tischlämpchen, Vasen, Hocker, aber offenbar auch Olivenöl in Kanistern oder griechische Tonarbeiten. Links von uns waren die Möbel gelagert, ein Dschungel aus Holz, Metall und Polstern. Es wirkte chaotisch, jedoch nicht gänzlich hoffnungslos. Ich fand ein weiß lackiertes Sideboard mit Schubladen, das so ähnlich aussah wie das, was Theodora für den Flur vor den Suiten eingeplant hatte, und eine alte Vitrine, die perfekt in den Speisesaal passte. Dionys hatte recht gehabt: Es gab hier sicherlich ein paar Schätze, aber es würde eine Weile dauern, sie zu finden.

  »Okay.« Ich nahm das Tablet zur Hand. »Ich habe mir die meisten Stücke eingeprägt, also sollten wir einfach alles hier durchgehen und schauen, ob wir etwas Vergleichbares finden.«

  Lyall nickte. »Oder überhaupt etwas, das zum Konzept passt. Wenn die Sachen nicht wieder auftauchen, ist meine Mutter sicher schon dankbar, irgendetwas für das erste Fotoshooting zu haben.«

  »Ist das für die Werbefotos?« Ich ging zu ein paar aufeinandergestapelten Schränkchen und besah mir die Oberfläche. »Nicht hochwertig genug«, fällte ich mein Urteil, »das ist nicht einmal Massivholz.«

  Lyall deutete auf eine kleine Kommode, die zwei Meter weiter stand und von ein paar alten Polstersesseln flankiert wurde. »Die hier schon. Und ja, für die Werbefotos. Wobei – wie ich Mum kenne, hat sie auch mindestens die Vogue Living auf der Liste und ein paar andere wichtige Magazine. Nur dass sie die vermutlich dann holt, wenn alles fertig ist. Was bei den momentanen Schwierigkeiten wahrscheinlich erst nächstes Jahr der Fall sein wird.« Er rollte die Augen.

  »Ach, wir machen das schon«, versuchte ich, Optimismus zu verbreiten, und trat näher an die Kommode, bevor ich das Tablet zur Hand nahm und sie mit den vermissten Möbeln verglich. »Die ist super, die sollten wir auf jeden Fall mitnehmen.«

  Lyall zog sie aus dem Sammelsurium heraus und stellte sie auf den Gang, ging prüfend einmal drum herum, wischte dann über ein paar Flecken und nickte schließlich. »Wir müssen sie ein bisschen aufpolieren, aber sonst ist sie annehmbar.«

  Ich musste grinsen. »Annehmbar ? Sicher, dass nicht doch einige der Gene deiner Grandma bei dir durchkommen?«

  »Ja, ganz sicher«, gab er zurück und grinste ebenfalls. »Ich bemühe mich sehr, sie in Schach zu halten. Edina hat viel öfter Momente, wo sie so klingt. Man bekommt echt Angst, wenn man das hört.«

  »Wie geht es Edina?« Ich setzte meinen Weg an der langen Reihe aus Trödel fort, mit den Augen auf der Suche nach einer weiteren Perle in diesem Haufen von Kieseln. »Macht ihr das Studium Spaß?« Nachdem das mit Lyall vorbei gewesen war, hatte ich auch zu seiner Schwester keinen Kontakt mehr gehabt, aber ich folgte ihr auf Instagram, wo zu sehen war, dass sie mittlerweile in London lebte. Zufällig getroffen hatte ich sie
glücklicherweise dort nie. Ich hätte nicht gewusst, was ich zu ihr sagen sollte.

  »Soweit ich weiß, schon. Wir … haben erst seit einigen Wochen wieder regelmäßigen Kontakt.« Sein Gesicht verschloss sich ein wenig, aber ich wagte trotzdem, nachzufragen.

  »Wieso?« Ich wusste, die beiden waren unheimlich eng miteinander, genau wie Finlay und Lyall. Was war passiert, dass die Geschwister sich voneinander entfernt hatten?

  »Kannst du dir das nicht denken?«, fragte er mit einem Schulterzucken. »Nachdem sie dich heimlich besucht hat, um dich dazu zu bringen, das mit mir zu beenden, habe ich … sagen wir, es fiel mir schwer, ihr das zu verzeihen.«

  »Sie hat es nur getan, um dich zu schützen.«

  »Ohne mich zu fragen, ob ich das will«, antwortete Lyall hart.

  Mit dem Verschweigen von Dingen solltest du dich doch auskennen , schoss es mir durch den Kopf. Aber ich sagte es nicht laut.

  »Es geht gar nicht so sehr darum, dass sie es getan hat«, sprach er weiter. »Es geht mir darum, dass das genau die Art ist, wie Hendersons so etwas tun – heimlich, hinter dem Rücken derer, die es etwas angeht. Wir arbeiten seit Jahren daran, nicht so zu werden wie die Generationen vor uns. Dass sie genau das getan hat, was die tun würden, war für mich ein Schlag ins Gesicht.«

  Ich schwieg, weil ich mir kein Urteil darüber erlauben wollte, ob Edina mit ihrer Bitte an mich in die Fußstapfen ihrer Großmutter getreten war. Aber etwas anderes konnte ich dennoch sagen. »Sie hatte Angst, dich zu verlieren. Dass man dich so behandelt wie Jamie, wenn du in Kilmore nicht deinen Part spielst.«

  »Ich weiß.« Er nickte. »Und mittlerweile ist es auch wieder gut zwischen uns. Aber ich hoffe, sie macht so etwas nie wieder. Mein Bedarf an Heimlichkeiten ist erst mal gedeckt.«

  Ja, meiner auch. Ich lächelte schwach, aber dann riss ich mich aus der Vergangenheit heraus. Wir gingen gerade so normal miteinander um, dass ich das nicht gefährden wollte. Also deutete ich hinter zwei gestapelte Sofas, die aussahen wie gerupfte Hühner – überall schaute das Polstermaterial aus dem Bezugsstoff hervor, an einer Stelle sogar eine Feder. »Kannst du mal gucken, ob das Tischchen da hinten etwas wäre? Ich habe nur die Beine gesehen, aber die sahen vielversprechend aus.«

  »Du schließt nur von den Beinen auf den Rest?«, fragte er.

  »Du etwa nicht?«, gab ich flapsig zurück.

  Er sah an mir herunter, dann hob er zustimmend die Schultern und stieg über die Sofas, das anerkennende Lächeln immer noch auf dem Gesicht. Ich verdrängte die Hitze, die unter diesem Blick in mir aufgestiegen war. Krieg dich ein.

  »Nein, das ist nichts für uns«, rief er mir von der anderen Seite der Möbelphalanx zu. »Das Ding zerfällt, wenn man es nur anschaut.«

  »Die Beine waren trotzdem vielversprechend.« Ich musste grinsen, als Lyall wieder auftauchte – denn er hatte Reste von Polsterwolle in den dunklen Haaren und sah jetzt ebenfalls aus wie ein gerupftes Huhn.

  »Was?«, fragte er.

  »Ach, du hast da … komm her.« Ich trat näher, streckte die Hand aus und zupfte ihm die Flocken heraus. Als ich die weichen Strähnen berührte, ließ der Flashback nicht lange auf sich warten: zu Loki, einem einsamen Fleck in den Highlands und meinen Fingern, die sehr viel weniger sanft in genau diese Haare griffen. Mein Mund wurde trocken und ich zog die Hand zurück. »So, jetzt siehst du wieder gut aus. Also, sauber. Frei von Fusseln. Du weißt schon.«

  »Danke«, lächelte er.

  Schnell wandte ich mich ab und interessierte mich plötzlich brennend für einen reich verzierten Sekretär, der sich mit seinen Goldbeschlägen und den schnörkeligen Füßen kein bisschen für das Kefi Palace eignete. Erst, als sich der Aufruhr in meinem Inneren etwas gelegt hatte, war ich wieder in der Lage, klar zu denken – und steuerte einen alten Frisiertisch an, der perfekt zu meinem Entwurf für die Villa passte.

  »Ist der nicht zu ramponiert?«, fragte Lyall skeptisch.

  »Nein, gar nicht.« Ich schüttelte den Kopf und strich über die Oberfläche. »Das sind nur ein paar Macken – nichts, was man nicht mit etwas Schleifpapier und Politur wieder hinbekommt.«

  »Okay, dann nehmen wir ihn mit.« Er wollte das Möbelstück schon packen, ich hielt ihn jedoch davon ab.

  »Nein, lass. Das wäre nur für mein Konzept gut, aber ich weiß ja gar nicht, ob mein Entwurf überhaupt der beste sein wird. Und wahrscheinlich kann deine Mum sonst nicht viel damit anfangen.«

  Lyall warf einen prüfenden Blick auf den Frisiertisch, dann zog er ihn doch ein Stück aus der Nische heraus. »Mum steht auf so etwas. Außerdem habe ich die Entwürfe der anderen gesehen – und glaub mir, du hast keine Konkurrenz.« Ein Hauch Arroganz blitzte in seinen Augen auf. »Elliott hat alles überfrachtet, Bella macht nur ihr eigenes Ding, ohne die mediterrane Umgebung zu berücksichtigen, und von Martha fange ich gar nicht erst an. Ich sage nur eins: Nierentische.«

  »Ihr Ernst?« Ich musste lachen. Der Stil der 70er-Jahre war in einem griechischen Ferienhotel ziemlich deplatziert. »Aber woher kennst du denn die Entwürfe der anderen?«

  »Weil sie bei mir waren und mich nach meiner Meinung gefragt haben, um sich einen Vorteil zu verschaffen.« Er sah mich an. »Alle außer dir.«

  »Ich dachte, das wäre unfair«, sagte ich. Den Tipp mit dem Tausch von Schlaf- und Sitzbereich hatte er mir zwar auch gegeben, aber gebeten hatte ich ihn nicht darum.

  »Siehst du, und deswegen mag meine Mum dich so. Weil du aufrichtig bist. Du willst dir keine Vorteile erschleichen, sondern mit Talent und Arbeit punkten. Und deswegen wirst du am Ende auch das Rennen machen.« Er lächelte leicht und ich erwiderte es verlegen. Das lag aber ausnahmsweise nicht an ihm – ich war generell nicht gut darin, Komplimente anzunehmen. Willa antwortete auf Bewunderung zu ihren Klamotten mit einem stolzen »Danke, ich weiß«, ich dagegen sagte meist, was es gekostet hatte und woher es stammte.

  »Wie geht es eigentlich deinen Schwestern?«, fragte Lyall, als hätte er meine Gedanken gelesen.

  »Gut so weit«, antwortete ich bereitwillig, weil ich es mochte, wenn wir so unbefangen miteinander umgingen. »Willa hat sich ein Jahr Auszeit nach dem Schulabschluss genommen, da sie nicht weiß, was sie überhaupt mit ihrem Leben anfangen will – wobei ich sicher bin, sie weiß längst, dass sie Psychologie studieren möchte, will aber jetzt noch ein bisschen ihr Leben chillen. Juliet ist wie immer mit den Noten an der unteren Kante und liest lieber den ganzen Tag Fantasybücher – und Eleni …« Ich kam ins Stocken und spürte den Stich des Vermissens, als ich an meine jüngste Schwester dachte. Sie schickte mir zwar regelmäßig Nachrichten, aber meistens waren es Berichte über das, was sie mit Dad und Susanna unternommen hatten. Willa war zu alt, um noch auf eine neue Mutterfigur anzuspringen, und Juliet zu eigensinnig. Bei Eleni war das allerdings etwas anderes. Sie blühte auf, seit Susanna da war. Und obwohl ich mich für sie freute, tat es auch weh. »Mein Dad hat eine Frau kennengelernt, also ist Eleni auch gut versorgt«, sagte ich schließlich.

  »Eine Frau?« Lyall sah mich aufmerksam an. »Ist das schwierig für dich?«

  »Für mich? Wieso sollte es?« Ich gab mich so lässig wie möglich. Ihn gingen meine Gefühle, was meine Familie betraf, nichts an. Eigentlich gingen sämtliche meiner Gefühle ihn nichts an. Und trotzdem redest du mit ihm darüber.

  »Na, du warst seit dem Tod deiner Mum die wichtigste weibliche Bezugsperson für Eleni.« Lyall nahm eine Lampe aus dem Regal neben uns und drehte sie einmal, um sie anzusehen. »Und dann kommt eine fremde Frau, um den Platz deiner Mutter einzunehmen – nicht nur bei deinem Dad, sondern auch bei deiner Schwester. Was bedeutet, dass deine Aufgabe bei ihr erledigt ist. Ich könnte mir vorstellen, dass man sich da plötzlich überflüssig vorkommt.«

  Überrascht sah ich auf und grinste dann schief. »Ja, das trifft es ziemlich genau«, gab ich zu.

  »Du weißt aber hoffentlich auch, dass das Bullshit ist?«, fragte er.

  Ich hob die Schultern. »Ich weiß, dass es albern ist, sich so zu fühlen. Susanna ist wirklich sehr nett und Eleni bei ihr in guten Händen. Sie war ihre Ärztin letztes Jahr nach dem Unfall, vielleicht erinnerst du dich.« Schl
ießlich war es Lyall gewesen, der mich dort hingebracht hatte. Ich wusste noch genau, wie schrecklich und gleichzeitig glücklich ich mich gefühlt hatte auf dem Flug von Schottland nach London. Eine kuriose Mischung.

  »Ja, dunkel.« Lyall lächelte leicht, aber ich erkannte darin eine Traurigkeit, die mich wunderte. Ach, echt? Glaubst du etwa immer noch, ihm hat das alles weniger bedeutet als dir? Ich drängte die Stimme von Willa in meinem Kopf weg. Zurückgerufen hatte ich meine Schwester bisher nicht. Ich wollte wohl gar nicht wissen, was sie mir zu sagen hatte.

  »Eigentlich ist es gut für mich«, beeilte ich mich, weiterzureden. »Es bedeutet, ich habe in Zukunft viel mehr Freiheiten. Vielleicht könnte ich sogar in London wohnen, wenn ich dort studieren darf. Oder mal eine größere Reise machen.«

  »Mit Loki?«

  »Nein«, sagte ich. »Loki wird verkauft. Eigentlich ist er schon so gut wie weg.«

  »Etwa meinetwegen?«, fragte Lyall, und ich sah den Schock in seinen Augen.

  Mein erster Impuls war es, ihm eine Ausrede aufzutischen und klarzumachen, dass er sich nicht so wichtig nehmen sollte. Ihm zu zeigen, wie sehr er mich verletzt hatte – wie tief sein Verrat ging – stand nicht auf der Agenda, um über ihn hinwegzukommen. Aber dann sah ich ihn an, und das »Ja« kam ungefragt aus meinem Mund. Vielleicht, weil ich es leid war, so zu tun, als wäre ich unzerstörbar. Vielleicht auch, weil ich wollte, dass er es wusste.

  »Das wollte ich nicht, Kenzie.« Er sagte es so ernst und aufrichtig, dass ich schlucken musste. Was jetzt? Sollte ich mich auf dieses Gespräch einlassen? Nein, sicher nicht.

  »Vergiss es einfach.« Ich schüttelte den Kopf und ruderte doch noch zurück. »Es geht dabei nicht nur um dich. Mit Loki verbinde ich auch den Rest von Kilmore, die Trauer um meine Mum … Außerdem wollte ich ihn eh nicht ewig fahren. Ich habe so viele neue Ideen für einen anderen Camper, wäre ja blöd, wenn die nicht umgesetzt werden.« Ich holte Luft. »Lass uns weitermachen. Ich wette, Ioannis will irgendwann Feierabend machen. Und wenn wir uns nicht beeilen, sind wir bis heute Abend nicht mal mit der Hälfte des Krams durch.«

 

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