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002 - Someone Else

Page 20

by Laura Kneidl


  Aliza und ich machten uns auf die Suche nach Micah. Doch wir wurden abgelenkt, als wir einen Raum entdeckten, in dem ein Flohmarkt aufgebaut war. Bücher, Kleidung, Schmuck und anderer Kleinkram waren auf mehreren Stühlen und Tischen ausgestellt. Laut einem Plakat, das an der Wand hing, alles Spenden. Die Erlöse würden dem Zentrum zugutekommen.

  Aliza fand ein weißes Kleid, das ihr gefiel. Ich hätte in dem Teil ausgesehen wie ein Gespenst, doch zu ihrem braunen Teint passte es perfekt.

  Während sie bezahlte, erstand ich einen Schmuckständer aus Metall, der wunderbar in Auris und mein neues Bastelzimmer passte.

  Anschließend brachten wir die Sachen zum Auto und holten direkt Alizas Kamera.

  Hinter der alten Werkstatt entdeckten wir einen Garten mit sorgfältig bepflanzten Beeten. Zwischen mehreren Bäumen, in deren Ästen Lichterketten mit kleinen Lampions hingen, waren Hängematten gespannt. Auf der gegenüberliegenden Seite waren Bänke zum Dosenwerfen aufgestellt worden, und dazwischen befand sich eine kleine Hütte, die aussah, als würde dort normalerweise Gartenwerkzeug gelagert. Doch heute war sie zweckentfremdet worden. In der Hütte standen zwei Stühle. Auf einem saß Micah, die Augen geschlossen, und auf dem anderen Lucien, eine Lidschatten-Palette in der Hand.

  Ich trat an die Hütte heran. »Hey.«

  Lucien sah zu mir, sein rechter Mundwinkel hob sich leicht. »Hey, was geht?«

  »Nicht viel, und bei euch so?«, fragte ich, als würde mich der Anblick der beiden nicht im Geringsten überraschen.

  Micah hatte inzwischen die Augen geöffnet. Lucien hatte ihr ein umwerfendes Make-up in der Farbe eines Regenbogens verpasst, der über ihre Lider verlief.

  »Hi, ihr seid ja schon da!«

  »Ja, schon eine Weile, wir haben Aliza geholfen, das Essen herzubringen.«

  Luciens Blick wanderte von mir zu Aliza. Er sah sie an, blinzelte, und ein Ausdruck, wie ich ihn noch nie zuvor an ihm gesehen hatte, trat in seine Augen. »Hey.« Er legte den Pinsel beiseite und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Ich bin Lucien.«

  »Aliza.« Sie ergriff seine Hand.

  Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Er lächelte. Lucien lächelte nie, zumindest nicht unter normalen Umständen. Es veränderte sein ganzes Gesicht. Seine dunklen Augen wirkten mit einem Mal wärmer und seine kantigen Züge weicher.

  »Ich mag dein Make-up.«

  »Danke.« Verlegen senkte Aliza den Blick auf den Boden. »Bist du Make-up-Artist?«

  »Nein, BWL-Student. Das mach ich nur in meiner Freizeit.«

  »Oh, ungewöhnliche Kombination.«

  »Eigentlich interessiere ich mich vor allem für Special-Effect-Make-up.«

  Ich sah von Lucien zu Aliza und wieder zurück. Bildete ich mir das ein, oder spielte sich da gerade etwas zwischen den beiden ab? Ich hatte Lucien selten so redselig erlebt, wenn er nicht gerade mit Amicia oder mir zusammen war.

  Aliza hob interessiert die Augenbrauen. »Du meinst Narben und so Zeug?«

  »Genau. Cassie hat mir dafür schon ein paarmal Modell gestanden.« Lucien holte sein Handy heraus und zeigte Aliza ein Bild unserer vorletzten Session. Damals hatte er mich in einen klassischen Zombie mit aufgequollenem, blutigem Gesicht verwandelt. Er hatte sogar eine Zahnprothese besorgt und eine Perücke, die es so aussehen ließ, als hätte ich die meisten meiner Haare verloren.

  »Beeindruckend«, murmelte Aliza. »Das sieht wahnsinnig echt aus. Du bist wirklich gut.«

  Lucien steckte sein Handy wieder weg. »Danke.«

  »Kann man dich buchen?«

  »Um auszusehen wie ein Zombie?«

  Aliza lachte. »Nein, für normales Make-up.« Sie deutete auf Micah, wobei ich das auffällige Regenbogen-Make-up wohl nicht als »normal« bezeichnet hätte. »Ich hab einen Blog, und in letzter Zeit kommen immer mehr Anfragen für Fotoshoots mit mir rein. Da könnte ich Hilfe mit meinem Gesicht brauchen.«

  »Dein Gesicht braucht keine Hilfe«, erwiderte Lucien, noch immer lächelnd.

  Okay, das bildete ich mir eindeutig nicht ein!

  Aliza schob sich eine Strähne ihres dunklen Haars hinter das Ohr. »Nett, dass du das sagst, aber wenn ich darf, würde ich mich trotzdem bei dir melden. Ich bezahl dich selbstverständlich auch.«

  »Gerne, Cassie kann dir meine Nummer geben.«

  »Yep!«, rief ich eifrig und hätte am liebsten direkt mein Handy rausgeholt. Es war das erste Mal überhaupt, dass ich das Gefühl hatte, dass Lucien Interesse an jemandem zeigte. Und ich war mir ziemlich sicher, dass es nicht nur an der bezahlten Arbeit lag, die Aliza ihm gerade angeboten hatte.

  »Da seid ihr ja.« Auri gesellte sich zu uns in die Hütte, in der es inzwischen ziemlich voll war. »Hey, Lucien. Ich wusste gar nicht, dass du auch da bist.«

  »Ja, ich wollte meiner Schwester und ihrer Freundin das Zentrum mal zeigen.«

  »Und Julian hat ihn dann direkt zur Arbeit verdonnert«, fügte Micah hinzu.

  »Er meinte, es wäre cool, wenn sich die Leute von mir schminken lassen können.«

  »Lieb von dir, dass du mitmachst«, sagte ich.

  Er zuckte mit den Schultern. »Ich konnte schlecht Nein sagen. Meine gute Tat für dieses Jahr.«

  Ich schnaubte. Lucien tat gerne so, als wäre er ein Bad Guy, aber in Wahrheit gehörte er zu den Guten, und das wusste er auch. Trotzdem ließ ich ihn mit seinem Spruch davonkommen und wandte mich stattdessen an Auri. »Seid ihr fertig mit den Getränkekisten?«

  »Schon lange. Und die Kühlschränke sind auch aufgefüllt«, antwortete er. »Ich sollte euch nur suchen, um euch zu sagen, dass die ersten Gäste da sind. Wir sollten uns besser einen Platz sichern. Und wenn du schöne Fotos vom Büfett machen willst, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt«, sagte er zu Aliza.

  Ein Ruck ging durch ihren Körper, und sie klammerte sich an ihre Kamera. »Dann mal los!«

  Das Sommerfest war ein Erfolg auf ganzer Linie. Die Bänke im Innenhof waren voll besetzt, und zahlreiche Menschen schwirrten über das Gelände. Vor Luciens Hütte stand stets eine kleine Schlange, und als ich einen Blick in das Flohmarkt-Zimmer warf, hatte sich der Bestand dort schon mindestens halbiert. Auch das Essen ging gut weg. Die Menschen waren fröhlich und ausgelassen, und ich war froh, dabei zu sein, auch wenn ich mich aufgrund der vielen Leute nicht hundertprozentig wohlfühlte.

  Am Abend lichteten sich die Reihen der Besucher merklich. Samantha ließ es sich nicht nehmen, jeden einzelnen zu verabschieden, auch wenn ihr mittlerweile die Erschöpfung deutlich anzumerken war. Es war nicht zu übersehen, dass sie das Zentrum innig liebte und dass sie vermutlich alles für ihre Schützlinge getan hätte.

  »Werdet ihr etwas spenden?«, fragte ich Adrian und Keith, die als Einzige noch bei mir saßen. Die anderen hatten sich über das Gelände verstreut. Ich konnte nur noch Julian ausmachen, der ein paar Bänke weiter mit einer Mutter und ihrer Tochter saß und augenscheinlich ein intensives Gespräch mit den beiden führte.

  Adrian folgte meinem Blick zu den Spendenkörben am Ausgang. »Ja, vermutlich schon.«

  »Glaubt ihr, zehn Dollar sind genug?« Ich hielt meine Geldbörse in der Hand. Es war alles, was ich an Bargeld dabeihatte. Dummerweise hatte ich nicht daran gedacht, mehr einzustecken. Doch nachdem ich als Einzige nichts zum Fest beigetragen hatte, hatte ich das Gefühl, Samantha mehr schuldig zu sein als zehn Dollar.

  »Natürlich ist das genug«, versicherte mir Keith. »Jeder Cent zählt.«

  »Außerdem hast du dir etwas zu trinken und zu essen gekauft, das sind auch Spenden«, fügte Adrian hinzu, der neben Keith auf der Bank saß, eine Hand auf dessen Oberschenkel. Sie hatten den ganzen Tag die Hände nicht voneinander lassen können, wie ein frisch verliebtes Paar. Bisher hatte ich sie in der Öffentlichkeit noch nie so viel Zuneigung zeigen sehen wie heute in diesem geschützten Raum.

  »Hey!« Aliza rutschte neben mir auf die Bank.

  »Hey«, gab ich zurück. »Wo warst du die ganze Zeit?«

  »Fotos machen.« Sie legte die Kamera auf den Tisch. »Ich hab mit Samantha gesprochen, und wir haben überlegt, dass ein Feature über Bright Canopy auf
meinem Blog cool wäre. Das ist zwar nicht mein üblicher Content, aber wenn ich genug Bilder vom Büfett einfüge und dazu meine Rezepte poste, geht das klar.«

  »Hört sich toll an.«

  »Ich freu mich auch.« Sie lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. »Wollen wir gehen? Ich hab morgen noch einiges zu erledigen. Da ist diese Hausarbeit, die ich schreiben muss, und mein Postfach ist auch schon wieder voll.« Sie stieß ein erschöpftes Seufzen aus.

  »Von mir aus gerne. Wir müssten nur Auri finden.« Ich sah mich nach ihm um, konnte ihn aber auf Anhieb nirgendwo entdecken.

  Aliza stand von der Bank auf. »Suchst du ihn? Dann hol ich meine Sachen aus der Küche.«

  »Brauchst du Hilfe?«, fragte Adrian.

  »Wenn du mitgehen könntest, wäre das toll.«

  »Ich komme auch mit«, sagte Keith.

  »Cool.« Aliza sah zu mir. »Treffen wir uns dann am Auto?«

  Ich nickte und begab mich auf die Suche nach Auri. Zuletzt hatte er zu dem Basketballkorb am Rande des Innenhofes gehen wollen, aber dort war er nicht mehr. Also durchquerte ich das Zentrum und schlenderte in den Garten, in dem es inzwischen ziemlich ruhig geworden war. Lucien war vor einer halben Stunde mit Amicia und Brooklyn aufgebrochen, und für das Dosenwerfen interessierte sich niemand mehr.

  Die Lampions in den Bäumen schimmerten verträumt und warfen ihr mattes Licht auf die Hängematten. Ich bemerkte, dass sich eine davon leicht hin und her bewegte. Als ich näher herantrat, entdeckte ich Auri, der gedankenverloren zu den Ästen hinaufblickte.

  »Da bist du ja«, sagte ich mit gesenkter Stimme, um ihn nicht zu erschrecken.

  Auri löste den Blick von den Bäumen und sah mich an. Er wirkte entspannt. »Sorry, ich wollte nicht so lange wegbleiben.«

  »Schon gut, aber es wird langsam Zeit zu gehen.«

  »Gleich.« Er seufzte. »Hier ist es gerade so gemütlich.«

  Ich lächelte auf ihn herab. »Das glaub ich dir.«

  »Leg dich zu mir.«

  »Aliza wartet auf uns.«

  »Nur ein paar Minuten«, bat Auri und streckte einladend eine Hand nach mir aus.

  Wie hätte ich ablehnen können? Schnell schlüpfte ich aus meinen Sandalen und kletterte zu Auri in die Hängematte, die dabei heftiger zu schwanken begann. Ich versuchte mich neben ihn zu legen, was jedoch leichter gesagt war als getan. Ungeschickt landete ich stattdessen auf Auri. Als ich versuchte, meine Körperteile zu sortieren, begann er schallend zu lachen – was die Hängematte nur noch stärker schaukeln ließ.

  »Jetzt leg dich schon hin«, sagte Auri schließlich mit einem Schmunzeln und zog mich an sich, sodass ich immerhin nur noch zur Hälfte auf ihm lag. Mein Oberkörper drückte gegen seine Brust, und mein Kopf rollte wie von selbst auf seine Schulter. Seinen rechten Arm schlang er um mich, damit ich aufhörte herumzuzappeln.

  Ich gab nach und ließ mich in die Berührung fallen. Ich musste zugeben, es war gemütlich. Das seichte Auf und Ab der Hängematte, das dämmrige Licht und Auris Wärme lullten mich ein. Ich schmiegte mich an ihn und schob einen Arm über seine Brust, um ihn an mich zu drücken.

  Eine Weile lagen wir einfach nur nebeneinander und beobachteten die Falter, die sich um die Lampions versammelt hatten und flatternd um sie herumtanzten. Keiner von uns sagte etwas, aber in diesem Augenblick waren Worte überflüssig. Die Welt um uns herum verblasste. Ich fühlte mich bei Auri geborgen wie bei niemandem sonst. Und wenn ich einfach für den Rest meines Lebens an diesem Ort mit ihm hätte liegen dürfen, wäre das völlig in Ordnung für mich gewesen.

  Ich spürte eine federleichte Berührung an meiner Schläfe. Zuerst dachte ich, es wäre womöglich ein kleiner Falter, der sich verirrt hatte, doch es waren Auris Fingerspitzen, die sanft durch meine Haare kämmten.

  Ich hob den Blick. Er sah noch immer in die Bäume und schien sich seiner Geste überhaupt nicht bewusst zu sein. Lächelnd beobachtete ich ihn dabei, wie er verträumt in das Blattwerk über uns guckte, das im Wind leicht raschelte.

  Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Körper aus, und mein Herzschlag beschleunigte sich, als würde ich mit den Faltern durch den Nachthimmel tanzen. In diesem Moment wurde ich mir einer Sache endgültig bewusst: Ich liebte Auri. Und es spielte keine Rolle, ob wir Freunde, Liebhaber oder Partner waren. Oder ob sich unsere Leben in vollkommen unterschiedliche Richtungen entwickelten. Ein Teil von mir, der Teil, der im Hier und Jetzt existierte, würde ihn für immer lieber.

  Auri musste meinen Blick auf sich gespürt haben. Er sah mich an, und ein Lächeln, bei dem mir die Luft wegblieb, trat auf seine Lippen. Das Licht der Lampions spiegelte sich in seinen Augen. Sie leuchteten voller Wärme.

  Ich wusste, ich sollte atmen. Ich sollte zurückweichen. Ich sollte diesem Blickkontakt sofort ein Ende bereiten. Doch ich tat nichts davon, denn ich war Auri verfallen. Ich krallte mich in sein T-Shirt und zog mich noch näher an ihn heran.

  Seine Atmung geriet ebenfalls ins Stocken, und seine Hand glitt auf meine Schulter. Fest, aber nicht schmerzhaft, grub er die Finger in meine Haut. Sein Lächeln wurde schmaler, und sein Blick senkte sich auf meinen Mund.

  Mir wurde ein wenig schwindelig, obwohl ich lag. Und plötzlich konnte ich nur noch daran denken, wie gern ich Auri küssen wollte. Die Stimme in meinem Kopf, die seit Wochen um unsere Freundschaft kämpfte, schrie, ich solle mich beherrschen. Doch ihre Widerworte klangen immer leiser und rückten mit jeder Sekunde weiter in den Hintergrund. Vielleicht war dies kein Fehler. Vielleicht war es nur der natürliche Lauf unserer Beziehung, und Auri und ich versuchten die ganze Zeit, etwas aufzuhalten, das ohnehin unvermeidbar war. Er und ich. Zusammen.

  Als Auris warmer Atem meinen Mund streifte, überzog eine Gänsehaut meinen Körper. Ich klammerte mich noch fester an ihn. Wie von selbst teilten sich meine Lippen, und ich kam ihm entgegen.

  Sanft strich sein Mund über meinen. Noch war es kein Kuss, nur ein Vorgeschmack. Ein Versprechen.

  »Cas«, wisperte Auri an meinen Lippen. Seine Stimme voller Sehnsucht.

  Ich seufzte und schloss die Augen. Mein Herz pochte wild …

  »Auri? Cassie? Seid ihr hier?«

  Ich erstarrte. Aliza. Ich hatte sie vollkommen vergessen.

  »Ach, da seid ihr … Oh, sorry.«

  Blinzelnd sah ich zu den Lampions auf und entdeckte Aliza direkt über uns, einen überraschten und zugleich entschuldigenden Ausdruck auf dem Gesicht.

  »Ich wollte euch nicht stören.«

  Ich schluckte, wusste aber nicht, was ich sagen sollte.

  »Du hast nicht gestört«, kam mir Auri zu Hilfe. Seine Stimme klang rau und enttarnte seine Worte als Lüge.

  Er nahm seine Hand von mir, und ich löste meine Finger aus seinem Shirt. Ich fühlte mich wie betäubt. Meine Glieder kamen mir merkwürdig schwer vor, als ich versuchte, aus der Hängematte aufzustehen.

  Aliza reichte mir eine Hand, um mir zu helfen. Ihre Finger fühlten sich kalt an im Vergleich zu meinen, die von der Nähe zu Auri warm geworden waren.

  Als Auri hinter mir aus der Hängematte kletterte, wirkte er dabei ebenso benommen wie ich. Als hätte man uns aus einem gemeinsamen Traum gerissen. Sein Blick zuckte zu mir, und für den Bruchteil einer Sekunde sahen wir einander an, Bedauern in unseren Augen.

  »Lasst uns gehen«, sagte Auri und wandte sich abrupt ab. Aliza und ich folgten ihm.

  Ich war vollkommen durcheinander und konnte nicht anders, als mich noch einmal zu der Hängematte umzudrehen, in der soeben etwas unglaublich Bedeutsames passiert war, das ich noch nicht ganz begreifen konnte.

  »Es tut mir leid«, flüsterte Aliza neben mir. »Ich wollte euch wirklich nicht stören.«

  »Schon in Ordnung«, erwiderte ich.

  Aber in Wahrheit war nichts in Ordnung. Auri hatte sich einen Stein genommen und ihn in das Fenster geworfen, das meine Gefühle für ihn draußen halten sollte. Nun war es eingeschlagen, das Glas gesprungen, und vor mir lag ein Scherbenhaufen. Die Splitter scharf und spitz, dazu geschaffen, mich zu verletzen, wenn ich nicht aufpasste.

  21. Kapitel

  »Was glaubst du? Haben wir genug grüne Farb
e?«, fragte Micah mit einem skeptischen Blick in unseren Einkaufskorb.

  Wir waren in die Stadt gefahren, um die letzten Besorgungen für die SciFaCon zu erledigen. Ich konnte nicht glauben, dass ich die Convention nach all den Jahren, die ich sie bereits online verfolgte, morgen endlich persönlich besuchen würde. Nichts konnte meine Vorfreude darauf trüben.

  »Ich denke schon, aber wenn du dir unsicher bist, nimm noch eine Tube«, antwortete ich und warf eine Packung Abschminktücher in den Korb, der schon ziemlich voll war. Von Snacks über Blasenpflaster bis hin zu Make-up war alles darin.

  Allmählich machte ich mir ein bisschen Sorgen, dass Auris Wagen für uns vier und all das Zeug, das wir mitnehmen wollten, zu klein sein könnte.

  Micah zögerte kurz, dann nahm sie noch zwei der Tuben mit der grünen Körperfarbe, die sie für ihr Gamora-Cosplay benötigte, und legte sie in den Korb. »Bist du mit deinem Kostüm fertig?«

  »Fast, es fehlen nur noch ein paar Kleinigkeiten.« Ich konnte es kaum erwarten, mein Cosplay später ein letztes Mal vor dem großen Tag anzuprobieren. Es war bei Weitem nicht das professionellste Cosplay, das auf dieser Welt existierte, aber ich war stolz auf das Ergebnis. »Und du?«

  »Ich bin durch, aber an Julians Star-Lord müssen wir noch ein bisschen arbeiten.«

  »Hat er mit seinem Praktikum überhaupt Zeit für die SciFaCon?«

  Micah stieß ein schweres Seufzen aus. Anscheinend hatte ich einen wunden Punkt getroffen. »Eigentlich nicht. Er hat in den letzten Tagen wieder Hinweise fallen lassen, dass er vielleicht nicht mitkommen kann. Und als ich ihn darauf angesprochen habe, hat es einen fetten Streit gegeben.«

  »Oh nein.«

  »Oh doch. Ich verstehe, dass das Praktikum wichtig ist und eine tolle Chance für ihn, aber es ist unbezahlt, und er hat im letzten Monat keine Woche unter fünfzig Stunden gearbeitet. Eher mehr. Und dann will er uns auch noch dieses Wochenende kaputt machen, auf das ich mich so sehr freue. Wenn ich ehrlich bin, ist die SciFaCon selbst inzwischen nebensächlich. Ich freu mich einfach auf etwas Quality Time mit meinem Freund, ohne dass er ständig an seinem Laptop hängt.«

 

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