Exodus
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Und jetzt empfand sie wieder Angst. Sie hörte nicht, wie die Kinder hinten auf dem Wagen sangen, und bemerkte auch nicht, wie Karen sich bemühte, ruhig zu bleiben. Sie war wie betäubt vor Angst.
Eine Stunde verging, eine zweite und eine dritte. Die Nervenanspannung hatte Kitty an den Rand ihrer Kräfte gebracht. Sie legte den Kopf auf Karens Schulter und schloß die Augen.
Auf den Straßen war viel britisches Militär unterwegs. Kurz hinter Kfar Masaryk wurde ihr Wagen von einer Straßenkontrolle angehalten.
»Das sind Kinder aus Gan Dafna«, sagte Mussa. »Sie fahren zu einer Hochzeit, die morgen bei uns in Daliyat gefeiert wird.«
»Alle aussteigen«, befahlen die Engländer.
Der Wagen wurde gründlich durchsucht. Sämtliche Schlafrollen der Kinder wurden aufgemacht, zwei davon mit Messern aufgeschlitzt. Die Unterseite des Wagens wurde inspiziert und der Mantel des Ersatzreifens abmontiert. Die Engländer sahen unter die Motorhaube und machten bei den Kindern Leibesvisitation. Die Kontrolle dauerte fast eine Stunde.
Am Fuße des Karmelberges wurden sie ein zweites Mal kontrolliert. Kitty war völlig erschöpft, als Mussa endlich die Straße zum Karmelberg hinauffuhr.
»Alle Dörfer der Drusen liegen sehr hoch«, sagte Mussa. »Wir sind eine kleine Minderheit und müssen uns verteidigen. Aber jetzt dauert es nur noch ein paar Minuten, dann sind wir in Daliyat.«
Kitty nahm sich zusammen, als sie den Ort erreichten und langsam durch die engen Straßen fuhren.
Daliyat el Karmil schien wirklich auf dem Dach der Welt zu liegen. Die Häuser waren blendend weiß und die Straßen musterhaft sauber, sehr im Gegensatz zu dem verdreckten und verkommenen Zustand der meisten Araberdörfer. Die Männer trugen fast alle Schnurrbärte und westliche Kleidung. Ihre Kopfbedeckung unterschied sich von der der anderen Araber. Der auffälligste Unterschied aber war ihre würdevolle Haltung und ihre stolze Miene, die deutlich zu erkennen gab, daß diese Männer zu kämpfen wußten. Die Frauen waren auffallend hübsch, die Kinder kräftig und munter.
Der Ort wimmelte von Hochzeitsgästen. Zu Hunderten waren sie aus allen anderen Drusendörfern des Karmelberges gekommen. Außerdem waren Juden aus dem Kibbuz Yagur, sogar aus Haifa herbeigereist.
Der Wagen fuhr langsam an dem Gemeindehaus vorbei, wo die männlichen Gäste Schlange standen, um dem Bräutigam zu gratulieren und die Dorfältesten zu begrüßen. Auf einer Veranda neben dem Gemeindehaus stand eine fünfundzwanzig Meter lange Tafel, beladen mit Obst, Reis und Lämmerfleisch, mit Wein, Schnaps und gefüllten Kürbissen. In einem unablässigen Strom bewegten sich die Frauen auf die Veranda zu und balancierten Schüsseln mit Speisen für die Festtafel auf ihren Köpfen.
Ein Stück hinter dem Gemeindehaus hielt Mussa an. Einige Dorfbewohner kamen heran, um die Kinder zu begrüßen. Die Kinder stiegen aus und marschierten mit ihren Schlafrollen zu ihrem Campingplatz, um ihre Zelte aufzuschlagen und dann zurückzukehren, um an den Festlichkeiten teilzunehmen.
Mussa bog von der Hauptstraße in eine schmale Nebenstraße ab, die einen steilen Abhang hinunterführte. Er schaltete den ersten Gang ein und bremste. Die drei stiegen rasch aus. Kitty nahm ihren kleinen Kasten für Erste Hilfe und ging hinter Mussa her. Beim letzten Haus des Dorfes blieben sie stehen. Es wurde von einer kleinen Gruppe bewaffneter Drusen scharf bewacht.
Mussa machte die Tür auf. Kitty holte tief Luft und trat ein. Im Haus standen vor einer Zimmertür zwei weitere Wachtposten. Kitty drehte sich zu Karen um.
»Bleib hier draußen. Ich rufe dich, wenn ich dich brauche. Mussa, kommen Sie bitte mit herein.«
In dem Schlafzimmer war es dunkel, und die Luft war kühl. Kitty hörte ein Stöhnen. Sie ging rasch zum Fenster und stieß die Fensterladen auf.
Ari lag auf einem Doppelbett. Seine Hände hielten zwei der Messingstäbe des Kopfendes umklammert, während er sich vor Schmerzen wand. Kitty schlug die Bettdecke zurück. Seine Hosen und das Bettuch waren dunkel von Blut.
»Helfen Sie mir, ihm die Hosen auszuziehen«, sagte Kitty. Mussa sah sie erstaunt an.
»Schon gut«, sagte sie. »Dann stören sie mich wenigstens nicht. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich Sie brauche.«
Vorsichtig schnitt sie den Stoff der Hosenbeine auf. Aris Puls war verhältnismäßig kräftig und regelmäßig. Sie verglich die beiden Beine. Das verwundete Bein sah nicht auffällig geschwollen aus, und Ari schien auch keinen allzu heftigen Blutverlust gehabt zu haben. Kitty war erleichtert; sie wußte jetzt, daß er sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befand. Rasch und energisch ging sie an die Arbeit.
»Mussa — bringen Sie mir Seife und Wasser und ein paar saubere Handtücher. Ich möchte mir die Wunde etwas genauer ansehen.«
Sie wusch sich die Hände und säuberte behutsam die Umgebung der Wunde. Der Oberschenkel war verfärbt, und aus der geschwollenen Einschußstelle sickerte Blut.
Aris Lider zuckten, und er schlug kurz die Augen auf. »Kitty?«
»Ja, ich bin da.«
»Gott sei Dank.«
»Was haben Sie bisher damit gemacht, Ari?«
»Ich habe gestern Sulfonamid drauf getan. Ich hatte mir einen Druckverband gemacht, aber es schien nicht sonderlich stark zu bluten.«
»Ich möchte die Wunde untersuchen. Aber es wird weh tun.«
»Bitte, tun Sie es.«
Er stöhnte, als sie die Umgebung des Einschusses abtastete. Der kalte Schweiß brach ihm aus. Er umklammerte die Messingstäbe und rüttelte daran. Kitty hörte rasch mit ihrer Untersuchung auf. Ari zitterte minutenlang. Sie wischte ihm mit einem feuchen Tuch das Gesicht ab.
»Können Sie mit mir reden, Ari?«
»Es vergeht wieder«, sagte er. »Es kommt und geht, wie in Wellen. Ich stelle mich ganz schön an mit so einem läppischen Schuß ins Bein. Aber was ist da bloß los?«
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Geschosse benehmen sich manchmal sonderbar. Man kann nie wissen, welchen Weg sie nehmen. Puls und Atmung sind gut bei Ihnen. Ihr Bein ist nicht geschwollen, mit Ausnahme der unmittelbaren Umgebung des Einschusses.«
»Und was bedeutet das?«
»Ich würde sagen, es bedeutet, daß Sie keine innere Blutung gehabt haben. Das Geschoß hat also keine große Schlagader getroffen. Ich kann auch nichts von irgendeiner Infektion erkennen. Ich glaube, daß Sie großes Glück hatten, wobei mir allerdings nicht gefällt, daß Sie solche Schmerzen haben.«
»Ich bin alle paar Stunden ohnmächtig geworden«, sagte er.
»Beißen Sie die Zähne zusammen. Ich möchte die Stelle noch einmal abtasten.«
Ari biß die Zähne zusammen, doch er konnte die Untersuchung nur einige Sekunden lang aushalten. Er schrie laut auf, kam mit einem Ruck im Bett hoch und fiel dann ächzend zurück.
»Dieses verdammte Ding bringt mich noch um!«
Er krallte die Hände in das Laken und drehte den Kopf zur Seite. Zehn Minuten lang wurde er von krampfartigen Schmerzen geschüttelt. Dann verebbte der Anfall, und er sank schlaff zurück. »Kitty«, sagte er, »was kann das bloß sein? Herrgott noch mal, ich kann das nicht mehr lange aushallen.«
»Konnten Sie noch laufen, nachdem Sie getroffen waren?«
»Ja — was kann das bloß sein, Kitty? Warum tut denn das so verdammt weh?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Arzt. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was es ist. Möglicherweise irre ich mich auch völlig.«
»Sagen Sie mir, was es Ihrer Meinung nach ist«, sagte er ächzend. »Also, ich vermute folgendes: Das Geschoß ist von der Außenseite her in Ihren Oberschenkel eingedrungen und auf den Knochen aufgeschlagen. Es hat ihn nicht durchgeschlagen, denn dann hätten Sie nicht mehr laufen können. Und es ist auch nicht durchgeschlagen bis zur Innenseite des Schenkels, denn dann hätte es sehr wahrscheinlich eine Schlagader getroffen.«
»Sondern?«
»Ich vermute, daß der Knochen angebrochen oder gesplittert ist. Das ist einer der Gründe, weshalb Sie solche Schmerzen haben. Ich nehme weiter an, daß das Geschoß vom Knochen abgeprallt ist, zurück nach außen. Dabei ist es möglicherweise im Fleisch so steckengeblieben, daß es auf einen Nerv d
rückt.«
»Und was nun?«
»Es muß heraus. Sonst bringt Sie der Schmerz entweder um, oder das Bein wird gelähmt. Eine Fahrt ins Tal hinunter können Sie nicht wagen. Dabei kann alles mögliche passieren — eine Blutung, oder weiß Gott was. Wir müssen einen Arzt herholen, und zwar schnell — sonst wird es Ihnen sehr schlecht gehen.«
Ari blickte zu Mussa hinüber. Kitty sah sich um, sah den Drusen an und richtete den Blick dann rasch wieder auf Ari.
»Überall in Galiläa halten sich Leute verborgen, die bei dem Unternehmen gestern verwundet worden sind«, sagte Mussa. »Im Augenblick wird jeder jüdische Arzt in Palästina überwacht. Wenn ich einen Arzt für Ari hier heraufzubringen versuche, dann ist mit Sicherheit damit zu rechnen, daß er beschattet wird.«
Kitty stand auf und zündete sich eine Zigarette an. »Dann kann ich Ihnen nur den Rat geben, den Engländern mitzuteilen, wo Sie sind, und zu veranlassen, daß Sie sofort in ärztliche Behandlung kommen.«
Ari gab Mussa einen Wink, und der Araber verließ den Raum. »Kitty«, rief er.
Sie ging an sein Bett. Er streckte den Arm aus und nahm ihre Hand. »Die Engländer hängen mich auf, wenn sie mich kriegen. Es liegt bei Ihnen.«
Kittys Kehle schnürte sich zusammen. Sie entzog ihm ihre Hand, entfernte sich von dem Bett, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
Ari war jetzt ganz ruhig und hielt den Blick auf sie gerichtet.
»Ich kann nicht«, sagte sie. »Ich bin kein Arzt.«
»Sie müssen.«
»Ich habe hier nichts von alldem, was man dazu braucht.«
»Sie müssen es tun.«
»Ich kann nicht — ich kann es nicht. Verstehen Sie denn nicht — Sie würden derartige Schmerzen dabei haben — Sie könnten möglicherweise einen Kollaps bekommen — Ari — ich wage es einfach nicht.«
Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken. Sie dachte daran, daß Ari bei dem Überfall auf das Gefängnis die Führung gehabt hatte, und wußte, was er zu erwarten hatte, falls ihn die Engländer fanden. Sie wußte, daß sie seine einzige Hoffnung war; wenn sie jetzt nicht handelte, bedeutete es, daß sie ihn zum Tode verurteilte. Sie gab sich einen Ruck und stand auf. Auf der Kommode stand eine Flasche Cognak. Sie nahm sie und ging damit zu Ari. »Da, trinken Sie das. Und wenn diese Flasche leer ist, bekommen Sie noch eine. Betrinken Sie sich — lassen Sie sich so vollaufen, wie Sie nur können, denn ich werde Ihnen höllisch weh tun müssen.«
»Danke, Kitty.«
Sie ging rasch an die Tür, machte sie auf und rief: »Mussa!«
»Ja!«
»Wo können wir ein paar Medikamente bekommen?«
»Im Kibbuz Yagur.«
»Wie lange braucht ein Mann, um dorthin und wieder zurückzukommen?«
»Hinzukommen ist kein Problem. Aber zurück — er darf keine Straßen benutzen, kann also nicht mit dem Wagen fahren. Zu Fuß dauert der Weg hier in diesen Bergen viele Stunden — vielleicht ist er nicht einmal bis zum späten Abend zurück.«
»Ich schreibe Ihnen eine Liste der Dinge auf, die ich brauchen werde. Schicken Sie so rasch wie möglich einen Mann zu diesem Kibbuz.«
Kitty überlegte. Vielleicht würde der Bote erst spät am Abend zurückkehren, vielleicht sogar überhaupt nicht. Die Krankenstation eines Kibbuz mochte vielleicht über schmerzstillende Mittel verfügen, aber sicher war es nicht. Jedenfalls konnte sie nicht riskieren, noch länger zu warten. Sie schrieb auf, daß sie zwei Liter Plasma brauchte, Penicillin, Morphium, Verbandzeug, ein Thermometer und einige weitere Instrumente. Mussa schickte einen der Wachtposten mit der Liste nach Yagur.
»Karen, du wirst mir helfen müssen, aber es wird eine ziemlich harte Sache werden.«
»Das macht mir nichts.«
»Bist ein braves Mädchen. Sagen Sie, Mussa, habt ihr hier bei euch irgend etwas an Verbandmaterial?«
»Ein bißchen was, aber nicht viel.«
»Macht nichts. Zusammen mit dem, was ich mitgebracht habe, wird es eben reichen müssen. Haben Sie eine Taschenlampe — und — vielleicht ein paar Rasierklingen, oder ein kleines, sehr scharfes Messer?«
»Ja, das kann ich beschaffen.«
»Wunderbar. Ich möchte, daß die Rasierklingen und das Messer eine halbe Stunde lang ausgekocht werden.«
Mussa wandte sich an seine Leute und gab den Auftrag weiter.
»Und jetzt legt ein paar Decken auf den Fußboden. Das Bett federt zu sehr. Er muß auf einer festen Unterlage liegen. Und du, Karen, nimmst diese blutigen Laken ab, wenn wir ihn auf den Fußboden legen, und beziehst das Bett frisch. Mussa, besorgen Sie ihr ein paar saubere Laken.«
»Sonst noch etwas?« fragte Mussa.
»Ja. Wir werden sechs oder acht Männer brauchen, die ihn aus dem Bett heben und festhalten.«
Alles wurde vorbereitet. Auf dem Fußboden wurden Decken ausgebreitet. Ari trank einen Cognak nach dem anderen. Vier von den Drusen hoben ihn so vorsichtig wie möglich vom Bett und legten ihn auf den Fußboden. Karen nahm rasch die blutigen Laken ab und bezog das Bett frisch. Die Rasierklingen und das Messer wurden hereingebracht. Kitty wusch sich gründlich die Hände, säuberte die Umgebung des Einschusses und pinselte die Stelle mit Jod ein. Sie wartete, bis Ari so viel Cognak getrunken hatte, daß er nur noch lallte. Dann legte sie ihm ein Kissen unter den Kopf und steckte ihm ein Taschentuch in den Mund, auf das er beißen sollte. »Ich bin bereit«, sagte sie. »Haltet ihn fest — wir wollen anfangen.« Ein Mann hielt Aris Kopf, je zwei hielten seine beiden Arme, zwei hielten das heile und einer hielt das verwundete Bein. Die acht Drusen drückten Ari fest auf den Fußboden. Karen stand dabei und hielt die Taschenlampe, den Cognak, und die spärlichen Hilfsmittel, die zur Verfügung standen, griffbereit. Kitty ließ sich auf die Knie nieder und beugte sich über die Wunde. Karen richtete den Schein der Taschenlampe darauf.
Kitty nahm eine Rasierklinge in die Finger der rechten Hand und gab den Männern einen Wink, sich bereit zu machen. Sie drückte die Klinge gegen den Schenkel, zielte, zog die Klinge mit einer raschen, kräftigen Bewegung tief durch das Fleisch und machte über dem Einschuß einen Schnitt von fünf Zentimeter Länge. Ari flog am ganzen Körper. Schleim strömte aus seiner Nase, und der Schmerz trieb ihm das Wasser aus den Augen. Die Männer hatten Mühe, ihn festzuhalten.
Karen sah, wie das Blut aus Kittys Lippen wich und wie sie die Augen verdrehte. Sie packte Kittys Haar, zog ihr Gesicht hoch und goß ihr einen Schluck Cognak in den Mund. Kitty würgte einen Augenblick, dann faßte sie sich und nahm einen zweiten Schluck. Ari fiel in eine wohltätige Ohnmacht.
Karen richtete erneut den Schein der Taschenlampe auf den Einschnitt. Kitty hielt mit der linken Hand die Ränder des Einschnittes auseinander, faßte mit Daumen und Mittelfinger der rechten Hand in die Öffnung und suchte im Fleisch nach dem Geschoß. Ihr Fingernagel traf gegen etwas Hartes. Mit letzter Anstrengung faßte sie das Geschoß und zog es heraus.
Sie saß auf dem Fußboden, hielt das Geschoß in die Höhe, sah es an und fing zu lachen an. Dann begann Kitty halb hysterisch zu schluchzen.
»Mussa«, sagte Karen, »legt ihn rasch wieder auf das Bett. Paßt auf, daß nichts in die Wunde kommt.« Karen half Kitty aufzustehen und führte sie zu einem Stuhl. Kitty sank in den Stuhl. Karen nahm ihr das Geschoß, das sie immer noch krampfhaft festhielt, aus der Hand und wischte ihr mit einem feuchten Tuch das Blut von den Händen. Dann ging sie zu Ari, streute Sulfonamid auf die Wunde und legte einen lockeren Verband darüber. Sie wusch ihn mit einem Schwamm ab. Kitty saß noch immer zusammengesunken auf ihrem Stuhl und schluchzte.
Karen schickte alle Männer aus dem Raum, schenkte für Kitty noch einen Cognak ein, und ging gleichfalls hinaus.
Kitty trank das Glas leer, dann stand sie auf und ging zu Ari. Sie fühlte seinen Puls, zog seine Augenlider hoch und prüfte seine Gesichtsfarbe. Ja, er würde durchkommen.
Sie legte den Kopf auf seine Brust. »Ari — Ari — Ari —«, flüsterte sie schluchzend.
XVIII.
Aris heftige Schmerzen ließen nicht nach. Die angeforderten Medikamente kamen nicht. Kitty konnte ihn
keinen Augenblick aus den Augen lassen. Mehrmals mußte sie Mussa bitten, Männer hereinzuschicken, um Ari, der sich im Bett herumwarf, festzuhalten, damit er die offene Wunde nicht gefährde.
Oben im Dorf ging das Tanzen, Singen und Feiern weiter. Die Braut, die sich den ganzen Tag über verborgen gehalten hatte, wurde aus ihrem Versteck herausgebracht. Der Bräutigam, in Hut und Zylinder, bestieg ein Pferd und ritt zu seiner Braut, durch eine mit Blumen bestreute Gasse, in der Drusen mit Gewehren Spalier bildeten.
Karen blieb die ganze Zeit in dem Vorraum. Mehrmals im Verlauf der langen Nacht kam sie herein, um Kitty für kurze Zeit abzulösen. Am Morgen waren beide durch den Mangel an Schlaf und die anhaltende Spannung erschöpft. Die Medikamente waren noch immer nicht angekommen.
»Es ist wohl das beste, Sie bringen die Kinder wieder nach Gan Dafna zurück«, sagte Kitty zu Mussa. »Gibt es außer Ihnen hier noch jemanden, der Englisch spricht?«
»Ja, ich werde ihm Bescheid sagen, daß er hier bei Ihnen bleibt.«
»Gut. Können Sie noch ein Bett hier aufstellen, eine Couch oder irgend etwas, worauf ich liegen kann? Ich werde einige Zeit in seiner unmittelbaren Nähe bleiben müssen.«
»Das werde ich veranlassen.«
Kitty ging nach nebenan, wo Karen auf einer Bank eingeschlafen war. Sie streichelte sanft ihre Wange. Karen richtete sich auf und rieb sich die Augen. »Alles in Ordnung?«
»Nein — er hat sehr große Schmerzen. Ich möchte, daß du heute vormittag wieder mit den Kindern zurückfährst.«
»Aber, Kitty —.«
»Keine Widerrede. Sage Dr. Liebermann, ich müßte hierbleiben, bis er außer Gefahr ist.«
»Aber wir sollten doch übermorgen abreisen.«
Kitty schüttelte den Kopf. »Sag dem Reisebüro Bescheid, daß wir nicht fliegen. Wir können später neue Flugkarten bestellen. Ich muß so lange hierbleiben, bis jemand herkommen kann, der die Pflege übernimmt. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird.«