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Whiskey Lullaby

Page 2

by Liliana Hart


  »Jemand muss die Polizei rufen«, sagte ich zum Barmann. »Da liegt ein Toter auf dem Parkplatz.«

  »Beruhig dich mal, Lady. Du hast Larry schon nicht umgebracht. Wegen einem Tritt in die Eier brauchst du nicht so ein Theater zu machen.«

  »Mach schon!«, schrie ich. »Und gieß mir einen doppelten Jack Daniels ein.«

  * * *

  Als der erste Streifenwagen vorfuhr, war ich bereits im Zustand fortgeschrittener Trunkenheit. Herr Dupres kam aus seinem Büro, als es sich bis zum ihm herumgesprochen hatte, dass die Polizei unterwegs war, und er wies Gigantor an, die Leute bis zu ihrem Eintreffen von der Leiche fern zu halten. Er hielt die Gäste mit Gratis-Getränken im Lokal und ließ alle Nachmittagstänzerinnen nochmals als Zugabe auf der Bühne erscheinen. Zum Glück wurde ich nicht aufgefordert, mitzumachen.

  Nachdem er sich um die Kunden gekümmert hatte, kam Herr Dupres zu mir, fasste mich am Arm und führte mich zu einem abseits stehenden Tisch.

  »Überlassen Sie jetzt mir das Reden, Fräulein Holmes«, sagte er, als er mir gegenüber saß. »Ich hatte schon mit solchen Situationen zu tun, und ich sehe, Sie sind ganz schön aufgeregt.«

  Ich zuckte mit den Schultern und trank mein Glas aus. Wärme strömte durch meinen Körper und es war mir egal, ob er das Reden übernehmen wollte. Wahrscheinlich war es für mich umso besser, je weniger ich sagte. Wer würde es einer Kleinstadtlehrerin schon abnehmen, dass sie auf dem Parkplatz des Lokals, in dem sie gerade gestrippt hatte, über die Leiche ihres Chefs gestolpert war. Ich nicht. So eine Story würde ich niemandem abnehmen.

  Der Barmann kam und stellte mir noch ein Glas hin; ich grinste ihn duselig an. Mich betrunken zu machen ist nicht teuer. Ein halbes Glas Wein gibt mir normalerweise den Rest.

  Ich sah, dass Gigantor wieder im Raum war und mit zwei Beamten in Uniform sprach, beide schrieben eifrig in kleine Notizbücher. Gigantor drehte den Kopf, blickte mich finster an und zeigte dann mit dem Finger auf mich.

  Oje, der finstere Blick ließ mich ahnen, dass Gigantor wegen des Tritts in die Eier noch sauer auf mich war. Die Riesenbeule auf seiner Stirn, da wo sie mit dem Fußboden Bekanntschaft gemacht hatte, dämpfte wohl auch sein Begehren für mich. Ich musste laut kichern, dann trat ich Herrn Dupres unter dem Tisch, als seine Hand an meinem Oberschenkel hinaufgekrochen kam.

  »Lassen Sie das, Sie Perversling.« Ich versuchte, seine Hand wegzuschlagen, aber mir verschwamm alles ein bisschen vor den Augen. »Das ist alles Ihre Schuld. Denken Sie, ich bin leicht zu haben, nur weil ich mich auf Ihrer Bühne ausgezogen habe? Nun, das bin ich nicht. Ich unterrichte Geschichte, verflixt nochmal. Ich bin ein geachtetes Mitglied meiner Gemeinde.« Ich ließ den Satz mit einem durchdringenden Geheul ausklingen, in das bestimmt alle Hunde der Nachbarschaft einstimmen würden. Ich war eine fürchterlich schlechte Trinkerin und heulen konnte ich noch schlechter.

  »Hey, ich kann anständig sein«, sagte er und tätschelte unbeholfen meinen Kopf, als mir Tränen über das Gesicht strömten. »Es sieht zwar nicht so aus, aber dieses Lokal hat ganz anständige Einnahmen. Ich hab ein schönes Haus mit Swimming-Pool. Das würde dir gefallen, oder?«, sagte er und klang immer hektischer, je stärker ich weinte. »Natürlich müsste ich mich erst scheiden lassen, bevor du einziehen könntest.«

  Ich war drauf und dran, ihn zu fragen, ob er sich in weniger als sechzig Tagen scheiden lassen könnte, und ob er bereit wäre, meine beachtlichen Schulden zu übernehmen, als ein Mann auf uns zukam. Ich hatte ihn hereinkommen und kurz mit Gigantor und dem Barmann reden sehen, und ich sah an seiner Art, sich zu bewegen, dass er hier der Boss war. Er sprach kurz mit den beiden Beamten, die Gigantors Aussage aufnahmen und machte sich dann auf in meine Richtung.

  Er bewegte sich mit der Eleganz eines Raubtiers und war etwas über 1,80 groß. Er hatte dunkle Haut, die mediterrane Vorfahren erahnen ließ, und sein Haar war fast schwarz und sehr kurz geschnitten, aber oben konnte man erkennen, dass es eigentlich lockig war. Sein Gesicht war von Bartstoppeln überschattet, an den Knittern an Hose und Jackett konnte ich erkennen, dass er schon einen langen Arbeitstag hinter sich hatte. Er wich den Kunden und auch den spärlich bekleideten Kellnerinnen aus, die ihm gekonnt den Weg versperrten.

  Als er aus dem Schatten trat und näher kam, konnte ich ihn besser erkennen. Sein Gesicht war hart und scharf geschnitten, den Gesichtsausdruck hatte ich bei anderen Polizisten schon gesehen. Mein Vater hatte diesen Blick gehabt, bis er letztes Jahr gestorben war – den Blick eines Menschen, der zu viel gesehen hatte und niemandem mehr traute.

  Dann schaute der Mann mich an und ich vergaß zu atmen, wohl auch, weil meine Nase total verstopft war. Umrahmt von dunklen Haaren und dunkler Haut blickten mich die hellsten und schönsten blauen Augen an, die ich je gesehen hatte.

  Hitze durchfuhr meinen Bauch und das hatte nichts mit dem Whisky zu tun. Ich versuchte, mein Spiegelbild in dem Metallserviettenständer mitten auf dem Tisch zu erkennen, sah es aber nur verzerrt. Meine Stirn sah riesig aus, mein Pferdeschwanz hing schief, ich hatte rote Augen und eine geschwollene Nase. Vielleicht war das Bild gar nicht verzerrt. Am Besten war es wohl, wenn ich mich nicht noch einmal anschaute. Ich nahm ein paar Servietten aus dem Ständer und schnäuzte mich so laut, dass es eine Lust war.

  »Addison Holmes?«, fragte der Mann und klappte seinen Ausweis auf, wobei ein goldglänzendes Abzeichen zum Vorschein kam.

  Sein Gesichtsausdruck lag irgendwo zwischen ungläubig und mitleidig, aber in meinem Kopf schwirrten Visionen von Handschellen und Satin-Bettlaken. Diskret schaute ich nach, ob er einen Ring trug.

  Kein Ring.

  Er war doch wohl nicht schwul? So grausam könnte kein Schicksal sein.

  Vielleicht hatte ich noch eine Chance.

  Ich spürte, dass ich die Hände zu Fäusten geballt hatte, als sie wieder anfingen, zu brennen; ich entspannte sie und sah, dass sie immer noch blutig waren. Erst Whisky, dann Erste Hilfe. Bloß hatte ich die Erste Hilfe vergessen.

  Der Inspektor erwartete offensichtlich, dass ich irgendetwas sagen würde, aber ich konnte mich nicht erinnern, ob er mich etwas gefragt hatte. »Ich bin Addison Holmes.«

  »Ich bin Inspektor Nick Dempsey. Sie bluten, Frau Holmes«, sagte er, nahm sich einen Stuhl und setzte sich an den Tisch.

  »Ich bin hingefallen.«

  Ich nahm mir noch ein paar Servietten aus dem Ständer und schaute hinab auf meine Hände. Ich hatte kein Wasser, also tauchte ich die Servietten in meinen Whisky und dachte, dass damit meine Hände zumindest desinfiziert würden. Ich schnappte nach Luft, als der Alkohol die offene Wunde berührte. Ich hätte gern geflucht wie ein Bierkutscher, aber ich bekam keine Luft.

  Mit stiegen Tränen in die Augen, aber ich blinzelte sie weg, damit ich diesem attraktiven Inspektor nicht wie eine Heulsuse vorkam. Nicht dass er mich überhaupt jemals wieder grüßen würde, wenn er wüsste, was ich im The Foxy Lady gemacht hatte. Männer wie dieser hier brauchten nicht in Stripclubs zu gehen, um schöne nackte Frauen zu Gesicht zu bekommen. Wahrscheinlich hatte er einen ganzen Schwarm nackter Frauen, die an seiner Wohnungstür Schlange standen.

  Auf einmal fühlte ich mich gar nicht besonders gut, ich legte meinen Kopf auf den Tisch und beschloss, die Mitleidstour zu fahren. Abgesehen davon, dass ich mich nicht noch mehr blamieren wollte, indem ich dem Inspektor auf die Schuhe kotzte.

  Vielleicht war der Whisky doch nicht das Richtige gewesen.

  »Ich weiß, es ist nicht einfach für Sie, Frau Holmes.« Seine Stimme war wohltuend, samtig weich und ich könnte wetten, sie machte die Frauen in seinem Schlafzimmer verrückt. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle?«

  Ich wollte gerade sagen, er könne mich alles fragen, was er wolle, als Herr Dupres zum Reden ansetzte. »Ich weiß nicht, Herr Inspektor. Frau Holmes ist eine meiner besten Mitarbeiterinnen und ich denke, dass Sie Ihre Fragen besser an mich als ihren Vorgesetzten richten sollten.« Herr Dupres tätschelte meinen Arm, um sein Terrain abzustecken.

  Mein Kopf fuhr so abrupt nach oben, dass mir schwindlig wurde. »Was?«, stieß ich entsetzt hervor. »Sie haben mich doch gerade erst
gefeuert.«

  Ich sah hinüber zu Inspektor Dempsey und erhaschte einen flüchtigen Ausdruck der Überraschung in seinem Blick, den er jedoch sofort verbarg. Ich warf ihm einen flehenden Blick zu, um Verständnis heischend.

  »Nein, warten Sie, so habe ich das nicht gemeint. Sehen Sie, Herr Inspektor, ich bin eigentlich keine Stripperin. Ich war nur heute Nachmittag eine Stripperin, weil ich so gern dieses Haus kaufen würde, aber ich konnte nicht sehr gut strippen und dann wurde ich nervös, weil sich mein Schulleiter einen Lapdance machen ließ, und das war schrecklich. Und dann hat mich Herr Dupres rausgeschmissen und ich war fast froh, denn meine Mutter würde mich umbringen, wenn sie je herausbekäme, dass ich sowas hier gemacht habe, und die Schulverwaltung hätte sicher auch was dagegen, denn ich unterrichte in der neunten Klasse Geschichte. Und nach dem Rausschmiss bin ich auf den Parkplatz gegangen und wollte heimfahren und da bin ich über Herrn Butler gestolpert und hatte sein Blut an den Zehen und musste kotzen.«

  Inspektor Dempsey und Herr Dupres schauten mich beide an, als wäre ich verrückt, also legte ich meinen Kopf wieder auf den Tisch und schloss die Augen. Ich habe ein paar Verwandte, die offiziell für verrückt erklärt wurden, aber ich hatte bisher nie gedacht, dass ich das erben würde. Ich meine, es ist eigentlich nicht so schlimm. Schließlich sind wir in den Südstaaten. Hier im Süden sind wir alle stolz auf unsere verrückte Verwandtschaft. Wir stellen sie gern öffentlich zur Schau. Nur war ich noch nicht ganz bereit, mich selbst zur Schau zu stellen.

  »Herr Dupres, es wäre gut, wenn Sie mich und Frau Holmes ein paar Minuten allein lassen würden. Sie könnten ihr vielleicht eine Tasse Kaffee holen gehen«, schlug der Inspektor in einem Ton vor, der keine Widerrede zuließ.

  »Selbstverständlich. Ich bin gleich wieder da.« Herr Dupres huschte weg, wie es einer Ratte wie ihm zukam und kam bereits wenige Augenblicke später zurück mit einer dampfenden Tasse, deren Inhalt mehr nach schwarzem Sumpfwasser aussah als nach Kaffee, aber ich nahm die Tasse dankbar entgegen. Er blieb in Hörweite hinter uns und tat so, als sei er beschäftigt. Eine Schließung des Lokals wegen einer Leiche auf dem Parkplatz wäre wohl als geschäftsschädigend zu betrachten, daher konnte ich seine Besorgnis verstehen.

  »Klang das jetzt alles so dumm, wie es mir vorkommt?«, fragte ich.

  »Ich glaube, Sie hatten heute furchtbar viel Stress, Frau Holmes. Vielleicht können Sie ja noch einmal von vorne beginnen«, sagte Inspektor Dempsey. »Ich bin nicht sicher, ob ich alles mitbekommen habe, was Sie gesagt haben.« Er betrachtete mich von Kopf bis Fuß, als sei ich eine Probe unter dem Mikroskop.

  »Sie sehen nicht so aus, als würde Ihnen viel entgehen. Wahrscheinlich haben Sie das Wesentliche mitbekommen«, sagte ich ein bisschen spitz. Ich war verlegen. Oder gedemütigt, das traf es besser. Und Inspektor Dempsey war ein leichtes Ziel für meine Selbstverachtung.

  Ich zog den Kaffee mit dem Strohhalm hoch und wusste schon bevor es geschah, dass ich mir die Zunge verbrennen würde.

  »Wissen Sie, ich brauchte ein Zusatzeinkommen, und ich sah heute Morgen in der Zeitung eine Annonce für The Foxy Lady. Ich dachte, ich versuche es einfach, denn es war ja in Savannah und an einem solchen Ort in einer so großen Stadt jemand Bekanntes zu treffen ist eher unwahrscheinlich. Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen. Wegen Murphys Gesetz und so«, sagte ich und warf meinen Kopf in Richtung Bühne, wobei die blutige Serviette von meiner Hand versehentlich auf den Nebentisch flog, an dem ein paar Männer saßen. Ich zog eine Grimasse und murmelte eine Entschuldigung, als sie mir böse Blicke zuwarfen. Inspektor Dempseys Gesicht war ausdruckslos, aber ich schwöre, ich konnte einen Anflug von Lachen in seinen Augen blitzen sehen.

  »Erzählen Sie weiter«, sagte er.

  Ich hielt Ausschau nach einem Augenzwinkern oder einem leichten Zucken der Mundwinkel, aber in seinem Gesicht war nichts zu erkennen als kühles Desinteresse. »Da ist nicht viel mehr zu erzählen. Ich sah meinen Schulleiter im Publikum, wurde entlassen und stolperte auf dem Parkplatz über ihn, in dieser Reihenfolge.«

  Inspektor Dempsey zückte sein Notizbuch und fing an zu schreiben. »Sie haben eben gesagt, Ihr Schulleiter hätte sich einen Lapdance machen lassen. Kannten Sie die Frau?«

  »Nein, aber ich habe nicht alle Mädchen kennengelernt, als Herr Dupres mich eingestellt hat. Ich wurde eingestellt und bekam sofort darauf ein Kostüm in die Hand. Ich bin erst seit ein paar Stunden hier.«

  »Würden Sie sie wiedererkennen, wenn Sie sie noch einmal sähen?«

  »Kann sein. Sie hatte jede Menge blonde Haare, ein Teil davon könnten sogar ihre eigenen gewesen sein, ein Hundehalsband, und ihre besonderen Merkmale waren, ehm...«, ich wölbte die hohlen Hände vor meiner Brust. »Künstlich. Das ist eigentlich alles.«

  »Was ist mit den übrigen Gästen? War es voll hier? War da noch jemand im Publikum, den Sie erkannt haben?«

  »Es war nicht gerade gedrängt voll. Die Tische vorn waren besetzt, aber da kannte ich niemanden. In einer der Sitzgruppen in der Ecke knutschte ein Pärchen; ich wurde auf sie aufmerksam, als der Türsteher eingriff, bevor sie anfingen, ihre eigene Erotik-Show abzuziehen. Das Gesicht des Mannes konnte ich nicht erkennen, weil es im Schatten lag, ich sah nur den blonden Pferdeschwanz der Frau rauf und runter hüpfen. Die anderen Tische waren ziemlich leer, nur hier und dort saßen ein paar miserabel aussehende Männer. Den hinteren Teil des Raums konnte man von der Bühne aus nicht sehen, wegen der Scheinwerfer.«

  »Haben Sie auf dem Parkplatz noch jemanden gesehen?«

  »Nein, aber ich habe nicht wirklich darauf geachtet. Ich suchte meinen Schlüssel. Deswegen bin ich über Herrn Butler gestolpert.«

  Ein Schluchzen blieb mir im Hals stecken, und ich senkte meinen Blick auf den Tisch. Ich wollte nach Hause, und hätte mir Inspektor Dempsey irgendetwas entgegengebracht, dass im Entferntesten an Mitleid erinnert hätte, wäre ich auf der Stelle zusammengebrochen; aber seine Stimme blieb immer gleich, ausdruckslos, und er stellte mir immer wieder dieselben Fragen. Bei dem Spiel ,guter Polizist – böser Polizist‘ war Inspektor Dempsey sicher immer der böse Polizist, darauf hätte ich wetten können.

  Ich begriff nicht, warum mich der Gedanke faszinierte.

  »Wir brauchen eine offizielle Aussage von Ihnen auf der Wache. Es wird ein bisschen dauern, bis ich mit allen hier geredet habe. Das heißt, morgen oder spätestens Montag wäre in Ordnung.«

  »Bin ich denn nicht verdächtig? Müssten Sie mir nicht verbieten, die Stadt zu verlassen?«

  »Ich denke, Sie sehen zu viel fern, Frau Holmes. Mit den Überwachungskameras hier im Gebäude, wird es ein Leichtes sein, herauszufinden, wo Sie waren.«

  »Hm«, sagte ich. Daran hatte ich nicht gedacht, aber ich war im Moment auch nicht in Höchstform. Ich sah ihm mit einem flehenden Blick in die Augen. »Das hier darf keiner wissen, Herr Inspektor. Ich habe eine Fehlentscheidung getroffen, aber ich habe viel zu verlieren.«

  »Ich werde persönlich mit Herrn Dupres sprechen und dafür sorgen, dass er Ihren Namen nicht an die Presse weitergibt, und ich habe keinen Grund, Ihre Tätigkeit hier in meinen Bericht aufzunehmen, nur, dass Sie die Leiche gefunden haben.«

  »Danke«, sagte ich, und es war mir ernst.

  »Nehmen Sie gern Ratschläge an, Frau Holmes?«

  »Nicht besonders, Inspektor Dempsey.«

  Seine Mundwinkel zuckten ein bisschen. »Ich werde Ihnen trotzdem einen geben. Sie sehen aus wie ein nettes Mädchen aus einer ordentlichen Familie. Gehen Sie wieder an Ihre Schule, und halten Sie sich von Orten wie diesem hier fern. Das passt nicht zu Ihnen.«

  Ich wusste, dass alles, was er sagte, stimmte, aber das hieß noch lange nicht, dass ich es gern hörte. Es war, als würde Salz in eine offene Wunde gestreut, und ich brauchte keinen Polizisten, der daherkam und mir sagte, dass ich eine Dummheit gemacht hatte.

  »Ich bin dreißig Jahre alt, Inspektor Dempsey. Ich bin schon lange kein Kind mehr, und manchmal muss man Entscheidungen treffen, die nicht besonders angenehm sind, egal ob Leute wie Sie das gut finden oder nicht. Und wenn Sie jetzt fertig sind, dann geh ich nach Hause.«

  Ich sch
nellte hoch, ergriff meine Tasche und bereitete mich auf einen großen Abgang vor, als ich seine Hand unter meinem Ellenbogen spürte.

  »Ich lasse sie mit einem Streifenwagen nach Hause fahren, Frau Holmes. Es wäre doch schade, wenn ich Sie wegen Alkohol am Steuer festnehmen müsste.«

  Ich sah das Schmunzeln in seinen Augen, auch wenn er einen ernsten Zug um den Mund hatte. Ich hätte meinen Arm gern seinem Griff entzogen, hatte aber Angst, umzukippen.

  Männer wie Nick Dempsey sind für unabhängige Frauen wie mich ein echtes Ärgernis. Sie übernehmen gern die Führung und denken immer, sie hätten in allem recht.

  Das Dumme ist, dass das fast immer stimmt.

  * * *

  Die Fahrt zurück nach Whiskey Bayou war mehr als düster, aber zumindest zwang mich der Polizist nicht, im Streifenwagen hinten zu sitzen. Das hätte die Tratscherei der letzten verbliebenen Bewohner meines Wohnkomplexes erheblich angeheizt.

  Ich kontrollierte, ob der Beamte in meinem Wagen hinter uns ordentlich fuhr, und als ich mich dessen versichert hatte, drehte ich mich wieder nach vorn, um auf dem abgewetzten Vinylsitz des Crown Victoria eine bequeme Stellung zu finden.

  Als das Schild mit der Aufschrift ,Ortsausfahrt Savannah‘ auftauchte, wusste ich, dass ich in wenigen Minuten zu Hause sein würde. Whiskey Bayou ist ein schöner Wohnort. Es ist eine Kleinstadt mit etwa dreitausend Einwohnern, umgeben von Sümpfen und schleimigen Viechern, die stechen. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber bei Tageslicht malerisch. Und da man in weniger als zehn Minuten Autofahrt in nördlicher Richtung in Savannah ist, sind wir nicht völlig von der Zivilisation abgeschnitten. Auch wenn es manchmal den Anschein hat.

  Wir bogen nach rechts in die Main Street ab, kurz hinter den zweistöckigen verfallenden Gebäuden aus rotem Backstein und dem riesigen Schild mit der Aufschrift ,Herzlich Willkommen in Whiskey Bayou — Den Ersten geben wir Ihnen aus.‘ Links lag ein altes Depot mit einem Eisenbahnfriedhof und rechts befanden sich ein kleines Restaurant, ein Lebensmittelladen und ein Park.

 

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