by Paul Celan
weiß, wie oft ich dir bis
in die Kehle hinaufsang, heidideldu,
wie die heidelbeerblaue
Erle der Heimat mit all ihrem Laub,
heidudeldi,
du, wie die
Astralflöte von
jenseits des Weltgrats – auch da
schwammen wir, Nacktnackte, schwammen,
den Abgrundvers auf
brandroter Stirn – unverglüht grub
sich das tief-
innen flutende Gold
seine Wege nach oben –,
hier,
mit bewimperten Segeln,
fuhr auch Erinnrung vorbei, langsam
sprangen die Brände hinüber, ab-
getrennt, du,
abgetrennt auf
den beiden blau-
schwarzen Gedächtnis-
schuten,
doch angetrieben auch jetzt
vom Tausend-
arm, mit dem ich dich hielt,
kreuzen, an Sternwurf-Kaschemmen vorbei,
unsre immer noch trunknen, trinkenden,
nebenweltlichen Münder – ich nenne nur sie –,
bis drüben am zeitgrünen Uhrturm
die Netz-, die Ziffernhaut lautlos
sich ablöst – ein Wahndock,
schwimmend, davor
abweltweiß die
Buchstaben der
Großkräne einen
Unnamen schreiben, an dem
klettert sie hoch, zum Todessprung, die
Laufkatze Leben,
den
baggern die sinn-
gierigen Sätze nach Mitternacht aus,
nach ihm
wirft die neptunische Sünde ihr korn-
schnapsfarbenes Schleppseil,
zwischen
zwölf-
tonigen Liebeslautbojen
– Ziehbrunnenwinde damals, mit dir
singt es im nicht mehr
binnenländischen Chor –
kommen die Leuchtfeuerschiffe getanzt,
weither, aus Odessa,
die Tieflademarke,
die mit uns sinkt, unsrer Last treu,
eulenspiegelt das alles
hinunter, hinauf und – warum nicht? wundgeheilt, wo-,
wenn –
herbei und vorbei und herbei.
* * *
III
SCHWARZ,
wie die Erinnerungswunde,
wühlen die Augen nach dir
in dem von Herzzähnen hell-
gebissenen Kronland,
das unser Bett bleibt:
durch diesen Schacht mußt du kommen –
du kommst.
Im Samen-
sinn
sternt dich das Meer aus, zuinnerst, für immer.
Das Namengeben hat ein Ende,
über dich werf ich mein Schicksal.
* * *
HAMMERKÖPFIGES, im
Zeltgang,
neben uns her, der doppelten,
langsam strömenden Rotspur.
Silbriges:
Hufsprüche, Schlaflied-
gewieher – Traum-
hürde und -wehr –: niemand
soll weiter, nichts.
Dich unter mir, kentaurisch
gebäumt,
münd ich in unsern hinüber-
rauschenden Schatten.
* * *
LANDSCHAFT mit Urnenwesen.
Gespräche
von Rauchmund zu Rauchmund.
Sie essen:
die Tollhäusler-Trüffel, ein Stück
unvergrabner Poesie,
fand Zunge und Zahn.
Eine Träne rollt in ihr Auge zurück.
Die linke, verwaiste
Hälfte der Pilger-
muschel – sie schenkten sie dir,
dann banden sie dich –
leuchtet lauschend den Raum aus:
das Klinkerspiel gegen den Tod
kann beginnen.
* * *
DIE GAUKLERTROMMEL,
von meinem Herzgroschen laut.
Die Sprossen der Leiter, über
die Odysseus, mein Affe, nach Ithaka klettert,
rue de Longchamp, eine Stunde
nach dem verschütteten Wein:
tu das zum Bild,
das uns heimwürfelt in
den Becher, in dem ich bei dir lieg,
unausspielbar.
* * *
WENN DU IM BETT
aus verschollenem Fahnentuch liegst,
bei blauschwarzen Silben, im Schneewimperschatten,
kommt, durch Gedanken-
güsse,
der Kranich geschwommen, stählern –
du öffnest dich ihm.
Sein Schnabel tickt dir die Stunde
in jeden Mund – in jeder
glöcknert, mit glutrotem Strang, ein Schweige-
Jahrtausend,
Unfrist und Frist
münzen einander zutode,
die Taler, die Groschen
regnen dir hart durch die Poren,
in
Sekundengestalt
fliegst du hin und verrammelst
die Türen Gestern und Morgen, – phosphorn,
wie Ewigkeitszähne,
knospt deine eine, knospt auch die
andere Brust,
den Griffen entgegen, unter
den Stößen –: so dicht,
so tief
gestreut
ist der sternige
Kranich-
Same.
* * *
HINTERM KOHLEGEZINKTEN Schlaf
– man kennt unsre Kate –,
wo uns der Traumkamm schwoll, feurig, trotz allem,
und ich die Goldnägel trieb in unser
nebenher sargschön
schwimmendes Morgen,
da schnellten die Ruten königlich vor unserm Aug,
Wasser kam, Wasser,
bissig
gruben sich Kähne voran durch die Großsekunde Gedächtnis,
es trieb das Getier mit den Schlamm-Mäulern um uns
– so viel
fing noch kein Himmel –,
was warst du, Zerrissene, doch
wieder für eine Reuse! –, trieb das Getier, das Getier,
Salzhorizonte
bauten an unsern Blicken, es wuchs ein Gebirg
weit hinaus in die Schlucht,
in der meine Welt die deine
aufbot, für immer.
* * *
IN PRAG
Der halbe Tod,
großgesäugt mit unserm Leben,
lag aschenbildwahr um uns her –
auch wir
tranken noch immer, seelenverkreuzt, zwei Degen,
an Himmelssteine genäht, wortblutgeboren
im Nachtbett,
größer und größer
wuchsen wir durcheinander, es gab
keinen Namen mehr für
das, was uns trieb (einer der Wieviel-
unddreißig
war mein lebendiger Schatten,
der die Wahnstiege hochklomm zu dir?),
ein Turm,
baute der Halbe sich ins Wohin,
ein Hradschin
aus lauter Goldmacher-Nein,
Knochen-Hebräisch,
zu Sperma zermahlen,
rann durch die Sanduhr,
die wir durchschwammen, zwei Träume jetzt, läutend
wider die Zeit, auf den Plätzen.
* * *
VON DER ORCHIS HER –
geh, zähl
die Schatten der Schritte zusammen bis zu ihr
hinterm Fünfgebirg Kindheit –,
von ihr her, der
ich das Halbwort abgewinn für die Zwölfnacht,
kommt meine Hand dich zu greifen
für immer.
Ein kleines Verhängnis, so groß
wie der Herzpunkt, den ich
hinter dein meinen Namen
stammelndes Aug setz,
&nbs
p; ist mir behilflich.
Du kommst auch,
wie über Wiesen,
und bringst das Bild einer Kaimauer mit,
da würfelten, als
unsre Schlüssel, tief im Verwehrten,
sich kreuzten in Wappengestalt,
Fremde mit dem, was
wir beide noch immer besitzen
an Sprache,
an Schicksal.
* * *
HALBZERFRESSENER, masken-
gesichtiger Kragstein,
tief
in der Augenschlitz-Krypta:
Hinein, hinauf
ins Schädelinnre,
wo du den Himmel umbrichst, wieder und wieder,
in Furche und Windung
pflanzt er sein Bild,
das sich entwächst, entwächst.
* * *
AUS FÄUSTEN, weiß
von der aus der Wortwand
freigehämmerten Wahrheit,
erblüht dir ein neues Gehirn.
Schön, durch nichts zu verschleiern,
wirft es sie, die
Gedankenschatten.
Darin, unverrückbar,
falten sich, heut noch,
zwölf Berge, zwölf Stirnen.
Die auch von dir her stern-
äugige Streunerin Schwermut
erfährts.
* * *
SCHWIRRHÖLZER fahren ins Licht, die Wahrheit
gibt Nachricht.
Drüben die Ufer-
böschung schwillt uns entgegen,
ein dunkler
Tausendglanz – die
auferstandenen Häuser! –
singt.
Ein Eisdorn – auch wir
hatten gerufen –
versammelt die Klänge.
* * *
ABENDS, in
Hamburg, ein
unendlicher Schuhriemen – an
ihm
kauen die Geister –
bindet zwei blutige Zehen zusammen
zum Wegschwur.
* * *
BEI DEN ZUSAMMENGETRETENEN
Zeichen, im
worthäutigen Ölzelt, am Ausgang
der Zeit,
hellgestöhnt
ohne Laut
– du, Königsluft, ans
Pestkreuz genagelte, jetzt
blühst du –,
porenäugig,
schmerzgeschuppt, zu
Pferde.
* * *
DAS AUFWÄRTSSTEHENDE LAND,
rissig,
mit der Flugwurzel, der
Steinatem zuwächst.
Auch hier
stürzen die Meere hinzu, aus der Steilschlucht,
und dein sprach-
pockiger, panischer
Ketzer
kreuzt.
* * *
DAS UMHERGESTOSSENE
Immer-Licht, lehmgelb,
hinter
Planetenhäuptern.
Erfundene
Blicke, Seh-
narben,
ins Raumschiff gekerbt,
betteln um Erden-
münder.
* * *
ASCHENGLORIE hinter
deinen erschüttert-verknoteten
Händen am Dreiweg.
Pontisches Einstmals: hier,
ein Tropfen,
auf
dem ertrunkenen Ruderblatt,
tief
im versteinerten Schwur,
rauscht es auf.
(Auf dem senkrechten
Atemseil, damals,
höher als oben,
zwischen zwei Schmerzknoten, während
der blanke
Tatarenmond zu uns heraufklomm,
grub ich mich in dich und in dich.)
Aschen-
glorie hinter
euch Dreiweg-
Händen.
Das vor euch, vom Osten her, Hin-
gewürfelte, furchtbar.
Niemand
zeugt für den
Zeugen.
* * *
IV
DAS GESCHRIEBENE höhlt sich, das
Gesprochene, meergrün,
brennt in den Buchten,
in den
verflüssigten Namen
schnellen die Tümmler,
im geewigten Nirgends, hier,
im Gedächtnis der über-
lauten Glocken in – wo nur?,
wer
in diesem
Schattengeviert
schnaubt, wer
unter ihm
schimmert auf, schimmert auf, schimmert auf?
* * *
CELLO-EINSATZ
von hinter dem Schmerz:
die Gewalten, nach Gegen-
himmeln gestaffelt,
wälzen Undeutbares vor
Einflugschneise und Einfahrt,
der
erklommene Abend
steht voller Lungengeäst,
zwei
Brandwolken Atem
graben im Buch,
das der Schläfenlärm aufschlug,
etwas wird wahr,
zwölfmal erglüht
das von Pfeilen getroffene Drüben,
die Schwarz-
blütige trinkt
des Schwarzblütigen Samen,
alles ist weniger, als
es ist,
alles ist mehr.
* * *
FRIHED
Im Haus zum gedoppelten Wahn,
wo die Steinboote fliegen
überm
Weißkönigs-Pier, den Geheimnissen zu,
wo das endlich
abgenabelte
Orlog-Wort kreuzt,
bin ich, von Schilfmark Genährte,
in dir, auf
Wildenten-Teichen,
ich singe –
was sing ich?
Der Mantel
des Saboteurs
mit den roten, den weißen
Kreisen um die
Einschuß-
stellen
– durch sie
erblickst du das mit uns fahrende
frei-
sternige Oben –
deckt uns jetzt zu,
der Grünspan-Adel vom Kai,
mit seinen Backstein-Gedanken
rund um die Stirn,
häuft den Geist rings, den Gischt,
schnell
verblühn die Geräusche
diesseits und jenseits der Trauer,
die näher-
segelnde
Eiterzacke der Krone
in eines Schief-
geborenen Aug
dichtet
dänisch.
* * *
DEN VERKIESELTEN SPRUCH in der Faust,
vergißt du, daß du vergißt,
am Handgelenk schießen
blinkend die Satzzeichen an,
durch die zum Kamm
gespaltene Erde
kommen die Pausen geritten,
dort, bei
der Opferstaude,
wo das Gedächtnis entbrennt,
greift euch der Eine
Hauch auf.
* * *
WO?
In den Lockermassen der Nacht.
Im Gramgeröll und -geschiebe,
im langsamsten Aufruhr,
im Weisheitsschacht Nie.
Wassernadeln
nähn den geborstenen
Schatten zusammen – er kämpft sich
tiefer hinunter,
frei.
* * *
KÖNIGSWUT, steinmähnig, vorn.
Und die verrauchten
Gebete –
Hengste, hinzu-
geschmerzt, die
unbezähmbar-gehorsame
Freischar:
psalmhufig, hinsingend über
auf-, auf-, auf-
geblättertes Bibelgebirg,
auf die klaren, mit-
klirrenden,
mächtigen Meerkeime zu.
/> * * *
SOLVE
Entosteter, zu
Brandscheiten zer-
spaltener Grabbaum:
an den Gift-
pfalzen vorbei, an den Domen,
stromaufwärts, strom-
abwärts geflößt
vom winzig-lodernden, vom
freien
Satzzeichen der
zu den unzähligen zu
nennenden un-
aussprechlichen
Namen aus-
einandergeflohenen, ge-
borgenen
Schrift.
* * *
COAGULA
Auch deine
Wunde, Rosa.
Und das Hörnerlicht deiner
rumänischen Büffel
an Sternes Statt überm
Sandbett, im
redenden, rot-
aschengewaltigen
Kolben.
* * *
SCHÄDELDENKEN, stumm, auf der Pfeilspur.
Dein hohes
Lied, in den harten
Februarfunken verbißner,
halbzertrümmerter
Kiefer.
Die eine, noch
zu befahrende Meile
Melancholie.
Von Erreichtem umbuscht jetzt, zielblau,
aufrecht im Kahn,
auch aus dem knirschenden Klippen-
segen entlassen.
* * *
OSTERQUALM, flutend, mit
der buchstabenähnlichen
Kielspur inmitten.
(Niemals war Himmel.
Doch Meer ist noch, brandrot,
Meer.)
Wir hier, wir,
überfahrtsfroh, vor dem Zelt,
wo du Wüstenbrot bukst
aus mitgewanderter Sprache.
Am äußersten Blickrand: der Tanz