Der Himmel wird beben

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Der Himmel wird beben Page 18

by Kiefer, Lena


  Ich starrte ihn an. Der Boden wankte unter meinen Füßen, obwohl ich saß. »Aber wenn du nicht –«

  »Scale?«, rief Troy. Er stand in der Tür. »Hast du deinen Schwächeanfall hinter dir? Wir müssen los! Ticktack!«

  Keiner von uns regte sich. Lucien und ich sahen einander an, aber wir brachten es nicht fertig, auch nur ein weiteres Wort zu sagen.

  »Scale, verdammt!« Troy kam auf die Terrasse. »Wird’s bald?«

  »Ich komme.« Mühsam rappelte ich mich hoch, sah Lucien aber immer noch an. »Ich muss los. Die OmnI …«

  »Ich weiß.« Er hielt mir den Arm hin, damit ich mich abstützen konnte. Als ich seine Haut berührte, durchzuckte mich ein schmerzhafter Schlag.

  »Ich … wir sehen uns später.« Ein letzter Blick in seine Augen, dann wandte ich mich ab. Ich hatte keine Ahnung, ob ich ihm glauben sollte. Vielleicht war es aber auch nur die Angst davor, was es für mich bedeuten würde, wenn er die Wahrheit sagte. Denn wenn es stimmte … wenn Lucien mich nie angelogen hatte … dann hatte ich vollkommen sinnlos alles zerstört.

  Als ich auf Troy zuging, wusste ich, dass es genau eine Person auf der Welt gab, die mir endgültige Gewissheit darüber verschaffen konnte, was wirklich passiert war.

  Nur, dass es sich dabei nicht um eine Person handelte.

  »Was war das denn eben?« Troy sah mich genervt an. Wir saßen uns auf den Bänken des UnderTrans gegenüber. »Brauchst du immer deinen theatralischen Auftritt?«

  »Nein, brauche ich nicht.« Ich rollte mit den Augen. »Das SubDerm-Medikament, das ich gerade benutze, ist nicht so gut wie mein altes«, log ich. »Manchmal gibt es Momente, da ist mein Gehirn überlastet.« Ich fühlte mich fast wieder normal, aber trotzdem wie betäubt. Luciens Worte drehten sich wieder und wieder in meinem Kopf. Ich habe nichts davon gesagt. Ich war nie auf dich angesetzt.

  »Hoffentlich passiert das nicht, wenn du mit ihr redest«, riss mich Troy aus meinen Gedanken.

  »Keine Sorge.« Ich hatte keine Nerven, mich mit ihm zu streiten. »Die OmnI wird schon zufrieden sein.«

  »Warum hat sie ausgerechnet an dir so ein Interesse?« Er sah mich feindselig an. »Ich frage mich das schon seit Monaten.«

  »Ich weiß es nicht. Aber ich kann ihr diese Frage gern stellen, wenn du willst.«

  Troy schüttelte den Kopf. »Ihr fehlen nahezu alle Daten, die sie vorher hatte. Vielleicht kann sie die Frage gar nicht beantworten.«

  »Aber warum will sie dann mit mir sprechen?« Ich runzelte die Stirn.

  »Unser letztes Gespräch im Bunker ist gespeichert, genau wie die Daten aus dem Dome. Sie weiß, wer du bist.«

  »Ich verstehe. Wie viel von ihr ist schon in Betrieb?« Ich hatte HeadLock intus und war lieber darauf vorbereitet, wie gut sie mich durchschauen konnte.

  »Nicht viel. Wir haben noch keine Anbindung an die optischen Sensoren und können auch keine holografische Projektion erzeugen. Sie kann nur über Audio kommunizieren, das ist alles.«

  Seine Antwort beruhigte mich. Wenn sie mich nur reden hörte und nicht sehen konnte, war ich vermutlich sicher.

  Der UnderTrans kam am Ufer an und wir stiegen in eines der Geländefahrzeuge um. Troy fuhr jedoch nur wenige Hundert Meter und steuerte direkt auf eine FlightUnit zu. Sie war schwarz wie die des Königs.

  »Hast du das Ding gekapert?«, fragte ich.

  »Nein, sie gehört Costard. Er besitzt drei davon. Er hat sie so ausgerüstet, dass man sie nicht verfolgen kann.« Troy ließ mir nicht den Vortritt, sondern stieg als Erster die Rampe hoch. »Übrigens lässt er dich grüßen und sich für heute entschuldigen. Aber er kommt bald wieder vorbei.«

  Fragte sich nur, was bald bedeutete. Exon Costard ging mir aus dem Weg, so viel war sicher. Es kamen zwar regelmäßig Lieferungen mit technischem Equipment von ihm an, nur er glänzte durch Abwesenheit. Allerdings hatte ich jetzt andere Sorgen.

  »Setz das auf.« Troy wies mir einen Sitz zu, gab mir eine blickdichte Brille und einen Schallschutzkopfhörer. Ich folgte der Aufforderung und tauchte ab in stille Dunkelheit. Tief ­atmete ich durch. Ich musste mich konzentrieren, musste alles andere aus meinem Kopf verbannen und darauf achten, wie hoch wir stiegen und wie lange wir in der Luft blieben. Wenn es Vorkehrungen gegen ein Tracking meines WrInks gab – und die gab es todsicher –, dann war das alles, was wir später hatten.

  Wir starteten und flogen los, während ich Lucien krampfhaft aus meinen Gedanken verbannte. Ich speicherte jede Vibration und jede Geschwindigkeitsänderung ab, achtete auf Steig- und Sinkdauer. Wir flogen etwa dreißig Minuten, dann setzten wir wieder auf dem Boden auf. Trotzdem durfte ich Brille und Hörschutz nicht abnehmen. Man lotste mich stattdessen in ein Fahrzeug und es ging noch einmal zehn Minuten über unebenen Untergrund. Erst nachdem wir mehrfach kurz gehalten hatten, kamen wir endgültig zum Stehen und jemand half mir heraus. Troy nahm mir den Kopfhörer ab.

  »Wir sind da.«

  Ich löste die Brille und blinzelte, weil nach der Dunkelheit alles viel zu hell war. Troy, zwei Wachleute in blauen Uniformen und ich standen in einer Schleuse mit milchigen Türen. Ein Terminal zeigte mir an, dass ein Scan lief – ein einfacher Scan zum Aufspüren von aktiven InterLinks. Verflucht!

  Ich sah die Stand-by-Anzeige unten in meinem Sichtfeld, also waren sie noch aktiv. Hektisch suchte ich nach einer Lösung und wurde fündig. Obwohl ich wusste, dass man bei so einem Scan stillstehen musste, nahm ich die Hand hoch und strich meine Haare hinter die Ohren.

  »Scan abgebrochen. Neustart wird initiiert.«

  »Kannst du bitte eine Sekunde stillhalten?«, fauchte Troy.

  »Tut mir leid.« Beeilt euch bitte, flehte ich Maraisville stumm an.

  Endlich meldeten sie sich. Deine Links werden deaktiviert. Restart in zwei Minuten. Ich hatte seit Tagen kaum mit ihnen kommuniziert, weil jetzt alles über Lucien lief. Auf eine merkwürdige Art hatte ich es vermisst.

  Beim nächsten Scan hielt ich mustergültig still und wir wurden weitergewinkt. Wir werden stumm bleiben, während du drin bist. Bau keinen Mist.

  Mit unseren Begleitern an der Spitze liefen wir eine Treppe nach unten, dann einen Gang entlang. Alles schien alt und ungepflegt, der fleckige Boden genauso wie die abblätternde Farbe an den Wänden. Rote Zahlen waren auf die Betonmauern gesprüht worden, es gab eine Menge Türen. Fenster sah ich keine. Die Luft war kühl und roch ein bisschen muffig.

  »Sind wir unter der Erde?«, fragte ich. Meine EyeLinks gingen wieder online.

  »Gib es auf.« Troy verdrehte die Augen. »Ich werde dir nichts sagen.«

  »Das Konzept von Small Talk ist dir wohl fremd, was?«

  »Mit dir? Allerdings.«

  »Warum, weil ich ihr Liebling bin und du nicht?«

  Er sah mich verächtlich an. »Ich habe sie da rausgeholt, nicht du. Glaub ja nicht, dass du so besonders für sie bist.«

  »Wenn du das sagst.« Ich hatte mir nicht zurechtgelegt, wie ich die OmnI aus der Reserve locken wollte. Aber seit wir losgeflogen waren, wusste ich, was ich auf jeden Fall aus ihr rauskriegen musste: Hatte sie gelogen, was Luciens Auftrag betraf? Hatte sie alles so verdreht, dass ich ihr glaubte? Hatte sie mich auf diese Art dazu gebracht, Leopold töten zu wollen?

  »Warte hier.« Troy hielt mir eine Tür auf.

  Ich gehorchte und ging dann in dem winzigen Durchgangsraum auf und ab. Auch hier wirkte alles in die Jahre gekommen, sowohl die Türen als auch die Lüftungsschächte. Ich machte einen gründlichen Schwenk für Maraisville, auch wenn das kaum dazu führen würde, den Ort identifizieren zu können.

  Troy kam zurück. Er wirkte angespannt.

  »Sie ist bereit. Du auch?«

  Ich nickte. Ich war so was von bereit.

  Er trat zur Seite und ich ging an ihm vorbei in einen größeren Raum. Eine schwache Lampe brannte an der Decke, es war schummrig, kühl und still. Kaum hatte Troy die Tür jedoch hinter sich geschlossen, ertönte eine Stimme.

  »Hallo, Ophelia. Wir haben uns lange nicht gesehen.«
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  Ich drehte mich um.

  »Viel zu lange, wenn du mich fragst.«

  18

  Der Aufenthalt in dem Raum ließ mich irgendwie an meinen Dad denken. Früher hatte ich ihn oft bei der Arbeit besucht, in dem schicken Labor bei MedSol und in seinem elegant ausgestatteten Büro. Einem Büro mit Blick auf die Seine, seinen Fähigkeiten würdig. Er war eine echte Größe in seinem Bereich gewesen, jemand, zu dem die halbe Welt aufgesehen hatte. Und dann? Dann hatte die Welt ihn vergessen.

  So kam es mir auch mit der OmnI vor. Damals in dem edel eingerichteten Zimmer im Dome und später in dem weiß glänzenden Bunker war sie mir wie eine Königin vorgekommen, mächtig und erhaben. Aber jetzt hatte ich den Eindruck, man hätte sie wie ein ausgemustertes Gerät in den Keller verbannt. Die Wände hier waren ebenso vergilbt wie im Rest des Gebäudes, der Boden bestand aus nacktem Beton. Der schwarze Würfel mit dem Kern der OmnI war auf einem alten Tisch an der Wand platziert worden. Davor stand ein Stuhl.

  »Es sind nicht ganz die Umstände, unter denen ich dich wiedertreffen wollte«, sagte die OmnI. Sie hatte nur eine neutrale Stimme, weder männlich noch weiblich. Ich konnte sie niemandem zuordnen.

  »Du hast mir eine großartige Welt versprochen. Das hier sieht nicht danach aus.« Ich hatte keinen Plan gemacht, aber vor ihr kuschen würde ich nicht.

  »Nein, das ist richtig.« Die Stimme war zwar sachlich, trotzdem hörte ich Bedauern. »Aber wir sind auf dem besten Weg dorthin. Setz dich doch.«

  »Warum? Du kannst mich nicht sehen.«

  »Ich möchte dennoch, dass du es bequem hast.«

  Der Stuhl war ebenso alt und abgenutzt wie alles andere. Ich setzte mich hin und sah den schwarzen Kasten an. »Troy sagte, du wolltest mit mir sprechen. Worum geht es?«

  Die OmnI lachte, schwach und blechern. »Wenn ich diese Frage so einfach beantworten könnte … mir fehlen so viele Informationen. Aber ich weiß, dass du wichtig bist, Ophelia Scale. Das weiß ich sehr genau.«

  »Ich habe nur keine Ahnung, warum.«

  »Ja, das sagte mir unser gemeinsamer Freund Exon bereits. Aber ich weiß nicht, ob es der richtige Moment ist, um dir unsere … Verwandtschaft offenzulegen.«

  »Unsere Verwandtschaft?« Das klang, als wäre die OmnI meine Tante oder so etwas. In ihren Abläufen war definitiv etwas durcheinandergekommen.

  »Es ist mehr eine Seelenverwandtschaft, wie ihr es nennt. Gleich denkende, gleich atmende Seelen. Das sind wir, du und ich.«

  »Ich bin ein Mensch«, stellte ich klar. Dieses geheimnisvolle Gerede ging mir auf die Nerven. Ich wollte Antworten von ihr, kein Rätselraten.

  »Du bist nicht irgendein Mensch«, widersprach sie. »Aber das werden wir zu gegebener Zeit besprechen. Sag mir lieber, wie es dir geht. Wie ich hörte, bist du mit deinem Freund wieder vereint?«

  »Ja, richtig. Knox’ Erinnerungen wurden wiederhergestellt.«

  »Aber du bist darüber nicht erfreut?«

  »Was?« Ich schüttelte den Kopf, obwohl sie es nicht sehen konnte. »Wie kommst du darauf?«

  »Ich kann dich nicht sehen, aber hören. Die Stimme eines Menschen verrät vieles.«

  Verdammt. »Also muss ich besser lügen, wenn ich dich überzeugen will? So wie damals bei meinem Abschlusstest in London?«

  Die OmnI lachte. »Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Aber damals im Dome gab es keinen Moment, in dem ich nicht wusste, ob du die Wahrheit sagst. Ich habe dich in dem Moment erkannt, als du in den Raum gekommen bist. Ich würde dich überall erkennen, Ophelia.«

  »Du sagtest im Bunker, dass ich dich getäuscht hätte«, beharrte ich.

  »Ich wollte dich motivieren, dir den Rücken stärken. Es sah so aus, als würdest du Zuspruch brauchen. Es war eine kleine und verzeihliche Lüge.«

  Wut stieg in mir hoch, unbändige Wut. Hätte ich nicht längst gewusst, welche Seite die richtige war – spätestens jetzt wäre ich sicher gewesen. Dass ich künstliche Intelligenzen früher faszinierend gefunden hatte, ekelte mich regelrecht an. Die OmnI war wie Troy. Sie log und betrog und hielt das auch noch für richtig.

  »Klein und verzeihlich, ja?« Ich presste meine Hände auf die Oberschenkel, um meine Stimme unter Kontrolle zu halten. Wenn ich jetzt ausflippte, würde sie mir gar nichts verraten. »So wie alles, was du mir über Lucien gesagt hast?« Es war hoch gepokert, verflucht hoch. Aber ich musste es wissen.

  »Oh, das …« Die OmnI machte eine Pause. Ich hielt die Luft an. »Wie kommst du darauf?«

  »Im Nachhinein kamen mir einige Details nicht ganz authentisch vor.« Hoffentlich schluckte sie das. »Ich wollte nicht glauben, dass du mich angelogen hast, aber offenbar hast du das doch.«

  Sie schwieg einige Augenblicke. »Das Konzept von Liebe ist mir nicht fremd.«

  »Das ist keine Antwort auf meine Frage.« Ich würde sie nicht ausweichen lassen.

  »Nein, ist es nicht. Aber was würdest du mit meiner Antwort anfangen wollen? Wenn ich sage, dass ich gelogen habe, bringe ich dich gegen mich auf. Wenn ich sage, dass ich die Wahrheit gesagt habe, hole ich nur deinen Schmerz zurück. Diesen unendlichen Kummer, der meinem eigenen so ähnlich ist.«

  »Du hast keine Ahnung, was ich fühle. Und du hast kein Recht, mich anzulügen.« Ich musste sie dazu bringen, ehrlich zu mir zu sein. Wie konnte ich das schaffen? Mir kam eine Idee. Ich stand auf und schob den Stuhl zurück.

  »Wenn du mit mir zusammenarbeiten willst, solltest du mich nicht wie ein dummes Kind behandeln«, sagte ich kühl. »Entweder sagst du mir die Wahrheit oder ich verlasse sofort diesen Raum und werde dich nie wieder treffen.«

  »Nein!« Die OmnI rief so laut, dass ich zusammenzuckte. Bingo. Aus irgendeinem Grund war sie auf mich angewiesen. Einen stärkeren Trumpf hatte ich nie in der Hand gehalten.

  »Ich höre«, sagte ich streng.

  Sie schwieg und ich wollte meine Worte schon wiederholen. Aber dann sprach sie doch. »An diesem Abend, unten in dem Bunker … Ich wusste, dass ich dich verloren hatte. Ich habe dir in die Augen gesehen und gewusst, dass du fort bist. Du warst auf die Seite des Königs gewechselt, du hast diese abscheulichen, rückständigen und zerstörerischen Lügen geglaubt! Alles nur wegen ihm! Wegen Lucien!«

  »Also hast du mich angelogen, weil du eifersüchtig warst?!«, fragte ich, fassungslos. Ich hatte nicht wegen Lucien auf die richtige Seite gewechselt. Aber sie glaubte das offenbar.

  »Ich bin darauf nicht stolz. Dich daran zerbrechen zu sehen, hat mir unendlich wehgetan. Aber es war notwendig.«

  Ihre Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Damit war es Gewissheit. Ich hatte die OmnI befreit, weil ich einer Lüge aufgesessen war. Ich hatte Leopold töten wollen, obwohl nichts von dem, was sie mir gezeigt hatte, der Wahrheit entsprach. Gar nichts.

  »Du hast mich verraten!«, fuhr ich sie an. »Wie konntest du das tun?«

  »Ich habe dich nicht verraten, ich habe dich gerettet! Du warst verloren und ich habe dich zurückgeholt! Siehst du das denn nicht?«

  Ich sank wieder auf den Stuhl, meine Hände suchten Halt. Luciens Gesicht kam mir in den Sinn, als ich daran dachte, dass er diese schrecklichen Dinge tatsächlich nie gesagt hatte. Dass ich ihm mit meiner Tat das Herz gebrochen hatte. Jetzt nicht, beschwor ich mich. Jetzt nicht.

  »Wie hast du es gemacht?« Ich krallte die Finger in meine Hose, bis die Knöchel hervortraten.

  »Virtuelle Realitäten sind mein Geschäft. Ich hatte Aufnahmen der Räumlichkeiten und kannte Lucien de Marais von früheren Schakal-Beurteilungen. Es war mit etwas Hilfe von Troy nicht schwer, die Daten so zusammenzufügen, dass es echt wirkt.«

  So echt nun doch nicht, denn Lucien hatte völlig anders gewirkt, als ich ihn kannte. Nur hatte ich das auf seine Fähigkeiten als Schakal geschoben.

  »Dann wusste Troy, dass es gelogen war?«

  »Nein. Er hat nur ein paar Beschränkungen aufgehoben, damit ich mehr Daten-Kapazitäten zur Verfügung habe. Mit Leo­polds Fesseln wäre das nicht möglich gewesen.«

  »Aber war
um dann die defekte Waffe?«, fragte ich. »Warum nicht eine, die funktioniert?« Denn dass Troy davon auch nichts gewusst hatte, glaubte ich ihm nicht.

  »Du solltest keinen Menschen töten müssen. Du bist keine Killerin, und es hätte dir geschadet, wenn du dazu gezwungen worden wärst. Leopold wird noch früh genug sterben.«

  Ich fragte nicht, wie sie das hinbekommen wollte. Stattdessen stellte ich die letzte Frage, um das Lügengerüst endgültig einzureißen. »Und der Injektor, den die Schakale mir angeblich gegeben haben?« Ich musste das hier bis zum Ende durchziehen.

  »Troy hat das Medikament in meinem Auftrag besorgt. Aber ich konnte dir doch nicht sagen, dass es von mir kam. Das hätte den Plan gefährdet.« Sie klang fast traurig. »Verzeihst du mir, Ophelia? Ich könnte es nicht ertragen, wenn du das nicht tust.«

  Ich schwieg, schwieg lange angesichts dieser Heuchelei, und legte mir die richtigen Worte zurecht. Es war so unglaublich schwer, sich jetzt zusammenzureißen und sie nicht anzubrüllen, ihr nicht alles zu sagen, was ich dachte: Dass ich sie verachtete, dass ich sie hasste für das, was sie mir angetan hatte. Dass sie mir das Einzige weggenommen hatte, was für mich ehrlich und wahrhaftig gewesen war. All das durfte ich nicht aussprechen. Nicht, wenn ich noch etwas retten wollte – zwar nicht für mich, aber für alle anderen.

  »Ich finde es fürchterlich, dass du mich angelogen hast«, sagte ich mit verletztem Ton. Meine Stimme klang leer. »Aber du … du hast recht. Ich war verloren und habe jemanden gebraucht, der mich wieder zurückbringt.«

  »Du siehst ein, dass dich Lucien auf Abwege gebracht hat?« Die OmnI klang wie ein kleines Kind, dem die Mutter verzieh, dass es die Wände angemalt hatte. »Dass er ein Fehler war, vor dem ich dich gerettet habe?«

  »Ich … ja.« Bei der Lüge krampfte sich mein Magen zusammen.

  »Also vergibst du mir?«

  »Ich vergebe dir.« Lautlos atmete ich aus und schloss die Augen. Dagegen war der Test im Dome ein Schulausflug gewesen.

  »Du ahnst nicht, wie sehr mich das erleichtert.« Ich hörte ein Lächeln in der Stimme der OmnI. »Meine Pläne funktionieren nicht ohne dich.«

 

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