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Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition)

Page 20

by Kiefer, Lena


  Aber anderes war so klar, als wäre ich in diesen Momenten nüchtern gewesen: Wie mich Lyall in seine Arme gezogen hatte, als ich in Tränen ausgebrochen war. Wie er neben mir gelegen hatte, genau hier, in der letzten Nacht. Und wie er mir etwas zugeflüstert hatte, das mich auch einige Stunden später noch so sehr berührte, dass mein Hals eng wurde. Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber glaub mir, ich bin beschädigte Ware. Nichts weiter als ein hübscher Karton mit einem Haufen Schutt drin.

  Ich erinnerte mich daran, wie seine Stimme dabei geklungen hatte. So als wäre er vollkommen überzeugt davon, dass er die Wahrheit sagte. Als wäre etwas in ihm wirklich unwiderruflich zerstört. Aber konnte das sein? Konnte jemand emotional zerbrochen sein, der sich so verhielt wie er gestern? Der nach mir suchte und mir bis zum Ufer folgte, weil er sich Sorgen machte? Der mich in den Arm nahm und tröstete, der mich sicher nach Hause brachte und bei mir blieb, nur weil ich ihn darum bat? Ich wollte nicht daran glauben.

  Draußen schepperte irgendwo etwas, und ich setzte mich ein zweites Mal auf, wobei mein Kopf nicht so heftig protestierte wie zuvor. Also wagte ich es, die Decke von den Füßen zu schieben und aus dem Bett zu steigen. Was brauchte ich eher, Kaffee oder Aspirin? Wahrscheinlich war beides die richtige Antwort auf diese Frage.

  Als ich die Dose mit dem Kaffeepulver aus dem Schrank nahm und den Teekessel mit Wasser füllen wollte, fiel mir ein Post-it auf. Es klebte an meiner French Press und war von dem Block, der immer irgendwo herumlag, damit ich Einkaufslisten schreiben konnte. Aber dieser Zettel war nicht mit »Milch, Eier, Butter« beschriftet, sondern mit einer Telefonnummer. Mein Herz klopfte, als ich die kurze Nachricht sah, die darunter stand.

  Ich bin gegangen, bevor es hell wurde.

  Sag mir Bescheid, ob es dir gut geht. L.

  Mein rebellierender Magen füllte sich mit Wärme, als ich die Worte las.

  Sie erinnerten mich daran, wie ich neben Lyall eingeschlafen war, in seinen Armen, mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Ich hatte mich so sicher gefühlt, so gut aufgehoben wie schon lange nicht mehr.

  Die Erkenntnis trieb mir erneut Tränen in die Augen, vor denen die Nachricht verschwamm. Ich blinzelte, schnappte mein Handy und speicherte seine Nummer unter Mister Darcy ein. Sicher war sicher. Am liebsten hätte ich ihm sofort geschrieben, aber nachdem ich die ersten Versuche zweimal gelöscht hatte, griff ich zuerst zu meiner Anti-Kater-Kombi aus einem starken Kaffee und zwei Aspirin, ging nach draußen und setzte mich auf die Holzbank, die auf jeder Parzelle stand.

  Es war nach zehn Uhr morgens und die Morrisons längst mit den Fahrrädern unterwegs, also musste ich keine lästigen Fragen beantworten. Zum Beispiel, warum ich trotz bedeckter Wetterlage eine Sonnenbrille trug. Oder wieso ich geschlagene zwanzig Minuten immer wieder etwas in mein Handy eingab, es löschte, fluchte und erneut etwas tippte, bevor ich mich für eine sehr schlichte Formulierung entschied.

  Ich bin wieder unter den Lebenden. Vielen Dank, dass du da warst. K.

  Das war zwar völlig unzureichend für die Dankbarkeit, die ich wirklich empfand, aber es schien mir sinnvoll, nicht zu übertreiben. Als ich die Nachricht abschickte, war ich dennoch so aufgeregt, als hätte ich etwas wirklich Bedeutsames getan. Würde er antworten? Oder nicht?

  Er hatte gesagt, er wolle mir sich nicht antun . Bedeutete das auch, ich bekam keine Chance, ihn vom Gegenteil zu überzeugen? Ich hoffte so sehr, dass er die Verbindung zwischen uns nicht wieder kappen würde. Ganz egal, was in seiner Vergangenheit passiert war, ich wollte mehr. Ich wollte, dass er mir vertraute – so sehr, dass er mir erzählte, was geschehen war, und ich ihm sagen konnte, dass ich damit zurechtkam. Dass ich nicht nur fühlte, er war einer von den Guten, sondern auch verstand, warum er manchmal mit Leuten so hart umging wie mit Drew. Ich brauchte keinen perfekten Prinzen auf dem weißen Pferd. Sondern einen Menschen, der mir so nah war, dass es keine Geheimnisse gab.

  Die beiden Häkchen neben der Nachricht blieben grau, solange ich mit meinem Kaffee am Loch saß und versuchte, ihn im Magen zu behalten. Erst als die Übelkeit nachließ, ich meinen Becher nahm und wieder zurück zu Loki schlich, gab mein Telefon einen Laut von sich.

  Kein Problem. Was macht dein Kopf?

  Die Nachricht klang sachlich, aber vielleicht war Lyall einfach nicht der Typ für Emojis. Ich überlegte, ob ich etwas Zeit verstreichen lassen sollte, damit es nicht so aussah, als hätte ich nur auf eine Antwort gewartet, aber dann verdrehte ich die Augen über mich selbst und fing an zu tippen.

  Der braucht eine eigene Postleitzahl. Sieht so aus, als wäre der schottische Anteil in mir nicht so groß wie gedacht. Ich schickte sie ab, aber dann tippte ich doch noch weiter. Gab es Ärger, weil du nicht bei der Auktion warst?

  Es dauerte keine Minute, bis eine Antwort kam. Ich war wohl nicht die Einzige, die das Handy in der Hand behalten hatte.

  Nein. Okay, ein bisschen.

  Nur ein bisschen?

  Nicht weiter tragisch. Edina hat das Schlimmste verhindert.

  Sie ist großartig. Bitte sag ihr Danke. Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich die unglaubliche Gelegenheit verpasst hatte, Theodora Henderson zu treffen. Nein, ich hatte sie nicht nur verpasst. Ich war von einer Party geflüchtet, auf der Lyalls Mutter erwartet hatte, dass ich da sein würde. Gnah.

  Schnell tippte ich: Und sag deiner Mutter, dass es mir leidtut und ich mir auf ewig in den Hintern beißen werde, weil ich sie nicht getroffen habe.

  Ich atmete aus, als mir bewusst wurde, was das für eine Chance gewesen wäre. Einmal mit ihr reden, mir ihre Visionen anhören, sie zu ein paar Dingen befragen, die sie in den letzten Jahren vollbracht hatte … das wäre etwas gewesen, das ich wohl nie vergessen hätte.

  Sag ihr das doch selbst, antwortete Lyall.

  Wie … meinte er, dass …?

  Ist sie etwa noch da? Und wollte ich ihr völlig verkatert unter die Augen treten? Wenn nötig, auch das , dachte ich. Nach gestern konnte ich den hinterlassenen Eindruck wohl kaum weiter verschlimmern.

  Sie ist heute für Termine in Edinburgh, aber sie wird morgen bei deiner Präsentation dabei sein.

  Ach du Scheiße. Mein Blut verließ abrupt meinen schmerzenden Schädel, und ich hatte das Gefühl, ohnmächtig werden zu müssen.

  Oh Gott. Dein Ernst?

  Mein absoluter Ernst. Brauchst du jetzt ein Sauerstoffzelt? Mehr Whiskey? Eine Schachtel Edinburgh Rock? Lyall schicke einen lachweinenden Smiley hinterher. Offenbar wusste er doch die ganze Bandbreite digitaler Kommunikation zu nutzen.

  Machst du dich etwa lustig über mich?, tippte ich, während ich versuchte, Luft zu bekommen.

  Nur ein bisschen. Meine Mutter ist entgegen anderslautenden Gerüchten immer noch ein Mensch. Und sie freut sich wirklich sehr darauf, dich kennenzulernen. Falls das hilft: Sie ist eher wie Edina als wie ich.

  Ich wollte schon so etwas Flapsiges schreiben wie »Das ist total beruhigend«, aber ich kam ins Stocken und erinnerte mich an die letzte Nacht und daran, dass Lyall offenbar glaubte, er wäre nicht in Ordnung, so wie er war. Und auch wenn wir gerade scherzten, ich wollte ihm dabei nicht recht geben.

  Das ist schade. Denn auch wenn Edina wirklich nett ist – sie war es nicht, die gestern nach mir gesucht hat, um sicherzugehen, dass es mir gut geht.

  Ich schickte die Nachricht ab und die Aufregung um mein bevorstehendes Treffen mit Theodora vermischte sich mit meinen Gefühlen, die ich Lyall gegenüber empfand. Gefühle, die völlig durcheinander waren, weil ich die ganze Zeit hin- und herschwankte, schon seit ich ihm das erste Mal begegnet war. Aber was ich ihm geschrieben hatte, war die Wahrheit. Dass er letzte Nacht da gewesen war, bedeutete mir mehr, als ich mit ein paar Worten in einer Textnachricht ausdrücken konnte. Viel mehr.

  Dafür kann ich morgen nicht dabei sein, antwortete er mir direkt darauf. Ich muss noch heute nach Spanien zu einem Golfturnier.

  Enttäuscht ließ ich die Schultern hängen. Ich hatte darauf gesetzt, dass wir Moira und Paula gemeinsam davon überzeugen würden, die neue Struktur der Lobby sei eine gute Idee. Nach der gestrigen Nacht erst recht. Und nun fuhr er weg? Zum Golfen?

  Kannst
du das nicht verschieben?, fragte ich.

  Leider nicht. Anweisung von ganz oben.

  Ganz oben? Gott?

  Noch weiter oben: Grandma.

  Ich musste wider Willen lachen. Wie lange bist du weg?

  Eine Woche.

  Eine ganze Woche? Ich werde dich vermissen.

  Die Worte waren geschrieben und abgeschickt, noch bevor ich darüber nachgedacht hatte, ob sie eine gute Idee waren. Aber nach dem ersten Schreck zuckte ich mit den Schultern. Ich hatte beschlossen, mich auf mein Gefühl zu verlassen. Dazu passte es, dass ich ihm sagte, was ich fühlte.

  Es kam keine Antwort, nicht nach fünf, nicht nach zehn Minuten. Ich wusste nicht, ob ich noch etwas hinterherschicken sollte, aber dann beschloss ich, meinem lädierten Kopf eine Dusche zu gönnen, statt ihn mir zu zerbrechen. Mit eiserner Willenskraft ließ ich mein Telefon im Camper, schnappte meinen Waschbeutel und ging hinaus. An der Tür zum Duschgebäude hing ein Schild: Wartungsarbeiten . Ich drückte sie trotzdem auf und steckte die Nase hinein.

  »Drew? Bist du hier?«

  »Ja, hier hinten.« Etwas Metallisches fiel auf Fliesen, Drew fluchte und ich schob mich komplett durch die Tür.

  »Kann ich dir helfen?«, fragte ich belustigt, als ich den großen Kerl auf dem Boden knien sah, seinen kritischen Blick auf ein Loch gerichtet, über dem sich sonst das Ablaufgitter befand. »Oder wartest du, bis Nessi von allein rauskommt?«

  »Dass du schon wieder Witze machen kannst«, gab er grinsend zurück. »Ich habe gehört, du hast bei der Henderson-Ausstellung ganz schön zugelangt.«

  Ich setzte mich auf die Bank, die neben den Duschen stand. »Eher danach. Aber die beiden Aspirin wirken langsam.«

  »Was war denn los?« Drew richtete sich auf und holte ein Wägelchen heran, das aussah wie eine Sackkarre mit einer Trommel darauf. Er schob es zu der Öffnung im Boden. »Mum hat gesagt, du hättest mit Edina Henderson rumgehangen und wärst dann plötzlich weg gewesen.«

  Einen Moment überlegte ich, was ich über diesen Abend erzählen sollte. Dann entschied ich mich für die Hälfte der Wahrheit. »Es wurden Bilder meiner Mum ausgestellt und ich … irgendwie hat es mich total überrumpelt, dieses letzte Foto zu sehen, das sie vor ihrem Tod gemacht hat.« Ich hob die Schultern. »Deswegen bin ich dann lieber gegangen. Ich wollte nicht, dass die ganzen Leute dort sehen, wie ich heule.«

  »Oh nein, das tut mir so leid.« Drew hielt inne und sah mich bedauernd an. »Haben die dir denn nicht gesagt, dass dieses Foto dort sein würde?« Hatte denn keiner von den Hendersons den Anstand, dich vorzuwarnen? , war die eigentliche Frage, die er mir stellen wollte.

  »Doch, Moira hat mich gefragt, ob das in Ordnung ist.« Dass auch Lyall danach gefragt hatte, verschwieg ich. »Und ich habe Ja gesagt. Wahrscheinlich haben sie einfach die Fotos bei Mums Agentur angefragt und wussten nicht, dass ihr letztes Bild dabei sein würde.«

  Drew nickte und begann, einen Schlauch aus der Trommel in den Abfluss zu fädeln. »Ich bin nur froh, dass du um Lyall mittlerweile einen Bogen machst.«

  Wenn du wüsstest, dass dieser Bogen heute Nacht auf null geschrumpft ist. Ich hob eine Augenbraue. »Bei seiner Schwester hast du kein Problem, wenn ich mit ihr rede. Wieso? Weil du mal scharf auf sie warst?«

  Drew schnaubte und ging zur Steckdose, um das Kabel anzuschließen. »Edina ist die glorreiche Ausnahme. Sie ist zwar genauso reich und verwöhnt wie die anderen, aber sie ist ehrlich und hat ein Herz.«

  Das hat Lyall auch , dachte ich. Aber ich wollte jetzt keine neue Predigt, dass ich mich von ihm fernhalten sollte.

  »Sie ist wirklich nett, das stimmt«, war meine einzige Antwort und Drew nickte.

  »Achtung, es wird laut.« Als er auf den Knopf drückte, ratterte es und der Schlauch glitt in den Abfluss. Ich stand auf.

  »Ich dusche dann später!«, rief ich Drew über den Lärm hinweg zu, er zeigte mir einen gereckten Daumen und ich machte mich vom Acker. Wahrscheinlich war es eh das Beste, ich ging an die Arbeit. Wenn nicht nur Moira und Paula meinen Raumteiler in Augenschein nehmen wollten, sondern auch Theodora Henderson, dann musste er mehr als perfekt sein.

  Zurück im Camper zog ich mir eilig meine Arbeitssachen an und schaute aufs Handy. Da sah ich, dass ich zwei neue Mitteilungen hatte. Aber keine von Lyall.

  Paulas Nachricht war kurz: Theodora Henderson wird bei unserem morgigen Termin dabei sein. Ich hoffe, du genießt deinen Sonntag trotzdem. ;)

  Die andere war in unserer Familiengruppe: Vermissen dich! , stand unter einem Bild von meinen Schwestern und meinem Dad, die an einem Tisch saßen, der sich unter dem typischen Stayton-Sonntagsfrühstück bog. Ich grinste und schickte ein paar Kuss-Emojis zurück, antwortete Paula mit einem, der eine Schweißperle auf der Stirn hatte, und skippte wieder in den Chat mit Lyall. Aber egal, wie lange ich auf die kleinen grauen Häkchen starrte, sie wurden nicht blau. Vielleicht war er mit seiner Familie beschäftigt, vielleicht war er auch bereits im Flugzeug nach Spanien. Kein Grund zur Sorge , sagte ich mir. Er wird schon noch antworten.

  In der Werkstatt des Grand schnappte ich mir ein Päckchen Schrauben und den Profi-Schrauber von Mister Adair, um die Fächer für Bücher oder Dekoration anzubringen. Ich hatte mich für Lyalls Vorschlag entschieden, sie nicht versetzt zu platzieren, sondern auf gleicher Höhe – aber jetzt war ich mir nicht mehr so sicher, welche Höhe das sein sollte. Nachdenklich fuhr ich über die unterschiedlichen Materialien: Ein Fach war mit Leder ausgekleidet, eins mit dem Tartan-Stoff des Henderson-Clans, ein drittes bestand einfach aus naturbelassenem Holz. Ich nahm das mit Lederbezug, setzte es auf mein Gerüst und schraubte es an, dann machte ich mit den anderen weiter. Als ich fertig war, trat ich einige Schritte zurück und besah mir mein Werk. Es sah super aus, sehr klar und edel. Ich hoffte so, dass Theodora und Moira es mögen würden. Aber als ich daranging, die Lederapplikationen auf das Holz zu pinnen, um zu sehen, wo ich sie anbringen konnte, gefiel mir keine Variante so richtig. Zehn-, zwanzig-, hundertmal änderte ich die Anordnung und war doch nie richtig zufrieden. Seufzend lehnte ich mich an die Werkbank.

  Was ich jetzt brauchte, war ein frischer Blick von jemandem, der meine Ideen mochte und etwas von diesen Dingen verstand. Allerdings gab es da nur einen. Und dem hatte ich eigentlich nicht noch eine Nachricht schicken wollen.

  Nun komm schon. Du hast doch sonst keine Probleme damit, um Hilfe zu bitten. Doch – wenn es so aussah, als würde ich ihm hinterherrennen, nachdem ich ihm schon gesagt hatte, ich würde ihn vermissen.

  Ich haderte mit mir, aber dann war mir klar, dass ich noch heute Abend hier sitzen würde, wenn ich nicht ein bisschen Input bekam. Also nahm ich mein Handy, machte ein Foto von der letzten Anordnung und wollte es Lyall schicken. Aber in dem Moment wurden alle Häkchen plötzlich blau. Und dann tauchte das ersehnte Mister Darcy schreibt … oben in der Leiste auf. Ich hielt die Luft an, nannte mich dann ein dummes Huhn und legte das Handy weg, nur um es sofort wieder in die Hand zu nehmen. Aber der Hinweis darauf, dass er eine Nachricht verfasste, verschwand wieder. Es dauerte lange, bis eine Nachricht erschien.

  Auf einer Skala von 1 bis Twilight, wie viel Klischee ist es, wenn ich dir sage, dass du dich besser von mir fernhalten solltest?

  Es klang scherzhaft, aber mir wurde trotzdem kalt, als ich es las und mir wieder seine Worte aus der letzten Nacht in den Sinn kamen. Deswegen gab ich auch keine witzige Antwort, obwohl mir hundert dazu eingefallen wären.

  Spar dir die Mühe, tippte ich. Du bist einer von den Guten, Mister Darcy. Und ganz egal, was du sagst, davon lasse ich mich nicht abbringen.

  21

  Lyall

  Der erste Moment nach dem Aufwachen in Kenzies Campervan war unglaublich. Ich hatte mich schon seit Jahren nicht mehr so entspannt gefühlt – oder so zufrieden wie in dem Augenblick, als ich auf das Mädchen in meinen Armen heruntersah. Aber dann kam die Realität mit ihrer harten Linken und traf mich direkt in den Magen. Du kannst nicht hierbleiben , sagte sie mir. Du musst verschwinden, bevor alle aufwachen und irgendjemand merkt, dass du nicht da bist.

  Wer immer da in meinem Kopf sprach, hatte recht. Mal ganz abgesehen da
von, was meine Familie dazu sagen würde – Drew führte hier das Regiment und Kenzies Nachbarn waren mehr als aufmerksam – sobald es hell wurde, würde ich nicht mehr unbemerkt gehen können. Also befreite ich mich schweren Herzens aus Kenzies Umarmung, ließ mich dazu hinreißen, sie auf die Stirn zu küssen, und stand auf. Da ich in Hemd und Hose geschlafen hatte, musste ich meine Sachen nicht erst zusammensuchen, was eine Premiere nach einer Nacht mit jemandem wie ihr war. Dafür suchte ich nach einem Zettel und einem Stift, um ihr eine Nachricht und meine Nummer zu hinterlassen. Ich fand einen Block Post-its und hielt plötzlich inne. War es nicht besser, ich gab ihr die Nummer nicht? Nein, das brachte ich nicht fertig, nicht nach heute Nacht. Es war schließlich nur eine Handynummer, sonst nichts. Ja, sicher. Ich ignorierte den Sarkasmus meiner inneren Stimme, erklärte in kurzen Worten, warum ich wegmusste, schrieb meine Handynummer darüber und klebte den Zettel an die French Press. Die würde sie nach dem Aufwachen garantiert in Betrieb nehmen.

  Mein Jackett lag auf der Sitzbank, und ich zog es an, bevor ich so leise wie möglich die Schiebetür öffnete und sie hinter mir wieder schloss. Ich lief auf direktem Weg zu der Stelle, wo der Platz an das Anwesen des Grand grenzte, kletterte über den Zaun und hielt mich trotz der Dunkelheit im Schatten der Baumreihe auf dem Grundstück, bis ich endlich die Hintertür erreichte.

  Die verschlossen war.

  »Fuck«, stieß ich leise aus. Natürlich war die Tür zu, das war sie immer zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens, aus Versicherungsgründen. Und meine Zimmerkarte war hier nutzlos, weil sie keine Generalfunktionen hatte. Das bedeutete, ich musste zum Haupteingang rein, wo mich der Nachtportier sehen würde – oder ich blieb hier draußen, bis es sechs war, also noch ungefähr eineinhalb Stunden, um dann von denjenigen Angestellten gesehen zu werden, die um diese Zeit ihren Dienst antraten. Beides scheiße. Also beschloss ich, sofort reinzugehen.

 

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