Book Read Free

Duino Elegies

Page 3

by Rainer Maria Rilke


  stürzten in ihn bei dem berührenden Anstoß.

  Ruf ihn … du rufst ihn nicht ganz aus dunkelem Umgang.

  Freilich, er will, er entspringt; erleichtert gewöhnt er

  sich in dein heimliches Herz und nimmt und beginnt sich.

  Aber begann er sich je?

  Mutter, du machtest ihn klein, du warsts, die ihn anfing;

  dir war er neu, du beugtest über die neuen

  Augen die freundliche Welt und wehrtest der fremden.

  Wo, ach, hin sind die Jahre, da du ihm einfach

  mit der schlanken Gestalt wallendes Chaos vertratst?

  Vieles verbargst du ihm so; das nächtlich-verdächtige Zimmer

  machtest du harmlos, aus deinem Herzen voll Zuflucht

  mischtest du menschlichern Raum seinem Nacht-Raum hinzu.

  Nicht in die Finsternis, nein, in dein näheres Dasein

  hast du das Nachtlicht gestellt, und es schien wie aus Freundschaft.

  Nirgends ein Knistern, das du nicht lächelnd erklärtest,

  so als wüßtest du längst, wann sich die Diele benimmt …

  Und er horchte und linderte sich. So vieles vermochte

  zärtlich dein Aufstehn; hinter den Schrank trat

  hoch im Mantel sein Schicksal, und in die Falten des Vorhangs

  paßte, die leicht sich verschob, seine unruhige Zukunft.

  Und er selbst, wie er lag, der Erleichterte, unter

  schläfernden Lidern deiner leichten Gestaltung

  Süße lösend in den gekosteten Vorschlaf—:

  schien ein Gehüteter … Aber innen: wer wehrte,

  hinderte innen in ihm die Fluten der Herkunft?

  Ach, da war keine Vorsicht im Schlafenden; schlafend,

  aber träumend, aber in Fiebern: wie er sich ein-ließ.

  Er, der Neue, Scheuende, wie er verstrickt war,

  mit des innern Geschehns weiterschlagenden Ranken

  schon zu Mustern verschlungen, zu würgendem Wachstum, zu tierhaft

  jagenden Formen. Wie er sich hingab—. Liebte.

  Liebte sein Inneres, seines Inneren Wildnis,

  diesen Urwald in ihm, auf dessen stummem Gestürztsein

  lichtgrün sein Herz stand. Liebte. Verließ es, ging die

  eigenen Wurzeln hinaus in gewaltigen Ursprung,

  wo seine kleine Geburt schon überlebt war. Liebend

  stieg er hinab in das ältere Blut, in die Schluchten,

  wo das Furchtbare lag, noch satt von den Vätern. Und jedes

  Schreckliche kannte ihn, blinzelte, war wie verständigt.

  Ja, das Entsetzliche lächelte … Selten

  hast du so zärtlich gelächelt, Mutter. Wie sollte

  er es nicht lieben, da es ihm lächelte. Vor dir

  hat ers geliebt, denn, da du ihn trugst schon,

  war es im Wasser gelöst, das den Keimenden leicht macht.

  Siehe, wir lieben nicht, wie die Blumen, aus einem

  einzigen Jahr; uns steigt, wo wir lieben,

  unvordenklicher Saft in die Arme. O Mädchen,

  dies: daß wir liebten in uns, nicht Eines, ein Künftiges, sondern

  das zahllos Brauende; nicht ein einzelnes Kind,

  sondern die Väter, die wie Trümmer Gebirgs

  uns im Grunde beruhn; sondern das trockene Flußbett

  einstiger Mütter—; sondern die ganze

  lautlose Landschaft unter dem wolkigen oder

  reinen Verhängnis—: dies kam dir, Mädchen, zuvor.

  Und du selber, was weißt du—, du locktest

  Vorzeit empor in dem Liebenden. Welche Gefühle

  wühlten herauf aus entwandelten Wesen. Welche

  Frauen haßten dich da. Was für finstere Männer

  regtest du auf im Geäder des Jünglings? Tote

  Kinder wollten zu dir … O leise, leise,

  tu ein liebes vor ihm, ein verläßliches Tagwerk,—führ ihn

  nah an den Garten heran, gieb ihm der Nächte

  Übergewicht . . . . . .

  Verhalt ihn . . . . . .

  THE THIRD ELEGY

  It’s one thing to sing the loved one. Another, alas,

  to sing that hidden guilty river-god of the blood!

  Her youthful lover, whom she knows from afar: what sense has he

  of that Lord of Lust who often, roused from solitude—

  before she could soothe him, and often as though she herself

  were nothing—ah, roused from what unsounded depths

  lifts his streaming godhead, inciting the night to infinite uproar.

  O the blood’s Neptune, O his terrible trident.

  O the dark wind of his breast from the shell’s whorl.

  Listen, as the night grows tunneled and cavelike. You stars,

  does not the lover’s delight in his beloved’s face

  come from you? Does not his passionate oneness with her pure

  features derive from your celestial fire?

  But not you, O girl, nor yet his mother,

  stretched his eyebrows so fierce with expectation.

  Not for your mouth, you who hold him now,

  did his lips ripen into these fervent contours.

  Do you really think your quiet footsteps

  could have so convulsed him, you who move like dawn wind?

  True, you startled his heart; but older terrors

  rushed into him with that first jolt to his emotions.

  Call him … you’ll never quite retrieve him from those dark consorts.

  Yes, he wants to, he escapes; relieved, he makes a home

  in your familiar heart, takes root there and begins himself anew.

  But did he ever begin himself?

  Mother, you created him, you made him small;

  with you he was new, and over his new eyes you arched

  the friendly world, shutting the strange one out.

  Where, where are those years, when with your slender form

  you stood calmly between him and his surging chaos?

  How much you kept from him that way; everything sinister

  in his room at night you made harmless; from your heart’s haven

  you poured a more human space into his own shadowy world.

  You placed the night-light not in the darkness

  but in your nearer being, where it shone like a friend.

  The slightest creak—and you explained it, smiling,

  as though you’d long known just when the floor would act up …

  And he listened and was soothed. Your quiet entrance

  had such force; his tall, cloaked destiny

  stepped behind the wardrobe, and his restless future,

  gently shifting, molded itself to the folds of the curtain.

  And he: lying there, calmed, beneath

  drowsy eyelids the sweetness of your gentle presence

  dissolving into the first hints of sleep—:

  he seemed well-guarded. But within: who fended there,

  who checked the floods of origin within him?

  Ah, there was no caution in that sleeper; asleep,

  but dreaming, and in a kind of fever: what paths he took!

  He, so shy, so unwary, how embroiled he was,

  with all those spreading tendrils of inner event already

  twisted into primitive patterns, into throttling growth, into prowling

  animal-like forms. How he gave in to it all—. Loved.

  Loved his interior world, his secret jungle, that primeval

  forest inside him, from whose floor of ancient downfall

  his own heart rose, shimmering green. Loved it. Left it,

  followed his roots into that violent source-world

  where his small birth seemed all but nothing. Awestruck,

  he descended into the elder blood, into the ravines

  where things ghastly lay, still gorged with fathers. And every

  Terror recognized him, winked, seemed to understand.

  Yes, Horror smiled at him … S
miled

  as seldom you smiled, mother. How could he not love

  what smiled at him that sweetly? He loved it

  before you; for it was there even as you bore him,

  dissolved in the fluid that carries the embryo.

  You see, we don’t love like flowers, the effort

  of just one year; sap from time immemorial

  flows through our arms when we love. O girl,

  this: that we’ve loved, within us, not that one person yet to come,

  but all the weltering brood; not some single child,

  but the fathers who lie like mountain-ruins

  within us; and the dried-up riverbed

  of former mothers—; and the whole

  soundless landscape beneath our cloudy

  or cloudless fate: all that, O girl, claimed him first.

  And you yourself, unwittingly—: you conjured

  primal times in your lover. What feelings

  writhed up out of beings long vanished! What

  women inside him hated you! Who were those shrouded men

  you raised in his youthful veins? Dead children

  strained to reach you … O gently, gently,

  show him the love that adheres to a calm, everyday task, —lead him

  close to the garden, give him those nights

  that even out the scales . . . . . .

  Temper him . . . . . .

  DIE VIERTE ELEGIE

  O Bäume Lebens, o wann winterlich?

  Wir sind nicht einig. Sind nicht wie die Zug-

  vögel verständigt. Überholt und spät,

  so drängen wir uns plötzlich Winden auf

  und fallen ein auf teilnahmslosen Teich.

  Blühn und verdorrn ist uns zugleich bewußt.

  Und irgendwo gehn Löwen noch und wissen,

  solang sie herrlich sind, von keiner Ohnmacht.

  Uns aber, wo wir Eines meinen, ganz,

  ist schon des andern Aufwand fühlbar. Feindschaft

  ist uns das Nächste. Treten Liebende

  nicht immerfort an Ränder, eins im andern,

  die sich versprachen Weite, Jagd und Heimat.

  Da wird für eines Augenblickes Zeichnung

  ein Grund von Gegenteil bereitet, mühsam,

  daß wir sie sähen; denn man ist sehr deutlich

  mit uns. Wir kennen den Kontur

  des Fühlens nicht: nur, was ihn formt von außen.

  Wer saß nicht bang vor seines Herzens Vorhang?

  Der schlug sich auf: die Szenerie war Abschied.

  Leicht zu verstehen. Der bekannte Garten,

  und schwankte leise: dann erst kam der Tänzer.

  Nicht der. Genug! Und wenn er auch so leicht tut,

  er ist verkleidet und er wird ein Bürger

  und geht durch seine Küche in die Wohnung.

  Ich will nicht diese halbgefüllten Masken,

  lieber die Puppe. Die ist voll. Ich will

  den Balg aushalten und den Draht und ihr

  Gesicht aus Aussehn. Hier. Ich bin davor.

  Wenn auch die Lampen ausgehn, wenn mir auch

  gesagt wird: Nichts mehr—, wenn auch von der Bühne

  das Leere herkommt mit dem grauen Luftzug,

  wenn auch von meinen stillen Vorfahrn keiner

  mehr mit mir dasitzt, keine Frau, sogar

  der Knabe nicht mehr mit dem braunen Schielaug:

  Ich bleibe dennoch. Es giebt immer Zuschaun.

  Hab ich nicht recht? Du, der um mich so bitter

  das Leben schmeckte, meines kostend, Vater,

  den ersten trüben Aufguß meines Müssens,

  da ich heranwuchs, immer wieder kostend

  und, mit dem Nachgeschmack so fremder Zukunft

  beschäftigt, prüftest mein beschlagnes Aufschaun,—

  der du, mein Vater, seit du tot bist, oft

  in meiner Hoffnung, innen in mir, Angst hast,

  und Gleichmut, wie ihn Tote haben, Reiche

  von Gleichmut, aufgiebst für mein bißchen Schicksal,

  hab ich nicht recht? Und ihr, hab ich nicht recht,

  die ihr mich liebtet für den kleinen Anfang

  Liebe zu euch, von dem ich immer abkam,

  weil mir der Raum in eurem Angesicht,

  da ich ihn liebte, überging in Weltraum,

  in dem ihr nicht mehr wart.…: wenn mir zumut ist,

  zu warten vor der Puppenbühne, nein,

  so völlig hinzuschaun, daß, um mein Schauen

  am Ende aufzuwiegen, dort als Spieler

  ein Engel hinmuß, der die Bälge hochreißt.

  Engel und Puppe: dann ist endlich Schauspiel.

  Dann kommt zusammen, was wir immerfort

  entzwein, indem wir da sind. Dann entsteht

  aus unsern Jahreszeiten erst der Umkreis

  des ganzen Wandelns. Über uns hinüber

  spielt dann der Engel. Sieh, die Sterbenden,

  sollten sie nicht vermuten, wie voll Vorwand

  das alles ist, was wir hier leisten. Alles

  ist nicht es selbst. O Stunden in der Kindheit,

  da hinter den Figuren mehr als nur

  Vergangnes war und vor uns nicht die Zukunft.

  Wir wuchsen freilich und wir drängten manchmal,

  bald groß zu werden, denen halb zulieb,

  die andres nicht mehr hatten, als das Großsein.

  Und waren doch, in unserem Alleingehn,

  mit Dauerndem vergnügt und standen da

  im Zwischenraume zwischen Welt und Spielzeug,

  an einer Stelle, die seit Anbeginn

  gegründet war für einen reinen Vorgang.

  Wer zeigt ein Kind, so wie es steht? Wer stellt

  es ins Gestirn und giebt das Maß des Abstands

  ihm in die Hand? Wer macht den Kindertod

  aus grauem Brot, das hart wird,—oder läßt

  ihn drin im runden Mund, so wie den Gröps

  von einem schönen Apfel? . . . . . . Mörder sind

  leicht einzusehen. Aber dies: den Tod,

  den ganzen Tod, noch vor dem Leben so

  sanft zu enthalten und nicht bös zu sein,

  ist unbeschreiblich.

  THE FOURTH ELEGY

  O trees of life, how far off is winter?

  We’re in disarray. Our minds don’t commune

  like those of migratory birds. Left behind and late,

  we force ourselves suddenly on winds

  and fall, exhausted, on indifferent waters.

  Blooming makes us think of fading.

  And somewhere out there lions still roam, oblivious,

  in all their splendor, to any weakness.

  We, though, even when intent on one thing wholly,

  already feel the cost exacted by some other. Conflict

  is our next of kin. Aren’t lovers always

  reaching borders, each in the other,

  despite the promise of vastness, royal hunting, home?

  Then: for an instant’s virtuoso sketch

  a ground of contrast is prepared, laboriously,

  so we can see it; for they’re very clear

  with us. We don’t know our feelings’ contour,

  only what shapes it from outside.

  Who hasn’t sat anxiously before his heart’s curtain?

  It rose: the scenery for Parting.

  Easy to understand. The familiar garden,

  swaying slightly: then—the dancer.

  Not him. Enough! However light his entrance

  he’s in disguise and turns into a burgher

  who enters his kitchen to reach his living room.

  I loathe watching these half-filled masks;

  give me the puppet. At least it’s real. I can take

  the hollow body and the wire and the face

  that is pure surface. Right here. I’m out in front.

  Even when the lights go out, even when someone

  says to me: “It’s over—,” even when from the stage

  a gray g
ust of emptiness drifts toward me,

  even when not one silent ancestor

  sits beside me anymore—not a woman, not even

  the boy with the brown squint-eye:

  I’ll sit here anyway. One can always watch.

  Aren’t I right? You, father, for whom life

  turned so bitter when you tasted mine—

  that first murky influx of what would feed my drives—

  who kept on sampling it as I grew older, and,

  intrigued by the aftertaste of so strange a future,

  tried looking through my vague upward gaze,—

  you, father, who since your death have been here

  often in my hope, far inside me, afraid,

  forfeiting that equanimity the dead possess, whole

  kingdoms of equanimity, for my bit of fate—

  Aren’t I right? And you women—aren’t I right?—

  who loved me for that small, hesitating

  love for you I always veered from,

  because I felt the realm in your faces, even

  as I loved it, changing into worldspace

  where you were absent…: what if I do choose

  to wait in front of the puppet stage—no,

  to stare with so much force that finally, to counteract

  my stare, an Angel will arrive here as an actor,

  and jolt life into those hard husks.

  Angel and Puppet: then, finally, the play begins.

  Then what we keep apart, simply by our

  presence here, conjoins. Then from the separate

  seasons of our life that one great wheel

  of transformation arises. Above us, beyond us,

  the angel plays. The dying—surely they

  must guess how full of pretext

  is all that we achieve here. Nothing

  is what it is. O childhood hours,

  when behind each shape there was more

  than mere past, and before us—not the future.

  True, we were growing, and often we spurred ourselves

  to grow up faster, half for the sake of those

  who had nothing left but their grownness.

  And yet, off alone, we were happy

  with what stayed the same, and we stood there

  in the space between world and plaything,

  upon a spot which, from the first beginning,

  had been established for pure event.

  Who shows a child just as he is? Who places him

  in a constellation and hands him the measure

  of distance and interval? Who makes a child’s death

  out of gray bread that hardens,—or leaves

  it in his round mouth like the core

  of a beautiful apple? . . . . . . Murderers are

 

‹ Prev