Der Himmel wird beben

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Der Himmel wird beben Page 19

by Kiefer, Lena


  Ich lachte, aber es klang schwach. »Wegen unserer Seelenverwandtschaft?«

  »Genau deswegen. Wir müssen uns zusammentun, wenn wir siegen wollen. Es gibt noch einiges zu tun.«

  Ich holte Luft. »ReVerse steht zu deiner Verf-«

  »Nein, nicht ReVerse. Du. Nur du.«

  Die nächste Steilvorlage, um mein Ziel zu erreichen. Ich schlug einen weinerlichen Tonfall an. »Aber du lässt nur Troy wissen, wo du bist. Wenn du kein Vertrauen zu mir hast, warum weiß ich dann nicht, wo ich dich finden kann?«

  »Es ist sicherer für dich«, sagte sie beschwichtigend. »Wenn du weißt, wo ich bin, könnten die es von dir erfahren.«

  »Ich würde ihnen nie etwas sagen!«, empörte ich mich.

  »Oh, das sagst du jetzt. Aber wenn sie dich foltern oder wenn sie deine Familie bedrohen, deine Freunde – wie ist es dann? Würdest du sie für mich opfern?«

  Ich schwieg. Diese Lüge hätte sie mir ohnehin nicht geglaubt.

  »Siehst du?« Sie klang enttäuscht. »Ich schütze dich vor dir selbst, vor deinem guten Herzen und deinen Gefühlen für andere Menschen. Die sind deine größte Schwäche.«

  Mein Kinn wanderte automatisch nach oben. »Manche halten das für eine Stärke.«

  »Am Ende wirst du erkennen, dass es keinen Unterschied macht.«

  »Am Ende? Wie sieht das Ende aus?«

  »Wundervoll, wenn du mich fragst. Aber dazu muss ich erst einmal zu Kräften kommen. Momentan bin ich blind und allein. Es ist kaum besser als in der Gefangenschaft des ­Königs.«

  »Wie kann ich dir helfen?« Mir schien, als wartete sie auf diese Frage.

  Sie gab ein tiefes, schweres Seufzen vor. Hätte ich es nicht besser gewusst, ich hätte ihr das Leiden ohne Zögern abgenommen. »Meine Hardware ist unvollständig, wie du bemerkt hast. Ich kann sie mir selbst beschaffen, aber dazu muss ich auf bestimmte Datenbanken zugreifen. Wenn es mir gelingt, von dort die entsprechenden Codes runterzuladen, kann ich meinen Helfern Zugang zu einigen Ressourcen verschaffen, die der König außerhalb seiner Stadt lagert.«

  »Welche Datenbanken sind das?«

  »Die in Maraisville.«

  Ich atmete deutlich hörbar aus. »Das wird schwierig. Die Stadt ist vielfach abgesichert, und ein Netz wie früher, auf das man von außen zugreifen könnte, gibt es nicht mehr. Wir können dich ja kaum hineintragen.«

  Die OmnI lachte. »Nein. Obwohl ich das gerne sehen würde.«

  Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Humor bei KIs war etwas, das mir mittlerweile absurd erschien, ebenso wie die vorgetäuschte Menschlichkeit. Wie oft hatte ich auf die Abkehr geschimpft, weil sie uns den Kontakt zu künstlicher Intelligenz verbot? Jetzt kam mir das unglaublich dumm vor.

  »Wie sollen wir es dann machen?«, fragte ich.

  »Was du sagst, ist nicht ganz richtig. Die Voraussetzungen für den Netzbetrieb existieren noch, sie sind nur nicht mehr aktiv. Der König hat die Verbindungspunkte gesichert, aber das ist ein Problem, um das wir uns später kümmern werden. Erst einmal brauche ich eine Art Katalysator, um überhaupt eine Verbindung zum Netz herzustellen. Es existiert ein DataPod, das ist ein spezieller Datenknoten, nur für mich entwickelt.«

  »Wo kann ich ihn finden?« Ich stellte mir vor, wie in Marais­ville alle Schakale vor den Screens standen – in dem Raum, den ich kannte, weil der Traum keiner gewesen war. Nicht jetzt, mahnte ich mich wieder. Zusammenbrechen konnte ich später.

  »Der DataPod befindet sich am sichersten Ort, den es gibt.«

  »In Maraisville?«

  »Nein, nicht dort«, tadelte die OmnI. »Man könnte meinen, du bist besessen von dieser Stadt, Ophelia.«

  »Das ist nicht wahr«, widersprach ich. »Aber sie kam mir sehr sicher vor.«

  »Die Vorkehrungen dort sind ein Witz gegen den Ort, von dem ich spreche.« Sie machte eine Pause. »Hast du schon einmal etwas von Amber Island gehört?«

  »Gerüchtehalber.« Amber Island war eine Art schwimmende Festung im Meer, von der Henri Fiore einmal erzählt hatte, und die ein Gemeinschaftsbesitz aller Regierungen dieser Welt war. »Es ist eine Art gigantischer Tresor, glaube ich.«

  »Sehr gut«, lobte die OmnI, und ich hätte ihr für diese gönnerhafte Art am liebsten eine verpasst. »Aber es ist nicht irgendein Tresor. Es ist ein Technologie-Hochsicherheits-Tresor.«

  Mein Gehirn arbeitete. »Das bedeutet, man lagert dort gefährliche Technologie?«

  »Es gibt keine gefährliche Technologie.« Wieder ein Tadel. Ich hörte Ungeduld. »Ophelia, es ist sehr wichtig, dass du dich von dem Unsinn befreist, den Maraisville dir eingetrichtert hat. Wenn du diese Lügen weiterhin für die Wahrheit hältst, haben wir ein Problem.«

  Ich atmete lautlos durch, dann schlug ich einen kleinlauten Tonfall an. »Es tut mir leid. Manchmal rutscht mir etwas von dem, was sie uns beigebracht haben, raus.«

  »Das ist menschlich. Und ich bin sicher, du wirst das in den Griff bekommen, bis wir beim nächsten Treffen unser Gespräch fortsetzen.« Es klang, als sei ich nun entlassen. »Außerdem solltest du dich mit Amber Island vertraut machen. Du wirst die Festung schon bald aufsuchen.«

  »Ich werde mich bemühen.« Hoffentlich verriet sie mir vorher noch, wie ich in etwas einbrechen sollte, das besser gesichert war als die Stadt des Königs.

  »Das soll für diesen Moment genug sein. Bitte sag Troy, dass wir hier fertig sind.« Ich erhob mich. »Ach, Ophelia?«

  »Ja?« Ich hielt inne.

  »Du wirst sehr bald sehen, dass du dich für die richtige Seite entschieden hast.« Sie sagte es leicht dahin, aber für mich klang es wie eine Drohung. »Bis zum nächsten Mal.«

  Ich konnte weder etwas sehen noch hören, aber ich wusste, dass sie nicht mehr da war. Also verabschiedete ich mich nicht, sondern stand auf und ging zur Tür. Troy wartete davor. Ich fragte mich, ob der Raum wohl schallisoliert war.

  »Wir sind fertig«, sagte ich. Er nickte.

  »Gut. Man wird dich zurück auf die Insel bringen.«

  »Du kommst nicht mit?«

  »Nein, ich habe hier noch zu tun. Bitte erspar uns beiden die Peinlichkeit, so zu tun, als fändest du das schade.«

  Ich grinste halbherzig. »Mach’s gut, Troy.«

  Er nickte und verschwand.

  Zwei in Blau gekleidete Wachleute, ein Mann und eine Frau, nahmen mich in ihre Mitte, berührten mich aber nicht. Ohne ein Wort gingen wir durch die Gänge zu dem Tor, durch das wir hereingekommen waren. Dort holte einer von Troys Lakaien Sichtbrille und Hörschutz hervor. Aber bevor man mir beides aufsetzen konnte, geschah etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatten: Jemand öffnete das Tor. Ich sah den Ausschnitt einer verregneten Landschaft, die mir seltsam bekannt vorkam.

  »Schnell!«, rief die Frau, und schon senkte sich die Brille über meine Augen und der Schallschutz folgte. Eine resolute Hand griff nach meinem Ellenbogen und schob mich voran. Ich wehrte mich nicht.

  Auf dem Rückflug konzentrierte ich mich auf unsere Flugdauer, eventuelle Schleifen und Höhenunterschiede. Aber diesmal war es kein reines Pflichtbewusstsein, das mich dazu veranlasste. Solange ich mich auf den Flug konzentrierte, lenkte mich das von allem anderen ab: Knox. Lucien. ReVerse. Maraisville.

  All das wirbelte wie ein Tornado um mich herum, und ich schaffte es in seiner Mitte gerade so, mich aufrecht zu halten.

  Aber ich machte mir keine Illusionen. Sobald ich einen Fuß in das Hotel setzte, würde er mich mit sich reißen.

  19

  Der Regen hatte aufgehört, als ich mit dem UnderTrans auf der Insel ankam. Es dämmerte, die Außenleuchten des Hotels brannten und tauchten alles in sanftes Licht. Langsam stieg ich die steinernen Stufen zur Eingangshalle hinauf, ein merkwürdiges Gefühl im Bauch. Meine Füße wollten sich gleichzeitig schnell und langsam bewegen, zu etwas hin und dann doch lieber nicht. Mein Gehirn drückte unangenehm gegen die Schädeldecke.

  Ich brauchte dringend etwas zu essen und eine Runde Schlaf. Aber erst musste ich mit Lucien sprech
en und ihm sagen, dass ich ihm hätte glauben müssen. Ob er gesehen hatte, was bei der OmnI passiert war? Änderte das etwas für ihn? Wahrscheinlich nicht. Ich hatte ihm unfassbar wehgetan mit dem Versuch, seinen Bruder zu töten. Wenn ich mir das nicht verzeihen konnte, würde er es garantiert nicht tun. Aber ich wollte wenigstens mit ihm reden.

  Ich lief die Treppen bis ins oberste Geschoss, wo Lucien das Eckzimmer mit der besten Aussicht bekommen hatte. Aber als ich an die Tür klopfte, antwortete niemand, und meine EyeLinks blieben aktiv. Also ging ich wieder nach unten, warf einen Blick in die Zentrale und lief schließlich zum Pool. Als ich auf die Terrasse hinaustrat, gingen die Links auf Stand-by. Nur eine Sekunde später sah ich Lucien.

  Er saß auf einer Liege unter dem Bambusdach am Rand des Wasserbeckens, aber er war nicht allein. Elodie hatte sich neben ihm niedergelassen, den Kopf an seiner Schulter, einen Arm um seine Mitte gelegt. Eifersucht kochte in mir hoch, obwohl ich dazu kein Recht hatte. Ich wollte gehen, blieb aber trotzdem stehen.

  Eine Sekunde später wandte sich Lucien zu mir um und löste sich aus Elodies Umarmung. Ich konnte an seiner Miene nichts ablesen, er blieb in Emiles Rolle. Eilig hob ich die Hand, sagte »Lasst euch nicht stören«, und ging zurück ins Haus. Ich war keine zehn Meter weit gekommen, da hörte ich Schritte hinter mir.

  »Hey, warte.«

  Luciens raue Stimme hatte seit dem fatalen Abend vor zwei Monaten so oft schlechte Gefühle in mir ausgelöst – Enttäuschung, Schmerz und Wut. Aber jetzt war das alles weg, und ich spürte die gleiche Zuneigung, das gleiche Flattern im Magen wie früher. Und Schuld. Ich wappnete mich innerlich und drehte mich um.

  »Hey.« Ich brachte ein wackeliges Lächeln zustande. »Hast du …?«

  »Ja.« Sein Blick erreichte jeden einzelnen meiner Nerven. »Du glaubst mir also?«

  Ich nickte und kämpfte plötzlich mit den Tränen, die ich bisher zurückgehalten hatte. »Es tut mir so leid«, presste ich heraus. »Wenn ich gewusst hätte, dass –«

  »Hey, wo bleibst du denn?«, rief Elodie ihn. »Denkst du, ich warte, bis … Oh, hi, Scale. Alles okay?«

  Lucien hatte einen Schritt auf mich zugemacht, aber als sie dazukam, nahm er wieder Abstand. Ich nickte tapfer und wischte mir die Tränen aus den Augen, bevor ich Elodie ansah.

  »Sicher. Es war einfach ein anstrengender Tag. Ich werde wohl besser ins Bett gehen.«

  »Phee!« Knox kam den Gang entlang. Auch das noch. »Ich habe dich gesucht. Kann ich kurz mit dir reden?«

  »Wenn es um die OmnI geht, stehe ich gerne morgen Rede und Antwort.«

  »Es geht nicht um die OmnI. Es geht um uns.«

  Ich bemühte mich, Lucien nicht anzusehen, aber der wurde von Elodie längst wieder nach draußen geschleppt. Ich hörte, wie sie sagte: »Erschieß mich, wenn wir je so werden wie die beiden.« Allein dafür hätte ich sie erschießen können.

  Knox stand immer noch vor mir, er und sein bittender Blick. Ich seufzte lautlos. »Gut, reden wir. Ich wollte eh noch etwas essen.«

  Wir gingen in die Küche hinunter und Knox schloss die Tür. Er kam gleich zur Sache.

  »Phee, ich muss mich bei dir entschuldigen. Ich habe mich an dem Abend am Strand wie ein Arsch benommen.«

  Ich hob die Schultern. »Du hattest deine Gründe.« Unser Streit kam mir gerade wahnsinnig unwichtig vor.

  »Dann war ich eben ein Arsch mit Gründen.«

  »Mit guten Gründen«, gab ich zu. »Ich hätte es auch nicht einfach weggesteckt, wenn du dich in der Zwischenzeit in ein anderes Mädchen verliebt hättest.« Meine Worte erinnerten mich daran, was die OmnI angerichtet hatte. Ich ballte die Faust.

  Knox bemerkte es nicht.

  »Das ist alles kein Grund, dich so zu behandeln. Es tut mir wirklich leid.«

  Ich bemühte mich um ein Lächeln. »Ist schon vergessen. Mach dir keinen Kopf.«

  »Danke, das ist echt anständig von dir.« Knox seufzte erleichtert. »Und jetzt sehen wir mal, dass wir dir etwas zu essen beschaffen. Worauf hast du Hunger?« Er ging in den hinteren Teil der Küche, wo eine Tür zur Speisekammer führte. Einer der Gönner von ReVerse versorgte uns regelmäßig mit Lebensmitteln, die er irgendwo aus dem Ausland bekam.

  »Kein Stress. Ich nehme das, was da ist.« Noch auf dem Rückflug hatte ich gedacht, heute nichts mehr essen zu können. Aber ich hatte Hunger, richtig Hunger. Mein Selbsterhaltungstrieb war offenbar stärker als meine Schuldgefühle.

  »Bin gleich wieder da.« Knox verschwand in der Speisekammer. Ich holte mir etwas zu trinken und setzte mich an den Tresen. Im gleichen Moment bekam ich eine Botschaft auf die EyeLinks.

  Wir schalten dich um. Lucien geht ins Bett.

  »Na, das ging ja schnell«, murmelte ich düster. Obwohl er nur eine Rolle spielte und ich die Letzte war, die Ansprüche stellen durfte, wurmte mich das mit Elodie.

  Er ist allein. Schließlich ist er Profi.

  »Okay.« Ich war einerseits erleichtert, andererseits auch nicht. Denn nun musste ich bis morgen warten, um mit Lucien zu sprechen – wenn er mir überhaupt zuhören wollte. Die Tatsache, dass er so früh schlafen ging, machte mir wenig Hoffnung.

  Knox kam zurück.

  »Mit wem redest du?«

  »Mit mir selbst. Bevor du fragst – ja, ich weiß, dass das ein Anzeichen für Wahnsinn ist.«

  »Ich habe mal gelesen, es wäre ein Zeichen für Intelligenz.«

  Ich lächelte. Es war süß von ihm, dass er gut Wetter machte und versuchte, das wieder geradezubiegen. Aber am Ende war es sinnlos. Ich mochte Knox, ich hatte ihn geliebt, liebte ihn auf eine Art immer noch. Das war nicht verschwunden. Aber wir standen auf verschiedenen Seiten und nichts war mehr wie früher. Heute war mir das bewusster denn je.

  »Was haben wir heute auf der Karte?«, fragte ich und deutete auf die beiden Boxen in Knox’ Händen.

  »Reste vom Abendessen – vegetarischen Auflauf mit Kartoffeln oder synthetisches Hühnchen.«

  Ich lachte. »Das klingt wie das Wochenmenü von Maraisville. Synthetisches Hühnchen war der Dauerbrenner.«

  »Ja, das hat Emile auch schon erzählt.« Knox grinste. »Aber das hier schmeckt wirklich gut, Tatius hat es gekocht. Also?«

  »Ich verzichte auf das Hühnchen, glaube ich.« Ich nickte, und Knox machte sich daran, eine Portion des Auflaufs für mich aufzuwärmen. Dabei sah er mich immer wieder an, als wüsste er nicht, ob er etwas sagen sollte.

  »Los, frag schon«, meinte ich nach dem dritten Mal.

  »Du hast gesagt, du willst heute nicht über die OmnI reden.«

  »Ja, aber ich wäre auch neugierig, also bringen wir es hinter uns. Vielleicht schlafe ich dann ruhiger.« Vor allem redeten wir dann nicht über uns.

  Er schaltete den Heater ein. »Ist es so krass, wie man sagt? Durchleuchtet sie einen bis zum letzten Zucken der Augenbraue?«

  »Normalerweise schon. Aber sie ist gerade nicht ganz auf der Höhe.« Ich war verwundert. »Wieso weißt du nichts darüber? Halten Troy und Costard dich nicht auf dem Laufenden?«

  Knox verzog das Gesicht. »Sie sind nicht gerade freigiebig mit Informationen, was die wirklich wichtigen Dinge angeht. Ich glaube, für sie bin ich nur ein dummer Handlanger.«

  Ich hätte widersprechen können, aber warum hätte ich das tun sollen? »Ich glaube, für sie sind wir alle nur dumme Handlanger.«

  »Du glaubst, sie nutzen ReVerse nur aus? Costard und die anderen?«

  »Ich rede nicht von Costard«, korrigierte ich ihn. »Ich glaube, dass die OmnI uns alle ausnutzt. ReVerse, Troy, Costard, dich, mich. Ich weiß, dass Ferro geglaubt hat, wir wären in der Lage, sie zu zähmen. Oder noch irrer, dass sie mit uns zusammenarbeiten würde, nur weil wir sie befreit haben.« Ich schnaubte. »In solchen Dimensionen denkt sie aber nicht. Dankbarkeit, Vertrauen, Freundschaft, das sind keine Kategorien, mit denen sie etwas anfangen kann.«

  »Also, meinst du, es geht ihr nur um ihren eigenen Vorteil?«

  »Worum sonst? Welchen Grund hätte sie, an etwas anderes
zu denken?«

  Knox sah mich lange an, in seinem Kopf schien es zu arbeiten. Ich wusste nicht, worauf ich hoffte. Natürlich wollte ich, dass er die Wahrheit erkannte und ReVerse den Rücken kehrte, schon um seinetwillen. Aber wenn er das tat, was änderte das? Uns hatte immer der gemeinsame Feind verbunden, die gemeinsame Mission. Ich wusste nicht, ob zwischen uns noch etwas war, wenn das wegbrach – nicht nur, weil ich permanent an ­Lucien denken musste. Wenn ich Knox ansah, dann war da kein Kribbeln, kein Flattern, kein Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft mehr.

  »Keine Ahnung.« Knox reichte mir den Teller mit dem aufgewärmten Essen und holte eine Gabel aus der Schublade. »Ich will das Ende der Abkehr, ich will es unbedingt. Und wir brauchen die OmnI dafür. Aber wenn sie eigentlich nur uns benutzt statt umgekehrt …«

  »Dann sieht die ganze Sache plötzlich ganz anders aus, od-« Eine Erschütterung zuckte durch den Boden. Alarmiert sah ich auf. »Was war das?«

  »Wahrscheinlich spielen die Jungs mal wieder in der Eingangshalle Hockey«, meinte Knox. »Oder es ist ein leichtes Erdbeben.«

  »Nein, das –« Da war es schon wieder, nur stärker. Mein Teller klirrte leise auf den Fliesen der Theke. Ein ungutes Gefühl kroch in mir hoch. Ich stand auf.

  Das Beben hörte auf, aber nur für Sekunden. Bei der nächsten Welle schepperte sämtliches Geschirr im Schrank, von der Decke rieselte der Putz. Dann trampelte jemand die Treppe herun­ter und im nächsten Moment riss Jye die Tür auf.

  »Wir werden angegriffen!«, rief er.

  »Was?!« Knox und ich waren bei ihm, bevor er antworten konnte. Schnell hetzten wir hinter ihm die Treppe hinauf.

  »Wer? Wie?« Das waren nur zwei der Fragen, die mir durch den Kopf schossen.

  »Wir waren am Pool und plötzlich kam eine FlightUnit he­ran­geschossen und hat mit irgendetwas die Südseite getroffen!« Jye hielt sich am Geländer fest, als der Boden erneut bebte.

  Als wir in die Eingangshalle kamen, war eine der Lampen von der Decke gekracht und hatte einen der ReVerse-Jungs erwischt. Jye blieb bei ihm, ich lief mit Knox hinaus auf die Terrasse. Scherben knirschten unter meinen Schuhen.

 

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