Exodus
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»Danke, Ari. Aber wird dir das möglich sein?«
»Sicher — sobald dieses verdammte Bein aufhört, wehzutun. Versteh mich recht, David — ich lasse dich nicht gern weg.«
»Ich bleibe hier, bis dein Bein wieder in Ordnung ist.«
»Danke. Übrigens, wann warst du das letztemal bei Jordana?«
»Das ist schon ein paar Wochen her.«
»Warum gehst du dann nicht morgen nach Gan Dafna, um die Verteidigungsanlagen zu inspizieren? Bleib ein paar Tage dort und sieh dir alles gründlich an.«
David lächelte. »Du hast eine sehr nette Art, einen zu etwas zu überreden.«
Es klopfte an der Tür zu Kittys Büro.
»Herein«, sagte sie.
Jordana bat Kanaan trat ein. »Ich hätte gern etwas mit Ihnen besprechen, Mrs. Fremont, falls Sie einen Augenblick Zeit haben.« »Bitte.«
»David ben Ami wird heute vormittag hierherkommen und die Verteidigungsanlagen inspizieren. Wir wollen anschließend eine Besprechung aller Angehörigen des Stabes durchführen.«
»Ich werde erscheinen«, sagte Kitty.
»Mrs. Fremont — ich wollte gern vorher mit Ihnen sprechen. Sie wissen ja, daß ich hier der militärische Befehlshaber bin, und Sie und ich werden in Zukunft eng zusammenarbeiten müssen. Ich möchte Ihnen gern sagen, daß ich volles Vertrauen zu Ihnen habe. Ich betrachte es sogar als einen ausgesprochenen Vorteil für Gan Dafna, daß Sie hier sind.«
Kitty sah Jordana erstaunt und neugierig an.
»Ich glaube«, fuhr Jordana fort, »daß es für die Moral unserer Gemeinschaft gut wäre, wenn wir unsere persönlichen Gefühle beiseite legten.«
»Ich glaube, da haben Sie recht.«
»Gut. Ich freue mich, daß wir uns in diesem Punkte einig sind.« »Sagen Sie bitte, Jordana — wie sieht es eigentlich mit unserer Lage hier aus?«
»Eine unmittelbare Gefahr besteht für Gan Dafna kaum. Natürlich wird es für uns alle eine wesentliche Beruhigung sein, wenn Fort Esther an die Hagana übergeben wird.«
»Aber nehmen wir einmal an, es geht irgend etwas schief und die Araber bekommen Fort Esther. Was dann? Und — nehmen wir einmal an, die Straße durch Abu Yesha wird gesperrt.«
»Dann werden die Aussichten sehr unangenehm.«
Kitty stand auf und ging langsam durch den Raum. »Bitte verstehen Sie mich recht. Ich möchte mich nicht in militärische Dinge einmischen, aber wenn man die Sache realistisch betrachtet — könnte es doch sein, daß wir hier belagert werden.«
»Diese Möglichkeit besteht«, sagte Jordana.
»Wir haben hier viele Babys. Könnten wir diese Babys und einige der kleineren Kinder nicht evakuieren?«
»Wohin sollten wir sie evakuieren?«
»Das weiß ich nicht. In eine Siedlung, die sicherer ist.«
»Ich weiß es auch nicht, Mrs. Fremont. Palästina ist weniger als fünfzig Meilen breit. Es gibt keine Siedlung, die ,sicher' wäre. Mit jedem Tag fallen weitere Siedlungen unter Belagerungszustand.« »Dann könnten wir sie vielleicht in eine Stadt bringen.«
»Jerusalem ist fast gänzlich abgeschnitten. In Haifa und zwischen Tel Aviv und Jaffa sind die Kämpfe erbitterter als irgendwo sonst in Palästina.«
»Dann gibt es also keinen Ort, an den man die Kinder bringen könnte?«
Jordana antwortete nicht. Sie brauchte nicht zu antworten.
III.
Weihnachtsabend. Weihnachten 1947. Die Erde war schlammig und die Luft war frisch und kalt. Kitty ging rasch über den Rasen auf ihre Hütte zu. Ihr Atem bildete kleine Wolken in der Luft.
»Schalom, Giweret Kitty«, rief Dr. Liebermann.
»Schalom, Doktor.« Sie lief rasch die Stufen hinauf und ins Haus, wo es warm war und Karen mit einem heißen Tee auf sie wartete.
»Brrr«, sagte Kitty, »es ist kalt draußen.«
Der Raum war festlich. Karen hatte ihn phantasievoll mit Tannenzapfen und mit bunten Bändern ausgeschmückt. Man hatte ihr sogar erlaubt, einen der sorgsam gehüteten kleinen Bäume zu schlagen, den sie mit bunten Papierketten dekoriert hatte.
Kitty setzte sich auf das Bett, streifte ihre Schuhe ab und zog pelzgefütterte Hausschuhe an. Der Tee schmeckte wunderbar.
Karen stand am Fenster.
»Ich habe den ganzen Tag an Kopenhagen und die Hansens denken müssen. Weihnachten in Dänemark ist etwas Wunderbares. Hast du das Paket gesehen, das sie mir geschickt haben?«
Kitty ging zu Karen, legte den Arm um ihre Schulter und gab ihr einen Kuß auf die Backe. »Weihnachten macht die Leute wehmütig.«
»Fühlst du dich sehr einsam, Kitty?«
»Seit dem Tod von Tom und Sandra war Weihnachten für mich immer etwas, woran ich am liebsten gar nicht denken wollte — bis jetzt.«
Karen warf die Arme um Kitty und drückte sich an sie. Dann sah sie auf ihre Uhr und seufzte. »Ich muß gleich essen. Ich habe heute abend Wache.«
»Zieh dich recht warm an. Es ist kalt draußen. Ich muß noch einige Krankenberichte bearbeiten und werde aufbleiben, bis du zurückkommst.«
Karen zog sich warme Sachen an. Kitty band Karens Haare zu einem Knoten zusammen und zog ihr die strumpfartige braune Palmachmütze so über den Kopf, daß sie die Ohren bedeckte. Auf einmal waren draußen singende Kinder zu hören.
»Was um alles in der Welt ist denn das?« fragte Kitty.
»Das ist für dich«, sagte Karen lächelnd. »Sie haben seit zwei Wochen heimlich geübt.«
Kitty ging ans Fenster. Draußen standen fünfzig ihrer Kinder. Sie hielten brennende Kerzen in den Händen und sangen ein Weihnachtslied.
Kitty zog ihren Mantel an und ging zusammen mit Karen hinaus an die Gartenpforte. Hinter den Kindern konnte sie die Lichter aus den Häusern der Siedlungen sehen, die sechshundert Meter tiefer unten im Tal lagen. Sie konnte die Worte des Weihnachtsliedes nicht verstehen, doch die Melodie kam ihr bekannt vor; es war ein sehr altes Lied.
»Frohe Weihnachten, Kitty«, sagte Karen.
Kitty rollten die Tränen über die Wangen. »Ich hätte mir nie träumen lassen, einmal , Stille Nacht' in hebräischer Sprache zu hören. Es ist das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich jemals bekommen habe.«
Karen hatte Wache in einem der Gräben außerhalb von Gan Dafna. Sie ging zum Dorfausgang hinaus und die Straße entlang zu einer Stelle, wo man von den Verteidigungsanlagen aus einen Blick auf das Tal hatte.
»Halt!«
Sie blieb stehen.
»Wer da?«
»Karen Clement.«
»Parole?«
»Chag sameach.«
Karen löste den Wachtposten ab, sprang hinunter in den Graben, schob einen Patronenstreifen in die Kammer des Gewehrs, lud durch, sicherte, und zog sich ihre Fäustlinge an.
Es war schön, auf Wache zu stehen, dachte Karen. Sie sah durch den Stacheldraht nach Abu Yesha. Es war schön, hier draußen allein zu sein und vier Stunden lang nichts anderes zu tun zu haben, als in das Hule-Tal hinunterzusehen und seinen Gedanken nachzuhängen. Durch die stille Winterluft drangen leise die Stimmen der Kinder, die vor Kittys Bungalow sangen. Es war Weihnachten, ein ganz besonders schönes Weihnachten.
Danach verstummte der Gesang, und ringsum war tiefe Stille.
Karen hörte, wie sich in den Bäumen hinter ihr etwas bewegte. Sie drehte sich leise um und spähte durch die Dunkelheit. Da bewegte sich doch etwas. Sie erstarrte und hielt angespannt Ausschau. Ja, da zwischen den Bäumen bewegte sich ein dunkler Schatten — vielleicht ein hungriger Schakal, dachte sie.
Sie entsicherte ihr Gewehr, hob es an die Schulter und sah über Kimme und Korn. Der dunkle Schatten kam näher.
»Halt!« rief sie laut.
Die undeutliche Gestalt blieb stehen.
»Parole?«
»Karen!« rief eine Stimme.
»Dov!«
Sie kletterte aus dem Graben heraus und lief auf ihn zu, und er lief ihr entgegen, und sie fielen sich in die Arme.
»Dov! Bist du es wirklich? Ich kann es kaum glauben.«
Sie sprangen beide in den Graben hinunter und Karen versuchte, sein Gesicht in der Dunkelheit zu erkennen.
»Dov, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll —.«
»Ich bin vor einer Stunde gekommen«, sagte er. »Ich habe draußen vor eurem Haus gewartet, bis du herauskamst und auf Wache gingst. Dann bin ich dir nachgegangen.«
Karen sah sich erschreckt um. »Du bist hier in Gefahr! Du mußt dich vorsehen, daß die Engländer dich nicht erwischen!«
»Nein, Karen, das ist jetzt schon in Ordnung. Die Engländer können mir nichts mehr anhaben.«
Sie streckte die Hand nach ihm aus, und ihre Finger zitterten.
»Dir ist kalt, Dov. Du hast nicht mal einen Pullover an. Du mußt doch frieren.«
»Nein, nein — ich friere nicht.«
Plötzlich kam der Mond hinter einer Wolke hervor, und sie konnten einander sehen.
»Ich habe mich in den Höhlen außerhalb von Hamischmar versteckt gehalten.«
»Ich weiß.«
»Ich — ich dachte, du wärst in Amerika.«
»Wir konnten nicht weg.«
»Du wunderst dich wahrscheinlich, was ich hier will. Karen, ich — ich möchte gern nach Gan Dafna zurück. Als ich damals fortging, habe ich ein paar Uhren und Ringe mitgenommen, und man hält mich hier vielleicht für einen Dieb.«
»Aber nein, Dov. Hauptsache, du lebst und bist in Sicherheit, alles andere ist ganz unwichtig.« »Weißt du, ich — ich werde alles zurückzahlen.«
»Das ist ganz unwichtig. Niemand ist dir böse.«
Dov senkte den Kopf. »Die ganze Zeit, als ich im Gefängnis war, und später, als ich mich dann tagelang oben in den Berghöhlen verborgen hielt, habe ich immer darüber nachdenken müssen. Dov, habe ich mir gesagt, kein Mensch ist wütend auf dich. Es ist einzig und allein Dov, der wütend ist — wütend auf sich selbst. Als du mich im Gefängnis besucht hattest, da sagte ich mir — ich sagte mir, daß ich nicht mehr sterben, daß ich am Leben bleiben wollte. Ich wollte nicht mehr sterben, und ich wollte auch niemanden mehr töten.«
»Oh, Dov —.«
»Karen, ich — ich habe nie ein anderes Mädchen gehabt. Ich hab' das nur so gesagt, damit du nach Amerika fährst.«
»Ich weiß.«
»Hast du das wirklich die ganze Zeit gewußt?«
»Ich wollte es gern glauben, Dov, weil ich glauben wollte, daß du mich gern hast.«
»Karen — ich wollte nach Gan Dafna zurückkommen, und ich wollte erreichen, daß du auf mich stolz sein kannst. Ich wollte es, obwohl ich dachte, du seist gar nicht mehr da.«
Karen sah zu Boden.
»Für dich tue ich alles«, sagte er leise.
Sie hob den Arm und berührte seine Wange mit ihrer Hand.
»Dov, du bist so kalt. Bitte, geh zu unserem Bungalow. Du kannst mit Kitty über alles reden. Sie weiß Bescheid über uns. Und sobald meine Wache zu Ende ist, gehen wir zusammen zu Dr. Liebermann. Aber sei vorsichtig. Die Parole ist: Frohes Fest.«
»Karen — ich habe die ganze Zeit so viel an dich denken müssen. Ich will nie wieder etwas tun, was nicht richtig ist oder was dir wehtun könnte.«
»Das weiß ich.«
»Darf ich dir einen Kuß geben?«
»Ja.«
Ihre Lippen berührten sich flüchtig, suchend und scheu. »Ich liebe dich, Karen«, sagte Dov. Dann stieg er aus dem Graben und lief rasch davon, auf die Häuser von Gan Dafna zu.
»Internationales Recht«, sagte Barak ben Kanaan ärgerlich zu dem Delegierten der Vereinigten Staaten, »das ist das, was der Übeltäter mißachtet, während der Rechtschaffene ablehnt, es mit Gewalt durchzusetzen.«
Doch durch Reden, und waren die Worte selbst noch so gut gewählt, ließ sich nicht mehr viel ausrichten. Sollten die Juden am 15. Mai ihre Unabhängigkeit ausrufen, dann hatten sie es allein mit sieben arabischen Armeen aufzunehmen. Kawukys irreguläre Truppen und die Araber von Palästina unter der militärischen Führung von Safwat und Kader steigerten ihre Aktivität.
Das Jahr 1948 brach an — das Jahr der Entscheidung.
Im Verlauf der ersten Monate des neuen Jahres wurden die Araber immer dreister, und ihre Überfälle nahmen in dem Maße zu, wie die Engländer ihren riesigen militärischen Apparat immer weiter abbauten und eine Stellung nach der anderen räumten.
GALILÄA
Irreguläre belagerten den hoch in den Bergen an der libanesischen Grenze gelegenen Kibbuz Manara. Ein halbes Dutzend anderer isolierter jüdischer Siedlungen war abgeschnitten. Die Araber unternahmen fünf heftige Angriffe auf Ejn Zejtim — die Quelle der Oliven —, aber jeder dieser Angriffe wurde zurückgewiesen.
Sie überschritten die Grenze nach Palästina und wandten sich gegen die nördlichsten Vorpostenstellungen der Juden, den Kibbuz Dan und Kfar Szold. Major Hawks, der britische Kommandant, griff jedoch sofort mit seinen Truppen ein und half den Juden, die Syrer wieder über die Grenze zurückzuwerfen.
Araber aus Ata, von syrischen Grenzbewohnern und Irregulären unterstützt, griffen Lachawot Habaschan an. Ramat Naftali, nach einem der Stämme des alten Israel benannt, wurde überfallen. In Safed nahm die arabische Aktivität zu, und es war klar, daß die Araber nur darauf warteten, bis sich Major Hawks zurückzog. Die Blockade gegen die Juden wurde drückend, als Lebensmittel und Wasser in der Stadt der Kabbalisten knapp wurden. Geleitzüge in das jüdische Viertel kamen nur durch, wenn die Engländer behilflich waren.
HAIFA
Diese Hafenstadt als Schlüsselstellung für Palästina war ein von beiden Seiten begehrtes Objekt. Noch befanden sich die Hafenanlagen in den Händen der Engländer, weil sie für ihren Rückzug unentbehrlich waren. In Haifa besaßen die Juden auf dem Berg Karmel, oberhalb des arabischen Bezirks, eine ihrer wenigen überlegenen Positionen. Der sehr araberfreundliche englische Kommandant zwang die Juden jedoch, strategisch wichtige Punkte, die sie erobert hatten, wieder zu räumen.
Die Makkabäer rollten daraufhin mit Sprengstoff gefüllte Fässer die Hügel hinunter in das arabische Gebiet. Gleichzeitig gelang es den Juden, einen umfangreichen arabischen Waffentransport aus dem Libanon in einen Hinterhalt zu locken und den arabischen Kommandanten zu töten.
Jeder normale Verkehr zwischen den Sektoren hörte auf. Amin Azzadin, ein Offizier der Arabischen Legion, erschien in Haifa und übernahm das Kommando über die ständig zunehmenden Irregulären, während die Engländer die Juden in Schach hielten, so daß die Araber ihre Kräfte zu einem Angriff auf den Berg Karmel konzentrieren konnten.
SCHARONEBENE
Dieses zentral gelegene Tal, in dem schon die Kreuzfahrer gekämpft hatten, war das am dichtesten besiedelte jüdische Gebiet. Es lag dem stark von Arabern bevölkerten Gebiet von Samaria gegenüber. Obwohl beide Seiten etwa die gleiche Stärke besaßen, war es in diesem Gebiet relativ ruhig.
TEL AVIV — JAFFA
Zwischen den beiden benachbarten Städten war ein Schlachtfeld entstanden, in dem Straßenkämpfe und Patrouillentätigkeit nicht aufhörten. Die Makkabäer kämpften hier innerhalb der Reihen der Hagana. Von beiden Seiten fanden andauernd Überfälle statt. Als Beobachtungsposten und für ihre Scharfschützen benutzten die Araber ein Minarett einer Moschee, die von den Juden nicht angegriffen werden konnte, weil die Engländer sie daran hinderten.
DER SÜDEN
In der weitgestreckten Negev-Wüste gab es nur wenige und weit voneinander entfernte jüdische Siedlungen, während die Araber dort zwei starke Stützpunkte in Ber Scheba und dem seit Samson berühmten Gaza besaßen. Die Araber waren deshalb in der Lage, die jüdischen Siedlungen endlos zu belagern und sie langsam auszuhungern.
Zwar gelang es den einzelnen jüdischen Siedlungen, die Angriffe abzuwehren, aber in dieser Gegend waren die Araber kühner und der Druck auf die Stellungen nahm ständig zu. Doch jetzt begann eine jüdische Luftwaffe zu entstehen. Sie bestand anfänglich zwar nur aus zwei Flugzeugen, die eigentlich für Verbindungsaufgaben gedacht waren, hier aber auch zu Bombenangriffen verwendet werden mußten. Während eine der beiden Maschinen in das belagerte Jerusalem flog, wurde die andere zum primitivsten aller Bombenflugzeuge: Sprenggranaten wurden einfach durch die Luken auf ihre Ziele geworfen.
JERUSALEM
Abdul Kader verstärkt
e seinen Griff um die Kehle des jüdischen Jerusalems. Bab el Wad, die gewundene und verwundbare Straße über die Hügel von Judäa, wurde von den Arabern abgeriegelt. Die Juden konnten nur noch durchkommen, wenn sie umfangreiche Geleitzüge organisierten. Aber auch dann hatten sie einen hohen Preis zu bezahlen. Die Engländer verharrten bei ihrer Ablehnung, die Straße offenzuhalten.
Südlich von Jerusalem, in den an der Straße nach Bethlehem gelegenen Hügeln von Hebron, hatten die Juden vier isolierte Siedlungen, die als die Ezion-Gruppe bekannt sind. Ihre Position war ebenso schlecht und an allen Stellen verwundbar wie die von Safed. Die Ezion-Gruppe war vom jüdischen Palästina vollkommen abgeschnitten. Was ihre Lage bald noch mehr verschlechtern sollte, war eine hermetische Absperrung der Straße, die der Arabischen Legion dadurch gelang, daß sie nach außen hin als Hilfstruppe der Engländer in Erscheinung trat und daher unbehindert blieb.
Innerhalb Jerusalems hatte die Lebensmittel und Wasserknappheit zu einer kritischen Lage geführt. Der Tag bestand jetzt nur noch aus Bombardements, der Tätigkeit von Scharfschützen und Panzerwagen; offene Kriegführung war an der Tagesordnung.
Ihren Höhepunkt erreichten die Kämpfe, als ein Geleitzug des Roten Kreuzes von dem auf dem Skopusberg gelegenen Klinikviertel der Hadassa von den Arabern überfallen und siebenundsiebzig unbewaffnete jüdische Ärzte massakriert wurden. Ihre Leichen wurden grauenhaft verstümmelt aufgefunden. Auch diesmal rührten die Engländer keinen Finger.
Seew Gilboa, der von Ari damit beauftragt worden war, Fort Esther von den Engländern zu übernehmen, meldete sich in Aris Dienstzimmer. »Wir sind fahrbereit«, sagte Seew.
»Gut. Am besten fahrt ihr gleich los. Major Hawks hat gesagt, er wolle das Fort Punkt vierzehn Uhr übergeben. Übrigens, stimmt das, was ich da von dir und Liora gehört habe? Sie soll wieder ein Kind erwarten?«
»Ja, das stimmt.«
»Ich werde dir keinen Wochenendurlaub mehr geben können, wenn du nicht aufhörst, dummes Zeug zu machen«, sagte Ari lächelnd. Seew lief hinaus, sprang in das Führerhaus des Lastwagens und fuhr los. Hinten auf dem Wagen saßen zwanzig Jungen und Mädchen vom Palmach, die Fort Esther besetzen sollten. Seew fuhr die Hauptstraße entlang und bog dann in die schmale Straße ab, die hinauf in die Berge an der libanesischen Grenze und nach Fort Esther führte.