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Exodus

Page 4

by Leon Uris


  »Wie viele sollen fliehen?« fragte David.

  »Ungefähr dreihundert.«

  David schüttelte den Kopf. »Wir haben ein paar unterirdische Gänge gegraben, doch die führen zum Meer. Du wirst heute abend selbst festgestellt haben, daß die Strömung vor der Küste gefährlich ist und daß man ein sehr guter Schwimmer sein muß, wenn man es schaffen will. Die zweite Möglichkeit: wir benutzen, um ins Lager hinein-und wieder herauszukommen, die Stellen außerhalb, wo die Abfälle abgeladen und abgefahren werden. Diese Kanäle werden nicht sonderlich scharf bewacht, aber so viele Leute auf einmal kann man dort unmöglich durchschleusen. Die dritte Möglichkeit: englische Uniformen und gefälschte Papiere, doch auch auf diese Weise kann man jeweils nur ein paar Leute hinein- oder herausbekommen. Die vierte und letzte Möglichkeit: wir nageln einige von unseren Mitgliedern in Lattenkisten ein und schicken diese Kisten zum Hafen. Mr. Mandria hier ist Eigentümer der Schifffahrtsgesellschaft, und seine Hafenarbeiter sind instruiert, wenn solche Kisten ankommen. Im Augenblick, Ari, sehe ich keinen Weg, wie man eine Massenflucht organisieren könnte.«

  »Wir werden einen Weg finden«, sagte Ben Kanaan im Tone sachlicher Feststellung. »Allerdings haben wir dafür nur ein paar Wochen Zeit.«

  Mandria, der Grieche, erhob sich, seufzte und schüttelte den Kopf. »Mr. Ben Kanaan«, sagte er dann, »Sie sind heute abend an Land geschwommen und haben uns gebeten, das Unmögliche möglich zu machen, noch dazu in zwei Wochen. Mein Herz sagt« — Mandria legte die Hand auf sein Herz, »daß es gelingen wird. Aber mein Kopf«, und er klopfte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, »sagt mir, daß es unmöglich ist.« Er verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging unruhig durch das Zimmer. »Glauben Sie mir, Mr. Ben Kanaan« — Mandria drehte sich herum und machte eine großartige Handbewegung —, »Ihr von Palmach und Mossad könnt euch darauf verlassen, daß die Griechen in Zypern bis zum letzten Blutstropfen für euch einstehen. Wir stehen auf eurer Seite. Wir stehen neben euch und hinter euch! Und dennoch — Zypern ist eine Insel, rings von Wasser umgeben, und die Engländer sind weder Dummköpfe noch Schlafmützen. Ich, Mandria, bin bereit, alles zu tun, was in meiner Macht steht, und trotzdem wird es Ihnen nicht gelingen, dreihundert Leute auf einmal aus den Lagern von Caraolos herauszubekommen. Diese Lager sind von drei Meter hohen Stacheldrahtpalisaden umgeben, und die Wachtposten haben Gewehre — geladene Gewehre.«

  Ari Ben Kanaan stand auf, groß und breit wie ein Turm vor den beiden anderen Männern. Er hatte kaum hingehört auf das, was Mandria mit soviel Pathos vorgebracht hatte. »Ich brauche für morgen eine englische Uniform«, sagte er, »Ausweispapiere und einen Fahrer. Und Sie können sich schon einmal nach einem Schiff umsehen, Mr. Mandria. Ungefähr zwischen hundert und zweihundert Tonnen. Und, David, wir werden einen Fachmann brauchen, der sich auf die Herstellung von gefälschten Ausweisen versteht.«

  »Wir haben da im Jugendblock einen Jungen, der ein wahrhafter Künstler auf diesem Gebiet sein soll, aber der wird nicht wollen. Alle andern sind kümmerliche Pfuscher.«

  »Ich werde morgen nach Caraolos gehen und mit dem Jungen reden. Ich will mir ohnehin das Lager ansehen.«

  Mandria war begeistert. Dieser Ari ben Kanaan, das war ein Mann. Ein Mann der Tat. Besorgen Sie ein Schiff! Wir brauchen einen Fälscher! Beschaffen Sie mir eine Uniform und einen Fahrer! Das Leben war aufregend geworden, seit die Mossad- und die Palmach-Leute nach Zypern gekommen waren, und er fand es wunderbar, teilnehmen zu können an dem Spiel, in dem es gegen die Briten ging. Er ergriff Ari ben Kanaans Hand und drückte sie.

  »Wir Zyprer sind auf eurer Seite«, sagte er. »Euer Kampf ist unser Kampf!«

  Ben Kanaan sah Mandria abweisend an. »Herr Mandria«, sagte er, »man wird Sie für die Zeit und Mühe, die Sie aufwenden, in angemessener Form entschädigen.«

  Im Raum entstand betretenes Schweigen. Mandria war weiß wie die Wand geworden. »Glauben Sie denn, wagen Sie ernstlich zu glauben, mein Herr, daß ich, Mandria, dies etwa für Geld tue? Glauben Sie, ich würde um des Geldes willen riskieren, zehn Jahre ins Gefängnis gesteckt oder aus der Heimat verbannt zu werden? Seit ich angefangen habe, mit Ihren Leuten vom Palmach zu arbeiten, hat mich das mehr als fünftausend Pfund gekostet.«

  »Ich finde«, sagte David rasch und vermittelnd, »du solltest dich bei Herrn Mandria entschuldigen. Er selbst, seine Taxifahrer und seine Hafenarbeiter nehmen alle möglichen Risiken auf sich. Ohne die Hilfe der Griechen wäre es uns kaum möglich, hier zu arbeiten.« Mandria ließ sich in einen Sessel fallen. Man sah ihm an, daß er tief verletzt war. »Jawohl, Ben Kanaan, wir bewundern euch. Denn wir meinen, wenn es euch gelingt, die Engländer aus Palästina hinauszuwerfen, dann gelingt es uns vielleicht eines Tages, hier in Zypern dasselbe zu tun.«

  »Ich bitte um Verzeihung, Herr Mandria«, sagte Ari. »Ich bin vermutlich überreizt.« Doch er sagte die Worte rein mechanisch, ohne sie so zu meinen.

  Das schrille Geräusch von Sirenen, das von draußen zu hören war, ließ die Unterhaltung abbrechen. Mandria öffnete die Tür zum Balkon und ging zusammen mit David hinaus. Ari ben Kanaan folgte ihnen und blieb hinter ihnen stehen. Sie sahen einen Panzerwagen mit Maschinengewehren, der an der Spitze einer Kolonne von Lastwagen die Straße vom Hafen heraufkam. Es waren insgesamt fünfundzwanzig Lastwagen, umgeben von Jeeps, auf denen Maschinengewehre aufmontiert waren.

  Die Menschen, die eng zusammengedrängt auf den Lastwagen standen, waren Passagiere des illegalen Schiffes Tor der Hoffnung, das versucht hatte, von Italien aus Palästina zu erreichen und die englische Blockade zu durchbrechen. Das Schiff war von einem englischen Zerstörer gerammt worden. Man hatte es nach Haifa abgeschleppt und die illegalen Einwanderer unverzüglich nach Zypern gebracht.

  Das Heulen der Sirenen wurde lauter, als die Wagenkolonne an dem Balkon von Mandrias Haus vorbeifuhr. Ein Wagen nach dem anderen kam vorbei, und die drei Männer, die auf dem Balkon standen, sahen von oben auf das Elend der eingepferchten, durcheinandergerüttelten Menschen. Es waren geschlagene Leute, Menschen, die am Ende waren, fassungslos, verfallen, entkräftet. Die Sirenen kreischten, die Wagenkolonne bog bei dem Tor der alten Stadtmauer um die Ecke auf die Straße nach Salamis ein, die zu den Lagern bei Caraolos führte. Dann waren die Wagen verschwunden, doch das Heulen der Sirenen zerschnitt noch lange die Luft.

  David ben Amis Hände waren zu Fäusten geballt; er hatte die Zähne krampfhaft zusammengebissen, und in seinem Gesicht stand ohnmächtige Wut. Mandria weinte. Nur Ari ben Kanaan ließ keinerlei Regung erkennen. Sie verließen den Balkon und gingen wieder hinein.

  »Sie werden sicherlich vieles miteinander zu bereden haben«, sagte Mandria, noch immer schluchzend. »Ich hoffe, Ben Kanaan, daß Ihr Zimmer Ihnen zusagt. Eine Uniform für Sie, Ausweise und ein Taxi werden wir bis morgen beschaffen. Gute Nacht.«

  Kaum waren David und Ari allein, als sie sich in die Arme fielen. Der Große hob den Kleinen hoch und stellte ihn wieder hin, als wäre er ein Kind. Sie musterten einander, gratulierten sich gegenseitig zu ihrem guten Aussehen und umarmten sich von neuem, »Was ist mit Jordana?« fragte David ungeduldig. »Warst du vor der Abreise bei ihr? Hat sie dir etwas für mich mitgegeben?«

  »Etwas mitgegeben?« sagte Ari und strich sich das Kinn, als müßte er überlegen. »Warte mal —.«

  »Komm, Ari — es ist Monate her, seit ich einen Brief bekommen habe —.«

  Ari seufzte und holte einen Brief aus der Tasche, den David ihm aus der Hand riß. »Ich habe ihn in einen Gummibeutel gesteckt.

  Als ich heute abend an Land schwamm, war mein einziger Gedanke, daß du mir den Kopf abreißt, wenn dein blöder Brief naß wird.«

  Doch David hörte nicht zu. Er hielt sich in dem dämmrigen Licht den Brief dicht vor die Augen und las langsam die Worte einer Frau, die Sehnsucht nach dem hatte, den sie liebte. Dann faltete er den Brief vorsichtig zusammen und verwahrte ihn sorgsam in seiner Brusttasche, um ihn später wieder und wieder zu lesen. Denn bis zum nächsten Brief konnten Monate vergehen. »Wie geht es ihr?« fragte er.

  »Ich verstehe nicht, was meine Schwester eigentlich an dir hat. Jordana? Die ist unverä
ndert. Sie ist wild und schön, und sie liebt dich sehr.« »Und meine Eltern — meine Brüder — unsere Palmach-Gruppe — was macht —.«

  »Sachte, sachte. Ich bleibe ein Weilchen hier. Immer eins nach dem andern.«

  David holte den Brief wieder heraus und las ihn noch einmal, und die beiden Männer schwiegen. Sie starrten durch die Scheiben der Balkontür auf die alte Stadtmauer jenseits der Straße. »Wie sieht es aus bei uns zu Hause?« fragte David mit leiser Stimme. »Bei uns? Wie immer. Es wird geschossen, und es fallen Bomben. Genau, wie es Tag für Tag gewesen ist, seit wir Kinder waren. Es bleibt immer dasselbe. Jedes Jahr nähern wir uns einer Krise, die mit Sicherheit das Ende bedeutet — und dann bewegen wir uns auf die nächste Krise zu, die noch bedrohlicher ist als die letzte. Nein«, sagte Ari, »bei uns zu Haus ist alles beim alten. Nur — diesmal wird es Krieg geben.« Er legte dem kleineren David, seinem Freund, die Hand auf die Schulter. »Wir alle sind verdammt stolz auf das, was du in den Internierungslagern geleistet hast.«

  »Ich habe mich bemüht, alles zu erreichen, was möglich ist, wenn man versucht, Soldaten mit Besenstielen auszubilden. Palästina ist für diese Leute unerreichbar fern. Sie haben keine Hoffnung mehr.

  — Ari, ich möchte dich bitten, kein Mißtrauen mehr gegen Mandria zu hegen. Er ist ein großartiger Mann und wirklich unser Freund.« »Ich vertrage es nun einmal nicht, David, wenn Leute meinen, sie müßten uns beschützen.«

  »Wir könnten unsere Arbeit hier nicht leisten ohne ihn und die Hilfe der Griechen.«

  »Fall bitte nicht auf die Mandrias herein, die es überall auf der Welt gibt. Sie weinen blutige Tränen über die Millionen von uns, die man umgebracht hat, doch wenn es ernst wird, dann werden wir allein sein. Mandria wird uns genauso im Stich lassen wie alle andern. Wir werden verraten und verkauft sein, wie wir es stets gewesen sind. Wir haben keinerlei Freunde außer unseren eigenen Leuten, vergiß das nicht.«

  »Und du irrst dich doch«, gab David heftig zurück.

  »David, David, David. Ich bin schon so lange beim Palmach und Mossad-Mitglied, daß ich die Jahre nicht mehr zählen mag. Du bist noch jung. Das hier ist dein erster großer Auftrag. Laß dir den Verstand nicht durch dein Gefühl verdunkeln.«

  »Ich will aber, daß das Gefühl meinen Verstand verdunkelt«, antwortete David. »Mein Inneres brennt jedesmal, wenn ich so etwas wie diese Wagenkolonne sehe. Unsere Leute, Menschen unseres Volkes, eingesperrt wie Tiere im Käfig!«

  »Wir versuchen es mit den verschiedensten Methoden«, sagte Ari, »und wir müssen dabei einen klaren Kopf behalten. Manchmal haben wir Erfolg, und manchmal mißlingt er uns. Hauptsache, daß man immer klar und nüchtern bleibt.«

  Noch immer war aus der Ferne das Geräusch der Sirenen zu hören. David zündete sich eine Zigarette an und sah einen Augenblick nachdenklich vor sich hin. »Ich darf nie den Glauben daran verlieren«, sagte er feierlich, »daß ich an dem neuen Abschnitt einer Geschichte mitschreibe, deren Anfang über viertausend Jahre zurückliegt.« Er drehte sich um und sah aufgeregt nach oben in das Gesicht des Größeren.

  »Ari, denken wir zum Beispiel an die Stelle, wo du heute abend an Land gekommen bist. Einstmals stand dort die Stadt Salamis. Und dieses Salamis war es, von wo die Erhebung ausging, deren Führer Bar Kochba war. Er vertrieb die Römer aus unserem Land und stellte das jüdische Königreich wieder her. Es gibt da in der Nähe der Internierungslager eine Brücke — die heißt die Judenbrücke. Sie heißt seit zweitausend Jahren so. An diese Dinge muß ich immer denken. Genau an derselben Stelle, an der wir einst gegen das römische Imperium gekämpft haben, kämpfen wir jetzt, zweitausend Jahre später, gegen das Britische Empire.«

  Ari Ben Kanaan, der David um Haupteslänge überragte, sah lächelnd zu dem jüngeren Mann hinunter, wie ein Vater, der milde über die allzugroße Begeisterung seines Sohnes lächelt. »Erzähl die Geschichte bis zu Ende. Nach dem Aufstand des Bar Kochba kamen die römischen Legionen in unser Land zurück, nahmen eine Stadt nach der andern ein und metzelten die Bevölkerung nieder. In der Entscheidungsschlacht von Bejtar vereinigte sich das Blut der hingemordeten Frauen und Kinder zu einem roten Strom, der eine Meile weit floß. Akiba, einem der Heerführer, wurde bei lebendigem Leibe die Haut heruntergezogen, und Bar Kochba wurde in Ketten nach Rom gebracht, um dort in der Löwengrube zu sterben. Oder war es Bar Giora, der bei einem anderen Aufstand in der Löwengrube starb? Es ist möglich, daß ich diese vielen Erhebungen durcheinanderbringe. O ja, die Bibel und unsere Geschichte sind voll von wunderbaren Erzählungen und gern geglaubten Wundern. Doch unser Heute, das ist kein Wunder, sondern Wirklichkeit. Wir haben keinen Josua, der die Sonne stillstehen und die Mauern einstürzen lassen kann. Die britischen Tanks werden nicht im Schlamm steckenbleiben wie die Wagen der Kanaaniter, und das Meer hat sich nicht über der englischen Flotte geschlossen wie damals über dem Heer des Pharao. Die Zeiten der Wunder sind vorbei, David.«

  »Nein, sie sind nicht vorbei! Allein die Tatsache unserer Existenz ist ein Wunder. Wir haben die Römer überlebt, die Griechen und sogar Hitler. Wir haben jeden überlebt, der uns unterdrücken wollte, und wir werden auch das Britische Empire überleben. Das ist ein Wunder, Ari.«

  »Also, David — das eine weiß ich jedenfalls mit Sicherheit: Wie man mit Worten streitet und recht behält, darauf verstehen wir Juden uns. Und jetzt wollen wir ein bißchen schlafen.«

  VII.

  »Sie sind am Zug, Sir«, wiederholte Fred Caldwell.

  »Ja, ja — entschuldigen Sie.« Brigadier Sutherland studierte die Stellung der Figuren und rückte einen Bauern vor. Caldwell zog den Springer, und Sutherland wehrte ab, indem er gleichfalls einen Springer zog. Der Brigadier stellte fest, daß seine Pfeife ausgegangen war, fluchte und steckte sie wieder an.

  Die beiden Männer blickten auf, als sie das leise, aber anhaltende Sirenengeheul hörten. Sutherland sah auf die Uhr an der Wand. Das mußten die illegalen Einwanderer von dem Schiff Tor der Hoffnung sein.

  »Tor der Hoffnung!« sagte Caldwell höhnisch. »Zions Zinnen, Gelobtes Land, Stern Davids — tolle Namen haben diese Blockadebrecher, das muß ich schon sagen.«

  Sutherland legte die Stirn in Falten. Er versuchte, den nächsten Zug auszuklügeln, doch die Sirenen gingen ihm nicht aus den Ohren. Er starrte auf die elfenbeinernen Schachfiguren, doch was er vor sich sah, das war eine Kolonne von Lastwagen, angstverzerrte Gesichter, Maschinengewehre, Panzerwagen. »Wenn Sie nichts dagegen haben, Caldwell, dann möchte ich mich jetzt lieber zurückziehen.«

  »Fehlt Ihnen irgend etwas, Sir?«

  »Nein«, sagte der Brigadier. »Gute Nacht.« Er ging mit raschen Schritten hinaus, machte die Tür seines Schlafzimmers hinter sich zu und lockerte seine Jacke. Das Heulen der Sirenen schien ihm unerträglich laut. Er machte hastig das Fenster zu, um das Geräusch nicht mehr hören zu müssen. Doch er hörte es noch immer.

  Bruce Sutherland stand vor dem Spiegel und fragte sich, was eigentlich mit ihm los war. Mit ihm, einem Sutherland von Sutherland-Heights. Eine weitere ruhmreiche Karriere in einer langen Reihe ruhmreicher Karrieren, einer Reihe, die weiterging und so dauerhaft war wie England.

  Doch in diesen letzten Wochen ging in Zypern irgend etwas vor sich. Etwas, das an seinen Nerven zerrte. Er stand vor dem Spiegel, sah in die schwimmenden Augen, die ihn aus dem Spiegel anblickten, und fragte sich, wo und wann das Ganze eigentlich angefangen hatte.

  Sutherland: Guter Mann für jedes Team, hieß es in den Annalen von Eton. Sehr ordentlicher Knabe, dieser Sutherland. Familie, Ausbildung, Laufbahn, alles, wie es sein soll.

  Zur Army? Das ist das Richtige, Bruce, alter Junge. Wir Sutherlands haben seit Jahrhunderten in der Army gedient, das ist echte Familientradition.

  Standesgemäße Heirat. Neddie Ashton, die Tochter von Colonel Ashton, das war ein guter Griff. Kommt aus einem guten Stall, die Neddie Ashton. Sehr geeignet als Herrin des Hauses, diese Frau. Kennt alle Leute, die man kennen muß. Sie wird dir für deine berufliche Laufbahn eine große Hilfe sein. Passen großartig zusammen, die Ashtons und die Sutherlands.

  Wo lag der Fehler? fragte sich Sutherland. Neddie hatte ihm
zwei prächtige Kinder geschenkt. Albert war ein echter Sutherland, schon Captain in dem alten Regiment seines Vaters, und Martha hatte eine hervorragende Partie gemacht.

  Bruce Sutherland nahm seinen Pyjama aus dem Schrank und zog ihn an. Er strich über den leichten Fettansatz in der Taillengegend. Gar nicht so schlecht für einen Mann von fünfundfünfzig.

  Sutherland hatte im zweiten Weltkrieg eine rasche Karriere gemacht, verglichen mit dem langsamen und mühsamen Avancement in Friedenszeiten. Er war in Indien gewesen, in Hongkong, in Singapur und im Nahen Osten. Doch erst im Krieg hatte sich gezeigt, aus welchem Holz er geschnitzt war. Er erwies sich als ein ungewöhnlich befähigter Infanterie-Kommandeur. Bei Kriegsende war er Brigadier.

  Sutherland zog seine Hausschuhe an, ließ sich langsam in einen Sessel sinken, schirmte das Licht ab — und die Gedanken an die Vergangenheit stiegen in ihm auf.

  Neddie war ihm immer eine gute Frau gewesen. Sie war eine gute Mutter, eine hervorragende Gastgeberin, und sie war genau die richtige Frau für einen Offizier in den Kolonien. Er war sehr vom Glück begünstigt gewesen. Wann war der Riß in ihrer Ehe entstanden? Doch, er erinnerte sich genau. Das war in Singapur, vor vielen Jahren.

 

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