Ever – Wann immer du mich berührst
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Nikola Hotel
Ever – Wann immer du mich berührst
Roman
Über dieses Buch
Liebe wird aus Mut gemacht!
Verletzt. Verängstigt. Verloren. So fühlt Abbi sich momentan. Sie will einfach nur nach Hause, weg aus der Rehaklinik, wo sie nach einem schlimmen Autounfall wieder laufen lernen soll. Nur macht sie keine Fortschritte. Überhaupt keine. Abbi hat seit dem Unfall panische Angst vor Schmerzen, und die Therapie läuft dementsprechend schlecht – bis sie einen neuen Physiotherapeuten bekommt. David Rivers ist noch Student, aber mit seiner geduldigen, sanften Art dringt er zu ihr durch. Wann immer er sie berührt, verfliegt ihre Angst. Sie fühlt sich sicher. Doch das ist sie nicht. Denn David kennt ein Geheimnis, das ihre ganze Welt zerreißen könnte …
Der Auftakt der zweibändigen Paper-Love-Reihe.
Vita
Nikola Hotel hat eine große Schwäche für dunkle Charaktere und unterdrückte Gefühle. Obwohl sie auch schon romantische Komödien geschrieben hat, hängt ihr Herz daher vor allem am New-Adult-Genre. Und das merkt man ihren ebenso gefühlvollen wie mitreißenden Liebesgeschichten an. «It was always you», der erste von zwei Bänden um die Blakely-Brüder Asher und Noah, stieg unmittelbar nach Erscheinen auf die Spiegel-Bestsellerliste ein. Das Buch wie auch der Nachfolger «It was always love» wurden aufwendig von Carolin Magunia mit Handletterings illustriert. Und auch die neue Reihe «Paper Love» ist mit einem Daumenkino und Origami-Faltanleitungen wieder aufwendig ausgestattet. Nikola Hotel lebt mit ihrem Mann und den drei gemeinsamen Söhnen in einem kleinen Dorf in der Nähe von Bonn und tauscht sich auf Instagram gern mit ihren Lesern aus. Mehr Informationen sind auf ihrer Homepage zu finden: www.nikolahotel.de
Für David, der mich gerettet hat.
Für das, wofür er steht.
Und für alle, die einen David brauchen.
All you have to do is close your eyes
And just reach out your hands and touch me
Hold me close don’t ever let me go
EXTREME
Playlist
World Gone Mad – Bastille
Do You Remember – Jarryd James
Losing Sleep – Tom Gregory
Blood, Sweat & Tears – Ava Max
Wonderful Life – Black
Eyes Shut – Years & Years
Small Steps – Tom Gregory
Pictures – Tom Gregory
The Power Of Love – Frankie Goes To Hollywood
Give Me Something – Jarryd James
Fever – Elvis Presley
Another Place – Bastille, Alessia Cara
Desire – Years & Years
Always On My Mind – Elvis Presley
More Than Words – Extreme
Don’t Panic – Years & Years
The World Is Not Enough – Garbage
Hypnotised – Years & Years
The Reason – Hoobastank
When I Watch The World Burn All I Think About Is You – Bastille
1000x – Jarryd James ft. Broods
1. Kapitel
Abbi
Ich presse die Lippen zusammen. Obwohl ich Angst habe, versuche ich, an etwas Schönes zu denken, so wie meine Physiotherapeutin es mir geraten hat. Ich soll mir etwas Konkretes vorstellen. Dinge, die ich tun möchte, wenn ich wieder laufen kann. Aber jetzt in diesem Moment möchte ich einfach nur nach Hause.
Keiner ihrer Vorschläge will mein Kopfkino in Gang bringen. Auf einer Party wild tanzen (das war noch nie mein Fall), eine Radtour durch die White Mountains machen (ich hasse Radfahren) oder einfach in Chase’ Diner ein Stück Blueberry Pie essen – okay, die Vorstellung ist wirklich toll. Leicht säuerliche Beeren, der süße Teig, ein Klecks lockerer Sahne. Bei jedem Bissen explodieren die Geschmacksknospen im Mund. Aber ich schaffe es trotzdem nicht, mich auf dieses Bild zu konzentrieren. Weil es leider so weit von meiner Realität entfernt ist, dass es den Schmerz nicht überlagern kann, der in meinem Bein pocht. Und auch nicht die Angst. Das Einzige, was bestimmt gleich explodieren wird, ist mein Kniegelenk.
Ich spüre es jetzt schon kommen.
Es startet immer mit einem leichten Stechen, schraubt sich nach oben, bis es wie eine Stichflamme hochschießt, die ewig nicht verebbt. Mit einem Wimmern schiebe ich mich auf der Matratze zurück, kralle die Fingernägel in das Laken.
«Wie lang machen wir das jetzt schon?», fragt Kadence in einem Tonfall, der mich an meine alte Cello-Lehrerin erinnert.
Sie muss so sehr von mir genervt sein. Ich bin selbst von mir genervt, weil ich es einfach nicht schaffe, diese Angst zu unterdrücken. Ich versuche, ruhig durch den Mund zu atmen und mich zu beruhigen, aber vom Flur her höre ich neben den gewohnten Klinikgeräuschen auch noch einen weit entfernten Alarmton.
Kadence’ Finger sind kühl, und ich bekomme eine Gänsehaut, als sie meinen rechten Fuß umschließen. Es ist die Art Gänsehaut, die einen überzieht, wenn man etwas Schlimmes erwartet. Seit dem Unfall vor drei Monaten habe ich diese Erwartung jeden Tag. Immer. Und ich kann sie nicht abstellen.
«Wie lange üben wir das schon?», fragt Kadence noch einmal.
«Ich weiß nicht, wie lange sitzt man denn sonst im Fegefeuer?», keuche ich und gebe schließlich nach. «Seit genau sechs Minuten.»
Ihr kehliges Lachen wirkt zwar versöhnlich, kann das Stechen in meinem Knie aber auch nicht abmildern. «Ich meine, seit wie vielen Tagen.»
«Seit drei Wochen. Und diese Übung hier zum fünften Mal.» Ich wünschte, sie würde mich nicht so quälen, auch wenn ich weiß, dass es notwendig ist. Ich wünschte, ich müsste in meinem Leben nie wieder Schmerzen haben.
«Eben. Schon fünfmal, und du vertraust mir immer noch nicht. Es wird echt Zeit, dass wir Fortschritte machen. Du kennst mich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass ich dir nicht weh tue.»
Nicht absichtlich, nein. Unwillkürlich schiebe ich mich noch einige Zentimeter mehr zurück, um dem Druck, den sie auf mein Gelenk ausübt, zu entgehen.
Kadence seufzt und legt mein Bein vorsichtig zurück auf das Klinikbett. «Natürlich ist der Schmerz real, aber dein Körper erwartet ihn inzwischen auch. Er erinnert sich daran, und sobald ich dich anfasse, spult er diese Erinnerung ab. Das ist nicht gut.»
Das kann sie laut sagen. Der Gedanke ist beängstigend, weil er bedeuten könnte, dass ich den Schmerz vielleicht nie wieder loswerde. Nun nimmt Kadence ein zusammengerolltes Handtuch in die Hände, und ich weiß nicht, was sie damit vorhat. Es sieht wie eine Würgeschlange aus.
«Es ist wahrscheinlich besser, wenn wir wieder eine Übung machen, bei der ich dich nicht anfasse und dein Körper nicht sofort jede Zelle in Alarmbereitschaft versetzt. Also, du bist dran. Halte die Enden mit beiden Händen fest und leg das Handtuch um dein Schienbein. Und dann ganz vorsichtig ziehen. Nur so stark, wie es für dich auszuhalten ist. Du weißt, wenn du dein Bein easy in einen 90-Grad-Winkel bekommst, darfst du bald nach Hause.»
Toll. Dann kann ich mich hier auch gleich häuslich einrichten. Niemals werde ich es schaffen, mein Bein so weit anzuwinkeln, und ich möchte aufgeben, bevor ich es überhaupt versucht habe. Doch um Kadence nicht noch mehr zu enttäuschen, ziehe ich dann doch mit dem Handtuch meinen Unterschenkel nach unten und spiele mit dem Schmerz. Als würde ich zwanghaft immer wieder mit der Zungenspitze gegen einen entzündeten Zahn stoßen, übe ich Druck auf mein Bein aus, womit das Stechen mal mehr und mal weniger stark aufbrandet. Tränen steigen mir in die Augen.
«Du musst dir schon etwas mehr zutrauen, Abigail Hayden.»
Ich blinzle. Das sagt sie nur, um mich herauszufordern. Sie weiß g
enau, dass mein voller Name mich jedes Mal zusammenzucken lässt. Es ist der Name meiner Grandma, und für mich hört er sich einfach nur falsch an. «Abbi, bitte. Abigail klingt so altmodisch. Als wäre ich hundert.»
«Im Augenblick bewegst du dich auch wie eine Hundertjährige. Ich habe Omas mit Schenkelhalsfraktur auf dieser Station, die sind agiler als du.» Sie hebt die Brauen über ihren stark geschminkten Augen aufmunternd nach oben.
Das glaube ich ihr. Aber diese Omas haben vielleicht auch keinen schweren Autounfall hinter sich und lagen innerhalb einer Woche zweimal auf dem OP-Tisch. Auch wenn ich beim zweiten Mal nur narkotisiert wurde, weil das Einrenken meines Hüftgelenks im Wachzustand zu schmerzhaft gewesen wäre – ich kann es immer noch spüren. Inzwischen habe ich so viele Arten von Schmerz kennengelernt, dass ich eigentlich daran gewöhnt sein müsste. Aber man gewöhnt sich nie daran, ganz im Gegenteil. Doch ich will Kadence beweisen, dass ich an mir arbeite, dass ich wirklich an mir arbeite, und ziehe noch fester am Handtuch. Eine Sekunde später lasse ich mit einem Schmerzenslaut die Rolle fallen.
«Heyheyhey, ich habe doch gesagt, nur so weit, wie es gut auszuhalten ist.» Besorgt beugt Kadence sich über mein Knie, das unter ihrem Blick pocht, als würden darin die sieben Zwerge Diamanten abbauen. «Ich kann dir gleich etwas zum Kühlen holen. Ach verdammt, Abbi, ich geb’s auf mit dir. Und ich schwöre dir, das ist mir in fünfzehn Jahren als Physio noch nicht passiert.»
Ich habe nach dem Bettgitter auf der linken Seite gegriffen und halte mich daran fest. Jetzt erst merke ich, wie fest. Meine Hand ist fast taub. «Es ist … schon in Ordnung. Geht gleich wieder.» Aber das sage ich nur, um mich selbst davon zu überzeugen. Irgendwann wird das alles nur noch eine Erinnerung sein. Irgendwann ist es vorbei. Alles, was passiert ist. Auch das, was vor dem Unfall war. Überleg dir, woran du dich in sechs Wochen oder in einem Jahr noch erinnern wirst, Abbi. Wird es dann noch eine Rolle spielen? Wenn nicht, dann hake es ab.
Ich hoffe so sehr, dass Dad damit recht hat und ich in einem Jahr wirklich nicht mehr daran denken muss. Aber so richtig glauben kann ich es nicht. Wachsam beobachte ich Kadence’ Hände, die nun das Handtuch auseinanderrollen und zu einem Quadrat falten.
«Was hast du vor? Hören wir für heute auf?» Meine Frage klingt viel zu hoffnungsvoll. Dabei muss ich üben. Jeden Tag. Ich muss trainieren, damit ich irgendwann wieder gehen kann. Ich will es unbedingt, ich will nach Hause, aber dieser Schmerz …
Die Aussicht, diese Übungseinheit einfach auf den nächsten Tag zu verschieben, ist zu verlockend.
«Wir machen nur eine Pause.» Als sie die Enttäuschung sieht, die sich auf meinem Gesicht abzeichnen muss, fügt sie hinzu: «Ich komme später wieder, wenn ich mit dem nächsten Patienten durch bin. Aber ich überlege, ob wir es bei dir nicht lieber wieder mit einer automatischen Bewegungsschiene versuchen.»
«Was? Nein!» Auch wenn in den letzten Wochen so viele Fremde an mir rumgedrückt haben, dass ich froh wäre, mal etwas Ruhe vor Menschen zu haben, löst die Aussicht auf diese Maschine eher das Gegenteil in mir aus.
«Es sei denn, es gibt an dieser automatischen Bewegungsschiene inzwischen einen Not-Ausschalter, den ich in die Hand nehmen kann. Den werde ich nämlich brauchen, weil ich …»
«Du bist wirklich ein Angsthase», unterbricht sie mich mit einem Kopfschütteln. «Dann hetze ich dir eben einen Kollegen auf den Hals. Jemanden, der mehr Geduld hat als ich.»
Noch jemand Fremdes, der mich anfassen wird. «Die Maschine ist vielleicht doch okay», sage ich schnell. «Ich nehme die Maschine. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, wie ich es in Erinnerung habe.»
«Vielleicht, vielleicht.» Kadence’ Lachen klingt so heiser, als hätte sie sich in den letzten Tagen ausschließlich von Whiskey und Zigaretten ernährt. Dabei weiß ich, dass sie sehr viel Wert auf ihre Gesundheit legt. Was man ihr unter dem hellblauen T-Shirt mit dem Logo der Rehaklinik auch ansieht: Sie ist in Topform. Was man von mir leider nicht sagen kann, denn die vergangenen Wochen in diesem Krankenhausbett haben jeden noch so kleinen Muskel von mir verkümmern lassen.
«Ich besorge dir eine der studentischen Aushilfen.» Sie klemmt sich das Handtuch unter den Arm. «Die sind supermotiviert. Ich habe sogar schon jemanden im Kopf.»
Das meint sie hoffentlich nicht ernst. Dann kann ich mir das Label Versuchskaninchen auch gleich auf die Stirn tätowieren. «Wir können es doch einfach morgen noch mal versuchen.» Aber weil Kadence daraufhin nur einen Mundwinkel anhebt, sage ich schnell: «Ich vertraue dir. Wirklich. Und ich werde ab sofort Überstunden machen, das verspreche ich.» Zum Beweis hebe ich mein Bein an und versuche, es aufzustellen. Was mir aber nicht gelingt.
«Ich denke, es tut dir gut, wenn jemand frischen Wind in deine Behandlung bringt. Ich weiß, dass dein Vater das nicht gern sieht, aber unsere Aushilfen sind mitten im Studium und voll drin im Thema. Sie wissen, was sie tun. Und sie sehen noch mal mit einem anderen Blick auf deine Probleme.»
Meine Probleme.
Ich schlucke, weil sich das anhört, als wären meine Probleme irgendwie eingebildet. Als wären die Schmerzen wirklich nur in meinem Kopf. Aber das stimmt nicht. Ich habe Schmerzen. Echte Schmerzen. Das ist mein Problem, ja, trotzdem würde dieses Wort meinem Dad gar nicht gefallen. Hätte er das mitbekommen, würde er meiner Physiotherapeutin jetzt einen Vortrag darüber halten, wie wenig positiv das formuliert ist und dass sie mich mehr motivieren müsse. Dabei versucht sie es andauernd. Von ihr habe ich mein Mantra. Ich werde bald wieder laufen können. Ich werde bald wieder laufen können. Ich werde bald wieder laufen können …
Und ich glaube daran.
Vielleicht.
Nachdem Kadence gegangen ist, verstummt auch endlich das Alarmpiepsen vor der Tür. Ich seufze und greife nach dem Handy auf meinem Nachttisch, um meinen Dad anzurufen. Mein Finger hat bereits seinen Namen aufgerufen, als ich es mir anders überlege. Ganz bestimmt ist er gerade in einer seiner Besprechungen mit dem Wahlkampfteam. Seit Anfang Juni befindet er sich offiziell im Wahlkampf für das Gouverneursamt und hat selbst für seine Firma kaum noch Zeit. Da sollte ich ihn lieber nicht stören. Ich könnte stattdessen meine Mutter anrufen. Nur dass Mom … sie ist eben Mom.
Als das Gerät in meiner Hand vibriert und das Foto meines Dads plötzlich den gesamten Bildschirm einnimmt, denke ich im ersten Moment, dass ich aus Versehen doch draufgetippt habe, aber es ist …
Gedankenübertragung.
Das ist so typisch, dass ich lächeln muss. So was passiert uns andauernd. Und es ist etwas, worüber Mom sich regelmäßig aufregt. Weil Dad und ich eine Verbindung zueinander haben, die zwischen meiner Mom und mir fehlt, egal wie sehr ich mich bemühe.
«Hi, Dad. Gerade wollte ich dich anrufen.»
«Dachte ich mir.» Er lacht leise. «Du hast sicher die Mappe bekommen. Ich habe sie extra in die Klinik an deine Physiotherapeutin schicken lassen, damit sie sie dir nach dem Training geben kann.»
Dad nennt es immer Training. Als wäre das hier ein Sportcamp. Damit will er vermeiden, dass ich mich krank fühle. Was natürlich nicht klappt, denn ich fühle mich trotzdem krank. Und kaputt. Und ziemlich unfähig.
«Gefallen dir die Papiere?», fragt er nach. «Sind sie so geworden, wie du dir das vorgestellt hast? Große Dinge passieren nämlich nie aus der Komfortzone heraus. Und ich finde, damit hast du etwas Großes in Angriff genommen.»
Normalerweise muss ich über seine ständigen Motivationssprüche lachen, aber die Mappe, um die es geht, lässt gerade keinen anderen Gedanken zu. «Die neuen Muster? Sind sie schon fertig? Davon hat Kadence gar nichts gesagt. Warte, vielleicht habe ich nur nicht mitbekommen, dass sie mir etwas hingelegt hat.» So schnell ich es mit meinem lahmen Bein schaffe, rolle ich mich auf die Seite und ziehe den Schubkasten des Nachttischs auf, weil nichts auf dem Tisch liegt. Als ich in der Schublade keine Mappe finde, hänge ich mich über die Bettseite nach unten, um in das untere Fach gucken zu können. Aber auch dort ist nichts. «Mist. Sie hat die Mappe vermutlich vergessen. Hier ist sie jedenfalls nicht.»
«Sie sollte sie dir geben, wenn du deine Übungen heute schaffst.»
Da
nke, Dad, denke ich zähneknirschend. Jetzt weiß ich auch, warum Kadence nichts gesagt hat. Wenn sie doch vorher mit der Mustermappe gewinkt hätte! Dann wäre die Übung vielleicht anders verlaufen. Vielleicht ist diese Mappe das Wundermittel für mein verfluchtes Knie. Ich würde alles geben, um sie endlich in den Händen zu halten, ich warte schließlich schon seit Monaten.
«Wie ist es heute gelaufen?», fragt er. «Machst du Fortschritte?» Die Sorge in seiner Stimme, die Sorge und auch das Mitleid, das mitschwingt, führt dazu, dass ich mich noch schlechter fühle.
«Es war in Ordnung. Es geht nur nicht ganz so schnell, wie ich dachte.»
«Ich verstehe», brummt er. «Hast du deine Tabletten genommen?»
«Der Arzt meinte, dass wir es jetzt reduzieren müssen. Ich darf nicht über Monate hinweg so hochdosiert Schmerzmittel nehmen. Er will, dass ich nur noch bei Bedarf etwas einnehme. Also nur vor den Übungen.» Keine Ahnung, wie ich das überleben soll.
«Kommst du denn damit zurecht?»
«Ich denke schon», sage ich. Was eine glatte Lüge ist. Ich komme nicht mal mit Schmerzmittel zurecht, wie soll ich es da ohne schaffen?
«Wenn ich mit deinem Arzt reden soll, dann sag es mir. Deine Mutter hat außerdem vorgeschlagen, dass wir einen Termin mit einem Schmerztherapeuten ausmachen. Einen Spezialisten zu kontaktieren, der genau für so etwas zuständig ist, kann sicher nicht schaden.»
Für so etwas. Für Patienten wie mich, die sich einbilden, dass sie Schmerzen haben, meint meine Mutter wohl. Das ist es jedenfalls, was sie mir vor ein paar Tagen vorgeworfen hat. Dass ich mir das alles nur einbilde, dass es doch jetzt langsam mal gut sein müsse, dass ich mich anstelle. Sie würde mich sicher lieber zu einem Psychotherapeuten schicken.
«Ich denke darüber nach. Vielleicht können wir das beim nächsten Mal besprechen. Wie läuft deine Kampagne an? Hast du nicht heute dieses superwichtige Interview wegen der Kommission zur Untersuchung der Todesstrafe?»