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Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition)

Page 7

by Kiefer, Lena


  »Weil die Gäste dann keine Ruhe zum Essen haben«, sagte Paula.

  »Und mit Ruhe meinst du Totenstille, richtig?«

  Moira sah Lyall streng an. »Hatten wir nicht gesagt, wir reden später darüber?«

  »Nein, du hattest das gesagt«, gab er ungerührt zurück.

  »Ich glaube nicht, dass Paula oder Kenzie mit den architektonischen Streitigkeiten des Neubaus belästigt werden möchten.«

  »Also, mich interessiert das schon.« Ich spürte drei Augenpaare auf mir und erkannte, dass mein Mund schneller gewesen war als mein Verstand. »Ich meine … rein aus der Sicht des Innendesigns ist es doch wichtig, wie die Räume aufgeteilt sind.« Da mich Lyalls Blick etwas unruhig machte, drehte ich mich in Richtung Lobby. »Natürlich sollten die Gäste Ruhe beim Essen haben. Und wenn nun jemand von einem Spaziergang zurückkommt, möchte er natürlich nicht den anderen Leuten in die Teetasse schauen. Aber es gibt ja noch etwas zwischen Gefängnisatmosphäre und Abflughallencharme.«

  Niemand unterbrach mich und ich nahm das als Aufforderung.

  »Was, wenn man statt der Wände in der Lobby auf Raumteiler setzen würde?«, schlug ich vor, jetzt in Fahrt. »Man könnte die so gestalten, dass sie das Flair der Gegend aufgreifen – mit Naturtönen, Holz und Lederelementen. Auch das Tartan-Karo könnte man dort einbringen, in kleineren Applikationen. Und das Design könnte man in den Zimmern wieder aufgreifen.«

  »Ich weiß nicht –«, begann Paula.

  »Das ist eine echt gute Idee«, unterbrach sie Lyall. Er richtete seine dunklen Augen auf mich. »Genau das, was ich mir auch gedacht habe: ein Weg, die Tradition zu erhalten und trotzdem nicht in der Vergangenheit hängen zu bleiben. Und es ist umsetzbar, wenn man den Grundriss leicht verändert und den Raum entsprechend akustisch dämmt.«

  »Vor allem, wenn man den schottischen Stil neu interpretiert.« Ich nickte zustimmend. »Es gibt großartige Möglichkeiten, alte Stoffe und modernes Design zu kombinieren, ohne die traditionsbewussten Gäste zu vergraulen.«

  »Besser hätte ich es nicht sagen können.« Lyall lächelte mich an, und für einen Augenblick vergaß ich, wie wenig ich ihn mochte, und lächelte zurück.

  »Nun«, hob Moira an und wechselte einen Blick mit Paula, »wir bräuchten sicherlich ein Beispiel für dieses Design, um feststellen zu können, ob es sich für den Neubau eignet.« Sie sagte es freundlich, aber ich war misstrauisch. Suchte sie nur nach einem Weg, meine Vorschläge für einen moderneren Look abzubügeln? Oder meinte sie es ehrlich?

  »Ich mache gern ein paar Zeichnungen oder ein Mood-Board«, schlug ich dennoch vor. Ich würde sie schon überzeugen. Solche Sachen waren schließlich genau mein Ding.

  »Ja, lass sie das machen«, bestärkte mich Lyall. Ich sah auf, aber er blickte an mir vorbei zu seiner Tante, und in der nächsten Sekunde war sein Lächeln verschwunden. Seine Haltung wurde steif, sein Blick kühl, und er wieder ganz der Typ, für den ich unter seiner Würde war. Und dann schaute er zu Paula und setzte noch eins drauf. »Sie braucht schließlich eine Beschäftigung, oder?«

  Ich sah ihn wütend an und spürte Enttäuschung – weil ich für einen Moment geglaubt hatte, er wäre doch kein arroganter Idiot. »Ist das dein Ernst?« Ich holte Luft, um ihn wissen zu lassen, was ich von seinem herablassenden Gelaber hielt. Aber Paula kam mir zuvor.

  »Kenzie, du kannst gerne einige Zeichnungen oder eine Sammlung anfertigen, wenn du das möchtest«, sagte sie zu mir, und ich hatte den Verdacht, sie tat es nur, weil sie mich an einer bissigen Antwort hindern wollte.

  Ich nickte. »Sehr gern.«

  Moira Henderson war einverstanden und erlaubte mir sogar, das Lager mit den ausgemusterten Stücken des Grand für das Sammeln von Materialien aufzusuchen. Lyall hingegen sagte nichts mehr, bis sein Handy klingelte, er sich entschuldigte und ging, bevor die Besprechung zu Ende war. Ich war erleichtert, als er verschwand.

  Für den Abend hatte mich Drew ins Old Arms eingeladen, damit ich seine Freunde kennenlernen konnte. Also saß ich nach meinem ersten Tag als Paulas Praktikantin an einem alten Holztisch in dem urigen Pub und studierte die Speisekarte.

  »Wie war es mit Mum?«, fragte Drew.

  »Interessant. Vor allem der Termin im Grand . Das Hotel ist unglaublich beeindruckend.« Paula hatte mich zum Glück nicht zurechtgewiesen, weil ich ein moderneres Lobbydesign vorgeschlagen hatte, sondern mich sogar für den nächsten Vormittag freigestellt, damit ich Material suchen und die Skizzen entwerfen konnte.

  »Ich hoffe, sie lässt dir ein bisschen Freizeit. Mum ist ein echtes Arbeitstier.«

  »Na, da trifft es sich doch gut, dass ich das auch bin.« Ich grinste.

  »Heute Abend jedenfalls nicht.« Drew wedelte streng mit dem Finger. Dann sah er zur Tür, und sein Gesicht hellte sich auf, als eine kleine Brünette mit kinnlangen Haaren hereinkam. »Da ist sie ja.«

  »Sorry, Leute, mein Grandpa hatte heute seine Ärztetour, und ich musste mit, damit er auch versteht, was die Weißkittel ihm alles sagen.« Die Brünette küsste Drew zur Begrüßung und er wandte sich dann mir zu.

  »Kenzie, das ist meine Freundin Amy. Sie studiert mit mir Medizin in Glasgow, aber sie kommt auch von hier. Amy, das ist Kenzie, sie macht ein Praktikum bei meiner Mum. Ihre Mutter ist in Kilmore aufgewachsen.«

  »Freut mich sehr, Amy.« Ich gab ihr die Hand. »Ich bin immer der Fahrdienst für meine Schwestern. Also teile ich dein Leid.«

  Nur zwei Minuten später kamen eine hübsche Blondine und ein auffällig ähnlich aussehender junger Mann mit dunkleren Haaren zu unserem Tisch. Es gab viele Umarmungen und Ausrufe, dazu Fetzen von Gesprächen und Händeschütteln, bei dem ich erfuhr, dass ich es mit Mara und Tamhas zu tun hatte – Geschwistern, die ebenfalls aus Kilmore kamen. Sie studierte Umweltwissenschaften in Melbourne und er machte eine Ausbildung in Edinburgh zum Buchhändler. Als beide sich gesetzt und etwas zu trinken bestellt hatten, sah Amy ihre Freundin erwartungsvoll an.

  »Schon gehört? Der-dessen-Name-nicht-genannt-wird ist wieder in der Stadt.«

  »Nicht dein Ernst!«, sagte Mara. »Wieso weiß ich das nicht?«

  »Weil du heute erst aus Australien zurückgekommen bist?« Amy hob eine Augenbraue. »Wann hätte ich dir das mitteilen sollen?«

  »Direkt als ich am Flughafen gelandet bin.« Mara strich ihre Haare zurück. »Und, hat ihn schon jemand von euch gesehen?«

  »Sieht so aus, als kämen wir jetzt alle gleichzeitig zu dem Vergnügen.« Tamhas deutete auf den Eingang.

  Ich sah zur Tür und erkannte, dass Lyall Henderson himself gerade den Pub betreten hatte. Er ging zum Tresen und sagte mit freundlicher Miene etwas zum Wirt, während die Gespräche im Gastraum immer mehr verstummten, als hätte jemand den Lautstärkeregler heruntergedreht. Dann begann das Getuschel. Unfreundliches, zischendes Getuschel, das mir die Nackenhaare aufstellte. Niemand sagte direkt etwas zu ihm, aber viele sahen ihn feindselig an, als wäre allein seine Anwesenheit eine Zumutung.

  Er ignorierte es, sah starr geradeaus und sein Gesicht wirkte so, als würde ihm diese kollektive Ablehnung nichts ausmachen. Da war jedoch etwas in seiner Haltung, das mich daran zweifeln ließ. Seine Schultern waren hart, die Arme angespannt, sein Kinn einen Hauch zu weit oben. Ich fragte mich, wie er es sich wohl mit allen Bewohnern Kilmores verscherzt haben mochte. Wie viele Hunde musste man überfahren, um sich solchen Hass zuzuziehen?

  Endlich kam der Wirt mit einer Tüte zurück, die er auf den Tresen stellte. Der ungebetene Gast bedankte sich, bekam aber keine Antwort darauf. Als er sich umdrehte und hinausging, fiel sein Blick kurz auf mich, er zeigte jedoch kein Erkennen, sondern wandte sich schnell ab. In der nächsten Sekunde war er schon verschwunden – und alle im Pub nahmen ihre Gespräche wieder auf, als wäre er nie da gewesen.

  Merkwürdiger Auftritt.

  Mara pfiff durch die Zähne. »Irre ich mich oder ist er noch heißer als früher?«

  »Sag das lieber nicht laut.« Amy warf ihr einen warnenden Blick zu.

  »Meine Liebe, ich bin nicht in Gefahr. Ich habe ungefähr fünf Jahre lang eisern jeden Anfall von Lyallitis ferngehalten, ich fange jetzt nicht damit an.«r />
  »Lyallitis?« Ich sah sie an. »Was soll das denn sein?«

  »Schlimme Krankheit.« Amy nickte. »Immer am Anfang des Sommers, wenn Lyall und seine Cousins hier eingefallen sind, wurden die meisten Mädchen davon infiziert. Einige hatten auch Finlayitis oder Loganitis, aber den Hauptteil hat Lyall abgekriegt. Obwohl die Jungs alle heiß sind. Die Hendersons haben ziemlich gute Gene.«

  Ich drehte mein Glas. »Dann war er früher wohl netter, nehme ich an.«

  »Er war nie nett «, sagte Drew abfällig. »Die Hendersons sind eine große Bande von arroganten Wichtigtuern. Und die Mädchen in dieser Stadt waren dumm genug, darauf reinzufallen.«

  »Nur die Mädchen?«, zog ihn Tamhas auf. »Du hast Edina Henderson selbst zwei Sommer lang hinterhergehechelt, Drew.«

  »Nur einen!«, hielt er gegen. »Es war nur einer. Und ich habe nicht gehechelt, wir haben uns nur ziemlich gut verstanden.«

  Mara lehnte sich zu mir. »Das ist eine bessere Beschreibung für Ich wurde gefriendzoned «, flüsterte sie.

  Ich grinste und tat dann ganz unschuldig, als Drew mich ansah. »Was?«

  »Ich bereue nichts«, sagte er mit gespielter Ernsthaftigkeit, »das waren tolle Sommer. Zumindest bis …« Der Rest des Satzes blieb aus.

  »Bis was?«, fragte ich.

  »Ach, nichts. Es gab Stress mit Lyall, aber das sind alte Kamellen.« Tamhas winkte ab. »Kleinstadtgerede, du weißt schon.«

  Wenn ich mir Drews Gesicht so ansah, dann waren diese Worte eine echte Untertreibung. Ich senkte meine Stimme. »Na los, raus damit. Was hat er angestellt?«

  Tamhas und Drew wechselten einen Blick. »Er«, begann Letzterer zögernd, »er hatte vor ein paar Jahren etwas mit einem Mädchen von hier. Ist nicht gut ausgegangen. Und da sie der Liebling der Stadt war, hassen ihn nun alle.«

  »Weil er einem Mädchen das Herz gebrochen hat?«, fragte ich ungläubig. Das war ein Grund, um jemandem das Auto zu zerkratzen oder ihm beim Schwimmen am See die Klamotten zu klauen. Aber doch nicht für so etwas. Diese Abneigung, die ihm entgegenschlug, war echt gewaltig gewesen. Als hätte er etwas Unverzeihliches getan.

  Mara schüttelte den Kopf. »Nein, nicht deswegen. Da war noch was anderes.«

  »Was meinst du damit?« Ich sah sie irritiert an.

  »Gar nichts«, ging Amy dazwischen und lächelte mich an. »Vergiss es einfach. Das sind alte Geschichten, bei denen niemand weiß, ob sie überhaupt wahr sind. Genau wie die vom alten Dougal, der behauptet, im Winter 92 hätte ein Einhorn auf seiner Veranda gestanden. Lass dir nichts erzählen.«

  Drew musterte mich ernst. »Trotzdem sage ich es noch einmal: Mach lieber einen Bogen um ihn.«

  »Und ich sage es dir noch einmal«, antwortete ich geduldig. »Für diesen Rat gibt es keinen Grund. Er war heute so unhöflich wie gestern und wird morgen nicht netter zu mir sein. Ich bin nicht in Gefahr einer … wie habt ihr es genannt … Lyallitis .«

  »Das sagst du jetzt«, grummelte Drew.

  »Schluss damit, ihr wisst, die Hendersons wollen nicht, dass darüber geredet wird«, sagte Tamhas. »Außerdem habe ich Hunger.«

  Ich gab mich geschlagen, auch wenn die dürftigen Antworten nur noch mehr Fragen aufgeworfen hatten, und nahm stattdessen die Speisekarte. Was interessierte es mich schon, was der Typ gemacht hatte, um in Ungnade zu fallen? Damit musste schließlich er leben.

  »Was isst du, Kenzie?«, wollte Amy wissen.

  »Auf jeden Fall Haggis.«

  »Haggis?«, lachte Tamhas. »Im Ernst? Du bist doch aus dem Süden.«

  »Schon, aber meine Mum kam von hier. Und sie hat Haggis als Kind gehasst und später lieben gelernt, also will ich schauen, ob es mir auch so geht. Als ich es das letzte Mal gegessen habe, war es kein besonders schönes Erlebnis. Weder für mich noch für den Teppich im Camper meines Dads.«

  Ich bemerkte erst, was ich gesagt hatte, als mich Tamhas mit unsicherem Blick anschaute. »Deine Mutter kam von hier?«, fragte er nur.

  »Ja, sie … sie lebt nicht mehr.« Der Lärmpegel des Pubs half dabei, es auszusprechen, aber ich spürte trotzdem das Gewicht der Trauer auf meiner Brust. Ich senkte den Blick auf die Tischplatte. Hatte sie auch hier gesessen, mit ihren Freunden? Etwas gegessen und getrunken, gelacht, Gerüchte ausgetauscht – nicht wissend, dass ihr Leben knapp zwei Jahrzehnte später enden würde? Nicht wissend, dass sie einen Mann und vier Töchter zurücklassen würde, die auch sechs Jahre nach ihrem Tod noch damit zu kämpfen hatten? Mein Hals zog sich zusammen und ich rang nach Luft, aber sie fühlte sich stickig an.

  Wie durch Watte drangen die bestürzten Worte der anderen zu mir durch.

  »Oh nein, wie schrecklich.«

  »Das tut mir ehrlich leid, Kenzie.«

  »Was ist denn passiert?«

  Ich fand keine Antworten auf die Fragen, die man mir in den letzten Jahren so oft gestellt hatte. Dabei war es eigentlich zum Automatismus für mich geworden, die immer gleichen Sätze zu sagen: Sie war Naturfotografin für große Magazine und wollte eine bestimmte Felsenformation in Tasmanien ablichten. Auf dem Rückweg nach unten hat sich ein Haken gelockert und sie ist abgestürzt. Aber jetzt bekam ich kein Wort raus. Vielleicht, weil Kilmore ein Teil von ihr gewesen war. Weil sie mir hier näher zu sein schien als jemals in den letzten Jahren. Genau wie der Schmerz, der mir die Kehle zudrückte.

  Mein Stuhl kratzte über den Boden, als ich aufstand. »Ich muss mal kurz an die Luft«, stieß ich hervor. Dann war ich auch schon auf dem Weg nach draußen, schob mich durch die Tür, landete schließlich auf dem Gehsteig vor dem Pub. Aus der Hosentasche kramte ich mein Handy und rief die Nummer an, die unter »Am häufigsten kontaktiert« ganz oben stand. Es klingelte nur kurz.

  »Hi, Kenzie!«, klang es aus dem Telefon. »Wir haben gerade über dich gesprochen – ob die Schotten nett sind und wie kalt es bei dir ist.«

  »Hey, Leni«, ich lächelte erleichtert. »Sie sind nett, zumindest die meisten. Und es ist kälter als bei uns, aber ich muss wenigstens nicht frieren. Was macht ihr gerade?«

  Im Hintergrund fluchte jemand lautstark. Eleni lachte. »Willy hat versucht, Mars-Riegel zu frittieren, und nun muss sie die Fritteuse putzen, bevor Dad heimkommt und das Chaos sieht. Oh, und wir gucken Sabrina . Hast du schon die fünfte Folge gesehen?«

  »Noch nicht.« Ich spürte, wie ich mich entspannte, als ich den ganz normalen Wahnsinn von zu Hause mitbekam. Die Welt drehte sich weiter. Auch wenn in Kilmore die Erinnerungen an Mum an die Oberfläche drängten, war ansonsten alles wie immer. Ich holte tief Luft »Also kommt ihr gut ohne mich klar?«

  »Na ja, wir haben die Wäsche noch nicht gemacht und … aua! Jules, hau mich nicht!«

  »Was haben wir dir gesagt, was du antworten sollst, wenn sie dich das fragt?«, hörte ich Juliet im Hintergrund.

  »Dass alles super läuft«, seufzte Eleni.

  Ich grinste. An ihrer Geheimhaltung mussten sie definitiv noch arbeiten. Aber ich kannte meine Schwestern, ich wusste, es ging ihnen gut. »Okay, dann lege ich auf, im Pub wartet eine Portion Haggis auf mich.«

  »Igitt«, kommentierte Eleni. »Wenn du dich übergeben musst, dann kotz bitte nicht Loki voll.«

  »Versprochen«, lachte ich. »Grüß die anderen. Ich ruf wieder an.«

  Damit legte ich auf und ging zur Tür, die gerade von Drew aufgestoßen wurde.

  »Alles klar? Tut mir leid, ich habe ihnen nichts von deiner Mum gesagt, ich –«

  »Kein Thema«, unterbrach ich ihn. »Alles bestens.«

  Wir würden sehen, wann mich meine Gefühle das nächste Mal einholten. Aber fürs Erste hatte das Gespräch mit Eleni sie wieder dahin verbannt, wo sie hingehörten – in den hintersten Winkel meines Herzens.

  7

  Lyall

  Der Spießrutenlauf nahm kein Ende. Nachdem mich unsere Concierge Isla noch am Abend ins Old Arms geschickt hatte, um irgendeine besondere Gewürzmischung für den Koch des Grand zu holen, erteilte Moira mir am nächsten Morgen den Auftrag, nachmittags zum Bürgermeister zu gehen, um die Genehmigung für die Highland Games in sechs Wochen zu beantragen. Natürlich gab es für solche Aufgaben Boten im Hotel. Aber offenbar hatte
man entweder eine diebische Freude daran, mich zu quälen – oder meine Tante glaubte tatsächlich, dass meine Wiedereingliederung so funktionieren würde. Als ob. Wenn ich an die Welle aus Ablehnung dachte, die mir im Pub entgegengeschlagen war, wurde mir klar, dass es schon ein Wunder brauchte, um die Leute vergessen zu lassen, was passiert war. Meine bloße Anwesenheit schien sie wieder in die Zeit vor drei Jahren zurückzuversetzen – und mich gleich mit. Allerdings konnte ich nichts anderes machen als zu lächeln und so zu tun, als würde mir das nichts ausmachen. Denn auch wenn ich durchaus in der Lage war, mir auf andere Weise Respekt zu verschaffen, war das hier leider völlig fehl am Platz. Ich hasste es mit jeder Faser meines Körpers, dass ich nach Grandmas Pfeife tanzen musste.

  Bis zum Nachmittag hatte ich immerhin Schonfrist, um etwas zu tun, das ich tatsächlich mochte: arbeiten. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, nahm die Kopfhörer und startete das aktuelle Album der Twenty One Pilots . Dann begann ich, die Pläne des Neubaus mit Anmerkungen zu versehen, falls Moira auf mich hören sollte und einige der Trockenbauwände nicht ziehen würde. Und wie immer, wenn ich an einem Grundriss arbeitete, entspannte sich etwas in mir. Berechnungen, Linien, Strukturen, geordnete Kreativität, das alles beruhigte mich. Als ich zwei Stunden später von den Plänen aufsah, fühlte ich mich fast wie ich selbst.

  Und hungrig.

  Ich hätte die Concierge Isla anrufen können, um mir etwas zu essen zu bestellen – am besten mit breitestem US-Akzent, um sie richtig auf die Palme zu bringen. Früher hätte ich genau das getan. Aber zum einen war Moira im Haus und würde mir dann einen Vortrag halten, dass zu Kilmores Bewohnern auch die Angestellten des Hotels zählten. Und zum anderen hatte ich das Bedürfnis, mich zu bewegen.

  Der Gang im obersten Stock war menschenleer, obwohl das Grand zu dieser Zeit im Juli nahezu ausgebucht war. Suite-Gäste trieben sich einfach nicht auf den Fluren herum. Ich lief in Richtung Seitentreppe, um in meinem Jeans-und-Shirt-Look niemandem zu begegnen. Aber als ich gerade abbiegen wollte, fiel mir eine offene Tür auf: die zum Dachgewölbe des Hotels, wo sich unsere Lagerräume befanden. Eigentlich ging keiner außer Domhnall dort hoch, der Hausmeister des Grand – einer der Menschen, die mich auch nach allem, was passiert war, noch gemocht hatten. Ich hatte ihn noch gar nicht gesehen, seit ich hier war. Also ignorierte ich meinen knurrenden Magen und stieg die ausgetretenen Holzstufen hinauf.

 

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