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Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition)

Page 25

by Kiefer, Lena


  »Ich habe dir angeboten, mit ihr zu reden«, erinnerte ich ihn.

  »Ja, und ich habe abgelehnt. Weil es nichts bringt. Wenn du ihr nicht aus dem Kopf löschen kannst, dass sie sich in mich verliebt hat, dann gibt es nichts, was du tun kannst.«

  Ich atmete ein und die Ausweglosigkeit in seiner Stimme schnürte mir die Kehle zu. »Das ist echt scheiße, Mann. Das alles.«

  »Ich weiß.« Finlay stieß die Luft aus und versuchte sich dann an einem lockereren Tonfall. »Aber reden wir lieber über dich. Zum Beispiel, dass du jetzt in dein Exil zurückkehrst, das dir so gefehlt hat. Oder doch eher Kenzie?«

  Ich lächelte, auch wenn es mir am Ende ja kaum anders ging als meinem Cousin. »Wir haben diese Woche öfter telefoniert.«

  »Oho, telefoniert? Oder telefoniert ?« Finlay ließ das Wort so unanständig klingen wie möglich.

  Ich grinste. »Es war die meiste Zeit harmlos«, versicherte ich ihm.

  Finlay pfiff durch die Zähne. »Und jetzt fliegst du hin und sorgst dafür, dass es weniger harmlos wird? Finde ich gut, das Mädchen ist klasse. Aber denk dran, sie kann mit Kreissägen und Bohrern und so Zeug umgehen. Und ich will dich nicht im Knabenchor singen hören, also sei lieber nett zu ihr. Am besten geht ihr aus, bevor ihr übereinander herfallt.«

  »Ich habe nicht vor –«, begann ich, wurde aber von einem ungläubigen Lachen gestoppt.

  »Himmel, Lye, hör auf, dir in die Tasche zu lügen. Natürlich hast du das vor.«

  »Das stimmt nicht!«, widersprach ich. »Oder hast du vergessen, dass Fiona und Moira ständig um mich herumschleichen?«

  »Dann geh mit Kenzie woanders hin. In Edinburgh gibt es doch dieses fantastische Restaurant am Eyre Place. Da spürt Moira euch garantiert nicht auf. Und in der Nähe sind mehrere Hotels, die nicht unser Logo über dem Eingang haben.«

  Mein Flug wurde aufgerufen und ich stand auf. »Als du mir das letzte Mal gute Ratschläge gegeben hast, lag am nächsten Morgen ein kolumbianisches Model neben mir im Bett. Ich glaube, ich verzichte.«

  »Dein Pech, Mann. Meine Ratschläge sind legendär.«

  »Ich muss zum Flieger, Fin. Wir hören uns, wenn ich wieder in der Heimat bin.«

  »Alles klar. Flieg vorsichtig.« Dann legte er auf, und ich ging zum Ausgang, nahm jedoch nicht die Schlange, die mit Priority beschildert war, sondern die reguläre. Man hatte zwar Business Class für mich gebucht, aber so hielt ich das Risiko, mit jemandem reden zu müssen, der meine Familie kannte, relativ gering.

  Während ich in der Schlange hinter einem Paar mit zwei kleinen Jungs stand, drehte ich unschlüssig mein Telefon in der Hand. Sollte ich Kenzie wirklich zum Essen einladen, irgendwohin, wo uns niemand erkannte? Oder war das eine blöde Idee? Fakt war, ich wollte sie sehen, unbedingt. Ich konnte es kaum erwarten. Und in Kilmore ging das nur extrem schwer. Vielleicht war der Vorschlag also gar nicht schlecht, obwohl er von Finlay kam.

  Hey, ich komme heute am späten Nachmittag zurück nach Kilmore. Hast du Lust, mit mir außerhalb etwas essen zu gehen?, schrieb ich.

  Es dauerte keine halbe Minute, bis ihre Antwort kam.

  Oh, eigentlich total gerne! Aber ich wollte übers Wochenende mit Loki in die Highlands. Ich wusste ja nicht, dass du heute schon wieder da bist.

  Ich hatte vorgehabt, erst am Sonntagnachmittag zurückzufliegen, weil es noch einen Brunch für unsere Stiftung geben sollte. Eric hatte mir jedoch versichert, dass er das allein hinkriegen würde.

  Okay, dann sehen wir uns, wenn du wieder da bist. Genieß deinen Trip.

  Ich wusste, wie sehr sie sich darauf freute, in den Highlands zu campen, da würde ich sie nicht darum bitten, meinetwegen dazubleiben. Die nächsten Wochenenden waren mit Veranstaltungen verplant – erst das Stadtfest und danach die Highland Games. Wenn Kenzie ihren Plan umsetzen wollte, ging das nur jetzt.

  Ich sah auf das Display.

  Miss Bennet schreibt …

  Miss Bennet schreibt …

  Miss Bennet schreibt …

  Meine Güte, was schrieb sie denn da für einen Roman? Ein Geht klar oder Danke, werde ich konnte ja kaum so lange dauern. Oder schrieb sie etwas ganz anderes? Ich wartete angespannt eine weitere Minute, dann erschienen drei Worte.

  Komm doch mit.

  Ich atmete ein und ließ die Luft wieder entweichen, während ich auf mein Telefon starrte. Komm doch mit. Zu einem Camping-Trip in die Highlands. Zwei Tage allein mit ihr, zwei Nächte mit ihr … das war etwas völlig anderes als ein Essen im Restaurant. Etwas viel Gefährlicheres. Denn mir waren in den letzten Tagen unzählige Dinge eingefallen, die ich mit Kenzie tun wollte – mit ihr reden war der harmloseste Punkt auf der Liste.

  Wie hatte ich mich nur dazu hinreißen lassen können, sie um ein Date zu bitten? Das war echt dumm gewesen. Denn es bedeutete, dass ich darüber nachdachte, sie nicht länger von mir fernzuhalten. Dass ich daran glaubte, die Sache zwischen uns könnte doch etwas werden, obwohl es unmöglich war.

  Ich kann nicht, tut mir leid, tippte ich, schickte es jedoch nicht ab. Mein Daumen verharrte Ewigkeiten über dem weißen Pfeil auf grünem Grund, aber ich brachte es nicht fertig, ihn zu berühren. Stattdessen löschte ich, was ich geschrieben hatte. Denn es ließ sich nicht leugnen: Kenzie Stayton war längst in meinem Leben. Ich würde durchdrehen, wenn ich nicht herausfand, was da zwischen uns war. Und solange niemand davon erfuhr, war ich sicher.

  Entschlossen nahm ich mein Telefon wieder hoch und gab einen neuen Text ein.

  Bin dabei. Ich melde mich, sobald ich in Glasgow gelandet bin.

  Dann schickte ich die Nachricht ab und schaltete den Flugmodus ein. Es gab kein Zurück, ich hatte mich entschieden. Das fühlte sich ziemlich krass an.

  Krass gut.

  Kenzies Campervan stand ganz am Rand des Parkplatzes von Killiecrankie, und sie stieg aus, als ich den Mietwagen abschloss und meine Tasche vom Rücksitz nahm. Moira hatte ich von unterwegs angerufen und ihr gesagt, ich würde das Wochenende in Edinburgh verbringen, sodass ich erst gar nicht ins Grand musste. Noch vorher hatten Kenzie und ich uns vor diesem Baumarkt ein paar Orte entfernt von Kilmore verabredet. Auch wenn ich ihr nie genau erklärt hatte, warum, schien sie genau zu wissen, dass wir beide nicht zusammen in der Stadt gesehen werden sollten.

  Als ich näher kam, sah ich, dass sie mich mit einer Mischung aus Freude und Unsicherheit anschaute. Ich musste lächeln, weil ich zwar nicht vergessen hatte, wie wahnsinnig hübsch sie war, aber die Realität so viel besser war als die Erinnerungen daran.

  »Hey«, machte sie, als ich schließlich vor ihr stand.

  »Hey«, antwortete ich und umarmte sie zur Begrüßung – ganz harmlos. Zumindest redete ich mir das ein, während mir ihr Geruch in die Nase stieg und sich Bilder in meinem Kopf breitmachten, die definitiv nicht auf einen Parkplatz gehörten. Ich ließ Kenzie los, aber sie anzusehen, machte es nicht besser, im Gegenteil. Ihr tiefer Blick in meine Augen sagte mir, dass sie das Gleiche dachte wie ich. Gott, ich wollte sie unbedingt küssen. Jetzt, sofort. Völlig egal, wie viele Leute hier waren.

  Kenzie schien zu merken, wie gefährlich das gerade wurde, denn sie unterbrach den Blick, holte Luft und strich sich dann eine Strähne hinter das Ohr.

  »Hattest du einen guten Flug?«, fragte sie mich.

  »Japp«, grinste ich. »Hattest du einen Kurs in Small Talk?«

  Sie lachte und die Spannung zwischen uns löste sich für einen Moment auf. »Entschuldige mal, ich wollte höflich sein, okay? Es kann ja nicht jeder so ein ungehobelter Mister Darcy sein wie du.«

  Ich lachte mit. »Sorry. Alte Gewohnheiten.«

  Kenzie sah mich an. »Du kannst übrigens bei mir so reden, wie du willst«, sagte sie dann. »Du musst dich nicht verstellen. Ich stehe im Gegensatz zu anderen gar nicht so sehr auf schottischen Akzent.«

  Ich stockte. Woher wusste sie das? Aber dann fiel mir ein, dass sie Drew und mich gehört hatte.

  »Sicher?«, scherzte ich und wechselte zu meiner gewohnten Sprechweise der letzten Jahre. »Ich will mir meine Chancen nicht versauen.«

  Sie grinste nur. »Wer sagt, dass du welche hast?« Dann zeigte sie zu ihrem W
agen. »Wir sollten los, sonst sehe ich die Highlands nur noch im Dunkeln. Deine Tasche kannst du hinten reinwerfen.«

  Ich tat, wie mir geheißen, aber dann kam mir eine Idee.

  »Soll ich vielleicht fahren?«, fragte ich Kenzie.

  »Du? Warum?«

  »Erstens, weil du nicht viel von der Landschaft siehst, wenn du dich über die engen Straßen kämpfst und aufpassen musst, dass du kein Schaf umfährst. Und zweitens, weil ich den besten Platz in den Highlands kenne und du nicht.«

  Sie blieb skeptisch und zeigte auf ihr Auto. »Kannst du so was denn fahren?«

  »Ich habe letztes Jahr in Chicago auf dem Bau gearbeitet, seitdem fahre ich dir alles, was Räder hat.«

  Die Skepsis wich Überraschung. »Auf dem Bau? Dein Ernst?«

  »Du weißt vieles über mich nicht, Miss Bennet.« Erst als ich den Satz ausgesprochen hatte, fiel mir auf, dass er auch auf das dunkelste Kapitel in meinem Leben zutraf. Schnell streckte ich die Hand nach dem Schlüssel aus. »Komm schon, gib mir eine Chance. Ich mache deinen Liebling schon nicht kaputt.«

  26

  Kenzie

  »Du fährst echt gut.« Ich sah Lyall vom Beifahrersitz aus an.

  »Das klingt so, als würde dich das überraschen.« Er schaute weiter auf die Straße, aber sein Mundwinkel zuckte zu einem Lächeln. Ob ich je aufhören würde, das unwiderstehlich zu finden?

  »Na ja, ich dachte, jemand wie du wird herumchauffiert und fährt nicht selbst.« Ich hob die Schultern. Warum den Vorurteilen nicht frische Luft gönnen?

  »Ich bin nicht so ein Jemand «, gab er zurück, aber es klang nicht unfreundlich.

  Neugierig legte ich den Kopf schief. »Du bist also nicht reich?« Er musste lachen und gab keine Antwort. »Wieso lachst du?«

  »Weil Finlay heute noch gesagt hat, er würde außer mir niemanden kennen, der es so fürchterlich findet, reich zu sein.« Lyall bog in eine schmalere Straße ab. »Dabei bin ich das eigentlich gar nicht. Wir bekommen erst mit dreißig Zugriff auf unser Vermögen – und nur dann, wenn wir vorher bestimmte Auflagen erfüllen.«

  Ich dachte an die Geschichte mit seinem Onkel, und daran, dass er mir vor Wochen gesagt hatte, er sei nicht freiwillig in Schottland. »Ist dein Sommer in Kilmore so eine Auflage?«

  Jetzt sah er mich an und seine tiefbraunen Augen schauten ernst. »Ja«, sagte er dann schlicht.

  Ich fixierte das Armaturenbrett. »Deine Schwester meinte, du müsstest diesen Sommer sauber über die Bühne bringen . Und, dass es wichtig für dich wäre. Das bedeutet, wenn du in Kilmore nicht den Musterknaben gibst, dann passiert was? Das Gleiche wie mit Jamie?«

  »Nein, so etwas droht nur, wenn du öffentliche Skandale produzierst. Aber ich würde in Zukunft sicher keine Rolle im Unternehmen spielen. Wer nicht beweist, dass er im entscheidenden Moment funktionieren kann, wird ausgemustert. Und das will ich nicht. Ich will …«, er zögerte, »ich will etwas verändern. Damit so was wie mit Jamie nie wieder jemandem in meiner Familie passiert.« Als er mir einen unglücklichen Blick zuwarf und dann schnell wegsah, ahnte ich, dass da noch mehr war.

  »Ich verstehe«, sagte ich, obwohl das absolut nicht der Fall war. »Also musst du alles tun, was sie verlangen? Wie hältst du das aus? Ich dachte, du wärst …« Ich brach ab, weil ich merkte, dass ich vielleicht über das Ziel hinausschießen würde. Zwar hatte ich das Gefühl, dass wir uns in der letzten Woche nähergekommen waren, aber das bedeutete nicht, dass ich mit ihm reden konnte wie mit jemandem, den ich ewig kannte.

  »Du dachtest, ich wäre was ?«, fragte Lyall mich.

  »Keine Ahnung. Ich hätte dich rebellischer eingeschätzt.« Ich sagte es in einem neckenden Ton, um den Worten die Ernsthaftigkeit zu nehmen.

  »Ist es etwa keine Rebellion, dass ich jetzt in diesem Auto sitze und mit dir in die Highlands fahre, obwohl darauf die Höchststrafe steht?«, fragte er grinsend.

  Meine Augen wurden groß und ein unangenehmes Kribbeln kroch mir den Rücken hinauf. »Auf einen Ausflug mit mir steht die Höchststrafe?« Ich ahnte ja längst, dass man uns besser nicht zusammen in Kilmore sah, aber dass die Hendersons uns ebenfalls so beäugten, war mir bisher nicht bewusst gewesen. »Dann sollten wir vielleicht zurückfahren.«

  »Warum?«, fragte er unbeirrt.

  »Weil offenbar deine Zukunft davon abhängt?«

  Er lächelte wieder dieses umwerfende Lächeln. »Lass das meine Sorge sein.«

  »Okay, fahr links ran und halt an«, befahl ich streng. Ich spürte, dass Lyall mich ansah, aber ich wich ihm aus. Zumindest, bis er den Blinker betätigte und tatsächlich an den einsamen Straßenrand fuhr.

  »Wenn du vorhast, mich hier rauszuwerfen –«

  »Halt den Mund«, unterbrach ich ihn rüde. »Ich will nicht, dass du alles riskierst, nur weil ich dir eine blödsinnige Nachricht geschickt habe. Ich hatte keine Ahnung, dass so viel für dich davon abhängt, sonst hätte ich das nie gemacht!« Was hatte mich da eigentlich geritten? Komm doch mit. Das schrieb ich einem Kerl, den ich nicht nur unglaublich heiß fand, sondern auch noch wirklich mochte – und den ich mit dieser Aufforderung ganz offensichtlich dazu brachte, alles aufs Spiel zu setzen. Ich setzte erneut an. »Lyall, ich will nicht, dass du –«

  »Kenzie, hey, stopp«, bremste er mich. Dann streckte er die Hand aus und berührte meinen Arm. Sein Blick war todernst. »Ich bin verdammt froh, dass du diese Nachricht geschickt hast. Weil ich gerade nirgendwo anders sein will als hier mit dir.« Er holte Luft. »Und wir sind allein, niemand weiß davon, also ist alles gut. Okay?«

  »Okay«, antwortete ich knapp, denn wenn er mich so ansah, fiel mir das Atmen immer schwer. Und mit einem Mal waren da nur wir und die Gewissheit, dass wir beide an keinem anderen Ort sein wollten. Er, ich und das unbändige Verlangen, ihn zu küssen. Es begleitete mich schon, seit wir uns auf dem Parkplatz begegnet waren, aber jetzt wurde es übermächtig.

  Ich beugte mich vor und Lyall kam mir entgegen. Aber im nächsten Moment ertönte ein ohrenbetäubendes Hupen. Ein Lkw rauschte an Loki vorbei, und ich war nicht sicher, ob das eine Beschwerde oder ein Gruß gewesen war. Auf jeden Fall hatte es den Moment zerstört.

  Lyall lehnte sich zurück.

  »Also, können wir weiterfahren?«, fragte er.

  »Wenn du das willst.« Ich lächelte.

  »Ach, so läuft das bei dir? Wir machen immer, was ich will?« Jetzt war der neckende Unterton auf seiner Seite, und unter dem Blick, der mich traf, flirrte mein Magen erneut auf höchster Stufe. Ich erinnerte mich an den Kuss, daran, wie ich bei unserem Telefonat seinen Körper gesehen und irgendwie darauf gehofft hatte, dass … Schluss jetzt! Du bist hier, um die Highlands zu bewundern. – Ja, schon, aber das ist echt schwer, wenn er neben mir sitzt. Oder wenn ich daran dachte, dass wir nicht nur den Abend miteinander verbringen würden, sondern auch die Nacht. Und den Morgen. Und die Nacht danach. Reiß dich zusammen.

  »Vielleicht?«, antwortete ich also, während wir wieder auf die Straße fuhren. »Aber rechne lieber nicht damit.«

  »Das ist kein Problem für mich. Ich bin keiner von der Sorte, die immer alles bestimmen wollen.« Er grinste auf eine Weise, die mein Kopfkino ganz und gar nicht zum Stillstand brachte. Dann bogen wir jedoch um eine Kurve und meine Erwiderung blieb mir im Hals stecken.

  Wir fuhren in ein breites Tal, das auf beiden Seiten von Hängen voller Bäume gesäumt wurde, die von der Sonne in sattes Grün getaucht waren. Weiter oben waren die Felsen nackt und ragten schroff in den blauen, von Wolken durchzogenen Himmel. Alles wirkte so unberührt, als hätte nie ein Mensch seinen Fuß in diese Landschaft gesetzt. Lyall fuhr noch ein Stück, dann bog er in einen schmalen Weg ab, der einige Minuten bergauf führte und auf einem kleinen Plateau endete. Dort parkte er Loki und öffnete die Tür.

  »Darf ich Sie zu einem Spaziergang einladen, Miss Bennet?«

  »Ein Spaziergang? Wohin?«

  Er grinste, kam zur Beifahrerseite und hielt mir die Hand hin. »Ich habe doch gesagt, ich zeige dir den schönsten Ort in den Highlands.«

  »Ich dachte, das wäre er.« Wo konnte es noch schöner sein als hier?

  »Nicht ganz. Er ist hi
nter der Anhöhe da vorne. Dort kommt man nicht mit dem Auto hin.«

  Ich ergriff seine Hand und stieg aus, bevor ich sie wieder losließ. Nicht, weil ich sie nicht gerne länger gehalten hätte, sondern weil ich mir in seiner Nähe nicht traute. Noch war mein Plan, auf diesem Ausflug vor allem die Highlands zu sehen, nicht vergessen. Auch wenn dieses Stimmchen in meinem Kopf mir unaufhörlich zuflüsterte, wen ich eigentlich wollte. Oder was. In den letzten Tagen hatte ich so oft daran gedacht, und jetzt, wo er bei mir war, wurde es fast schon unerträglich, dem nicht nachzugeben.

  Lyall ging einen schmalen Pfad entlang, der leicht bergan stieg und dann über eine Kuppe führte. Wir liefen durch ein Wäldchen und traten schließlich auf einen kleinen Vorsprung.

  »Wow.« Mehr sagte ich nicht.

  Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch beeindruckter sein könnte als vorhin, doch diese Aussicht toppte alles. Die Highlands waren auch in der Nähe von Kilmore wild und wunderschön, aber die Landschaft, die sich jetzt vor mir ausbreitete, war so gewaltig, dass ich keine Worte dafür fand. Wir befanden uns oberhalb eines Tals, das mit lilafarbenem Heidekraut übersät war, so weit das Auge reichte. Wolkenfetzen warfen schnell ziehende Schatten auf die Szenerie und veränderten die Farben im Sekundentakt – und plötzlich wusste ich, warum hier manche an Übernatürliches glaubten: Die Highlands wirkten in diesem Moment, als wären sie nicht von dieser Welt.

  »Ich hatte völlig vergessen, wie schön es hier ist«, sagte Lyall leise, und ich sah ihm an, dass er genauso überwältigt war wie ich. Am liebsten hätte ich ihn berührt, aber ich tat es nicht.

  »Es ist atemberaubend«, stimmte ich zu. »Wie lange warst du nicht mehr hier?«

  »Etwas mehr als drei Jahre. Seit ich nach Chicago gezogen bin, war ich nicht in der Gegend, und hier oben schon gar nicht.«

  Ich lächelte, als ich seinen Gesichtsausdruck sah. »Offenbar hast du es vermisst.«

  »Ja, scheint so. Schottland ist wohl das, was für mich einer Heimat am nächsten kommt.« Er sah zu mir. »Keine Ahnung, ob das in den Genen liegt – schließlich bin ich nur gebürtiger Schotte und habe hier nie länger gelebt. Aber es fühlt sich richtig an. Nicht Kilmore natürlich, aber das hier … das schon.«

 

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