by L.J. Shen
Ich wollte sie in die Lippe beißen, bis ein Blutstropfen kam.
Stattdessen presste ich die Zähne aufeinander und schluckte den Kloß in meiner Kehle hinunter. Meine eine Hand ruhte weiter auf ihrem Hintern, während ich mit der anderen zum Couchtisch langte, die kindersichere Schublade öffnete und einen Joint herausnahm. Ich steckte ihn mir zwischen die Lippen, umschloss das Ende mit der hohlen Hand und zündete ihn an.
»Ich mag dich auch nicht«, bekannte ich freimütig und legte das Feuerzeug zurück auf den Edelstahltisch.
»Trotzdem genieße ich die Empfindungen, die du in mir auslöst.« Sie ritt mich in voller Montur. Das brennende Verlangen nach ihr steigerte sich qualvoll langsam, was mir in Erinnerung rief, wieso Sex im Teenageralter so viel mehr Spaß machte, als wenn man die dreißig überschritten hatte. Mein Glied zuckte vor Vorfreude. »Bei dir fühle ich mich wild. Furchtlos. Als wäre ich jemand Bedeutendes, jemand Mächtiges.« Ihre warmen weichen Lippen strichen über meine Kehle.
Ich ließ eine Rauchfahne zur Decke entweichen, dann beugte ich mich vor und küsste ihren Hals. »Was fasziniert dich so sehr an Macht?« Ich streichelte ihren Arm, hakte die Daumen in den Saum ihres Tops. Es musste verschwinden. Ihre erigierten Brustwarzen flehten mich an, an ihnen zu lecken, zu saugen, zu knabbern. Ihre Brüste waren so klein – geradezu winzig –, dass meine Hoden bei der Vorstellung, sie zu kneten, hart wurden, weil ich wusste, dass sie mir nicht genügen würden, dass ich nach mehr von ihr hungerte.
»Es geht weniger um Macht als um Stärke. Wieso sollte ich nicht stark sein wollen? Wünscht sich das nicht jeder?« Sie neigte den Kopf zur Seite, pflückte den Joint aus meinen Fingern und nahm einen Zug. Ich ließ sie gewähren, erlaubte dieser Achtzehnjährigen, die auf meinem Schoß saß und ihren feuchten Schritt an meiner Diesel-Jeans rieb, mit mir zu kiffen. Es war Jahre her, seit ich einer Frau den Tag versüßt hatte, und definitiv hatte ich nie zuvor mit einem Mädchen an der Schwelle zwischen gerade mal volljährig und so heiß, dass sie den Selbstekel wert war, etwas Illegales getan.
Aber Edie war nicht irgendein Mädchen.
Sie war mein gottverfluchter Untergang.
Sie blies mir den Rauch ins Gesicht, und ich nutzte die Gelegenheit, um ihr den Joint wegzunehmen und ihn in einen Aschenbecher zu legen. Ich zog ihr das Oberteil aus, schleuderte es auf den Boden und bewunderte zum ersten Mal ihre nackten Brüste. Ihre Nippel erinnerten an zwei rosafarbene Münzen. Sie schauerte vor Behagen, als ich einen mit den Fingern fasste und ihn sanft zwirbelte, während ich sie anstarrte wie ein hungriger Wolf.
»Wenn du stark sein willst, dann sei es«, murmelte ich.
»Du hast leicht reden.« Sie drückte mir ihre Brüste ins Gesicht, hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Ich drängte sie zurück, ließ meine Finger über ihre Rippen tanzen und nahm eine Brustspitze in den Mund, während sie ihren Schritt stärker an meinem rieb. Ich saugte gierig daran, dann ließ ich sie meine Zähne spüren. Erst als Edie sich mir entziehen wollte und ich die Gänsehaut um ihre Brustwarze spürte, ging ich dazu über, den Schmerz mit meiner Zunge zu lindern, und sie stöhnte lauter.
So ist es gut, Baby. Schmerz und Wonne. Sie spielen zusammen, wenn auch nicht freundschaftlich.
»Oh ja, ich bin ein echter Glückspilz«, schnaubte ich und streichelte ihren geröteten Nippel mit dem Daumen. »Ich habe mit den reichsten Kindern dieses Bundesstaats die Schulbank gedrückt, dabei konnte ich mir noch nicht mal eine Footballausrüstung leisten. Nur indem ich nebenbei in zwei verdammten Jobs arbeitete, war es mir möglich, das Unterrichtsmaterial für das nächste Schuljahr zu finanzieren. Ich war der Playboy, gut genug für ein flüchtiges Abenteuer, trotzdem hätte sich kein Mädchen in der Stadt ernsthaft mit mir eingelassen – weil ich zur Hälfte schwarz und dazu noch arm war, weil ich dem Stereotyp entsprach, den man gern zum Freund, aber nicht als Familienmitglied hat. Du hast recht, ich kenne keine Entbehrungen.« Ich versetzte ihr einen Klaps auf die Brust, nicht zu hart, aber auch nicht sanft. Sie zuckte zusammen, packte meinen Kopf und zog ihn zu sich heran. Wir verschmolzen miteinander, und das war riskant, weil Luna jederzeit ins Wohnzimmer marschieren und uns bei unserem Treiben erwischen konnte. Ich zog ein letztes Mal an dem Joint, bevor ich ihn ausdrückte und zusammen mit dem Feuerzeug in meiner Tasche verschwinden ließ, um jede noch so kleine Spur davon zu tilgen. Anschließend schob ich die Hände unter Edies Po und trug sie in mein Schlafzimmer, dabei küsste, liebkoste und leckte ich ihren Nippel mit meiner Zunge, meinen Lippen, bis ihre Haut rosig schimmerte. Doch ich biss sie nicht. Nicht solange sie darauf gefasst war. Nicht mit einem Klaps oder meinen Zähnen zu rechnen war Teil des Vergnügens. Das würde sie noch lernen. Von mir.
Mein Schwanz war so hart, dass ich befürchtete, in meine Unterhose zu ejakulieren wie ein Teenager.
»Mein«, raunte ich und bahnte mir mit den Lippen den Weg von ihren Brüsten zu ihrem Hals. Alles an ihr war weich und von der Sonne geküsst. Ich trat die Tür mit dem Fuß auf und legte Edie auf das breite Doppelbett aus dunklem Eichenholz. Sie öffnete bereitwillig die Beine für mich, wenn auch nicht ihr Herz, und vielleicht war das der Grund, warum dieses Mädchen mich so unglaublich scharfmachte und alle anderen vergessen ließ.
»Jeder Zentimeter von dir gehört mir. Bis hin zu deinem Atem.« Ich legte die Hand auf ihren Hals, beugte mich über sie und erforschte mit der Zunge die Schlucht zwischen ihren Brüsten, bevor sie pfeilgerade tiefer glitt, bis zu ihrem Bauchnabel. »Deine Seele gehört mir.« Ohne aufzublicken, zog ich sie an den Haaren und hörte sie stöhnen. Mit beiden Händen drückte sie meinen Kopf nach unten, verlor den letzten Rest ihrer Selbstbeherrschung.
»Dein Körper gehört mir definitiv.« Ich schob die Hand in ihren Slip und drückte sie fest auf ihre Scham. »Gib es zu, Edie, du bist auf dem besten Weg, mir zu verfallen. Du bist schon längst klatschnass.« Ich ließ mir das Wort auf der Zunge zergehen und verteilte mit zwei Fingern die Feuchtigkeit zwischen ihren Schenkeln. Sie war unbeschreiblich erregt, und, ja, ich würde heute Nacht mit ihr schlafen, selbst wenn ich dadurch auf Gottes Abschussliste landete. »Du bist mein, und das ist dir ein Greuel. Du bist mein, aber ich bin keine Welle, die du reiten kannst. Sondern der verdammte Ozean. Und mit jedem Tag, an dem du mich bescheißt, indem du mein iPad oder mein altes Handy oder den Krempel in meinem Handschuhfach stiehlst, gerätst du stärker in meinen Bann. Sag mir, Van Der Zee, raube ich dir den Atem?«
Mein Mund war nah an ihrem Höschen, ihre Shorts lagen auf dem Fußboden. Ich schaute zu ihr hoch, und sie schien mit den Tränen zu kämpfen. Wie wundervoll es wäre, sie über ihr bildschönes, wie Porzellan anmutendes Gesicht rollen zu sehen. Eine zerbrochene Puppe. Meine zerbrochene Puppe.
»Ja, das tust du.« Keuchend beobachtete sie, wie ich ihr den Slip von den Schenkeln streifte. Mein Herz geriet aus dem Takt, als ich sie nun zum allerersten Mal vollständig nackt sah. Nicht in aufreizender Haltung gegen einen Drucker gelehnt oder mit bekleidetem Oberkörper auf dem Rücksitz eines Wagens, sondern komplett hüllenlos. Obwohl ich immer noch angezogen war, fühlte ich mich seltsam entblößt. Das bereitete mir Unbehagen, hielt mich aber nicht davon ab, in meinem Tun fortzufahren. »Ich bekomme Schnappatmung, wenn ich mir vorstelle, was ich mir von dir wünsche«, bekannte sie.
»Sprich es aus«, raunte ich an ihren Lenden, und ihr Körper erbebte unter mir, noch ehe ich sie berührte. »Was hättest du gern, das ich mit dir mache?«
»Alles«, wisperte sie. »Ich will alles.«
Ich leckte über die Innenseite ihres Schenkels, trank ihre Lust mit den Lippen, bevor ich mich aufrichtete und ein Kondom aus der Nachttischschublade fischte. Ich klemmte es mir zwischen die Zähne und entledigte mich meiner Jeans, während sie mir hastig mein Shirt auszog.
»Eine Sache noch, Edie. Was immer wir tun, wir nehmen es mit ins Grab.«
»Mit ins Grab«, echote sie. »Falls mein Vater davon erfährt, wird er mir alles wegnehmen, was mir wichtig ist.«
Das Gleiche gilt für mich, dachte ich verbittert. Der einzige Unterschied war, dass ich den Drecksack gnaden
los bekämpfen würde. Sie konnte das nicht. Oder wollte es nicht. Es lief aufs Gleiche hinaus.
Ich streifte mir das Kondom über und fühlte das vertraute, erwartungsfrohe Zucken meines Glieds. Dann kniete ich mich zwischen ihre Beine und rieb mit der Hand über meine Erektion, während ich sie gleichzeitig streichelte. Seufzend sah sie mir dabei zu.
»Ich mag es, wenn du mich fest in die Brustwarzen beißt.« Anstatt zu antworten, verstrich ich ihre Erregung in ihrem Schritt.
»Du machst mich verrückt«, stöhnte sie, bevor ich ihr zum ersten Mal einen Klaps auf ihre Schamlippen gab. Sie zuckte schockiert zusammen und ließ ein Wimmern hören, das ich erstickte, indem ich meine feuchten Finger in ihren Mund schob.
»Schsch«, machte ich. »Du hast behauptet, das gefällt dir. Zeig mir, wie sehr.«
Sie saugte an meinen Fingern, woraufhin ich die Hand unter ihren Hinterkopf legte, sie näher zu mir heranzog und ohne Vorwarnung in sie eindrang. Sie war exakt wie jede andere Frau, mit der ich je geschlafen hatte. Absolut identisch, versuchte ich mir einzureden. Es gab verflucht noch mal keinen Unterschied.
So feucht.
Ich stieß einmal, zweimal, dreimal in sie hinein, ohne Rücksicht oder zu fragen, ob es sich gut für sie anfühlte, genau so, wie ich es bei allen ihren Vorgängerinnen gehalten hatte.
Aber Herrgott noch mal, wie anders fühlte sie sich an.
Sie fing an, sich unter mir zu bewegen, zuerst langsam, ehe sie sich meinem Rhythmus anpasste. Bei jedem Stoß entfuhr ihr ein Keuchen, und als ich einen ihrer Unterschenkel über meine Schulter legte, um sie tiefer zu penetrieren, krallte sie die Fingernägel in meinen Rücken. Sie war unfassbar eng, aber ihr Lächeln verriet, dass sie diesen lustvollen Schmerz ebenso sehr genoss wie ich.
Jedes Mal, wenn diese namenlose Empfindung in meiner Brust aufwallte, stieß ich fester, härter, brutaler zu, in dem Bemühen, dieses Gefühl, das das Kribbeln in meinen Hoden, die Anspannung in meinen Muskeln begleitete, abzuschütteln. Im Gegenzug grub sie die Nägel tiefer in meinen Rücken, brachte mir blutige Kratzer bei und schrie meinen Namen in das Kissen, das sie sich übers Gesicht zog.
Ich ritt sie.
Und sie ritt mich ihrerseits.
»Ich komme gleich, ich komme gleich«, skandierte sie, und das war mein Stichwort, sie auf den Bauch zu drehen, ihr Gesicht ins Kissen zu drücken und sie von hinten zu nehmen.
»Ich möchte dir wehtun«, sagte ich gewohnheitsmäßig, weil ich dieses Bedürfnis sonst immer hatte. Doch jetzt empfand ich es nicht. Ich war wie auf Autopilot geschaltet. So wie meine Mitarbeiter, wenn sie Punkt zwölf behaupteten, hungrig zu sein, nur um aus dem Büro zu entkommen und Mittagspause zu machen.
»Dann tu es«, ächzte sie gefügig in das Kissen, bevor sich ihr Schoß um meinen Schwanz verkrampfte und sie in solch heftigen Zuckungen kam, als hätte sie einen epileptischen Anfall. »Füg mir Schmerz zu. Ich liebe es, wenn du deinen Zorn an mir auslässt.«
Ich packte mit der Faust in ihre Mähne und zog daran, bis sie auf allen vieren vor mir kniete und den Rücken durchbog. Ein Bikinabdruck zeichnete sich auf ihrem runden Hintern ab. Ich versetzte ihm einen Klaps.
Vorsichtig zunächst, um ihre Grenze auszutesten, und als sie stöhnte und ihre inneren Muskeln sich so fest um mein Glied anspannten, dass ich mich kaum noch vor und zurück bewegen konnte, schlug ich härter zu.
Aber noch immer fühlte ich es nicht. Das Verlangen, ihr wehzutun.
»Fester!«, stöhnte sie.
Ich kam ihrem Wunsch nach, und das Klatschen hallte im Zimmer wider. Auf ihrer rechten Pobacke blieb ein roter Fleck zurück. Ich liebte den Anblick, und dafür hasste ich mich. Was zur Hölle stimmte nicht mit mir?
»Fester!« Sie schrie es geradezu.
Und ich gehorchte, erfüllt von Abscheu darüber, dass ihre schmerzvollen Laute mein geschwollenes Glied fast zum Explodieren brachten. Sie verwirrte mich. Meine Triebe flößten mir sonst nie Schuldgefühle ein. Jetzt schon.
»Noch fester!«
»Nein.«
»Trent!«
»Nein.«
»Ich brauche es!«
»Du hattest genug für einen Tag, Edie. Ich kann es dir mit dem Mund besorgen, wenn du noch einen Orgasmus willst.« Ich machte einen Scherz, während ich Sex hatte? Das war das erste Mal. Und das letzte. Dieses Mädchen führte nicht das Kommando, egal, wie sehr sie sich meine Schläge wünschte.
»Wenn du es nicht tust, dann eben Bane.« Ich hörte das Lächeln in ihrer Stimme, auch wenn ich es nicht sehen konnte. Scheiß drauf. Sie hatte es so gewollt.
Klatsch!
Der Höhepunkt überwältigte uns beide wie ein Orkan. Ihr Schoß verspannte sich stärker um meinen Schwanz, als meine Stöße unkontrollierter wurden und ich mich in Zuckungen in ihr entlud. Gott, es fühlte sich fantastisch an.
Ich zog mich augenblicklich aus ihr zurück, stieg aus dem Bett und ging ins Bad, um das Kondom loszuwerden. Ich sah mich nicht zu ihr um, als ich am Waschbecken das Sperma von meinem Glied wusch, das allmählich erschlaffte. Mit dem Rücken versperrte ich ihr absichtlich den Blick auf den Spiegel, weil ich wusste, dass sie meinen Gesichtsausdruck mit einem triumphierenden Grinsen quittiert hätte.
Ich notierte mir im Geist, den USB-Stick niemals aus meinem Safe zu nehmen.
Weil ich das Gefühl hatte, süchtig nach ihr zu werden. Noch ein paar Schäferstündchen wie dieses, und es gäbe keine Garantie dafür, dass ich ihn ihr nicht freiwillig aushändigen würde.
KAPITEL 19
EDIE
Mit sechs erkannte ich erstmals, dass mit meinem Vater etwas ernsthaft nicht stimmte. Lange vor der Sache mit Theo. Es war Herbst und einer der seltenen Tage, an denen Jordan pünktlich nach Hause kam, derweil meine Mutter in der Küche Essen »kochte«. Zumindest war das ihre Bezeichnung dafür, eine Flasche Wein zu leeren, während sie auf den Drehteller der Mikrowelle starrte, in der sie unsere Mahlzeit aufwärmte.
Die Atmosphäre fühlte sich gespenstisch, fremd und bedrohlich an. Von der Routine abzuweichen machte mir Angst, aber noch schlimmer war es, mit einem Mann unter einem Dach zu leben, den ich kaum kannte und zu sehr fürchtete, um ihn zu bitten, mich zu Bett zu bringen. Darum setzte ich mich gehorsam neben ihn auf die Couch, während er geistesabwesend eine Wirtschaftssendung auf CNN verfolgte und seine Post durchsah. In einer Werbepause wurde der Spendenaufruf einer Tierschutzorganisation eingespielt, in dem Welpen mit traurigen Gesichtern und entstellte Kätzchen hilfeflehend in die Kameras guckten. Einer der Hunde kauerte in einer Schlammpfütze. Er war nur Haut und Knochen, beide Augen fehlten, und er schien keine Zähne mehr zu haben. Ich schnappte entsetzt nach Luft und krallte meine winzigen Finger in das teure Sofa.
»Hör damit auf, Edie. Das ist Wildleder und ein sehr empfindliches Material.« Er schlug mir aufs Handgelenk, aber nicht zu fest. Niemals zu fest.
Ich zog die Finger sofort weg und kauerte mich zusammen. »Können wir etwas spenden?«
»Ich spende schon genug in meiner Funktion als Unternehmer.«
»Echt? An Tierheime?« Ich linste zu ihm hoch, verzweifelt bestrebt, einen positiven Zug an ihm zu entdecken. Das Gute in den Menschen, die wir kennen, sehen zu wollen, ist ein psychologischer Automatismus, der sich, wie ich später noch lernen sollte, als Bumerang erweisen konnte. Aber ich wollte um jeden Preis daran glauben, dass mein Vater ein Mann mit Charakter und meine Mutter gesund war. In meiner Vorstellung war er fürsorglich und großzügig. Nicht berechnend und gleichgültig.
Er bedachte mich mit einem Seitenblick, dabei teilte er seine Aufmerksamkeit noch immer zwischen dem Bildschirm und dem dicken Stapel an Briefen.
»Nein. Ich unterstütze die Mitglieder unserer Gemeinschaft, die meine Hilfe benötigen.«
»Bei dieser Werbung ist mir ganz komisch, Dad. Sie … macht mich traurig«, gestand ich und hielt den Blick vom Fernseher abgewandt, während der Sprecher erklärte, wie viel Schreckliches diese Tiere erlitten hatten. Mit sechs hatte ich ihn noch so genannt. Dad.
»So ist
das Leben, Edie.«
»Ich kann das nicht anschauen.« Die Arme um meine angezogenen Knie geschlungen und das Kinn darauf aufgestützt, schüttelte ich vehement den Kopf. »Es ist einfach so ungerecht.«
»Das Leben ist nun mal ungerecht, daran solltest du dich gewöhnen.«
Damals hatte ich sehr wenig von der Welt gewusst und mich vermutlich deshalb weiterhin an meinem Optimismus festgeklammert. Ungeachtet der Tatsache, dass mein Vater mir Unbehagen einflößte, weil er in diesem Moment zum ersten Mal, seit ich denken konnte, seine schmalen, harten Lippen zu einem Lächeln verzog, während er weiterhin seine Post durchging.
Warum gerade jetzt, in diesem Augenblick?, hatte ich gedacht. Was macht dich so froh?
Am nächsten Tag hatte er mich von der Schule abgeholt. Ich war gelinde gesagt geschockt gewesen. Normalerweise wurde ich von unserem Chauffeur gefahren. Zur Schule, zu Freizeitaktivitäten, Verabredungen mit Freunden. Nie von meinen Eltern. Geschmeichelt, aufgeregt und bemüht, mich von meiner besten Seite zu zeigen, war ich auf die Rückbank von Jordans Auto geklettert. Da er die entgegengesetzte Richtung zu meinem Nachhauseweg einschlug, hatte es mich gedrängt, ihn zu fragen, wohin wir fuhren, aber ich wollte keinen undankbaren oder misstrauischen Eindruck erwecken. Erst als wir in die Wälder jenseits der Stadtgrenze und zum Saint Angelo Lake gelangten, hatte ich mich nicht länger beherrschen können.
»Wohin fahren wir?«
Er hatte einfach nur im Rückspiegel die Zähne zu einem raubtierhaften Grinsen gebleckt, bevor er den Blinker setzte und scharf rechts abbog. Kurz darauf begriff ich.
Es war ein Tierheim. In dem Gefühl, mein Herz in die Hände von jemandem gelegt zu haben, dem ich nicht vertraute, hatte ich mit zögerlichen Schritten das rostige Tor passiert, das zu den Zwingern führte.