by Paul Celan
III
WURFSCHEIBE, mit
Vorgesichten besternt,
wirf dich
aus dir hinaus.
* * *
KLOPF die
Lichtkeile weg:
das schwimmende Wort
hat der Dämmer.
* * *
DIE ENTSPRUNGENEN
Graupapageien
lesen die Messe
in deinem Mund.
Du hörsts regnen
und meinst, auch diesmal
sei’s Gott.
* * *
IN DEN DUNKELSCHLÄGEN erfuhr ichs:
du lebst auf mich zu, dennoch,
im Steigrohr,
im
Steigrohr.
* * *
STREUBESITZ, staub-
unmittelbar.
Abend um Abend schweben
die den Gedanken entzognen
Botschaften ein,
königshart, nachthart,
in die Hände der Klage-
vögte:
aus dem Knick
ihrer Lebens-
linien
tritt lautlos die Antwort:
der eine ewige
Tropfen
Gold.
* * *
DER VON DEN UNBESCHRIEBENEN
Blättern
abgelesene Brief,
der Totstell-Reflexe
grausilberne Kette darauf,
gefolgt von drei silbernen
Takten.
Du weißt: der Sprung
geht über dich, immer.
* * *
SCHNEID DIE GEBETSHAND
aus
der Luft
mit der Augen-
schere,
kapp ihre Finger
mit deinem Kuß:
Gefaltetes geht jetzt
atemberaubend vor sich.
* * *
WAS ES AN STERNEN BEDARF,
schüttet sich aus,
deiner Hände laubgrüner Schatten
sammelt es ein,
freudig zerbeiß ich
das münzenkernige
Schicksal.
* * *
ICH KANN DICH NOCH SEHEN: ein Echo,
ertastbar mit Fühl-
wörtern, am Abschieds-
grat.
Dein Gesicht scheut leise,
wenn es auf einmal
lampenhaft hell wird
in mir, an der Stelle,
wo man am schmerzlichsten Nie sagt.
* * *
LAUTER
Einzelkinder
mit leisen, moorigen
Muttergerüchen im Hals,
zu Bäumen – zu Schwarz-
erlen – erkoren,
duftlos.
* * *
IM LEEREN
wo sich die Kuttel rankt
mit der Bregen-
Blüte,
warf ich mich Steinen zu,
die fingen mich auf
und bekrönten ein Rund
mit dem, was ich wurde.
* * *
DIE LEHMIGEN OPFERGÜSSE,
von Schnecken umkrochen:
das Bild der Welt,
dem Himmel entgegengetragen
auf einem Brombeerblatt.
* * *
DAS WILDHERZ, verhäuslicht
vom halbblinden Stich
in die Lunge,
Veratmetes sprudelt,
langsam, blutunterwaschen
konfiguriert sich
das selten verheißne
rechte
Neben-
leben.
* * *
IV
DIE EWIGKEITEN fuhren
ihm ins Gesicht und drüber
hinaus,
langsam löschte ein Brand
alles Gekerzte,
ein Grün, nicht von hier,
umflaumte das Kinn
des Steins, den die Waisen
begruben und wieder
begruben.
* * *
HERZSCHALL-FIBELN, eingezäunt,
das Kranichpaar
denkt sich dir vor,
aspektral
verschenkt sich das Licht deiner Blume,
dem Fangbein der Mantis
begegnet dein über-
sterniges
Immer.
* * *
ANEINANDER
müde geworden,
randgängerisch,
mündig,
Luft
schaufelt sich zu, auch
Wasser,
die Kartenschlägerin klebt
erschlagen hinterm
Herz-As.
* * *
EIN EXTRA-SCHLAG NACHT
ist das Teil
des von fernher un-
versehrt
gefangengenommenen
Sohnes.
Eine Stimme, inmitten,
erkräht ein Gesicht.
* * *
HINTER FROSTGEBÄNDERTEN KÄFERN
ballert das fahrende
Leuchtglück,
eine hilflose
Bauchfratze, Freund,
schläfert dich
ein.
* * *
DIE IRIN, die abschiedsgefleckte,
beliest deine Hand,
schneller als
schnell.
Ihrer Blicke Bläue durchwächst sie,
Verlust und Gewinn
in einem:
du,
augenfingrige
Ferne.
* * *
DIE MIR HINTERLASSNE
balkengekreuzte
Eins:
an ihr soll ich rätseln,
während du, im Rupfengewand,
am Geheimnisstrumpf strickst.
* * *
VERWORFENE, not-
freundliche,
kunkelbeinige
Göttin:
Wo du dich auftust, im Kniesitz,
dreht sich ein wissendes Messer
um seine Achse,
im Gegenblut-
Sinn.
* * *
FERTIGUNGS-
HALLE:
Blendeffekte, im Dämmer,
– auf dir, denk,
ruhte die heilende Hand unterm auf-
zuckenden Schein –
das Schutzwort
im Überdruckhelm,
ein Zeichen im Satz
als Frischluftgerät.
Schweißung der Seelen, Kurzlicht.
In den Boxen:
Beatmung
des reimigen, schönen
Metallbalgs.
* * *
IN DER BLASENKAMMER erwacht
das Entatmete, der
gefährliche Keimling,
an seinem Krater-
ende
springt das Drittauge auf
und speit
Porphyr, auch
Pein.
* * *
MAGNETISCHE BLÄUE im Mund,
erkeuchst du Pol um Pol,
gesömmerter Schnee
wirft sich drüber,
bald hängt der taumlige Star
im doppelten Liedschwarm.
* * *
VORFLUT
kämmt deine Algen zusammen,
legt sie
um dich.
Eingedämmt wuchert,
was du noch hast.
Ein weißer Stirnsplitter geht
für dich über die Grenze.
* * *
DIE MANTIS, wieder,
im Nacken des Worts,
in das du geschlüpft warst –,
muteinwärts
wandert der Sinn,
sinneinwärts
der Mut.
* * *
KEIN HALBHOLZ mehr, hier
in den Gipfelhängen,
kein mit-
sprechender
Thymian.
Grenzschnee und sein
die Pfähle und deren
Wegweiser-Schatten
/>
aushorchender, tot-
sagender
Duft.
* * *
SCHWIMMHÄUTE zwischen den Worten,
ihr Zeithof –
ein Tümpel,
Graugrätiges hinter
dem Leuchtschopf
Bedeutung.
* * *
ANREDSAM
war die ein-
flüglig schwebende Amsel,
über der Brandmauer, hinter
Paris, droben,
im
Gedicht.
* * *
V
ORANIENSTRASSE 1
Mir wuchs Zinn in die Hand,
ich wußte mir nicht
zu helfen:
modeln mochte ich nicht,
lesen mocht es mich nicht –
Wenn sich jetzt
Ossietzkys letzte
Trinkschale fände,
ließ ich das Zinn
von ihr lernen,
und das Heer der Pilger-
stäbe
durchschwiege, durchstünde die Stunde.
* * *
BRUNNEN-
artig
ins Verwunschne getieft,
mit doppelt gewalmten
Tagträumen drüber,
Quader-
ringe
um jeden Hauch:
die Kammer, wo ich dich ließ, hockend,
dich zu behalten,
das Herz befehligt
den uns leise bestrickenden Frost
an den geschiedenen
Fronten,
du wirst keine Blume sein
auf Urnenfeldern
und mich, den Schriftträger, holt
kein Erz aus der runden
Holz-Lehm-Hütte, kein
Engel.
* * *
MIT TRAUMANTRIEB auf der Kreisbahn,
an-
geschwelt,
zwei Masken statt einer,
Planetenstaub in den gehöhlten
Augen,
nachtblind, tagblind,
weltblind,
die Mohnkapsel in dir
geht irgendwo nieder,
beschweigt
einen Mitstern,
die schwimmende Trauerdomäne
vermerkt einen weiteren Schatten,
es helfen dir alle,
der Herzstein durchstößt seinen Fächer,
keinerlei
Kühle,
es helfen dir alle,
du segelst, verglimmst und verglost,
Augenschwärme passieren die Enge,
ein Blutkloß schwenkt ein auf die Bahn,
Erdschwärme sprechen dir zu,
das Wetter im All
hält Ernte.
* * *
FÜR DEN LERCHENSCHATTEN
brachgelegt das Verborgne,
un-
verhärtet
eingebracht die erfahrene
Stille, ein Acker, inslig,
im Feuer,
nach der
abgesättigten Hoffnung,
nach allem
abgezweigten Geschick:
die unbußfertig ersungenen
Moosopfer, wo du
mich suchst, blindlings.
* * *
DER DURCHSCHNITTENE Taubenkordon,
die gesprengten
Blütengewalten,
die tatverdächtige
Fundsache Seele.
* * *
FAHLSTIMMIG, aus
der Tiefe geschunden:
kein Wort, kein Ding,
und beider einziger Name,
fallgerecht in dir,
fluggerecht in dir,
wunder Gewinn
einer Welt.
* * *
SCHALLTOTES SCHWESTERGEHÄUS,
laß die Zwerglaute ein,
die ausgefragten:
sie mummeln das Großherz zusammen
und tragen es huckepack zu
jeder Not, jeder Not.
* * *
WETTERFÜHLIGE HAND,
die Moorlache weist ihr den Weg,
nachts, durch den Bruchwald.
Lumineszenz.
Wer jetzt die Bälge der Torforgel tritt, ein-
beinig, der
gewinnt einen Starkstrahl
Verlust.
* * *
IM ZEITWINKEL SCHWÖRT
die entschleierte Erle
still vor sich hin,
auf dem Erdrücken, handspannenbreit,
hockt die durchschossene
Lunge,
an der Flurgrenze pickt
die Flügelstunde das Schneekorn
aus dem eigenen Steinaug,
Lichtbänder stecken mich an,
Kronschäden flackern.
* * *
AUCH MICH, den wie du Geborenen, hält keine Hand,
und keine wirft mir ein Glück in die Stunde, nicht anders als dir,
dem wie ich in Stierblut Getauchten,
doch stehen die Zahlen bereit, der Träne zu leuchten,
die in die Welt schnellt
aus unserm Nabel,
doch geht in die große Silbenschrift ein,
was uns nah kam, einzeln,
und die Mandelhode
gewittert
und blüht.
* * *
DIE RÜCKWÄRTSGESPROCHENEN
Namen, alle,
der äußerste, zum
König gewiehert
vor Rauhreifspiegeln,
umlagert, umstellt
von Mehrlingsgeburten,
der Zinnenriß durch ihn,
der dich Vereinzelten
mitmeint.
* * *
ALLMÄHLICH CLOWNGESICHTIG,
nichtsgespiegelt,
die Schminke Wahrheit blaugefrorn
im Winkelmund,
Frostpollen Puder auf dem blanken Überschädel,
rund um die dünne Fragelocke Schwarz,
die Brauen, Brauen: wachsend,
zwei Riesenfühlerkämme, zwei,
– du großgestrählte,
großgespürte Rauhnacht Immerimmer –,
schon fortgeschwungen aus der Flocke Welt,
nicht hin, nicht her.
* * *
SPERRTONNENSPRACHE, Sperrtonnenlied.
Die Dampfwalze wummert
die zweite
Ilias
ins aufgerissene
Pflaster,
sandgesäumt
staunen die alten
Bilder sich nach, in die Gosse,
ölig verbluten die Krieger
in Silberpfützen, am Straßen-
rand, tuckernd,
Troja, das staubbekrönte,
sieht ein.
* * *
UNTER DER FLUT
fliegen, an
gehöhten schwarzen
Opfersteinen vorbei,
die unendlich geerdete Schwermut
in den
Fahrwerkschächten,
berauschte Flugschreiber im
Sehnsuchtsgehänge,
künftige Fundstücke, silbrig,
im
schädligen Cockpit,
Sichttunnels, in
den Sprachnebel geblasen,
Selbstzündblumen
an allen Kabeln,
im großen, unausgefahrenen
Felgenring deinen
genabten Schatten,
Saturn.
* * *
VI
WAHNGÄNGER-AUGEN: in euch
münden die übrigen Blicke.
Eine einzige
Flut
schwillt an.
Bald glänzt ihr
den Felsen zutode, auf den sie
gesetzt
haben, wider
sich selbst.
* * *
SPERRIGES MORGEN,
ich beiße mich in dich, ich schweige mich an dich,
wir tönen,
allein,
pastos
vertropfen die Ew
igkeitsklänge,
durchquäkt
von heutigem
Gestern,
wir fahren,
groß
nimmt uns der letzte
Schallbecher auf:
den beschleunigten Herzschritt
draußen
im Raum,
bei ihr, der Erd-
achse.
* * *
MERKBLÄTTER-SCHMERZ,
beschneit, überschneit:
in der Kalenderlücke
wiegt ihn, wiegt ihn
das neugeborene
Nichts.