Scandal Love

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Scandal Love Page 23

by L.J. Shen


  »Gelegentlich muss man sich den Grausamkeiten des Lebens stellen, ohne einzugreifen, Edie. Um im Leben Erfolg zu haben, hat man sich von Logik und Vernunft leiten zu lassen, nicht von Gefühlen. Nun, du weißt, dass du allergisch auf Hunde und Katzen reagierst, nicht wahr?«

  Ich erinnere noch, dass ich nervös und wie benommen nickte. Mir war bewusst, dass ich niemals einen Hund oder eine Katze haben könnte, aber ich hatte auch nie darum gebeten. Mein einziger Wunsch war, diesem Tierschutzverein, den ich aus dem Fernsehen kannte, etwas Geld zu spenden. Es wurde dort dringend benötigt, und wir waren sehr reich. Schrilles verzweifeltes Gebell drang an mein Ohr, und ich wäre am liebsten davongerannt. Das Einzige, was mich davon abhielt, war das Wissen, dass mein Vater mir nicht folgen würde. Er hätte – ohne mit der Wimper zu zucken – zugelassen, dass ich mich im Wald verirrte.

  »Folglich ist dir klar, dass wir keines dieser Tiere bei uns aufnehmen können. Ich möchte von dir, dass du zu ihnen gehst, ihnen in die Augen schaust und dich anschließend abwendest. Kannst du das für mich tun, Edie?« Jordan war vor mir in die Hocke gegangen und hatte mir ins Gesicht gelächelt. Hinter ihm hatte eine freiwillige Helferin in einem grünen Shirt, auf dem der Name des Tierheims stand, gewartet und allzu jovial gelächelt.

  Nein.

  »J-ja.«

  Fast eineinhalb Stunden lang waren wir an den Zwingern vorbeigegangen und hatten uns die armen, verzweifelten, um Hilfe bettelnden Hunde und Katzen angesehen. Ich musste jedem einzelnen Tier in die Augen schauen, bevor wir weiterzogen. Die Frau, die uns auf dem Rundgang begleitete, hatte ihr Befremden darüber geäußert, dass mein Vater sich nicht festlegen wollte, welche Art Haustier er suchte. Sie ahnte nicht, was mir an jenem Tag brachial eingehämmert wurde: Jordan hatte nicht vor, eines dieser Geschöpfe zu adoptieren, doch ein Haustier wollte er auf jeden Fall. Ich sollte sein folgsamer dressierter Schoßhund werden!

  Was mir bis heute entsetzlich zu schaffen machte, war das Ausmaß, in dem er Erfolg gehabt hatte.

  An jenem Tag hatte er mich gebrochen und seither den Riss in meinem Herzen kontinuierlich vergrößert.

  Es war mir nicht gestattet, den Obdachlosen am Ende der Straße Geld oder Essen zu geben. Ermutige sie nicht, Edie. Im Leben geht es um Entscheidungen. Sie haben eindeutig die falschen getroffen.

  Ich durfte nicht mit Fremden reden, auch keinen Small Talk mit verantwortungsbewussten Erwachsenen in meinem Umfeld halten. Wir Van Der Zees vergeuden unsere Zeit nicht mit Geplauder. Dazu sind wir viel zu beschäftigt. Man erwartete von mir, mich wie die perfekte Eisprinzessin zu benehmen. Anfangs hatte ich rebelliert. Bis das mit Theo passiert und mein Vater auf einmal nicht mehr nur der Ernährer war. Er wurde zu einem Puppenspieler, der über unsichtbare Fäden seine Marionette lenkte. Mich.

  Zwölf Jahre, nachdem Jordan mich Bekanntschaft mit Grausamkeit machen ließ, indem er meine Routine auf den Kopf stellte, tat er das Gleiche wieder.

  Ich war zu Hause und öffnete gerade die Kartons mit der Auswahl an Perücken, die ich für meine Mutter bei einem jüdisch-orthodoxen Laden in Brooklyn bestellt hatte, als er in mein Zimmer kam. Jordan machte sich nicht die Mühe zu klopfen, und ich fragte ihn nicht, weshalb er zu Hause war. Das war höchst ungewöhnlich – und erst recht suchte er mich sonst niemals in meinem Zimmer auf –, aber ich vermied es nach Möglichkeit, ihm auf die Zehen zu treten. Seine befremdliche Ichbezogenheit schien sich in den vergangenen Wochen noch verschlimmert zu haben.

  »Wie kann ich dir helfen?« Ich arrangierte die blonden Echthaarperücken auf dem Bett und kämmte sie aus, dabei versuchte ich zu entscheiden, welche meiner Mutter am besten gefallen würde.

  Jordan lehnte sich mit der Schulter in den Türrahmen und betrachtete mich voller Geringschätzung. Ich fragte mich, ob er sie wahrnahm, die Veränderung in mir. Denn der Sex mit Trent Rexroth hatte wesentlich mehr bei mir bewirkt, als nur Spuren auf meinem Körper zu hinterlassen. Die wunden geröteten Brustwarzen, die pinkfarbenen Striemen auf meinem Hintern und den Innenseiten meiner Schenkel waren nur äußere Merkmale. Als er in mir gekommen war, hatte er etwas von sich zurückgelassen. Etwas von seiner Stärke.

  »Setz dich, Edie.«

  »Nenn mir einen triftigen Grund, wieso ich das tun sollte«, presste ich hervor und griff mir eine der Perücken, um sie mit der Bambusbürste in Form zu bringen. Ich war nicht in Stimmung für eine Standpauke, und falls er wegen des Speichersticks hier war, musste er mir mehr Zeit lassen. Trent saß mir nicht nur im Nacken, er hatte mich an der Kandare.

  »Weil ich dein Vater bin und du mir keine pampige Antwort gibst, wenn du ein friedliches, ruhiges Leben führen willst. Und jetzt setz dich.« Er trat ins Zimmer und musterte mich verachtungsvoll aus seinen kalten blauen Augen. Ohne Eile ließ ich mich auf die Bettkante sinken und sah zu ihm hoch. Mein Schweigen sprach Bände, und ich hoffte, er verstand jedes einzelne Wort.

  »Ich fürchte, unsere familiäre Situation wird sich alsbald grundlegend ändern, Edie, und ich betrachte es als meine Pflicht, dich als Erste darüber zu informieren, da nicht deine Mutter, sondern du die Erwachsene in diesem Haushalt bist und somit die Verantwortung für euch beide trägst.« Ich überhörte den Seitenhieb gegen meine Mutter – immerhin war er selbst nicht gerade ein würdiger Kandidat für die Auszeichnung Eltern des Jahres – und verschränkte gespannt die Arme vor der Brust.

  »Ich werde euch verlassen.« Er sagte das so lapidar, als wären seine Worte für mich kein Schlag ins Gesicht, als würden nicht schwarze Flecken vor meinen Augen tanzen und mir die Sicht trüben.

  »Warum?«, fragte ich. Dass er fortging, war mir egal. Vielmehr lag mir ein Gut, dass wir dich los sind auf der Zunge. Ich hasste ihn. Aber meine Mutter tat das nicht. Sie war von ihm abhängig, und ich hatte es satt, die Scherben, die er in ihrem Herzen hinterließ, aufzuklauben und zu versuchen, sie wieder zusammenzusetzen.

  Doch hinter ihm aufzuräumen war es nicht, was mich schier umbrachte. Sondern die scharfen Splitter, die dabei in meine Haut schnitten. Wann immer er Lydia verletzte, bluteten wir beide.

  »Lass uns den Tatsachen ins Auge sehen. Deine Mutter ist schon seit sehr langer Zeit nicht auf dem Damm, und sie lehnt die Hilfe, die sie so dringend benötigt, ab. Tja, nicht jedem kann geholfen werden. Ich kann mir diese Situation nicht länger aufhalsen, wenn sie sich nicht mehr Mühe gibt, und so leid es mir tut, bin ich nicht gewillt, hier auszuharren und darauf zu warten, dass sie sich dazu aufrafft.«

  Du bist der Grund für ihren Zustand. Sie will sich nicht in eine Klinik einweisen lassen aus Angst, dass du währenddessen mit einer anderen durchbrennst. Was du höchstwahrscheinlich tun würdest. Die Worte kreisten in meinem Kopf und drängten danach, ausgesprochen zu werden, aber ich biss mir auf die Unterlippe. Von ihm stammte der Spruch, dass wir Van Der Zees stets clever und besonnen handeln mussten. Ich legte die Perücke neben mich aufs Bett und warf seufzend den Blick zur Zimmerdecke.

  »Wird das deine politischen Ambitionen nicht torpedieren?« Ich rieb mir mit den Händen übers Gesicht.

  »Theoretisch schon.« Er zuckte die Achseln, trat ganz ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich, damit meine Mutter uns nicht hörte. Nicht dass sie derzeit oft ihr Bett verließ. »Aber ich bewerbe mich nicht länger um das Bürgermeisteramt. Ich war gestern im Rathaus und habe meine Kandidatur zurückgezogen. Der Wahlkampf ist abgeblasen.«

  Mein hektisches Blinzeln offenbarte meine Überraschung. Ich setzte mich kerzengerade auf und massierte meine pochenden Schläfen. Mir tat alles weh. Und damit meine ich alles. Meine Schenkel, mein Hintern, mein Schritt waren immer noch wund von der Liebesnacht mit Trent Rexroth. Jordans Ankündigung bewirkte, dass sich in meinem Kopf alles drehte und mein Herz schwer wurde vor Kummer und Selbstmitleid, wenn ich an die Folgen für mich dachte.

  Mein Vater war ein sorgfältiger Stratege. Er wusste, wo er in fünf Jahren sein wollte, und hatte mit stoischer Entschlossenheit auf dieses Ziel hingearbeitet. Umso mehr schockierte mich seine Entscheidung.

  Kopfschüttelnd nahm er eine der Echthaarperücken in die
Hand und befingerte sie mit abschätziger Miene. »Ich werde mich darauf konzentrieren, die Expansion von Vision Heights Holdings voranzutreiben, Trent Rexroth aus dem Vorstand zu befördern und ein geruhsames Leben zu führen.« Er ließ die Perücke fallen, als hätte er sich die Finger daran verbrannt. »Und ich werde nicht bei deiner Mutter bleiben. Du musst dich auf deine Zukunft fokussieren, darum gebe ich dir einen Rat, Edie. Schreib dich an einem guten College fernab von Todos Santos ein, und mach etwas aus dir. Hör auf zu kiffen, dich mit Verlierern abzugeben und für deine Mutter da zu sein, wo du doch weißt, dass das definitiv eine Einbahnstraße ist.«

  Und was ist mit dir? Bist du etwa für mich da? Aber es stand noch immer zu viel auf dem Spiel für mich. Trents Worte hallten wie ein schwaches Echo in meinem Kopf nach. Wenn du stark sein willst, dann sei es.

  »Du kannst ihr das jetzt nicht antun. Sie muss erst wieder auf die Beine kommen.« Ich schüttelte den Kopf.

  Jordan hob den Blick und fummelte an meinem goldenen Kronleuchter herum, dabei lächelte er versonnen, als dächte er über die mir ursprünglich zugedachte Rolle nach. »Sie wird niemals auf die Füße kommen. Ich werde gehen, und das schon bald.«

  »Ich brauche mehr Zeit«, warf ich mit einem Gefühl von Machtlosigkeit ein.

  »Ich bin dir nicht das Geringste schuldig.«

  »Wann wirst du es ihr sagen?« Ich baute mich vor ihm auf. Er erinnerte an den kaltherzigen Weißen, der in Pocahontas’ Dorf eingedrungen war. Den Zerstörer. Oder an einen der Seelensauger bei Harry Potter.

  »Diese Woche. Vielleicht auch erst nächste. Egal. Wann ist ein guter Zeitpunkt für eine solche Eröffnung?«

  »Den gibt es nicht, weil du nämlich gelobt hast, sie immer zu lieben, in guten wie in schlechten Zeiten. Sie braucht dich«, sagte ich ernst und kniff die Augen zusammen.

  »Ich werde darüber nicht diskutieren.« Er zeigte auf die Perücken auf dem Bett. »So etwas ist für jemanden in deinem Alter weder bekömmlich noch förderlich. Du solltest dich auf deine Ausbildung konzentrieren und deine Zukunft in Angriff nehmen.«

  »Meine Zukunft besteht darin, mich um meine Familie zu kümmern«, wies ich ihn mit trotzig vorgerecktem Kinn hin. »Und jeden Morgen Surfen zu gehen.«

  Mein Vater blickte sich mit ausdrucksloser Miene in dem korallenfarbenen Zimmer um, als symbolisierte es all die Träume und Hoffnungen, die ich im Lauf der Jahre mutwillig zerstört hatte. Indem ich Doc Martens Louboutins vorzog. Den Strand einer Partie Schach. Typen wie Bane den Schnöseln an der All Saints High.

  Er zuckte mit den Schultern. »Das ist deine Angelegenheit.«

  Hass sprühte aus meinen Augen, ich knirschte mit den Zähnen, ballte die Fäuste. »Was wird aus ihm?«

  »Theodore?«

  Nein, dem Papst. »Ja.«

  »Unsere Abmachung gilt nach wie vor. Du darfst ihn in deiner Nähe behalten, solange du mich mit den benötigten Informationen über Rexroth versorgst. Jetzt, da meine Pläne sich geändert haben, ist es unerlässlich, dass ich weiterhin über alles Bescheid weiß, was Vision Heights Holdings betrifft«, antwortete er emotionslos und strich über den Schminktisch, den ich nie benutzt hatte.

  »Und wenn mir das nicht gelingen sollte?« Ich hoffte, dass er mein Schlucken nicht bemerkte.

  »Das wird nicht passieren. Weil Theodore andernfalls in eine Einrichtung an der Ostküste umquartiert würde. Ich kenne eine ganz ausgezeichnete in der Nähe unserer New Yorker Niederlassung.«

  »Es gestaltet sich schwierig, etwas über Trent herauszufinden. Er ist nicht dumm«, presste ich hervor und stampfte mit dem Fuß auf. Das hasste ich, weil ich nicht zu dieser Sorte Mädchen gehörte. Ich war überhaupt kein Mädchen.

  »Er ist klug, aber ich vertraue darauf, dass du schlauer bist als er. Immerhin hast du meine Gene.«

  Würg. Wie sollte ich darauf reagieren, ohne hasserfüllt zu klingen? Ich wechselte das Thema. »Hast du eine andere? Verlässt du Mom wegen einer Geliebten?« Die Worte fühlten sich schmutzig an in meinem Mund. Ich wollte duschen und mich unter der Bettdecke verkriechen, aber noch lieber wäre es mir gewesen, dieses kalten Kriegs, der nie ein Ende nahm, nicht dermaßen überdrüssig zu sein. Denn genau aus diesem Grund hatte meine Mutter ihre stürmische Affäre mit verschreibungspflichtigen Medikamenten und Depressionen begonnen.

  Indem sie nie das Bett verließ.

  Tagein, tagaus.

  Jordan musterte mich emotionslos, bevor er einen Schritt zurücktrat, als Hinweis, dass das Gespräch beendet war, und seine staubige Hand an meinem schwarzen Kapuzenshirt abwischte, das über der Stuhllehne hing. »Sei nicht kindisch, Edie.«

  »Ich habe im Lauf der Jahre eine ganze Reihe deiner Gespielinnen kennengelernt. Darum frage ich mich, ob eine von ihnen endlich geschafft hat, was den anderen nicht gelungen ist. Ist es Tracey? Holly? Oder Cadence?« Ich zog eine Schnute, wusste, dass ich die Contenance verlor, aber das war mir mittlerweile schnurz. Ich war von Rachsucht und weißglühendem Zorn erfüllt. Eine Abrisskugel aus Feuer. Ich verzehrte mich nach der Kraft, die er mir jedes Mal stahl, wenn er sich im selben Raum aufhielt wie ich.

  Er schüttelte den Kopf. »Psychotisch wie deine Mutter.«

  Ich machte einen Schritt auf ihn zu und beobachtete, wie er verwirrt das Gesicht verzog. Nie zuvor war ich in seine persönliche Distanzzone eingedrungen. Doch jetzt kam ich ihm gefährlich nahe, so nah, dass ich jede Einzelheit seiner blassblauen Augen sehen konnte. Ich erkannte mich in seinen Zügen wieder, dem verkrampften Kiefer, der leicht nach oben gebogenen Nase, der blassen Haut – seine noch heller als meine, weil die Sonne auf meinem jugendlichen Teint ihre Spuren in Form von Sommersprossen und einer leichten Bräune hinterlassen hatte. Zum ersten Mal realisierte ich, dass ich womöglich wie er war. Das Produkt eines Ungeheuers, das weiteren schrecklichen Nachwuchs hervorbringen würde.

  »Es interessiert mich nicht, ob du sie wegen einer anderen Frau verlässt. Mir ist klar, dass ich dich nicht überreden kann zu bleiben, und selbst wenn ich es könnte – die Hälfte der Zeit denke ich, dass sich ihr Zustand nur deinetwegen nicht bessert. Aber lass dir eines gesagt sein: Solltest du deine Trophäe in der Stadt herumzeigen und meine Mutter demütigen, wird das Konsequenzen haben. Was Theo – nicht Theodore, sondern Theo – und Trent Rexroth angeht, bin ich es leid, vor dir zu kuschen. Ich werde dir den USB-Stick besorgen, liebster Rabenvater, doch als Gegenleistung wirst du sämtliche juristischen Papiere unterzeichnen, die ich in dem nutzlosen Schminktisch versteckt habe, den du mir gekauft hast, als ich zwölf war, und Theo und mich freigeben. Erkläre dich jetzt sofort damit einverstanden, Jordan, sonst haben wir keinen Deal. Und bevor du etwas erwiderst, möchte ich dir noch raten, niemals einen gebrochenen Menschen zu unterschätzen. Wir sind unberechenbar, denn wenn etwas bereits zerbrochen ist, was macht ein weiterer Sprung dann noch aus?«

  Die Worte brachen wie ein Hurrikan aus mir heraus, am Ende rang ich nur noch nach Luft. Ich fühlte meinen Verrat an Luna und Trent bis in die Knochen. Mir wurde übel bei dem Gedanken, welche Folgen das alles für Camila haben würde, aber die Situation wurde zu kompliziert. Ich musste mit Theo abhauen, von der Bildfläche verschwinden. Gute Strände gab es nicht nur in Südkalifornien. Wir könnten uns irgendwo anders niederlassen. Uns ein gemeinsames Leben aufbauen. Lachend auf irgendeiner Terrasse sitzen, den Sonnenuntergang betrachten und Pistazieneis essen. Schöne Erinnerungen erschaffen und sie unserem Gedächtnis einverleiben. Jawohl, das könnten wir.

  »Edie«, sagte mein Vater. Ich sah ihm ins Gesicht, dann wandte ich den Blick ab. Er begriff, dass es mir ernst war. Außerdem sagte mir mein Gefühl, dass er mich sowieso abgeschrieben hatte. Mich, meine Mutter, Theo. Indem er den Speicherstick an sich brachte und mich aus seinem Leben verbannte, würde er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Natürlich würde er den Deal eingehen.

  »Beschaff mir diesen Stick …« Er beugte sich zu mir und presste seine Wange an meine. »… und du bekommst deine Zukunft mit Theodore.«

  »Halte deine Geliebten im Verborgenen, wo die Sünde hingehört«, ermahnte
ich ihn. Dieses Mal hielt ich sein Handgelenk fest anstatt anders herum. Zwar konnte ich die Finger nicht ganz darum schließen – es fühlte sich kalt an, wie die abgestreifte Haut einer Schlange –, aber die Botschaft war angekommen. Das verrieten mir seine mahlenden Kiefermuskeln.

  »Eine wahre Van Der Zee«, murmelte er und schüttelte mich ab wie eine streunende Katze im strömenden Regen. Denn in diesem Moment war ich das Kind, das dem sterbenden Hund – ohne mit der Wimper zu zucken – ins Gesicht sah.

  Ich war die Van Der Zee, von der ich nie geglaubt hätte, dass sie in mir steckte.

  Ich hasste diese Person. Dafür hasste sie Jordan weit mehr, als sie ihn fürchtete.

  Mein Magen knurrte zum gefühlt achtzehnten Mal an diesem Morgen, und das so laut, dass es trotz der tosenden Pazifikwellen vernehmbar war.

  »Hey, Gidget, was ist los mit dir? Iss was, verdammt.« Bane kramte in seiner Tasche und warf mir mürrisch einen Energieriegel zu. Seine finstere Miene hellte sich nicht gerade auf, als ich zu ihm ging, den Snack zurück in seinen Rucksack stopfte, in meine Flip-Flops schlüpfte, mein Brett auf meinen Kopf hob und so den restlichen Weg zur Promenade zurücklegte. Ich weigerte mich nicht, etwas zu essen, um ihn zu ärgern. Sondern weil ich nicht konnte. Mir war speiübel, ich schmeckte Magensäure auf der Zunge. Seit ich meinem Vater versprochen hatte, ihm diesen USB-Stick – was immer auch darauf sein mochte – zu besorgen, war mir schlecht. Nicht nur körperlich, auch mental. Ich war mir über meine Gefühle gegenüber Trent zwar nicht völlig im Klaren, aber ganz sicher verdiente niemand auf der Welt einen Verrat, wie ich ihn zu begehen gedachte.

  Bane las sein Radio aus dem Sand auf. »Pacific Coast Highway« von Kavinsky schallte aus den Boxen. Er nahm mir mein Board ab, klemmte es sich unter den Arm und trug es zusammen mit seinem zum Uferweg. Noch immer spürte ich die bittere Galle in meiner Kehle, während ich ihm auf wackligen Beinen folgte. Auf der Promenade angekommen, begrüßte er ein paar Obdachlose, die unweit der Geschäfte in ihren notdürftigen Behausungen aus Pappkartons auf den grasbewachsenen Hügeln lebten. Er kannte alle an diesem Strand. Jeden gescheiterten Künstler, der den Passanten seine CD in die Hand drückte, jeden neuen Verkäufer von Haschisch, Surfmaterial oder Fahrrädern. Bane legte den Weg zu meinem Auto barfuß und mit nacktem Oberkörper zurück. Ein nicht ganz so geheimer edler Spender hatte meine offene Werkstattrechnung bezahlt, sodass mein Audi endlich freigegeben worden war, inklusive eines neuen Zylinders etc. Bane lehnte sich gegen die Beifahrertür, kreuzte die Arme über dem wütenden Drachen auf seiner Brust und legte den Kopf schräg. Seine lethargischen jadegrünen Augen musterten mich mit amüsiertem Desinteresse, als wäre ich ein eigentümliches mystisches Geschöpf, das er nicht recht einordnen konnte.

 

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