by Kiefer, Lena
Als ich den Ausdruck auf ihrem Gesicht sah, musste ich lachen. »Ich bin sicher, das ist total okay für sie. Mum hofft schon seit letztem Sommer, dass wir beide mal wieder irgendwas verwüsten, glaub mir.«
Es klopfte nochmal. »Lyall, hast du mich gehört?«, rief Edina.
»Ja, verdammt!«, antwortete ich ihr. »Wir sind gleich da.« Nur eine Sekunde blieb ich noch im Bett, bevor ich mich der Erkenntnis ergab, dass der angenehme Teil des Morgens beendet war. Also küsste ich Kenzie ein letztes Mal, dann standen wir auf und ich kramte in meiner Tasche nach Klamotten.
»Woher weiß deine Schwester eigentlich, dass du hier bist?« Kenzie holte ein frisches Shirt hervor und zog es über.
»Sie ist Edina. Sie weiß alles.« Außerdem musste man nicht allzu gut rechnen können, um meine Abwesenheit zu bemerken und dann eins und eins zusammenzuzählen. Und ich ging jede Wette ein, dass Finlays gestriger Appell an Kenzie nicht allein auf seinem Mist gewachsen war. Wahrscheinlich sollte ich mich bei ihnen bedanken.
Wir waren im Rekordtempo fertig, obwohl wir jedes Mal, wenn wir einander in die Quere kamen, vergaßen, dass wir keine Zeit übrig hatten. Nach dem Anziehen räumten wir schnell das Zimmer auf, falteten die Decke, legten die Kissen zurück aufs Sofa und hängten die Handtücher ordentlich ins Bad. Danach sah es wieder fast genauso aus wie vorher.
»Ich gehe mal vor«, sagte Kenzie, zog den Reißverschluss ihrer Tasche zu und wandte sich dann zur Tür. »Ich habe zwar keine Hoffnung, dass nicht längst jeder da draußen weiß, was hier läuft, aber wir sollten vielleicht trotzdem nicht zusammen aus diesem Zimmer kommen.«
»Hey, warte kurz.« Ich hielt sie sanft am Arm zurück.
»Ja?« Sie lächelte, als sie ihre Hände in meinem Nacken verschränkte.
»Ich wollte nur sagen … ich würde es verstehen, wenn du das mit uns nicht willst. Trotz heute Nacht. Du musst es nur sagen und ich werde kein Wort mehr darüber verlieren.«
Ich hatte zwar die Entschlossenheit in ihren Augen gesehen, die Überzeugung, dass sie uns eine Chance geben wollte. Aber wenn man Angst um jemanden hatte, dann traf man auch Entscheidungen, die man vielleicht später bereute. Ich wollte ihr nicht das Gefühl geben, irgendetwas von ihr zu erwarten. Ach komm, wem machst du was vor?
»Du denkst, das ist so ein Ding wie in Speed ? Extremsituationen und plötzlich auftauchende Gefühle durch Adrenalin?« Kenzie war nur halb belustigt und wurde schnell wieder ernst. »Ich bereue das hier nicht, Lyall. Und ich will sehen, wie weit wir kommen.« Sie holte Luft. »Ja, es hätte einiges in der Vergangenheit anders laufen müssen. Und du musst damit leben, dass ich manchmal Angst haben werde, dass du lügst, und deswegen mich – und dich – fragen werde, ob du mir die Wahrheit sagst. Aber glaub mir, das zwischen uns ist mir wichtiger als meine Angst.«
Ich sah sie einen Moment an, dann zog ich sie an mich. Nicht, um sie zu küssen, sondern einfach nur zu umarmen. Ich brachte kein Wort heraus, aber ich war sicher, sie verstand, was mir das bedeutete. Glück schoss durch meine Adern und das letzte bisschen Abspannung fiel endlich von mir ab. Als ich Kenzie losließ und sie mich anlächelte, hatte ich das Gefühl, als wäre ich wieder ganz. Zum ersten Mal seit Jahren.
»Wir sollten gehen«, sagte sie leise.
»Noch nicht.« Ich beugte mich vor und küsste sie doch.
Der Kuss war hastig und schnell, aber er war vielleicht der Bedeutsamste seit dem allerersten in Kenzies Camper, als ich trotz aller Regeln gemerkt hatte, dass ich nicht in der Lage war, mich von ihr fernzuhalten. Weil wir jetzt wussten, wir gehörten zusammen. Und egal, was noch kommen würde, wir konnten das schaffen.
In der nächsten Sekunde ging die Tür nach einem kurzen Klopfen auf.
»Oh gut, ihr seid angezogen.« Finlay grinste breit, als er uns sah. »Dora hat gerade vor dem Hotel geparkt. Und ich wette, sie will euch sehen.«
Ich verengte die Augen. »Was habt ihr Mum denn gesagt?« Dass Edina sie angerufen hatte, nachdem der Brand gelöscht worden war, wusste ich. Aber ich war bei dem Gespräch nicht dabei gewesen. Und auch wenn meine Schwester sonst ein sehr beherrschter Mensch war, hatte sie in manchen Situationen den Drang, Dinge dramatischer darzustellen als sie waren.
Finlay hob die Schultern. »Ich würde schätzen, so schnell, wie Dora einen Flug hierher genommen hat, war es mindestens ein ›Lyall wäre fast gestorben, Mum, also beweg deinen Arsch gefälligst hierher‹.« Er imitierte Edinas Tonfall so gut, dass ich beinahe gelacht hätte – wenn ich nicht gewusst hätte, was mir jetzt bevorstand.
»Ich gehe ihr mal lieber entgegen.«
Finlay und Kenzie folgten mir mit etwas Abstand und ich hörte ihren Dialog, während ich eilig die Treppen hinunterlief.
»Also?«, fragte mein Cousin und ich konnte das Grinsen in seiner Stimme erahnen. »Seid ihr zwei wieder …?«
»Allerdings«, antwortete Kenzie und als ich die Überzeugung in diesem einen Wort wahrnahm, musste ich lächeln. »Danke, Fin. Dein Appell gestern, der war zwar ziemlich auf die zwölf, aber ich habe ihn wohl gebraucht.«
Was Finlay darauf sagte, hörte ich nicht mehr, denn ich war in der Lobby angekommen – und im selben Moment ging die mittlerweile funktionstüchtige Schiebetür am Eingang auf.
»Lyall! Oh Gott, da bist du ja! Schatz, ist alles in Ordnung?« Meine Mutter rauschte herein wie die Drama-Queen, die sie war, und fiel mir um den Hals, als müsste sie mich höchstpersönlich von der Todesschwelle ins Leben zurückziehen. »Wieso machst du so einen Unsinn? Habe ich dir nicht beigebracht, dass man nicht in brennende Gebäude rennt?«
Ich unterdrückte ein Grinsen, weil Kenzie mich vor zehn Minuten das Gleiche gefragt hatte. Dann schüttelte ich den Kopf.
»Nein, hast du nie.« Ich machte große Augen, als sie mich losließ. »Wenn du es getan hättest, wäre ich da doch nie reingelaufen.«
Meine Mutter versetzte mir einen Klaps auf den Oberarm. »Hör auf, Witze darüber zu machen.« Sie sah mir sehr genau ins Gesicht und berührte dann den Kratzer an meiner Wange. »Geht es dir wirklich gut? Dir und den anderen?«
Ich nickte. »Ja. Es ist niemandem etwas passiert, Mum.«
Wie aufs Stichwort kamen Kenzie und Finlay dazu, die ebenfalls mit erleichterten Umarmungen bedacht wurden, genau wie Edina, Elliott und die anderen, die bei dem Lärm wohl auch nicht länger hatten schlafen können und alle ziemlich übernächtigt aussahen. Erst als zwei Männer in Feuerwehr-Kleidung und einer mit Polizeiabzeichen auf dem Shirt hereinkamen, ließ meine Mutter von uns ab.
Edina und sie sprachen nicht lange mit dem Brandinspektor, bevor er alles in Augenschein nehmen wollte und wir ihn die Stufen hinunter zu der Stelle führten, an der bis gestern die Schuppen gestanden hatten. Es roch immer noch bestialisch nach Rauch und dazu nach feuchter Erde.
Ich bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen, aber das Ausmaß des Schadens bei Tageslicht war krasser als ich gedacht hatte. Nicht nur, dass die Schuppen, die teilweise gemauert gewesen waren, teils aus Holz bestanden hatten, jetzt kaum mehr als Ruinen waren. Die komplette Umgebung war mit Asche übersät – von den Pflanzen, den Sträuchern, dem Rasen drum herum war nichts übrig. Überall lagen Trümmer der Explosion verteilt, nicht nur die der Gebäude, sondern auch verkohlte Farbdosen und Werkzeug, das herausgeschleudert worden war. Dazu waren die früher weißen Wände der Bungalows nun schwarz vor Ruß. Meine Mutter stieß einen schockierten Laut aus, und ich strich ihr über den Rücken, weil ich mir denken konnte, wie sie sich fühlte. Das hier war ihr Herzensprojekt. Und dieser Schaden bedeutete zwar kein Todesurteil, aber er warf uns ein ganzes Stück zurück.
Der Brandermittler bahnte sich vorsichtig einen Weg durch das Trümmerfeld, besah sich einzelne Teile genauer, redete mit den Feuerwehrleuten und drehte sich dann zu mir um.
»Sie haben den Brand bemerkt?«, fragte er mich auf Englisch.
»Ja, das ist richtig.«
»Können Sie noch sagen, wo Sie die ersten Flammen gesehen haben?«
»Ich zeige es Ihnen«, antwortete ich. Zwar war ich oben im Bungalow gewesen, aber das Einschätzen von Perspektiven war Teil meines Jobs. Ich hatte keine Probleme, ihm die genaue
Stelle zu benennen, wo ich den Ursprung des Brandes vermutete. Es war Nikolaos ehemalige Werkstatt, dieser vollgestopfte Raum mit Lacken, Farben, Unkrautvernichtungsmitteln und Verdünner.
Der Ermittler sah sich gemeinsam mit den Feuerwehrmännern um und wir zogen uns ein Stück zurück, um sie arbeiten zu lassen. Als ich Kenzie neben mir bemerkte, legte ich einen Arm um sie, ohne darüber nachzudenken. Und zog damit die erstaunten Blicke der anderen auf mich.
»Du schuldest mir 20 Mäuse«, raunte Martha dann Elliott zu.
»Mir auch«, sagte Bella leise, und ich grinste, als Kenzie meine Geste erwiderte und sich an mich schmiegte. Erst da wurde meine Mutter auf uns aufmerksam, die bis dahin noch den Ermittler angestarrt hatte, als würde sie ihn so dazu bringen können, ihr zu sagen, dass alles halb so wild war.
»Ach, wie schön!«, rief sie aus – so laut, dass sich die Brandinspektoren irritiert umdrehten. Sie wedelte mit der Hand. »Machen Sie nur weiter. Das hier hat nichts mit Ihnen zu tun.« Dann umarmte sie Kenzie erneut. »Ich wusste es. Ich wusste, ihr kriegt das hin. Schließlich habe ich eine hundertprozentige Trefferquote, was die Vorhersage von Paaren angeht.«
»Hat sie nicht«, formte ich lautlos mit den Lippen. Kenzie grinste und sah dabei so glücklich aus, dass ich mich beherrschen musste, sie nicht zu küssen, mitten in diesem Trümmerfeld vor all den Leuten.
»Bedeutet das, du wirst noch ein bisschen bei uns bleiben?« Meine Mutter sah Kenzie an, immer noch völlig verzückt.
»Wenn du mir die Notlüge mit dem Unfall in der Firma meines Vaters verzeihst, dann ja«, antwortete sie mit einem schiefen Grinsen und sah zu mir. Ich lächelte und drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Haare.
»Ach«, meine Mutter wedelte mit der Hand. »Das ist schon vergessen. Wir haben alle mal das Gefühl gehabt, von irgendwo wegzumüssen.«
Im nächsten Moment kamen die Inspektoren auf uns zu und sahen so ernst aus, dass wir das Gerede über Notlügen sofort vergaßen.
»Wir müssen uns unterhalten.« Der Brandermittler sah zu Edina und bat sie, zu übersetzen, weil er sich diese Erklärungen wohl auf Englisch nicht zutraute. Es folgten einige lange Schilderungen auf Griechisch, die meiner Schwester ein tiefes Stirnrunzeln bescherten – ob wegen des Inhalts oder weil es auch für sie kompliziert war, was der Mann sagte, wussten wir nicht, bis sie zu sprechen begann.
»Er meint, dass sie noch weitere Untersuchungen machen müssen. Aber sie gehen momentan davon aus, dass das Feuer keinen natürlichen Ursprung hatte, sondern gelegt wurde.«
»Es war Brandstiftung?« Ich sah die Ermittler schockiert an. Einer von ihnen hielt uns etwas hin, das wie ein schwarzer Klumpen Plastik aussah.
Edina zeigte darauf. »Dieser Behälter lag auf dem Boden unter der Werkbank und ist wohl auf eine Art und Weise geschmolzen, die sich nicht mit der Ausbreitung des Feuers erklären lässt. Sie werden ihn im Labor auf Rückstände wie Brandbeschleuniger untersuchen, um ganz sicherzugehen.«
Das war eine Nachricht, die uns alle erst einmal sprachlos machte. Auch wenn jeder von uns einen Namen im Kopf hatten, den Elliott schließlich aussprach.
»Clea«, sagte er abfällig. »Das war doch garantiert sie, im Auftrag von Davidge. Sie kennt sich hier aus, wusste genau, wo die Werkstatt ist und dass da ein Haufen Kram lagert, der nicht mit Feuer in Berührung kommen sollte.«
»Glaubst du echt, sie würde so etwas tun? Sie hat uns ausspioniert, okay, aber das?« Bella schien zu zweifeln.
»Wer soll es sonst gewesen sein?«
»Sie haben einen Verdacht?«, fragte der Ermittler, der vermutlich nicht alles verstanden hatte. Edina erklärte ihm, was wir vermuteten, und er notierte sich Cleas Namen und ihre Telefonnummer, um sie zu befragen, wenn sich der Verdacht der Brandstiftung bestätigen sollte. Dann sperrten sie das Areal ab und baten uns, es nicht zu betreten, bis sie ihre Untersuchungen abgeschlossen hatten. Wir zogen uns auf den Hauptweg zurück, von den Neuigkeiten immer noch hart getroffen, aber vor allem erschöpft.
»Okay.« Kenzie gähnte hinter vorgehaltener Hand. »Wenn wir hier nichts mehr tun können, dann sollten wir wohl an die Arbeit gehen.«
»Arbeit? Bist du verrückt?« Meine Mutter schüttelte heftig den Kopf. »Heute wird nicht gearbeitet. Ihr habt alle frei. Ich bin mit einem Hotelier an der Westküste von Korfu befreundet, er hat eine kleine Wellnessoase direkt am Meer und zu dieser Zeit sicherlich Kapazitäten frei. Ich rufe ihn gleich an und mache ein paar Behandlungen klar. Vor morgen will ich keinen von euch hier wiedersehen, verstanden?«
Elliott, Martha und Bella widersprachen nicht, und ihren müden Augen war anzusehen, dass sie sich auf eine Massage und ein bisschen Schlaf ohne Baulärm freuten. Als sie gingen, blieben Finlay, Edina, Kenzie und ich zurück.
»Das gilt auch für euch«, sagte meine Mutter. »Packt eure Sachen und los geht’s. Die Handwerker wissen doch sicher, was sie zu tun haben, oder?«
»Schon, aber –«, begann ich.
»Nichts aber. Ich habe trotz dieser Katastrophe genau gesehen, wie weit ihr in den letzten Wochen gekommen seid, und ihr müsst dafür mehr als hart gearbeitet haben. Bitte dämpft mein schlechtes Gewissen ein bisschen und nehmt wenigstens den einen Tag frei.«
Wir willigten ein und Finlay verschwand als Erster, anschließend Edina. Ich versicherte mich, dass es wirklich okay war, wenn wir meine Mutter mit dem Chaos alleinließen, dann lief ich gemeinsam mit Kenzie zum Haupthaus.
»Also Wellness, hm?«, sagte sie, und es klang nur mittelmäßig begeistert.
»Nicht, wenn du nicht willst«, lächelte ich. »Wir können stattdessen einfach unser eigenes Ding machen.« Ich hatte auch schon eine Idee, was.
Kenzie schenkte mir ein Lächeln, das nur für mich reserviert zu sein schien. Mein Magen antwortete mit einem warmen Kribbeln darauf. »Bin dabei. Ehrlich gesagt hat mir die Vorstellung noch nie behagt, dass mir fremde Leute auf dem Rücken herumdrücken.«
Ich lachte, weil ich auch so war. Während sich Finlay oder Edina liebend gerne in einem unserer Hotels den ganzen Tag durchkneten ließen, war alles, was ich an Wellness ertrug, der Besuch des Pools.
»Dann ist es entschieden. Du und ich und … nein, das wird eine Überraschung. Pack auf jeden Fall Badezeug ein. Ich muss noch kurz etwas mit Mum klären.« Schnell drückte ich ihr einen Kuss auf den Mund und machte mich auf den Weg zurück zu meiner Mutter, nachdem Kenzie in Richtung Haupthaus verschwunden war.
Während ich die Stufen hinunterlief, sah ich in den blauen Himmel, spürte ein tiefes Glücksgefühl in mir und musste lächeln. Denn obwohl ich hier mitten durch eine teils verwüstete Hotelanlage spazierte, obwohl wir offenbar einen ernstzunehmenden Gegner hatten und nicht wussten, wie wir uns wehren sollten – das hier konnte trotzdem der beste Tag seit sehr langer Zeit werden.
38
Kenzie
Die Sonne und die Aussicht auf einen freien Tag nur mit Lyall vertrieben die dunklen Schatten des Brandes mit jeder Minute, die ich damit verbrachte, meinen Kram zu packen. Davor stornierte ich noch schnell meinen Flug für den Nachmittag und schrieb Willa eine Nachricht, dass ich doch nicht nach Hause kommen würde. Dann zog ich einen meiner selten genutzten Bikinis an und Shorts und Top darüber, nahm zu den Flipflops noch meine Boots mit und Klamotten zum Wechseln. Ich kramte meine Sonnencreme aus der Reisetasche, steckte sie mit ein paar anderen nützlichen Kleinigkeiten ein und bekam das Grinsen kaum aus dem Gesicht, als ich daran dachte, was hier heute Nacht passiert war … und wie es weitergehen würde. Da kamen jedoch zwei der Handwerker ins Musterzimmer, weil sie momentan die Bilder aufhängten und die Abstände messen wollten, und ich ging schnell raus.
Ich war gerade auf dem Weg in die Lobby, um zum Parkplatz zu gehen, als ich Stimmen hörte – die von Finlay und Edina. Ich wollte nicht lauschen, sie aber auch nicht unterbrechen, was unweigerlich passieren würde, wenn ich an dem offenen Loungebereich vorbeiging. Also blieb ich, wo ich war.
»Ist das dein Ernst?«, fragte Finlay und es klang genauso müde wie genervt. »Du willst nicht mit in ein Wellnesshotel, weil ich auch dabei bin? Ist es so unerträglich für dich, in meiner Nähe zu sein?«
/> »Darum geht es doch gar nicht und das weißt du«, antwortete Edina und erinnerte mich vom Tonfall und der Kühle in ihrer Stimme an ihren Bruder, wenn er unangenehme Gespräche führte. »Also nutz das nicht, um mir schon wieder Vorwürfe zu machen.«
»Ich mache dir Vorwürfe? Ich sage doch überhaupt nichts!«
Ich schaute kurz um die Ecke und sah, dass Edina mit verschränkten Armen am Fenster stand, während Finlay an der gegenüberliegenden Wand lehnte. So als wollten sie um jeden Preis Abstand halten, wie seit Edies Ankunft schon.
»Du musst auch nichts sagen«, gab sie zurück. »Es reicht, wenn du mich ansiehst und ich in deinem Blick lesen kann, wie wenig du von meiner Entscheidung hältst. Von einer Entscheidung, die du eigentlich mittragen solltest, wenn du auch nur einen Funken Realitätssinn hättest!«
Finlay schnaubte. »Klar, ich bin der Unrealistische von uns beiden. Weil ich nicht auf irgendwelche bescheuerten Familienregeln höre und deswegen meine Gefühle verleugne.«
»Ach, dann willst du gerne den Shitstorm der Medien abkriegen?«, fragte Edina. »Die ganze Hetze gegen uns, wenn das rauskommt?«
»Du klingst wie Dora.«
»Weil sie recht hat, verdammt!« Sofort dämpfte Edina ihre Stimme wieder. »Die gesamte Welt würde sich das Maul über uns zerreißen, Fin. Sie würden von Inzest reden, von Blutschande , davon, dass es unnatürlich ist, wenn wir zusammen sind.«
»Wir sind keine Geschwister, Herrgott, wir kannten uns kaum, bevor wir Teenager waren«, sagte Finlay, vermutlich nicht zum ersten Mal. »Es ist nicht verboten, dass wir ineinander verliebt sind.«
»Musst du das so rumposaunen?«, zischte Edina. »Was, wenn es jemand hört oder aufnimmt und dann der Presse zuspielt?«
»Das ist mir scheißegal! Die kennen uns nicht, also muss es uns auch nicht interessieren. Es wird ein paar Wochen dauern und dann finden sie ein neues Thema. So ist es immer.« Finlays Worte hatten etwas Flehendes.
Edina holte tief Luft. »Ist völlig egal. Der Rat hat entschieden und damit ist das Thema erledigt. Da steht zu viel auf dem Spiel.«