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Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

Page 20

by Kiefer, Lena


  Ich straffte meine Schultern und sah Lyall nicht noch einmal an, bevor ich mich in Bewegung setzte und ein Set Überseekoffer ansteuerte.

  25

  Lyall

  Ich folgte Kenzie langsam, und es fühlte sich an, als hätte man Bleiplatten unter meine Füße geschraubt. Nicht, weil ich nicht in ihrer Nähe sein wollte – ich wollte nichts mehr als das. Sondern, weil ich wusste, meine Nähe bereitete ihr Kummer. In den letzten Tagen war es leichter geworden zwischen uns, aber gerade eben hatte ich wieder deutlich gespürt, was ich ihr angetan hatte. Sie wollte sogar ihr geliebtes Camping-Auto verkaufen, weil sie es mit mir verband. Mit diesem Wochenende in den Highlands, das mir in jeder Einzelheit ins Gedächtnis gebrannt war, als wäre es ein Film, der in Dauerschleife vor meinen Augen ablief. Aber nicht nur die schönen, leidenschaftlichen, nahen Momente. Auch der, in dem ich entschieden hatte, Kenzie nicht die Wahrheit über Ada zu sagen. Ich hatte solche Angst gehabt, es ihr zu erzählen. Panik, dass sie sofort gehen würde und nie wieder etwas mit mir zu tun haben wollte. Wenn ich gewusst hätte, dass es am Ende auf das hier hinauslaufen würde – hätte ich mich dann anders entschieden? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das Ergebnis war schließlich dasselbe.

  »Und, schon was gefunden?« Zum Glück tauchte da Dionys wieder auf, einen gezwungen fröhlichen Ausdruck auf dem Gesicht, im Schlepptau seinen Onkel, der sich sofort daranmachte, Kenzie ein paar besonders schöne Stücke zu zeigen. Er hatte sie aus unerfindlichen Gründen hinter einer Menge Krempel versteckt und zerrte sie nun hervor.

  »Ist alles in Ordnung bei dir?«, fragte ich Dionys, nachdem sein Onkel unsere Hilfe abgelehnt hatte.

  »Ja, klar. Wieso fragst du?«

  »Na, erst dieses wichtige Telefonat, und jetzt siehst du aus, als hätte Ioannis dir gesagt, du musst in Zukunft da drauf schlafen.« Ich zeigte auf ein Sofa, das nur etwa eineinhalb Meter breit und komplett durchgesessen war.

  Dionys schnaubte belustigt. »Nein, alles gut.«

  »Sicher? Wenn du Hilfe brauchst …« Ich ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen.

  Er seufzte, schien noch kurz zu hadern, dann atmete er aus. »Es geht um einen Freund von mir. Ich schulde ihm Geld, und obwohl er ziemlich viel davon hat, will er es jetzt sofort zurück. Ich habe es aber nicht, weil ich meine Ersparnisse einer Freundin gegeben habe, damit sie sich ein Auto kaufen kann. Sie arbeitet im Norden der Insel und da fährt kein Bus. Also ruft mein Freund mich jeden Tag an und fragt, ob ich es endlich habe.«

  »Um wie viel geht es?«

  »6000 Euro. Ich verdiene bei deiner Mum natürlich etwas, so schnell bekomme ich es trotzdem nicht zusammen.«

  Ich fragte mich, warum er sich eine so große Summe geliehen hatte, aber sagte es nicht laut. Auch wenn ich aus einer wohlhabenden Familie stammte, wusste ich, dass es Situationen gab, in denen man sich etwas leihen musste. So wie Dionys’ Freundin, die sonst nicht zur Arbeit konnte. Und plötzlich beschämte es mich, dass die Ressourcen so ungerecht verteilt waren.

  »Wenn du mich lässt«, sagte ich, »gebe ich dir das Geld.«

  »Echt?« Sein Gesicht hellte sich auf, aber dann wurde es gleich wieder unglücklich. »Dir kann ich es allerdings auch nicht so bald zurückzahlen.«

  »Das ist kein Problem. Ich brauche es in nächster Zeit nicht.« Ich kam noch nicht an mein Treuhandvermögen heran und hatte deswegen nicht unendlich viel Geld auf dem Konto, aber da ich monatlich von meiner Familie unterstützt wurde und die Wohnung in Chicago uns gehörte, hatte ich alles, was in den letzten Jahren bei Jobs und anderen Anlässen zusammengekommen war, beiseitegelegt.

  »Nein, lass.« Er winkte ab. »Ich kann zur Not immer noch Clea oder meinen Vater fragen. Du bist Doras Sohn, ich möchte dir nichts schuldig sein.«

  »Deine Entscheidung«, sagte ich. »Das Angebot steht, falls du es dir anders überlegst.«

  »Danke, Lyall. Ich weiß das zu schätzen.« Dionys atmete aus. »So, und jetzt sollten wir Kenzie retten.« Er sah zu seinem Onkel, der mit ihr zusammen vor einer alten Wäschetruhe mit Blumenmuster stand. »Sonst fahren wir nachher noch mit diesem Ding nach Hause.«

  Ioannis war ein verflucht guter Verkäufer – dennoch schafften wir es, der Truhe zu entgehen. Es wurde eine Menge gelacht, während er uns einige Sachen zeigte, die meine Mutter höchstens als Brennholz verwendet hätte, aber zwei Stunden später hatten wir acht verschiedene Stücke zusammen, die wir gerne kaufen wollten. Als ein anderer Kunde auftauchte und Ioannis verschwand, deutete Dionys zu einer Tür in der Rückwand der Halle.

  »Da hinten hat mein Onkel noch sein Lager für Polster- und Gardinenstoffe. Ich weiß ja nicht, ob ihr so etwas auch brauchen könnt.«

  Kenzies Augen leuchteten auf. »Ich könnte schauen, ob ich etwas für meinen Villenentwurf finde.« Sie warf mir einen fragenden Blick zu. »Ist das okay oder willst du los?«

  »Nein, noch nicht. Dionys muss ja eh einen guten Preis für uns verhandeln.« Ich grinste ihn an, und er nickte nur, bevor er ging. »Was dagegen, wenn ich mitkomme? Mum hat wegen Dubai ihren alljährlichen Seidenbrokat-Fimmel, vielleicht finde ich etwas für sie.«

  »Klar.« Kenzie lächelte, dann lief sie los und ich folgte ihr. Sie hatte sich in der letzten Stunde mir gegenüber wieder entspannt, zumindest wirkte es so. Und ich hatte mich bemüht, sie nicht zu oft anzusehen, während sie mit Ioannis lachte oder Dionys mit irgendetwas aufzog. Ich liebte es, wenn sie so glücklich aussah. Vor allem, weil ich jemand war, der für das Gegenteil sorgte.

  »Meine Güte.« Ich blieb wie angewurzelt in der Tür zum Nebenraum stehen. Die Decken waren hier nicht so hoch wie in der Haupthalle, aber das Lager war noch voller. Bis unter das Dach stapelten sich Stoffballen aller Farben, Texturen und Qualitäten. »Meine Mutter würde ausrasten. Ausrasten und hier einziehen.« Natürlich gab es sehr viel größere Händler mit exklusiverem Sortiment als dem hier. Aber Mum war im Herzen eben nicht Theodora Henderson, Erbin eines Milliardenimperiums, sondern Hippie-Dora mit einem Sinn für das Unkonventionelle.

  »Kann ich verstehen.« Kenzie zog los und scannte mit ihrem Blick die erste Reihe an Stoffen, bevor sie einen Rest Jacquard aus einem Fach zog. »Der wäre perfekt für die Chaiselongue, die wir vorhin ausgesucht haben, was meinst du?«

  Ich nickte nur zustimmend und spürte ein Flirren in meinem Bauch, als ihr Lächeln nicht schwächer wurde, obwohl sie mich ansah. Gemeinsam gingen wir die Regalreihen ab, blieben stehen, wenn einer von uns etwas entdeckte, genau wie bei den Möbeln vorhin. Es war nicht viel – Gardinen hatte meine Mutter längst in Auftrag gegeben, auch Tagesdecken und Tischwäsche, aber für die Villen waren ein paar besondere Stoffe nicht schlecht. Außerdem kosteten sie vermutlich deutlich weniger als bei sonstigen Lieferanten.

  Kenzie wühlte sich durch einen Stapel mit Nesselstoff, während ich nach Brokat suchte und an einem mitternachtsblauen Ballen hängen blieb, der beinahe exakt die Farbe von Kenzies Campingmobil hatte. Ich zog ihn heraus und prüfte die Menge. Der Ballen war dünner als die meisten anderen hier, aber er würde sicher reichen.

  »Was hast du da?«, fragte Kenzie. »Seidenbrokat für deine Mum?«

  »Nein.« Ich legte den blauen Stoff auf einen Tisch, der in der Mitte zwischen den Regalreihen stand. »Für dich. Er ist ideal für die Sitzbänke von Loki.«

  »Ich habe dir doch gesagt –«, fing sie an.

  »Ich weiß, was du gesagt hast«, unterbrach ich sie. »Aber ich will nicht, dass du dieses Auto meinetwegen verkaufst. Gestalte ihn um, meinetwegen räuchere ihn aus oder opfere eine Voodoo-Puppe von mir darin, aber bitte gib ihn nicht weg. Er ist perfekt für dich.«

  »Ja. Das war er.« Sie sah mich an, und ich ahnte, sie sprach nicht von ihrem Wagen. Ihr Blick war weich und bedauernd. »Ich kann Loki nicht behalten«, sagte sie ganz leise. »Alles daran erinnert mich an dich. Das ändert sich nicht, nur weil ich anderen Stoff auf die Bänke ziehe.«

  »Du könntest es zumindest versuchen.« Ich schaute sie bittend an.

  »Warum?«, fragte sie. »Damit du dich besser fühlst?«

  »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Damit du dich besser fühlst.«

  Sie
schwieg und betrachtete den Stoff skeptisch, aber sie legte ihn auch nicht zurück. Stattdessen zwang sie sich einen neutralen Ausdruck aufs Gesicht und deutete zu den anderen Regalreihen. »Ich werde mal den Bestand da drüben anschauen«, meinte sie. »Sonst kommen wir hier nie wieder raus.«

  Ein winziges Lächeln, das mir sagte, dass sie meine Geste durchaus zu schätzen wusste, dann ging sie davon, und ich fuhr mit meiner Arbeit fort, meine Gedanken nicht bei Stoffen und Polstermaterial, sondern ganz woanders.

  Getrennt voneinander kämpften wir uns durch den Bestand und ich fand sogar noch einen Ballen Brokat für meine Mutter. Aber da fiel mir etwas ins Auge.

  »Kenzie!«, rief ich zu ihr hinüber. »Hattest du in deinem Entwurf nicht was von Seidentaft geschrieben? Da oben ist welcher.«

  Sie kam zu mir und spähte auf das Regal, wo sich mehrere Rollen von Taft aneinanderreihten.

  »Oh mein Gott, der helle dort ist perfekt.« Sie zog die rollbare Leiter heran und stieg schnell hinauf, um den Ballen Stoff aus dem Regal zu ziehen. Ich sah ihrem Gesichtsausdruck an, dass er höllisch schwer und sehr unhandlich war. Und als sie zu mir hinuntersah, wusste ich, sie dachte genau wie ich an unsere letzte Begegnung mit einem solchen Stoffballen.

  »Soll ich helfen?«, fragte ich nur.

  Sie grinste schief. »Du meinst, diesmal läuft es besser?«

  »Einen Versuch ist es wert.« Ich stieg zu ihr auf die Leiter und zog an dem Ballen. Ohne Beinahe-Unfälle schafften wir es diesmal, ihn vom Regal zu nehmen, die Stufen hinunterzutragen und auf dem Boden abzustellen. Ich atmete erleichtert aus. Kenzie ebenfalls.

  »Sieht so aus, als ob –«

  »Vorsicht!« Mit einem Ruck riss ich sie zu mir, keine Sekunde zu früh. In der nächsten fiel eine Lampe mit massivem Holzfuß vom Regalbrett über uns und krachte auf den Boden. Der Glasschirm zerschellte und die Scherben spritzten in alle Richtungen. Blitzschnell drehte ich mich vor Kenzie, damit ihre nackten Beine nichts davon abbekamen.

  »Fuck.« Ich sah sie an. »Alles okay?«

  Wir waren immer noch umschlungen, als wäre die Gefahr noch da, und ich war Kenzie so nah, wie ich es gerne immer gewesen wäre. Ihr Körper drückte sich an meinen, ich spürte jeden Zentimeter davon. Und obwohl ich wusste, dass ich sie loslassen sollte, hielt ich sie fest – als würde das irgendetwas besser machen und mich nicht daran erinnern, wie ausweglos meine Gefühle für sie waren.

  »Alles okay«, stieß sie aus, und der Blick aus ihren hellbraunen Augen traf mich auf eine Weise, die meinen Körper, mein Herz und meine Seele sofort in Aufruhr versetzten. Ich sah hinunter auf Kenzies gesenkte Wimpern, auf ihre leicht geöffneten Lippen, die mich anzuflehen schienen, sie zu küssen. Gott, ich wollte das, ich wollte sie . So sehr. Und als ihr Blick von meinen Augen zu meinem Mund wanderte, wusste ich, etwas in ihr wollte mich auch.

  Aber dann zog sich ein Schleier davor und sie löste sich von mir. Nicht abrupt, eher langsam und kontrolliert. Als wollte sie mir zeigen, dass sie alles im Griff hatte. Obwohl sie sich dabei echt Mühe gab, wusste ich es jedoch besser – ich spürte genau, dass sie in Versuchung war. Etwas in mir jubilierte darüber, wurde jedoch schnell ernüchtert. Körperliche Anziehung war nicht das, was ich wollte. Auch, natürlich, viel davon. Nur war es nicht alles.

  Ich holte Luft und merkte, wie der Bann brach.

  »Wir sollten –«, begann ich, wurde aber von einem lauten Ruf unterbrochen. Er kam von draußen, jemand stand direkt unter dem Fenster.

  »Verflucht noch mal, ich habe dir doch gesagt, ich mache das nicht mehr!«, rief Dionys wütend auf Englisch. »Das war eine einmalige Sache für mich.«

  Kenzie und ich wechselten einen Blick und plötzlich war die Spannung zwischen uns Geschichte. Stattdessen sprang der Teil meines Gehirns an, der sich damit beschäftigte, wer der Verräter war. Einmalige Sache? Wir hielten die Luft an, um zu lauschen.

  »Ich weiß, was ich gesagt habe! Aber da wusste ich noch nicht, worauf ich mich einlasse, okay? Ich will den Scheißjob nicht! Ist mir egal!«

  Dionys entfernte sich, und wir konnten nicht mehr hören, was er sonst sagte. Ich sah zu Kenzie hinunter, die mir immer noch viel zu nah war, und erkannte einen nachdenklichen Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Du denkst, was ich denke, oder?«

  »Dass er der Informant ist?« Sie nickte zurückhaltend. »Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet er … trotzdem passt es irgendwie.«

  »Warum?« Ich für meinen Teil hatte nichts Verdächtiges an Dionys entdeckt, aber ich war auch erst eine Woche nach Kenzie auf der Insel angekommen. Vielleicht war vorher irgendetwas passiert?

  Kenzie sah mich mit gerunzelter Stirn an. »Als wir in Kassiopi waren, hat Dionys sich vor dem Essen von uns verabschiedet, angeblich, weil er seine Tante besuchen wollte. Aber dann haben wir ihn unten am Hafen gesehen, wo er mit so einem reichen Schnösel gesprochen hat. Sie haben gestritten, dann sind sie getrennte Wege gegangen. Ich habe mir nichts dabei gedacht, wir haben sogar noch Witze gemacht, weil Elliott meinte, dass die beiden Drogen dealen würden. Elliott eben.« Sie hob die Schultern. »Aber vielleicht war es auch was anderes. Vielleicht hat Dionys Probleme und arbeitet deswegen für Davidge. Er ist zwar nicht bei all unseren Besprechungen dabei, aber er ist Cleas Bruder – und bestimmt erzählt sie ihm unwissentlich alles, was er wissen muss, um Davidge Infos zuzuspielen. Außerdem könnte er den Eröffnungstermin von seinem Vater erfahren haben.«

  Ich runzelte die Stirn. »Er hat vorhin gesagt, er schulde jemandem Geld und dass er es nicht zurückzahlen kann. Ich habe angeboten, ihm den Betrag zu geben, aber er wollte es nicht. Entweder, weil er sauber ist. Oder weil er weiß, er bekommt bald genug für seine Spionage.«

  Kenzie sah plötzlich sehr betreten aus. »Aber es ist Dionys. Er ist immer so nett und hilfsbereit … das passt doch überhaupt nicht zu ihm.« Dann fiel ihr Blick auf mich, und ich konnte ihre Gedanken so deutlich sehen, als stünden sie ihr auf die Stirn geschrieben: Aber das dachte ich von dir schließlich auch.

  »Wir werden es herausfinden«, sagte ich und wandte mich ab, weil ich diesen Ausdruck in ihren Augen nicht ertragen konnte. »Komm, wir sagen Ioannis Bescheid, damit er uns die größeren Sachen in den nächsten Tagen liefert, und dann fahren wir zurück.« Ich musste dringend mit Finlay sprechen. Und das hier vergessen. Ich musste endlich damit aufhören, mir zu wünschen, dass sich zwischen Kenzie und mir etwas ändern würde, wenn wir nur genug Zeit miteinander verbrachten. Wie sollte das auch funktionieren? Wie sollte sie mir jemals verzeihen?

  Wie, wenn ich es doch nicht einmal selbst konnte?

  26

  Kenzie

  Auf der Rückfahrt redeten wir kaum ein Wort im Wagen. Dionys tippte wie wild die ganze Zeit in sein Handy, aber weil er auf der Rückbank hockte, umgeben von dem Teil der Antiquitäten, die in den Kleinbus gepasst hatten, konnte ich ihm nicht über die Schulter schauen, um zu sehen, mit wem er textete. Er hatte sofort gesagt, er würde nach hinten gehen, damit den Möbeln nichts passierte, also war mir nur der Beifahrersitz geblieben. Und da saß ich nun, kaum einen halben Meter von Lyall entfernt. Er befand sich jedoch nicht nur physisch neben mir, sondern war auch in meinem Kopf und immer noch in meinem Herzen, egal, ob ich das wollte oder nicht.

  Vorhin, als wir die Möbel gesichtet hatten, war es fast wie im letzten Sommer gewesen: leicht. Unbeschwert. Aber dann hatte er über Loki geredet und ich? Ich war blöd genug gewesen, ihm zu sagen, warum ich das Auto verkaufen würde. Genauso gut hätte ich ihm gestehen können, dass ich ihn einfach nicht vergessen konnte.

  Völlig gleich, was ich mir vornahm, ich schaffte es einfach nicht, Lyall so zu behandeln, wie er es verdient hatte – abweisend und wie einen Fremden. Nur ein Blick oder eine Bemerkung und mein dämliches Herz wollte ihn mit aller Macht zurück, von meinem Körper ganz zu schweigen. Als die Lampe beinahe auf uns gefallen war, hatte ich nur gedacht, er solle mich nie wieder loslassen. Es hatte sich so gut angefühlt … und so grausam, als ich aus dem Moment aufgewacht war wie aus einem schönen Traum. Die Sorte, bei der man noch ein paar Sekunden in dem wunderbaren Gefühl verweilte, um dann besonders hart in die Realität zurückgerissen
zu werden.

  Auch jetzt zog ich mich mit aller verfügbaren Gewalt aus meiner Sehnsucht heraus, schaffte es, Lyall nicht anzusehen. Stattdessen drehte ich mich nach hinten um.

  »Alles okay bei dir, Dio?«, fragte ich.

  »Was? Ja, klar. Wieso fragst du?«

  »Weil du die ganze Zeit vor dich hin fluchst.« Ich lächelte halb und kam mir hinterlistig vor, da ich eigentlich nur herausfinden wollte, ob er der Verräter war – und kein echtes Interesse an seinen Problemen hatte.

  »Ich bin Südländer. Wir fluchen gern.« Er grinste breit, ich sah seinen Augen dennoch an, dass er Sorgen hatte. Aber hatten sie wirklich mit Davidge zu tun? »Was willst du heute Abend essen, Kenzie?«

  »Ich?«, fragte ich überrascht.

  »Ja. Du siehst aus, als könntest du eine Aufmunterung brauchen.«

  Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich Lyalls Hand bei diesen Worten stärker um den Schaltknauf krampfte und die Knöchel weiß hervortraten. Mein erster Impuls war, meine Finger auf seine zu legen, um ihm zu zeigen, dass Dionys unrecht hatte, damit er sich wieder entspannte. Aber das hier war nicht die Welt, die ich mir wünschte – die, in der wir zusammen waren. Es war die, in der wir auf ewig getrennt sein würden.

  »Ich mag alles, was du kochst«, sagte ich zu Dionys und rang mir ein Lächeln ab, bevor ich mich wieder umdrehte und schwieg.

  Wir fuhren auf die Straße, die zum Kefi Palace führte, und da ich nichts anderes zu tun hatte, hörte ich der Musik aus dem Radio zu. Es lief ein Song von Zara Larsson, »Can’t Fall in Love Without You«. Ich hatte ihn immer nervig gefunden, aber als ich jetzt genauer hinhörte und dabei neben Lyall saß, schien es, als wäre er nur für mich geschrieben worden, mit all der Sehnsucht und dem Kummer, der in den Textzeilen und der Melodie anklang.

  Und dann hielt Lyall an einer Ampel, wandte sich halb zu mir um und sah mich an, eher zufällig, aber sein Blick blieb an mir hängen, während Zara Larsson davon sang, dass es unmöglich war, sich neu zu verlieben, wenn man noch an jemand anderem hing.

 

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