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002 - Someone Else

Page 22

by Laura Kneidl


  »Ja, so ein Typ, mit dem sie sich online über Comics streitet.«

  »Verstehe«, brummte Auri. »Und halten wir nach diesem Luca Ausschau, um ihm aus dem Weg zu gehen oder damit wir ihn finden und in Brand setzen können? Nur damit ich Bescheid weiß.«

  Julian zuckte mit den Schultern. »Das konnte ich auch noch nicht herausfinden.«

  »Ich werde niemanden in Brand setzen«, schaltete sich Micah ein und seufzte. »Ich möchte ihn wirklich gerne treffen. Wir folgen uns schon seit Jahren auf Goodreads, und auf seine eigene schräge, unangemessene und geschmacklose Art und Weise ist er wirklich ein netter Kerl.«

  Ich lachte über ihre Wortwahl. »Wow. Julian, pass besser auf, sonst bist du heute Abend wieder Single.«

  Micah machte eine wegwerfende Handbewegung. »Keine Sorge, Luca würde Sage nie für mich verlassen.«

  »Aber du würdest mich für Luca verlassen?«, fragte Julian mit gerunzelter Stirn.

  »Das wollte ich damit nicht sagen.« Micah hakte sich bei ihrem Freund unter und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Dich würde ich höchstens gegen Jason Momoa eintauschen.«

  Die Falte zwischen Julians Augenbrauen wurde noch eine Spur tiefer. »Ähm, danke?«

  »Gerne«, erwiderte Micah mit einem Schmunzeln und gab Julian einen flüchtigen Kuss, der auf seinen Lippen einen Hauch grüne Farbe hinterließ. Sie wischte sie mit dem Daumen ab, und Julian schnappte mit den Zähnen nach ihrem Finger, was Micah zum Lachen und Julian wiederum selbst zum Grinsen brachte.

  Die beiden waren wirklich zu süß zusammen. Für Auris und mein Seelenwohl hoffte ich, dass unser Hotelzimmer nicht neben ihrem lag, denn ich hatte die Vermutung, dass die beiden heute nur wenig Schlaf finden würden.

  Wir beschlossen, uns etwas zum Mittagessen zu holen, ehe wir uns im Anschluss aufteilen wollten, um weiter das Gelände zu erkunden.

  Julian und Micah zogen weiter in die Halle für die Illustratoren und Zeichner, während Auri und ich uns zu den Veranstaltungssälen aufmachten. Wir hörten uns ein Panel über Randgruppen und Minderheiten in der Fantasy an und besuchten anschließend einen Cosplay-Contest. Es war wirklich beeindruckend, wie viel Zeit und Mühe die Leute nicht nur in ihre Kostüme, sondern auch in ihre Performance gesteckt hatten. Eine Jury aus professionellen Cosplayern wählte die Sieger. Darunter war auch ein ziemlich beeindruckender Geralt von Riva, mit dem Auri dann doch nicht ganz mithalten konnte. Am Ende der Darbietungen reihten wir uns in eine Schlange ein, um gemeinsam mit ihm ein Foto zu machen. Er lobte unsere Kostüme und positionierte mich für das Bild zwischen sich und Auri.

  Anschließend schrieb ich Micah eine Nachricht, wo wir uns treffen wollten. Mittlerweile war es später Nachmittag, und ich konnte nicht glauben, dass sich dieser wundervolle Tag langsam dem Ende zuneigte. Ich litt bereits unter Trennungsschmerz und wünschte mir, ich hätte noch ein bisschen länger an diesem Erlebnis festhalten können. Doch die Erinnerungen und Fotos würden mir für immer bleiben, und vielleicht konnte ich nächstes Jahr zurückkehren. Meine Vorfreude darauf war schon jetzt groß.

  »Geht es dir gut?«, fragte Auri und ließ sich neben mir auf den Boden gleiten.

  Ich grinste. »Ja, es könnte nicht besser sein.«

  »Sicher?« Die Sorge in Auris Stimme war nicht zu überhören. »Willst du vielleicht etwas essen? Ich habe noch einen Schokoriegel, der ist nur etwas angeschmolzen.«

  »Alles gut«, versicherte ich ihm.

  Es war wirklich lieb, wie er sich um mich kümmerte. Ich musste zugeben, dass ich anfangs auch etwas Sorge wegen all der Menschen, der Hitze und der stickigen Luft in den Messehallen gehabt hatte, aber es war auszuhalten, und ich nutzte jeden Toilettengang, um meine Zuckerwerte zu messen, denn ich wollte nicht, dass der beste Tag meines Lebens mit Unterzucker im Krankenhaus endete.

  »Hat Micah geantwortet?«, erkundigte sich Auri.

  Wir waren seit Stunden auf den Beinen, und obwohl wir während der Panels hatten sitzen können, waren wir beide ziemlich erschöpft.

  Ich schaute auf mein Handy. »Noch nicht.«

  »Wollen wir hier einfach warten oder uns noch was anschauen?«

  Ich sah zu Auri auf. »Gibt es denn etwas, das du noch sehen willst?« Bisher hatten wir vor allem Sachen gemacht, die ich mir ausgesucht hatte. Er war mir einfach gefolgt.

  Auri schüttelte den Kopf. »Ich bin nur froh, wenn ich diese Hose ausziehen kann.«

  »Willst du zurück ins Hotel?«

  »Ich bleib hier, solange du willst.«

  Ich lächelte und lehnte mich bei ihm an. »Du bist zu gut zu mir.«

  »Ich weiß«, sagte er neckisch und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

  Seine Lippen hinterließen ein warmes Prickeln auf meiner Haut, und ich musste unweigerlich an den Beinahe-Kuss während des Sommerfestes denken und daran, wie sein Atem meinen Mund gestreift hatte. In jenem Moment war ich mir seiner Nähe so bewusst gewesen wie noch nie zuvor. Stärker noch als während des Augenblicks, den wir im See geteilt hatten. Die Erinnerung an seine Lippen, die meinen unendlich nah und zugleich unendlich fern gewesen waren, ließ sich einfach nicht abschütteln und hatte mich seither fast jede Nacht heimgesucht. Dutzende Male hatte ich mir vorgestellt, wie sich der Kuss wohl angefühlt hätte, und mittlerweile musste ich mir eingestehen, dass ich mir wünschte, dass die Fantasie Wirklichkeit wurde. Ich hatte keine Ahnung, ob es eine gute Idee oder ein gigantischer Fehler war, darauf zu hoffen, aber ich kämpfte schon zu lange gegen die Gefühle an, die ich mit der Zeit für Auri entwickelt hatte. Egal wie schnell und weit ich rannte, um sie abzuschütteln, sie holten mich immer wieder ein.

  Vielleicht war es an der Zeit, stehen zu bleiben, all meinen Mut zusammenzunehmen und mich ihnen zu stellen.

  23. Kapitel

  »Die anderen sind in Halle 3«, verkündete ich, nachdem ich die Nachricht von Micah gelesen hatte, mit der sie mir kommentarlos die Hallen- und Standnummer geschickt hatte. Ich zeigte Auri das Display.

  Er nickte, und wir standen vom Boden auf. Es war zu spüren, dass sich der heutige Convention-Tag dem Ende neigte, der Besucherandrang ließ allmählich nach und machte das Vorankommen in den Gängen leichter. Doch so erschöpft ich inzwischen auch war, ich wollte unbedingt bis zum Schluss bleiben, um jede Sekunde auszukosten.

  Auri passte seine langen Schritte meinen kurzen an, und wir legten noch einen Stopp bei den Toiletten ein, bevor wir in Halle 3 hinübergingen. Sie war weniger schrill als die anderen, denn hier gab es keine Händler, die versuchten, ihre Sammelfiguren und Kissen mit sexy Aufdrucken zu verkaufen. Die Stände gehörten zu Verlagen und Autoren, die ihre Bücher auf etwas seriösere Weise präsentierten. Wir suchten nach der Standnummer, die Micah uns geschickt hatte, und entdeckten, dass sie zu einer Buchhandlung für alte und gebrauchte Bücher gehörte, um die Auri und ich am Mittag gezielt einen Bogen gemacht hatten.

  »Da vorne sind sie«, sagte Auri und deutete in die Richtung.

  Ich folgte seinem Blick und entdeckte Micah und Julian sofort, allerdings waren sie nicht alleine. Neben ihnen stand eine als Jesse Quick verkleidete Frau und ein hochgewachsener Mann, der als The Flash kostümiert war. Der hautenge rote Anzug saß wie angegossen und versteckte nichts von seinen Muskeln, die zu fein und definiert wirkten, um nur Teil des Outfits zu sein. Er hatte seine Maske abgenommen, und obwohl ich bisher nur Fotos auf Instagram von ihm gesehen hatte, erkannte ich ihn sofort: Micahs Erzfeind. Luca. Zwischen den beiden schien jedoch Waffenstillstand zu herrschen. Denn anstatt sich Beleidigungen an den Kopf zu werfen, wie sie es häufig taten, wenn sie online über Comics diskutierten, führten sie anscheinend eine ruhige Unterhaltung. Micah lächelte sogar. Julian hingegen wirkte nicht ganz so glücklich, und wer hätte es ihm verdenken können? Immerhin unterhielt sich Micah gerade äußerst angeregt mit einem buchliebenden Adonis.

  »… auf jeden Fall wird es damit enden, dass die Traummaschine …«

  »Hey!«, platzte ich in die Unterhaltung und schnitt Micah damit das Wort ab.

  »Da seid ihr ja!« Micah umarmte mich, als hätten wir uns bereits seit Tagen nicht mehr gesehen. Ihre grüne Körperfarbe war zum
Teil verschmiert und an manchen Stellen zu einem helleren Ton verblasst, sodass ihr Teint nicht mehr perfekt ebenmäßig war; und auch der grüne Lippenstift war von ihrem Mund verschwunden. Als ich Spuren davon auf Julians Gesicht entdeckte, fragte ich mich unwillkürlich, was die beiden wohl alles getrieben hatten, während wir getrennt gewesen waren. »Das sind Luca und seine Schwester April.«

  »Hi, ich bin Cassie«, grüßte ich.

  Auri schüttelte den beiden die Hand. »Hey. Auri.«

  »Coole Witcher -Cosplays«, sagte April mit einem Lächeln. Obwohl sie eine Maske trug, die den Großteil ihrer Augenpartie verdeckte, war nicht zu übersehen, dass auch sie in der Genlotterie gewonnen hatte. Sie war groß und schlank mit strahlenden blauen Augen und seidigen blonden Haaren, die sie zu einem Zopf gebunden hatte. Statt des roten Jesse-Quick-Anzugs aus der Serie trug sie die kurzen gelben Shorts aus den Comics, was ich nur wusste, weil ich irgendwann einmal in einem Heft aus Micahs Sammlung geblättert hatte.

  Ich lächelte zurück. »Danke, eure Kostüme sind auch toll.«

  »Ich habe den beiden gerade von der Albtraumlady erzählt«, schaltete sich Micah ein.

  Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. »Wirklich?«

  Luca nickte. »Was ihr da vorhabt, klingt echt gut.«

  »Ach ja?«

  »Ja«, versicherte er mir.

  »Wenn du nichts dagegen hast, könnte Luca einer unserer Testleser sein«, sagte Micah, die ganz begeistert von der Idee klang. »Wir haben zwar Ted und Derek, aber noch etwas mehr Feedback kann sicherlich nicht schaden. Und wenn Luca es scheiße findet, wissen wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.«

  »He!« Luca verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn ich sage, dass es Müll ist, ist es auch Müll. Im Gegensatz zu anderen Personen in dieser Runde habe ich nämlich Geschmack und finde die DC Icons -Romane nicht, Zitat, ›ziemlich gut‹.«

  Micah funkelte Luca finster an. »Sie sind wirklich gut!«

  Er schnaubte. »In deinen Träumen.«

  »Du hast sie nur nicht verstanden.«

  »Was gibt es da schon zu verstehen? Die Bücher sind flach wie ein Blatt Papier.«

  »Nur weil du etwas nicht begreifst, ist es noch lange nicht flach«, erklärte Micah.

  »Und nur weil du behauptest, dieser Müll hätte Tiefgang, ist es noch lange nicht wahr.«

  Micah stieß ein genervtes Stöhnen aus. »Du hast einfach keine Ahnung.«

  Hilfe suchend sah ich zu Auri.

  Er zuckte ratlos mit den Schultern, wobei sich die Schwerter auf seinem Rücken mitbewegten.

  Das würde etwas geben, wenn Luca tatsächlich Testleser für die Albtraumlady werden sollte. Vermutlich würden die beiden einander umbringen, bevor wir es überhaupt schafften, Volume eins fertigzustellen. Doch ich würde mich in diesen Streit nicht einmischen. Das war Micahs Angelegenheit, und da es noch immer ihre Grundidee war, sollte sie entscheiden, wer mitlesen durfte und wer nicht. Hauptsache, Auri war unter den Testlesern.

  »Wollen wir uns ein bisschen umschauen?«, fragte Auri wie aufs Stichwort.

  Ich nickte. Diesem Gezanke musste ich wirklich nicht zuhören.

  Wortlos seilten wir uns von der Gruppe ab und wandten uns den ausgestellten Büchern zu.

  Der Stand hatte eine bunte Mischung aller Genres zu bieten, nicht nur Fantasy und SciFi, auch Krimis, Thriller, Kinderbücher und Sachbücher waren darunter. Einige der Bücherkisten waren inzwischen schon ziemlich leer gekauft, aber zwei junge Männer waren gerade dabei, sie für den nächsten Tag mit Vorräten aus dem Lager wieder aufzufüllen. Auri und ich schlichen ihnen hinterher, um uns die neuen Sachen direkt anzuschauen.

  Ich entdeckte ein Buch zum Thema Nähen, das supergünstig war, da die Schnittmuster, die eigentlich hätten beiliegen sollen, fehlten. Und Auri sicherte sich alle drei Bände einer Trilogie eines australischen Autors, die er bereits seit einer Weile lesen wollte. Wir beide wussten ganz genau, weshalb wir diesen Stand am Mittag ausgelassen hatten, aber nun war die Falle zugeschnappt, und es tat mir nicht einmal leid.

  Ich holte einen Korb, damit wir die Bücher nicht die ganze Zeit in der Hand halten mussten. Als ich zurückkam, blickte Auri schelmisch drein und versteckte etwas hinter seinem Rücken, so wie ich es damals auf dem Flohmarkt getan hatte, als ich die indonesische Herr der Ringe -Ausgabe entdeckt hatte.

  »Rate mal, was ich gefunden habe?«, fragte er. Es waren beinahe die gleichen Worte, wie ich sie verwendet hatte.

  Ich neigte den Kopf, als müsste ich nachdenken. »Eine HdR-Ausgabe, die wir noch nicht haben?«

  »Nein, das wäre zu einfach, aber du bist nah dran.«

  »Sag schon«, drängte ich.

  Auri zog das Buch hinter seinem Rücken hervor.

  Es war ein englischsprachiges Exemplar von Der Name des Windes , das ich bisher aber noch in keinem Buchladen gesehen hatte. Womöglich eine britische oder australische Ausgabe.

  Er reichte es mir. »Was hältst du davon, wenn wir noch eine Sammlung anfangen?«

  Ich sah von dem Buch zu ihm auf. »Wirklich?«

  »Ja, warum nicht?« Er zuckte mit den Schultern, als wäre es nur eine Kleinigkeit.

  Aber das war es nicht.

  Nicht für mich.

  Diese Sammlung wäre eine weitere Sache, die wir miteinander teilten. Etwas, das uns miteinander verband. Dessen musste sich Auri bewusst sein, dennoch legte er das Buch ohne jedes Zögern in unseren Korb.

  Das leise Klicken des Schlosses unserer Hotelzimmertür weckte in mir zugleich ein Gefühl der Erleichterung und der Enttäuschung. Erleichterung, weil ich mit meinen Kräften am Ende war und nach einer heißen Dusche nur noch ins Bett kriechen wollte. Meine Füße taten weh, und meine Muskeln waren steif vom vielen Laufen. Enttäuscht war ich, weil mein Geist anders als mein Körper hellwach war. Ich sehnte mich zurück in die heiligen Hallen der Convention. Ich konnte einfach nicht glauben, dass dieser Tag, auf den ich so lange hingefiebert hatte, nun wirklich und endgültig vorbei war. Und ich würde ein Jahr warten müssen, ehe ich zurückkehren konnte.

  »Welche Seite vom Bett möchtest du haben?«, fragte Auri, während er unsere Taschen vor dem Schreibtisch gegenüber abstellte.

  Es war ein nettes, aber kein übertrieben schickes Hotel. Die Möbel hatten eindeutig schon ein paar Jahre auf dem Buckel, aber es war sauber, jedes Zimmer hatte sein eigenes Bad, und am Morgen erwartete uns ein Frühstücksbüfett, das von anderen Gästen sehr gut bewertet worden war.

  »Die rechte, wenn das für dich okay ist.« Es war die Seite, die weiter von der Tür entfernt war.

  »Klar.« Auri lächelte und öffnete die Gürtelschnallen, welche die Schwerter auf seinem Rücken gehalten hatten. Ächzend legte er die Plastikwaffen ab. »Das Kostüm ist cool, aber wirklich alles andere als bequem.«

  »Wem sagst du das?« Ich ließ mich auf meine Seite des Bettes fallen und zog meine Stiefel aus. Am Morgen noch waren sie bequem gewesen, aber die Absätze waren den Tag über zu einer wahren Qual geworden. Ich war heilfroh gewesen, dass Micah und ich daran gedacht hatten, Blasenpflaster zu kaufen.

  Als die Schuhe von meinen Füßen rutschten, seufzte ich erleichtert und streckte meine Beine aus, die sich plötzlich unsagbar schwer anfühlten. Am liebsten hätte ich mich einfach hingelegt, aber ich wollte nicht mit all dem Schweiß und Dreck der Convention auf der Haut schlafen gehen.

  »Möchtest du zuerst duschen?«

  Auri schüttelte den Kopf. »Mach du ruhig. Ich muss meine Mom anrufen.«

  Ich runzelte die Stirn. »Ist alles in Ordnung?«

  »Keine Ahnung. Sie hat geschrieben, ich soll mich melden, sobald ich kann. Vermutlich geht es mal wieder um die Hochzeit. Sie ist langsam ein bisschen am Durchdrehen, obwohl sie meinte, sie sieht das Ganze entspannt … Überraschung: Tut sie nicht.«

  Ich lachte. »Okay, dann lass ich dich ungestört telefonieren und geh zuerst ins Bad.«

  Mühevoll rappelte ich mich wieder vom Bett auf, wobei mein ganzer Körper protestierte, holte meinen Kulturbeutel aus dem Koffer und schnappte mir eines der zwei Badehandtücher, die auf der Matratze bereitlagen. Im Badezimmer sch
älte ich mich aus meinem Ciri-Cosplay, was sich als gar nicht so leicht herausstellte, und nahm meine Perücke ab. Mit einem Wattepad entfernte ich die Klebereste und mein Make-up. Es war etwas traurig, mit anzusehen, wie aus Ciri wieder Cassie wurde, aber vielleicht konnte ich das Kostüm zu Halloween noch einmal tragen.

  Schließlich stieg ich unter die Dusche und drehte das Wasser auf. Die Leitung gluckerte kurz, bevor es auf mich herabregnete. Zufrieden ließ ich das Kinn auf die Brust sinken, sodass der Wasserstrahl meinen Nacken treffen konnte. Das tat gut. Ich stellte die Temperatur noch etwas höher und stand eine Weile einfach nur da, bevor ich die Kraft fand, mich zu waschen. Ich würde heute schlafen wie ein Stein.

  Nachdem ich mich eingeseift und abgebraust hatte, stieg ich aus der Dusche und wickelte das Handtuch um meinen Körper. Der warme Dampf hatte den Spiegel beschlagen lassen. Ich musterte meine verschwommene Reflexion, bevor ich mich über das Waschbecken beugte, um Auri eine Nachricht zu hinterlassen. Überall dort, wo mein Finger das Glas berührte, wurde mein Spiegelbild klarer, und ich war deutlicher zu erkennen. Fasziniert beobachtete ich, wie die Buchstaben langsam, aber sicher verschwanden, während die Luft abkühlte.

  Nachdem meine Botschaft verschwunden war, steckte ich meine Haare hoch, putzte mir die Zähne und trocknete mich ab. Ich wollte das Handtuch gerade fallen lassen und mich anziehen, als mir auffiel, dass ich vergessen hatte, Klamotten mit ins Bad zunehmen. Verdammt. Ich hatte nicht mal an Unterwäsche gedacht. Schnell schlang ich das Handtuch erneut um meinen Körper und kontrollierte mehrfach den Knoten, der es über meiner Brust zusammenhielt, bevor ich das Badezimmer verließ.

  Auri saß auf dem Bett, den Blick auf sein Handy gerichtet. Er hatte sein Geralt-Kostüm bereits abgelegt, nur noch sein weiß angesprühtes Haar und die Kontaktlinsen erinnerten an den Hexenjäger.

  »Meine Mom wollte mir nur sagen, dass sie sich dafür entschieden hat, eine vegane statt eine vegetarische Alternative anzu…bieten.« Auri stolperte über das letzte Wort, als er aufsah und mich entdeckte.

  Verlegen zupfte ich am Saum meines Handtuchs, das ziemlich kurz war. Es bedeckte gerade so das Nötigste. »Ich hab meine Sachen vergessen.«

 

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