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002 - Someone Else

Page 17

by Laura Kneidl


  »Vanille.«

  »Warum schmeckt das so furchtbar?«

  »Ich hätte dich warnen sollen. Das ist Diät-Eis für Diabetiker.«

  »Willst du dich selbst für etwas bestrafen?«

  »Man gewöhnt sich an den Geschmack.«

  »Mhm, rede dir das nur ein.« Julian gab mir den Becher zurück.

  Schulterzuckend nahm ich sie entgegen. »Laurence mochte es.«

  »Ja, aber Laurence leckt sich auch den eigenen Hintern«, sagte Julian und streichelte den Kater, der ihm gefolgt und zu uns auf die Couch gesprungen war. Aufgeregt drückte er sein Köpfchen gegen Julians Hand und begann auf seinem Schoß herumzutreten. Einen Moment wirkte Julian wegen seiner Anzughose verunsichert, doch er stoppte den Kater nicht und kraulte ihn stattdessen hinter den Ohren. Sogleich begann Laurence zu schnurren, und jegliche Bedenken verschwanden aus Julians Blick.

  Ein paar Sekunden saßen wir schweigend beisammen und lauschten auf das sanfte Schnurren des Katers.

  Schließlich hob Julian den Kopf und sah mich an. Er betrachtete nicht nur mein Gesicht, sondern auch die Flecken auf meinem Shirt und mein zerzaustes Haar, das ich seit gestern nicht mehr gekämmt hatte. »Also, was ist zwischen Auri und dir vorgefallen?«

  »Nichts.«

  »Lüg nicht. Ihr habt euch schon während des Spieleabends so komisch verhalten.«

  Fuck. Ich stellte den Eisbecher auf den Tisch. »Das ist dir aufgefallen?«

  »Mir und allen anderen.«

  »Sorry.«

  Julian lächelte mitfühlend. »Du musst dich nicht entschuldigen. Erzähl mir lieber, was passiert ist.«

  Ich seufzte und ließ mich tiefer in das Polster sinken, die Arme um meinen Oberkörper geschlungen, wie um mich an mir selbst festzuhalten. »Die Sache vom Spieleabend hat sich längst geklärt. Auri und ich hatten da so einen komischen Moment am Badesee, aber wir haben darüber geredet, und danach war alles okay.«

  »Bis es wieder nicht okay war?«, hakte Julian nach und begann Laurence’ Nasenrücken zu reiben.

  Ich nickte und senkte den Blick. An den Abend des Footballspiels zurückzudenken, tat weh. Es war kein körperlicher Schmerz, sondern ein seelischer. Wie nach Hermines Tod und doch völlig anders. Denn während der Verlust von Hermine vor allem Trauer in mir hervorgerufen hatte, erfüllten mich die Gedanken an Auri gleichzeitig mit Zorn und Bitterkeit. Es war ein toxischer Gefühlscocktail, der sich durch mein Inneres brannte und mir Magenschmerzen bereitete. Es fühlte sich ein wenig an wie emotionales Sodbrennen, gegen das es vermutlich keine Medizin gab.

  Julian hörte auf, Laurence zu streicheln, und schob seinen Arm stattdessen über die Sofalehne. Ich konnte seine Nähe spüren, ohne dass er mich berührte. Seine Version einer Umarmung.

  »Komm schon, Cassie, du kannst mit mir reden. Ich bin ein guter Zuhörer, und wenn mein Ratschlag Mist ist, kannst du noch immer zu Micah gehen.«

  Oh nein.

  Ich würde den Teufel tun und mit Micah reden. Sie war meine beste Freundin, aber alles andere als objektiv, wenn es um Auri und mich ging. Sie liebte die Vorstellung von uns als Paar. Wir waren ihr OTP – ihr One True Pairing, wie sie es einmal genannt hatte –, und nach unserem Kennenlernen im vergangenen Jahr hatte sie alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Auri und mich zusammenzubringen. Ein Plan, der kein gutes Ende genommen hatte. Und sosehr ich Micah auch schätzte, ich wollte nicht, dass sie sich noch einmal in unsere Freundschaft einmischte.

  »Auri hat sich mal wieder wie ein Arschloch verhalten«, offenbarte ich Julian.

  Er hob die Augenbrauen. »Mal wieder?«

  Ich nickte und zog die Beine zu mir auf die Couch. »Seine Teamkollegen haben herausgefunden, dass ich ihn Auri nenne, und ziehen ihn seitdem mit dem Namen auf, weil er nicht supermännlich klingt. Total witzig. Doch anstatt ihnen die Stirn zu bieten, hat er behauptet, Auri wäre ein Scheißspitzname, und das stimmt einfach nicht! Es ist ein toller Name, von dem ich dachte, dass er uns beiden etwas bedeutet. Mit dem Namen wurden wir beste Freunde. Vorher waren wir nur Maurice und Cassie, zwei Leute, die sich eine WG teilen. Ich weiß, das klingt total übertrieben und vielleicht auch ein bisschen verrückt, aber so empfinde ich es eben.«

  »Das klingt überhaupt nicht verrückt«, widersprach mir Julian und klang dabei absolut aufrichtig. »Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie kraftvoll Namen sein können. Ich habe kein Problem, mit euch über meinen Deadname zu reden, weil ich weiß, dass ihr ihn nicht gegen mich verwenden würdet. Dennoch möchte ich nicht, dass ihn jeder kennt. Das ist zwar nicht dasselbe wie mit Auri, aber ich verstehe, was du meinst.«

  »Danke. Es ist einfach verletzend. Manchmal gibt mir Auri das Gefühl, ich wäre sein schmutziges Geheimnis«, gestand ich und erzählte Julian von dem Zwischenfall mit Colby auf dem Flohmarkt. »Er hat sich dafür entschuldigt, aber dann ist es wieder passiert. Vorgestern Abend waren vier seiner Teamkollegen in unserer Wohnung. Sie haben sich ein altes Footballspiel angeschaut. Keine große Sache. Doch dann ist mir aufgefallen, dass Auri unsere Cosplays und die HdR-Sammlung versteckt hatte, damit seine Jungs sie nicht sehen.«

  Julian neigte den Kopf. »Bist du dir sicher, dass er die Sachen versteckt und nicht nur weggeräumt hat?«

  »Absolut! Das Cosplay hat er total achtlos auf mein Bett geschmissen. Und was für einen Grund sollte er sonst gehabt haben, die Bücher umzustellen, nur weil er Besuch bekommt?«, fragte ich aufgebracht, während ich spürte, wie meine Enttäuschung einmal mehr von meiner Wut abgelöst wurde. »Ich begreife es einfach nicht. Wenn wir zu zweit sind, ist er der liebste Mensch überhaupt, und wir führen die besten Unterhaltungen. Ich kann mit niemandem so reden wie mit ihm, und ich weiß, dass es ihm genauso geht. Er hat mir Dinge über sich erzählt, die sonst keiner weiß. Doch seinen Freunden gegenüber tut er so, als wäre da nichts. Er leugnet alles, was uns miteinander verbindet. Das tut einfach weh.«

  »Mhm«, brummte Julian ohne die erhofften Worte des Zuspruchs und des Trostes.

  Fragend runzelte ich die Stirn. »Was ›Mhm‹?«

  Julian zögerte. »Kann ich ehrlich mit dir sein?«

  »Natürlich.«

  »Ich finde, du bist Auri gegenüber etwas unfair«, sagte Julian leise, als könnte der Flüsterton seinen Worten die Schärfe nehmen.

  Ich blinzelte irritiert. »Wieso bin ich unfair zu ihm?«

  Mit fahrigen Bewegungen begann Julian erneut, Laurence zu streicheln, als würde ihn meine mögliche Reaktion auf das, was er mir zu sagen hatte, nervös machen. »Du meintest eben, dass dir Auri Dinge über sich verraten hat, die niemand sonst weiß.«

  Ich nickte, unsicher, worauf er hinauswollte.

  »Hast du dir schon mal überlegt, was für ein Privileg das ist? Du solltest ihm nicht böse sein für die Dinge, die er vor seinem Team verheimlicht, sondern dankbar für diejenigen, die er mit dir teilt.«

  »Das bin ich«, versicherte ich Julian. »Aber ich wünschte, er würde nicht alles leugnen, was uns verbindet.«

  »Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass es bei dieser ganzen Sache möglicherweise gar nicht um dich und eure Freundschaft geht?«, fragte Julian auf diese bestimmte Art und Weise, welche die richtige Antwort eigentlich schon impliziert. »Manchmal ist es einfach leichter, nicht jede Facette seines Lebens für alle offenzulegen. Die Leute in der Architekturfirma wissen nichts von meiner Vergangenheit. Und Ricky und Jo hab ich auch nie erzählt, dass ich trans bin. Ich glaube, sie ahnen es, aber sie würden mich nie einfach so darauf ansprechen.«

  »Wieso solltest du ihnen auch davon erzählen? Es hat nichts mit deinem Job zu tun.«

  »Ja, und genauso wenig hat Auris Footballkarriere etwas mit euren Hobbys zu tun.«

  Ich schüttelte den Kopf. »Das ist doch etwas ganz anderes.«

  Julian atmete hörbar aus. »Die Angelegenheit mag eine andere sein, aber das Problem ist das gleiche. Wenn es für Auri leichter ist, sich ins Team zu integrieren, wenn seine Mitspieler nicht wissen, dass er an LARPs teilnimmt und Bücher sammelt, ist das etwas, das du akzeptieren solltest.«

  Was Julian sagte, ergab in gewisser Weise Sinn. Natürlich mussten Col
by und die anderen nichts über Auris Hobbys wissen, um mit ihm Football spielen zu können. Mir war es nur seltsam erschienen, dass Auri ein Geheimnis daraus machte, während ich jedem von meinen Vorlieben erzählte, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Allerdings studierte ich im Fachbereich Literatur mit einem Haufen Nerds und Geeks zusammen, von denen die meisten noch größere Büchersammlungen besaßen als ich. Auri hingegen hatte es mit einer Horde Kerle zu tun, die einem Sport nachgingen, bei dem toxische Männlichkeit so großgeschrieben wurde wie wohl bei kaum einer anderen Sportart. Für Colby hatte bereits sein Spitzname ausgereicht, um sich über Auri lustig zu machen. Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, was für idiotische Sprüche dieser Hornochse loslassen würde, sollte er erfahren, dass Auri sich auch abseits von Halloween gerne verkleidete und gelegentlich als Elfenkrieger ausgab.

  »Auris Beziehung zu seinen Mitspielern ist oberflächlich, weil sie ihm nichts bedeuten«, sagte Julian eindringlich, da ich ihm vermutlich zu lange geschwiegen hatte. »Aber zu dir ist er ehrlich. Weil du ihm alles bedeutest. Und das kann ich mit absoluter Gewissheit sagen, immerhin hab ich fast zwei Jahre mit euch zusammengewohnt.«

  »Vermutlich hast du recht. So habe ich das noch gar nicht betrachtet.«

  Julian lächelte. »Dann freut es mich, dass ich dir mit einer neuen Perspektive dienen konnte.«

  Das Gespräch mit Julian hatte mir wirklich geholfen. Ich wusste zwar noch nicht, was ich zu Auri sagen würde, wenn wir uns das nächste Mal sahen, aber ich hatte das Gefühl, ihn dank Julian jetzt besser zu verstehen. Und womöglich hatte ich wirklich vorschnell über sein Verhalten geurteilt.

  17. Kapitel

  »Einen Augenblick, ich bin gleich für dich da«, sagte ich, ohne vom Laptop aufzublicken, als die Klingel ertönte, die Kundschaft im Crooked Ink ankündigte. Ich war gerade dabei, sämtliche Termine der kommenden Woche für Harvey zu verschieben, da er sich irgendeinen fiesen Virus eingefangen hatte.

  Mittlerweile war ich gut eingearbeitet. Ich kannte das Kalender- und Rechnungssystem und hatte mich sogar damit abgefunden, mit Fremden reden zu müssen. Ich stellte mir einfach vor, dass ich all diesen Leuten einen fachlichen Vortrag hielt. Diese Kunst hatte ich mir dank des Studiums inzwischen angeeignet. Ich hatte alle Fakten rund um Tattoos, Piercings und die Terminvergabe auswendig gelernt und leierte sie inzwischen einfach nur noch runter. Das Ganze hatte nichts mit mir persönlich zu tun, und das machte es mir leichter. Zudem versuchte ich es zu vermeiden, den Leuten direkt in die Augen zu sehen. Das half ebenfalls, auch wenn manche es womöglich als unfreundlich empfanden.

  »Ich würde mir gerne einen Penis auf den Hals tätowieren lassen«, hörte ich eine vertraute Stimme sagen.

  »In Kombination mit deinem Arschgesicht würde das sicherlich gut aussehen.« Ich hob den Kopf und blickte geradewegs in ein Paar warmer brauner Augen. Mein Herz machte vor Freude einen Satz.

  »Danke, auf mein Arschgesicht bin ich auch besonders stolz«, erwiderte Auri mit einem Grinsen, das meinen Herzschlag noch weiter in die Höhe trieb.

  Wir waren uns in den letzten drei Tagen aus dem Weg gegangen. Das Gespräch mit Julian hatte mir geholfen, die Dinge klarer zu sehen, aber ich hatte noch eine Nacht über alles schlafen wollen. Mein Plan war es gewesen, nach meiner Schicht etwas zu essen von unserem Lieblingsasiaten zu holen und das Gespräch mit Auri zu suchen. Offenbar war er mir zuvorgekommen.

  »Ist das mein Siebzehn-Uhr-Termin?«, rief Jo, die aus dem hinteren Teil des Studios kam. Sie trug ein sommerliches Kleid, das farblich perfekt auf ihre roten Haare abgestimmt war.

  »Nein, der ist noch nicht da«, antwortete ich mit einem flüchtigen Blick auf den Kalender. »Das ist Maurice, mein Mitbewohner.« Ich wollte nicht noch einmal den Fehler begehen, jemandem seinen Spitznamen zu offenbaren, der kein Recht darauf hatte, ihn zu kennen. »Und das ist Jo.«

  »Freut mich, dich kennenzulernen, Jo.« Auri streckte ihr die Hand entgegen.

  Ein Ausdruck des Entzückens trat auf Jos Gesicht, und ein Funkeln brachte ihre Augen zum Leuchten. »Und mich erst. Du bist Maurice Remington, nicht wahr?«

  »Ähm …« Auri blickte verlegen drein. »Ja, der bin ich.«

  Jo schnappte aufgeregt nach Luft, und ihr Lächeln wurde noch eine Spur breiter. »Mein Neffe ist ein Riesenfan von dir! Könntest du mir etwas für ihn signieren? Damit würdest du ihm eine große Freude machen.«

  »Klar, kein Problem.« Auri lachte nervös, was mich wunderte. Ich hatte ihn schon unzählige Male seine Unterschrift auf irgendwelche Dinge setzen sehen, so etwas passierte ihm ständig. Selbst über die Grenzen von Mayfield hinaus wussten begeisterte Footballfans, wer er war.

  »Großartig!« Jo schnappte sich ein leeres Blatt Papier und einen schwarzen Marker vom Empfangstisch und reichte beides Auri.

  Er zog den Deckel vom Stift. »Wie heißt dein Neffe?«

  »Jacob.«

  Auri beugte sich über die Theke. Doch er kritzelte nicht einfach nur Jacobs und seinen Namen auf das Papier, sondern nahm sich die Zeit, ihm eine Nachricht zu schreiben, die er mit den Worten beendete: PS : Du hast eine coole Tante. Anschließend gab er Jo den Zettel zurück.

  Sie drückte ihn an ihre Brust. »Danke!«

  »Keine Ursache.« Auri sah von Jo zu mir, und sein Gesichtsausdruck wandelte sich leicht. Die Veränderung war so minimal, dass sie einem Fremden vermutlich nicht aufgefallen wäre, für mich war sie allerdings nicht zu übersehen. In seinem Blick lag etwas Ängstliches. »Könnte ich mir im Gegenzug Cassie für ein paar Minuten ausleihen?«

  Jo zuckte mit den Schultern. »Gerne, wenn sie nichts dagegen hat.«

  Ich zögerte, unsicher, ob es eine gute Idee war, das Gespräch, das Auri und ich führen mussten, schnell irgendwo dazwischenzuquetschen. Doch Auri hatte sich extra die Mühe gemacht herzukommen, und wenn ich ehrlich war, wollte ich nicht mehr länger warten, um diese hässliche Sache zwischen uns endlich aus der Welt zu schaffen.

  »Ich bleib nicht lange weg«, versprach ich Jo.

  »Lass dir Zeit«, sagte sie großzügig.

  Ich schnappte mir meine Handtasche und folgte Auri nach draußen. Obwohl die Hitzewelle inzwischen nachgelassen hatte, war es draußen noch immer unerträglich heiß. Schnell streifte ich den Cardigan ab, den ich mir wegen der Klimaanlage im Crooked Ink übergezogen hatte. Darunter trug ich ein schwarzes Shirt mit Fledermausärmeln, die über meine Oberarme reichten. »Wo willst du hin?«

  »Ich weiß nicht.« Auri hob die Schultern. »Hast du Hunger?«

  Ich schüttelte den Kopf. Mein Magen hatte sich in den letzten Sekunden in einen harten, nervösen Knoten verwandelt, ich hätte unmöglich etwas runterbringen können. »Nicht wirklich, lass uns doch einfach Richtung Park gehen.«

  Schweigend liefen wir nebeneinanderher. Obwohl wir nur gemütlich spazierten, schlug mein Herz so schnell wie nach einem Marathon, angetrieben von den unausgesprochenen Worten, die zwischen Auri und mir in der Luft hingen. Mehrfach hörte ich ihn tief ein- und wieder ausatmen, als würde er Mut sammeln, mir zu sagen, was immer er zu sagen hatte.

  An einer roten Fußgängerampel blieben wir stehen. Auri rechts, ich links von der Metallstange, an der sie befestigt war. Autos rauschten an uns vorbei, während wir auf das grüne Licht warteten.

  »Ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen«, sagte Auri schließlich.

  Ich sah ihn an, aber er blickte starr geradeaus, als wollte er meine Reaktion auf seine Worte nicht sehen. »Nein, du musst dich nicht entschuldigen.«

  Das ließ Auri aufhorchen. Nun sah er mich an, die Stirn gerunzelt. »Muss ich nicht?«

  »Okay, vielleicht doch, aber ich muss mich genauso bei dir entschuldigen«, antwortete ich und lief los, da die Ampel umgeschaltet hatte.

  Für ein paar Sekunden rührte sich Auri nicht, dann joggte er mir hinterher. Die Furche zwischen seinen Augenbrauen hatte sich vertieft. »Wieso solltest du dich entschuldigen? Du hast nichts falsch gemacht. Es war uncool, Colby von meinem Spitznamen zu erzählen, aber ich war selbst schuld. Ich habe mich wie ein Idiot verhalten.«

  Auf der anderen Straßenseite blieb ich stehen. »Ein bissc
hen, aber ich weiß, wieso du es getan hast.«

  »Wirklich?«

  »Ja, Julian hat es mir erklärt.«

  »Julian?« Auri klang ehrlich überrascht.

  Angesichts seines verwirrten Gesichtsausdrucks musste ich schmunzeln. »Ja, er hat mich mit einem großen Becher Eiscreme auf seiner Couch erwischt, und dann haben wir geredet. Über dich und mich und die ganze Situation.«

  Auri gab ein zweifelndes Brummeln von sich.

  Ich holte tief Luft und hielt kurz inne, um ein letztes Mal meine Gedanken zu sortieren. »Ich werde nicht lügen. Es hat wehgetan, als du den Namen Auri so schlechtgeredet hast. Und es war auch nicht leicht zu sehen, dass du unsere Cosplays und unsere Bücher versteckt hast. Aber wenn es für dich so leichter ist und du dir dadurch gewisse Probleme und Diskussionen mit deinen Teamkollegen ersparst, muss ich das akzeptieren. Es ist dein Leben. Du entscheidest, wer was über dich wissen darf. Das hat nichts mit mir und unserer Freundschaft zu tun.«

  »Absolut nichts«, bestätigte Auri und schüttelte heftig den Kopf. »Das darfst du keine Sekunde glauben. Es ist, wie du sagst. Manchmal ist es einfach leichter, den Jungs bestimmte Dinge nicht zu erzählen. Wir sind ein Team, aber nicht alle beste Freunde. Den weißen Jungs wie Colby bin ich oft zu schwarz und den schwarzen Typen zu weiß, weil ich nicht rede wie sie und mich nicht immer für dieselben Dinge interessiere.«

  »Oh«, entfuhr es mir. Davon hatte mir Auri noch nie erzählt. Allerdings war das genau die Art Thema, über die er grundsätzlich nur selten mit mir redete, da ich selbst nicht davon betroffen war. Daher konnte ich ihm auch keinen Rat geben. Ich konnte nur für ihn da sein.

  Ich ergriff seine Hand. »Das tut mir leid.«

  »Muss es nicht«, versicherte mir Auri mit einem sanften Lächeln und drückte meine Finger. »Gerade hab ich ein gutes Mittelding am Laufen, mit dem ich glücklich bin. Das will ich mir nicht kaputt machen. Daher sag ich den Jungs bestimmte Dinge nicht. Sie wissen auch nicht, dass wir gemeinsam auf die SciFaCon gehen, aber das hat rein gar nichts mit dir zu tun. Du weißt, dass du einer meiner Lieblingsmenschen bist.«

 

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