by Kiefer, Lena
»Was?«, fragte ich.
»Die OmnI.« Phoenix’ Blick wurde noch kälter.
»Die OmnI?!« Meine Gedanken überschlugen sich. Es war, als hätte mein Gehirn wochenlang im Tiefschlaf gelegen und wäre nun mit einem Adrenalinstoß wieder zum Leben erweckt worden. »Wie ist das möglich? Er sagte, dass dafür –«
»Leopold tot sein muss?« Jetzt meldete sich Dufort doch zu Wort. »Das war gelogen. Troy brauchte den Tod des Königs nicht. Er brauchte nur jemanden, der auf ihn schießen will.«
»Aber …« Ich brach ab. Was sollte ich dazu sagen? In den vergangenen Wochen war meine Welt so oft auf den Kopf gestellt worden. Es hätte mich nicht wundern dürfen, dass es schon wieder passierte.
Die Stabschefin zeigte auf die Projektion. »Wenn es einen Angriff auf den König gibt, werden die Notfallprotokolle aktiviert. Das bedeutet, die Festung wird abgeriegelt und die Systeme in der Stadt schalten auf autonomen Verteidigungsmodus – auch der Bunker unter dem See. Niemand kann dann dort eindringen.«
»Aber Troy war schon drin«, murmelte ich.
»Er hat den Hauptkern ausgebaut und gewartet, bis die Sperre aufgehoben wurde«, nickte Dufort. »Dann hat er seinen WrInk entfernt und ist geflüchtet. Wir waren mit dir beschäftigt und haben nicht auf ihn geachtet.«
Das bedeutete, ich war auch für Troy nur eine Figur auf dem Schachbrett von Maraisville gewesen. Er hatte ein Opfer gesucht – jemanden, der in verzweifelter Verfassung war und Zugang zur Festung hatte. Und ich hatte mich bereitwillig benutzen lassen. Schon wieder. Ein Lachen stieg mir in den Hals und brach heraus. Es klang hysterisch.
Die anderen am Tisch sahen sich an.
»Braucht sie etwas zur Beruhigung?«, raunte Haslock Dufort zu.
»Nein, sie braucht bloß eine Kugel in den Kopf«, antwortete ich sarkastisch.
Phoenix überging meinen Kommentar. »Rankin hat mit dem Kern nur die elementarsten Funktionen der OmnI stehlen können. Er benötigt weitere Komponenten, um sie zu einer funktionsfähigen Intelligenz aufzurüsten. Das heißt, wir haben Zeit, Gegenmaßnahmen einzuleiten.«
Gegenmaßnahmen, zu denen ich etwas beitragen sollte. Nur was, wusste ich immer noch nicht.
Imogen Lawson deutete auf die Projektion und sah mich an. »Die Widerstandsgruppe ReVerse benutzt eine Basis im Mittelmeer – ein ehemaliger Hotelkomplex, der nach der Abkehr nicht mehr bewohnt wurde. Wir vermuten, dass Rankin sich dort aufhält, genau wie die OmnI.«
Es erschienen Bilder einer Insel. Sie war recht klein, mit einem einzelnen Gebäude darauf, das wie ein typisch italopäisches Anwesen aussah. Ich erkannte mehrere Stockwerke und einen steil zum Meer abfallenden Hang. Die Aufnahmen waren jedoch verschwommen – als wären sie aus großer Entfernung aufgenommen worden.
»Da wir die OmnI in einem Stück zurückwollen, können wir die Insel nicht einfach mitsamt ReVerse im Meer versenken.« Phoenix verzog unzufrieden den Mund. »Und weil sie Verzerrer haben, die unsere Überwachung blockieren, brauchen wir jemanden vor Ort.«
Alle schwiegen und sahen mich an.
»Moment. Sie denken dabei … an mich?« Erneut kitzelte ein hysterischer Anfall meine Kehle. Vielleicht war ich in der Zelle doch wahnsinnig geworden, ohne es zu merken. Irre wissen schließlich nie, dass sie irre sind.
»Du hast bewiesen, dass du eine Menge Leute über deine Absichten täuschen kannst.« Es schien Haslock schwerzufallen, das zuzugeben.
»Das lässt sich kaum vergleichen, oder?«, fragte ich. Schließlich hatte beinahe jeder hier gewusst, was ich vorhatte.
Phoenix und Dufort wechselten einen Blick, den ich nicht deuten konnte.
»Du bist sehr gut, was Täuschungen angeht«, bekräftigte Dufort. »Wir sind sicher, dass du Rankin davon überzeugen kannst, dass du ReVerse treu dienst, während du Informationen für uns sammelst.«
Vielleicht war es das HeadLock, das meinen Kopf so träge machte. Vielleicht waren es die vielen Stimmen und Geräusche, die ich nicht mehr gewohnt war. Aber schlugen die gerade ernsthaft vor, dass ich als Doppelagentin zu ReVerse zurückkehren sollte?
»Was sagst du dazu?«, fragte Imogen.
»Ich … ich weiß nicht«, brachte ich heraus.
»Du weißt nicht, was du dazu sagen sollst?« An Haslocks Stirn schwoll eine Ader an. »Mädchen, du hast Hochverrat begangen und hättest um ein Haar den König erschossen!«, polterte er. »Du solltest uns auf Knien dafür danken, dass wir dir einen Ausweg bieten!«
Vor ein paar Wochen hätte ich ihm noch zornfunkelnd die Stirn geboten, weil er so mit mir redete. Aber jetzt zog ich den Kopf ein.
»Nahor, bitte.« Imogen hob die Hand. »Das bringt doch nichts.« Sie sah Phoenix an. »Bitte erläutere Ophelia die Vorgehensweise, Cohen. Sie soll wissen, was sie erwartet.«
»Deine Aufgabe wäre es, ReVerse zu infiltrieren, die OmnI ausfindig zu machen, zu stehlen und zu uns zurückzubringen.« Phoenix musterte mich kühl. »Natürlich setzen wir dabei nicht darauf, dass du uns freiwillig gehorchst. Wir würden dich entsprechend ausrüsten und permanent überwachen. Und es gibt Optionen für den Fall, dass du dich nicht an die Anweisungen hältst.«
»Also einen Ausschalter?«
»Wenn du es so nennen willst, ja. Ich finde die Bezeichnung InstantClear allerdings schöner. Du bekommst ein Implantat, das eine Variante des Clearing-Serums enthält, das dir mit einem Schlag die Erinnerungen der letzten fünfzehn Jahre nimmt. Wir werden es aktivieren, sobald du vom Plan abweichst.«
Ich nickte stumm, weil ich verstanden hatte.
»Außerdem«, begann Imogen, »bekommst du im Erfolgsfall ein Clearing von nur zehn Jahren statt der tödlichen SubDerm-Injektion – und kannst nach Hause zurückkehren. Das ist unser Angebot.«
»Ein sehr großzügiges Angebot«, ergänzte Haslock murrend und machte so deutlich, was er davon hielt.
Im ersten Moment klang das unglaublich verlockend. Ein Clearing von zehn Jahren bedeutete, sie setzten mich auf ein Alter von acht zurück. Ich konnte wieder zu meiner Familie, dort erneut aufwachsen, ohne zu wissen, was passiert war. Wahrscheinlich würde ich normal leben können, irgendwann studieren, mit Lexie töpfern und mit meinem Vater Gemüse anbauen. Ich hätte mein Leben zurück – oder zumindest irgendein Leben. Angesichts meiner Angst vor dem Tod war es ein Freifahrtschein. Eine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-Karte.
Aber ich konnte sie nicht annehmen. Natürlich wollte ich nicht sterben. Aber ich wollte auch nie wieder ein Werkzeug sein. Erst hatte mich Ferro benutzt, dann Lucien und schließlich Troy. Jeder von ihnen hatte mich manipuliert, für seine Zwecke eingespannt, mich für irgendeine verdammte höhere Sache missbraucht. Und jetzt war ich zerbrochen und kaputt. Wenn ich noch einmal lügen, betrügen und Menschen täuschen musste, würde nichts von mir übrig bleiben. Da starb ich lieber mit dem Wissen, dass ich über das Ende selbst entschieden hatte.
»Nein«, sagte ich leise, ohne hochzusehen.
»Nein?«, echote Phoenix. »Du lehnst ab?« Das hatte er offenbar nicht kommen sehen.
Ich nickte. »Was Sie da von mir verlangen … ich bin dazu nicht in der Lage. In den letzten Monaten habe ich so viel gelogen und betrogen, dass es für ein ganzes Leben reicht – und damit Menschen verletzt, die mir wichtig sind. Ich werde das nicht wieder tun. Ich kann das nicht wieder tun.«
Die Tür ging auf.
»Dabei bist du doch so gut darin«, sagte jemand hinter mir.
2
Mein Blut gefror zu Eis. Mein Körper wurde taub. Als müsste ich mich vor einem Angriff schützen, zog ich den Kopf zwischen die Schultern und starrte auf die Tischplatte vor mir.
So musste ich nicht sehen, wie Lucien in den Raum kam. Musste nicht sehen, ob er seine goldbraunen Locken wie immer zu einem lockeren Zopf eingeschlagen hatte oder mit welchem Ausdruck in den Augen er mich bedachte. Ich wollte nie wieder in diese Augen sehen, ich wollte ihn nie wieder sehen. Den Menschen, der dieses abscheuliche Spiel mit mir getrieben hatte.
»Hast du mit ihm gesprochen?«, fragte Phoenix.
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»Ja«, antwortete Lucien. »Er ist nicht begeistert, aber er lässt dir freie Hand.«
Seine Stimme war so vertraut, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Aus dem Augenwinkel erkannte ich das Rot des Pullovers, den er bei unserer ersten Begegnung getragen hatte. Machte er das mit Absicht? Wollte er mich daran erinnern, wie dumm ich gewesen war, auf ihn hereinzufallen? Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Die Fesseln schnitten mir in die Haut.
»Gut.« Phoenix wirkte zufrieden – jedenfalls, bis er sich wieder an mich wandte. »Du solltest dir genau überlegen, ob du unser Angebot ablehnst, Ophelia. Sehr genau.«
Lucien stand rechts von mir an der Wand, die Arme verschränkt, und ich spürte seinen Blick auf mir. Ich starrte trotzdem weiterhin auf den Tisch. Konnte das nicht endlich vorbei sein? Konnte man mich nicht endlich erlösen?
»Ich habe es mir genau überlegt«, erwiderte ich matt.
»Sicher?«, bohrte Phoenix nach. »Schließlich hast du doch eine Familie im ehemaligen Königreich, soweit ich weiß.«
Erschrocken sah ich auf. »Meine Familie? Was ist mit ihnen? Was haben Sie mit ihnen gemacht?« Hatte Eneas nicht genau das gefragt, bevor ich abgereist war? Ob ich nicht darüber nachgedacht hätte, was mit ihnen passieren würde, wenn ich in Maraisville scheiterte?
»Noch nichts.« Phoenix dehnte die Worte. »Ob das so bleibt, liegt an dir.«
Mir stockte der Atem. »Sie erpressen mich?« Spielte er wirklich diese Karte aus, diese uralte, völlig zerfledderte Karte? Die Familie zu bedrohen, um jemanden zu etwas zu zwingen, das war so alt wie die Menschheit. Wahrscheinlich, weil es funktioniert.
»Ich will dich nur daran erinnern, dass du nicht allein auf dieser Welt bist. Dass du Verantwortung trägst für alles, was du getan hast, genau wie für die Menschen, die dir nahestehen.« Er sagte nur diese zwei Sätze und schaffte es, dass sich die Schuld in meinem Innern ausbreitete wie Gift.
»Und das zeigen Sie mir, indem Sie meiner Familie Gewalt androhen?«
»Das tun wir nicht«, sagte Imogen Lawson.
»Nein«, pflichtete Phoenix ihr bei. »Wir sind nicht wie deine Revoluzzerfreunde, wir tun anständigen Menschen nichts an. Aber wir müssen uns an die Gesetze halten. Und die besagen im Fall von Hochverrat eine strenge Kontrolle der Familie des Täters, damit nicht weitere Mitglieder zu Verrätern werden. Das bedeutet auch die Einschränkung von Privilegien. Sie müssten zum Beispiel in einen der Orte ziehen, in denen auch Clearthroughs untergebracht werden. Sie müssten spezielle Versorgungsstellen benutzen und regelmäßigen Überprüfungen standhalten. Alles reine Sicherheitsmaßnahmen.«
Meine Familie würde also gebrandmarkt werden, nur weil ich so dumm gewesen war, hierherzukommen. Sie müssten nach Horsham ziehen, dürften keine normalen Supply-Stationen besuchen, würden meinetwegen ausgegrenzt werden. Ich stellte mir Fleur und Lion in dieser grauen, leblosen Stadt vor. Lexie, Eneas und meinen Vater in einem der engen, kleinen Häuser unter ständiger Beobachtung. Diese Aussichten ließen mich unter der Last der Schuld verstummen.
»Auch bestimmte Einrichtungen würden ihnen verschlossen bleiben. Der Besuch einer Hochschule wäre dann schwierig.« Ich hörte, wie sehr Phoenix das genoss, aber ich fühlte keine Wut. Nur Entsetzen.
In seinem letzten Brief hatte Eneas geschrieben, dass er die Zusage von der Kunstakademie in London bekommen hatte. Ich schluckte.
»Junge Menschen sind so furchtbar leicht zu beeinflussen. Wir können nicht riskieren, dass dein Bruder seine Kommilitonen mit königsfeindlichem Gedankengut ansteckt.« Phoenix sah mich mit falschem Bedauern an.
»Mein Bruder hat keine feindlichen Gedanken!«, rief ich nun doch. »Er ist unschuldig!«
»Du wirst verstehen, dass ich auf dein Wort in dieser Sache nicht allzu viel gebe.« Er lächelte schmal. »Aber es ist ganz einfach. Wenn du deinen Fehler korrigierst, hat deine Familie nichts zu befürchten. Wenn du die OmnI zurückbringst, werden sie nie erfahren, was dein Verrat ihnen beinahe angetan hätte.«
Das Atmen fiel mir plötzlich schwer. Meine Kehle zog sich zusammen.
An der Wand regte sich Lucien. »Die Entscheidung zu kooperieren scheint dir ja sehr schwerzufallen«, sagte er und ich hörte ein leichtes Flattern, das seinen Zorn verriet. Mein Ich von vor drei Wochen hätte ihn vermutlich angeschrien – dass ich jedes Recht hatte, wütend zu sein, nicht er. Aber jetzt schwieg ich und starrte wieder den Tisch an. Meine Finger krampften sich um die Befestigung der Fesseln. In meinen Ohren rauschte es. Seine Stimme hörte ich trotzdem. »Fühlst du dich dem Widerstand so sehr verpflichtet, dass du dafür sogar die Zukunft deines Bruders opferst, Ophelia?«
Als er meinen Namen sagte – den er nur selten ausgesprochen hatte, weil er mich immer Stunt-Girl genannt hatte –, sah ich abrupt auf und begegnete seinem Blick. Das erste Mal, seit ich bewusstlos auf dem Boden des Juwels zusammengebrochen war, schauten wir einander in die Augen. Mir blieb die Luft weg.
Die OmnI hatte mir in ihren Enthüllungen einen teilnahmslosen Lucien gezeigt, den mein Schicksal nicht kümmerte und der nur einen Auftrag erledigte. Seine Augen waren matt gewesen und ohne das Feuer, in das ich mich verliebt hatte. Ich hatte erwartet, jetzt genau das zu sehen, diese fremde Version von ihm. Aber es war viel schlimmer. Da war keine Leere, keine Gleichgültigkeit, da war alles. Verletztheit, Abscheu, Verachtung … und Wut. Seine Augen waren hell vor Wut auf mich. Es dauerte nur eine Sekunde, dann sah er weg. Aber es war, als hätte er mich mit einem glühenden Eisen durchbohrt.
»Alles okay?«, fragte mich Imogen. Es klang nicht fürsorglich.
»Die Fesseln schneiden in die Haut«, sagte ich. »Aber es geht schon.« Ich schloss kurz die Augen und holte tief Luft. Dann traf ich eine Entscheidung.
»In Ordnung. Ich werde es tun.« Was hatte ich auch für eine Wahl? Ich konnte meinem Bruder nicht sein Leben wegnehmen. Ich konnte meine Familie nicht dazu verdammen, für meine Fehler zu bezahlen.
Jemand atmete auf, aber ich wusste nicht, wer. Als ich aufsah, wirkte Haslock unzufrieden, Dufort erleichtert, Imogen schien sich bestätigt zu fühlen, während Phoenix keine Miene verzog. Und Lucien … ich hütete mich davor, ihn noch einmal anzusehen.
»In Ordnung.« Phoenix nickte. »Wir werden alles in die Wege leiten und dich dann auf diesen Einsatz vorbereiten. Ich rate dir, keine Tricks zu versuchen, Ophelia. Solltest du auch nur einen Zentimeter vom Plan abweichen, werden wir nicht nur mit dir kurzen Prozess machen.«
Das glaubte ich ihm aufs Wort. Ich richtete den Blick auf die Aufnahmen der Insel.
»Ist Ferro auch dort?«, fragte ich.
»Nein. Ferro ist tot.« Phoenix’ Gesicht zeigte einen Anflug von Zufriedenheit.
»Was? Wie?« Ich merkte, ich war nicht so bestürzt, wie ich erwartet hätte. Nicht einmal überrascht. Samuel Ferro hatte seine eigenen Pläne verfolgt und damit wohl sein Schicksal besiegelt. Mit Maraisville legte man sich nicht an, ohne dafür den Preis zu bezahlen.
»Die Umstände der Elimination unterliegen unserer Geheimhaltung.« Phoenix legte die Hände aneinander. »Aber sein Tod ist der einzige Grund, warum zwei der Anwesenden sich überhaupt noch Schakale nennen dürfen.«
Wider besseres Wissen sah ich Lucien an, aber der schaute zu Boden. Dufort und er hatten also Ferro getötet, um sich zu rehabilitieren? Aber warum? Es hätte für Lucien doch die perfekte Ausstiegschance aus dem Agentenleben sein können. Aber dann fiel mir ein, dass sein Gerede vom verhassten Job und seiner brüderlichen Bürde wie alles andere gelogen gewesen war.
»Also ist Troy nun der Boss?« Das war keinen Deut besser als Ferro. Im Gegenteil.
Phoenix legte den Kopf schief. »Davon gehen wir aus, aber wir wissen es nicht genau. Bisher konnten wir niemanden einschleusen. Troy Rankin kennt ja alle aktiven Agenten und aktuellen Anwärter. Abgesehen davon lässt ReVerse niemanden in seine Reihen, der nicht schon seit Jahren für den Widerstand kämpft.«
»Deswegen also ich«, stellte ich fest.
»Du bist unsere beste Möglichkeit.« Imogen wechselte
einen Blick mit Lucien. Man merkte, dass die beiden vertraut miteinander waren. Kein Wunder. Sie mussten sich schon seit seiner Kindheit kennen.
»Wenn ich nach drei Wochen plötzlich in ihrer geheimen Basis auftauche, könnte Troy allerdings misstrauisch werden«, sagte ich. »Woher sollte ich wissen, wo sich die Insel befindet?«
»Wenn dir darauf keine gute Antwort einfällt, haben wir dich wohl überschätzt.« Phoenix musterte mich mitleidig. Ich spürte den Impuls, ihm das Gegenteil zu beweisen, und plötzlich wusste ich, wie es ihm gelang, derart gute Agenten zu erschaffen. Man wollte ihm gefallen – ganz egal, ob er einen quälte. »Aber ich bin sicher, du bist ausreichend motiviert, um Troy zu überzeugen.«
Da ich nicht widersprechen konnte, blieb ich erneut stumm – und damit war das Treffen beendet. Zwei meiner Bewacher kamen herein, lösten meine Fesseln vom Tisch und zogen mich hoch. Niemand verabschiedete mich, also sagte ich auch nichts. Vor der Tür des Raumes blieben wir stehen. Dufort und Phoenix kamen direkt nach mir heraus und befahlen den Gardisten, mit mir zu warten. Dann verschwanden sie, Haslock folgte ihnen kurz darauf. Ich lehnte mich gegen die Wand, dehnte meine verspannten Schultern. Meine Hände waren in den engen Fesseln längst taub.
Da drang etwas an mein Ohr.
»Glaubst du, das ist eine gute Idee?« Imogens Stimme war schwach zu verstehen. Haslock hatte die Tür nicht richtig geschlossen.
»Keine Ahnung«, antwortete Lucien. »Aber es ist die beste Option, also sollten wir es versuchen.«
»Ausgerechnet mit ihr? Du weißt, was sie getan hat und wie sehr er darunter leidet. Wie kann Cohen in Erwägung ziehen, diese Person wieder in die Freiheit zu entlassen?«
Diese Person. Das war ich jetzt also. Aber was meinte sie damit, dass er darunter litt? Etwa Leopold? Hatte sie nicht mitbekommen, dass er das Attentat völlig unbeschadet überstanden hatte?
Ich hörte ein Schnauben. »Es ist kaum Freiheit, wenn man jede Sekunde des Tages überwacht wird. Sie wird nichts versuchen.«