001 - Wild like a River
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Dylans Mercedes-G-Klasse wirkt neben moderneren SUV s wie ein kastenförmiger Dinosaurier, doch immerhin nutzt er den Geländewagen angemessen. Mit seiner Freundin Debbie ist er an den Wochenenden häufiger mal offroad unterwegs. Wieso habe ich die Tour durch den Jasper National Park eigentlich mit einem Typen geplant, der einen Porsche 911 in der Garage stehen hat?
Ich öffne die Tür zur Beifahrerseite, bevor ich in die Gefahr gerate, mich auf der Rückbank weiter von Cayden oder Chase ausfragen lassen zu müssen. Vier Türen werden zugeworfen, und mit einem sonoren Grollen startet der Motor.
Der Wagen rollt auf die Straße, auf der Rückbank stimmen Cayden und Chase völlig schief Kaylees Geburtstagslied an, und Dylan lacht. «Oh Gott. Warum machen wir da noch gleich mit?» Er wirft mir einen kurzen Blick zu. «Also, erzählst du jetzt, wie deine Woche lief?»
Zum ersten Mal, seit ich aus meinem Auto gestiegen bin, entspanne ich mich. «Es war großartig. Wirklich. Es war … keine Ahnung, wie ich das erklären soll. Einfach sehr … entspannend.»
Das trifft es so ungefähr überhaupt nicht, aber mir fehlen die Worte, um zu vermitteln, was die letzte Woche in mir ausgelöst hat. Von Haven mal ganz abgesehen.
«Als würde man aus seinem Alltag fallen, oder? Alles löst sich auf, und zurück bleibt nur man selbst.»
Erstaunt werfe ich Dylan einen Blick zu. «Kommt hin», erwidere ich. «Du kennst dich offenbar damit aus.»
Liebevoll tätschelt er das Lenkrad. «Auf jeden Fall. Ich brauche das. Wo bist du überall gewesen?»
In den nächsten Minuten erzähle ich von den Athabasca Falls, von Pikas zwischen Felsen und vom türkisblauen Horseshoe Lake.
«Debbie und ich waren da auch schon», merkt Dylan an. «Hast du auch den Medicine Lake gesehen? Oder den Maligne Canyon?»
«Nein.»
«Nicht?» Jetzt ist es an Dylan, mich erstaunt anzusehen. «Die lässt sich eigentlich niemand entgehen, der zum ersten Mal dort ist. Das sind doch quasi die Aushängeschilder des Jasper National Park.»
«Das nächste Mal. Du hast gar nicht erzählt, dass du dich dort auskennst.»
Er zuckt mit den Schultern. «Ich hab’s Cayden gegenüber mal erwähnt. Schien mir aber nicht so wichtig.»
«Du hättest mitkommen sollen.»
«Ach, na ja.» Er grinst mich kurz an. «Ich wollte erst mal abwarten, ob das überhaupt was für euch ist. Steht ja nicht jeder drauf.»
«Cay definitiv nicht», sage ich und grinse ebenfalls.
«Das war doch klar», entgegnet Dylan lachend.
«Was ist mit mir?» Cayden streckt seinen Kopf zwischen den Sitzen hindurch. «Redet gefälligst lauter, wenn’s um mich geht.»
«Du stehst nicht so aufs Wandern», erkläre ich und drehe mich zu ihm um, als er sich daraufhin zurückfallen lässt.
«Aber sicher stehe ich da drauf», erklärt er. «Solange es keine Mücken gibt und man jederzeit duschen kann. Und ohne verstauchten Knöchel.»
Daran hab ich ja gar nicht mehr gedacht. «Wie geht es deinem Fuß?»
«Okay. Fühlt sich schon fast wieder in Ordnung an. Hey, Dylan, da war ein Parkplatz! Fahr zurück, weiter vorn finden wir garantiert nichts mehr.»
Auch Kaylee wohnt in keinem der Studentenwohnheime, sondern zusammen mit ihren beiden Freundinnen Stella und Diane im Stadtteil Strathcona in einem der vielen Holzhäuser mit weitläufiger Veranda und schrägen Giebelfenstern. Cayden hatte recht. Jede Menge Autos drängen sich am Straßenrand, und nachdem wir geparkt haben, treffen wir schon eine ganze Reihe an Leuten auf dem Weg zum Haus.
«Wir sollten das mit diesem Geburtstagslied vielleicht einfach vergessen.» Chase räuspert sich nervös, während wir die Stufen zur Veranda hinaufsteigen und den Leuten ausweichen, die sich hier mit Flaschen, Kippen oder beidem niedergelassen haben.
«Warum? Das ziehen wir jetzt durch.» Cayden streicht sich die Haare aus dem Gesicht, die sofort wieder zurückfallen. Er presst den Finger auf den Klingelknopf. Sekunden später reißt Stella die Tür auf. Sie trägt ein enges, weißes Kleid, auf dem sich ihre langen, dunklen Haare abheben, und ein knallroter Lippenstift betont ihre vollen Lippen. Chase pfeift durch die Zähne, doch Stella beachtet ihn gar nicht.
«Jax!» Im nächsten Moment hat sie ihre Arme um meinen Hals geworfen, und der Kuss, den sie mir verpasst, verfehlt meinen Mund nur knapp. «Na endlich! Wir warten schon auf euch.»
«Hi, Stella. Wo ist Kaylee?», will Cayden wissen.
«Hier!» Kaylee erscheint im Türrahmen, die hellblonden Haare zu einem zerzausten Knoten zusammengesteckt. Sie drückt Stella ihr Glas in die Hand und hüpft Cayden geradezu in die Arme, der trotz der Tatsache, dass Kaylee wirklich winzig ist, einen Schritt nach hinten stolpert, bevor er lachend Kaylees Hintern umfasst. «Hey! Happy Birthday!»
«Danke!», ruft sie fröhlich und küsst ihn dann mit einer Leidenschaft, bei der sogar ich mich kurz frage, ob aus ihrer Bettbeziehung in den letzten Tagen etwas Ernstes geworden ist. Nein. Unmöglich. Kaylee würde ich das noch zutrauen, aber nicht Cayden.
Chase beobachtet die beiden ebenfalls. «Ich geh schon mal rein», teilt er Dylan und mir mit. «Das kann ja noch länger dauern.»
Doch gerade, als er sich an uns vorbeidrängeln will, befreit Cayden sich aus Kaylees Armen und wirft uns einen auffordernden Blick zu.
Zumindest haben alle was zu lachen. Einige fallen sogar ein, als wir mit Stevie Wonder starten, über den Klassiker «Happy Birthday» zu «Dance Dance» von den Fall Out Boys kommen – genau genommen kein Geburtstagslied, aber einer von Kaylees Alltime-Favorite-Songs – und schließlich mit Kygo enden.
Kaylee ist hingerissen, und während es zwischen ihr und Cayden noch auf der Veranda schon wieder auszuufern beginnt, schieben Dylan, Chase, Stella und ich uns endlich nach drinnen.
Die Musik ist brüllend laut. Sie dröhnt nicht nur aus den Boxen im Wohnzimmer, sondern auch aus dem oberen Stock, allerdings ist es nicht dieselbe. Dylan bleibt sofort bei Debbie hängen, die unter einer riesigen Topfpalme zusammen mit ein paar Freundinnen auf einer breiten Ledercouch sitzt, doch Chase, dem es bereits gelungen ist, sich ein Bier zu organisieren, nickt zur offenstehenden Terrassentür hin. «Gehen wir raus?», will er wissen und beginnt bereits, sich zwischen den Leuten hindurchzudrängeln. «Da ist bestimmt auch das Buffet aufgebaut.»
Stella greift nach meinem Arm und zieht mich hinter sich her. Im Garten angekommen, versuche ich vorsichtig, mich ihr zu entziehen, doch ihr Griff wird nur noch fester.
«Können wir kurz mal reden?»
«Jetzt?», frage ich entgeistert. «Hier?»
«Wirklich nur kurz.» Sie wirft Chase einen schnellen Blick zu, der sein Bier anhebt und wortlos in Richtung des Tischs verschwindet, auf dem sich gefüllte Platten, Schalen und Teller drängen.
«Eigentlich habe ich auch Hunger …» Es ist ein sinnloser Versuch, und Stella geht erst gar nicht darauf ein. Stattdessen steuert sie die überdachte Hollywoodschaukel an, die noch von den Vormietern vor einem mächtigen Fliederbusch steht und die Diane neu hat beziehen lassen. Als ich das Ding zum ersten Mal gesehen habe, waren es rote Rosen, jetzt ist es ein Kuhfleckenmuster. Keine wirkliche Verbesserung, wie ich finde.
Bis hierher hat die Party sich noch nicht ausgebreitet. Die meisten stehen vor dem Buffet oder um den beleuchteten Pool, und nur wenige Leute unterhalten sich in Grüppchen in unserer Nähe.
Stella zieht mich neben sich auf die dicken Polster, und das Ding schwingt hin und her, während sie sich zurücklehnt, ohne meine Hand loszulassen.
«Ich hab nachgedacht», beginnt sie, und ich frage mich, ob sie vorhat, noch einmal alles durchzugehen, was wir bereits mehrfach in voller Länge besprochen haben. «Weißt du, ich hatte immer das Gefühl, du bist noch nicht über deine Ex-Freundin hinweg. Über … Lynn.»
Okay, dieser Ansatz ist neu. Und ich bin nicht ganz sicher, ob mir gefällt, welche Richtung das nimmt.
«Sorry, ich überfalle dich einfach so.» Sie lacht kurz auf und lässt endlich meine Hand los. Behutsam rücke ich ein Stück von ihr weg. Wenn ich etwas unbedingt vermeiden will, dann einen tränenreichen Ausbruch wie be
im letzten Mal, bei dem wir eigentlich vereinbart hatten, die ganze Sache auf sich beruhen zu lassen. Die wütende Stella ist mir sehr viel lieber. Es ist um einiges leichter, sich gegenüber einer Frau zu verschließen, die erst mit einem anderen herummacht, um dir dann im Anschluss die Schuld daran zu geben, als unbeeindruckt zu bleiben, wenn dieselbe Frau in Tränen aufgelöst ist. Oder plötzlich auf die Ex-Freundin zu sprechen kommt. Zumal, wenn es sich dabei um Lynn handelt.
«Ich will nur … also, ich möchte, dass du weißt, dass ich an diesem Abend nicht vorhatte, irgendetwas mit Trey anzufangen.»
«Ja», erwidere ich langgezogen. «Das hast du mir schon erklärt.»
«Als Trey sich so rangeschmissen hat, dachte ich auf einmal, vielleicht würde es bei dir irgendetwas auslösen. Es war total blöd von mir, aber ich hatte gehofft, du würdest vielleicht eifersüchtig werden oder so. Und dadurch mitkriegen, dass du … na ja … einfach mit mir zusammen bist und nicht mehr mit Lynn.»
Ich verkneife mir die Bemerkung, dass man auch versuchen könnte, jemanden eifersüchtig zu machen, indem man den ganzen Abend mit einem anderen Typen redet .
«Stella, ich war nach Lynn auch mit anderen zusammen …»
«Von denen hast du aber anders gesprochen.»
Notiz an mich selbst: Nie mehr einer Frau gegenüber Lynn erwähnen. Es scheint offenbar unmöglich zu erklären, was damals wirklich zwischen Lynn und mir geschehen ist. Unwillkürlich kehrt meine Erinnerung zu dem Moment zurück, in dem ich vor langer Zeit diesen Fastfoodladen betreten habe und Lynn zusammen mit einem Typen in einer der Nischen quasi aufeinandersitzen sah. Im ersten Moment hatte ich keine Ahnung, wie ich reagieren sollte. Die Option, so zu tun, als hätte ich nichts mitbekommen, einfach wieder rückwärts den Laden zu verlassen und sich vorzustellen, ich hätte nicht ausgerechnet jetzt Lust auf einen blöden Burger gehabt, schien nicht die schlechteste zu sein. Dann sah Lynn auf und mir direkt in die Augen.
Stella rutscht unruhig hin und her. «Jax … es tut mir wirklich leid. Können wir es vielleicht einfach vergessen? Es war … es war nicht einmal besonders gut.»
Um ein Haar muss ich grinsen. Meine Gedanken wandern vom Fastfoodladen zu einer Küche, zu Caydens und meiner Küche, um genau zu sein. Stella saß auf der Arbeitsfläche neben dem Kühlschrank, den engen Rock so weit hochgeschoben, dass man nur deshalb nicht direkt zwischen ihre Beine gucken konnte, weil dort dieser Typ stand, der sich mit einer Hand am Schrank darüber abstützte und die andere in ihrer geöffneten Bluse vergraben hatte. Beide waren so beschäftigt, dass Stella es nicht einmal mitbekam, dass ich nur wenige Meter von ihnen entfernt stand. Unter dem Gejohle irgendwelcher Leute, die gespannt darauf gewartet hatten, was wohl passieren würde, habe ich schließlich den Kühlschrank geöffnet, Stellas entsetzten Blick mit einem Nicken beantwortet und bin mit zwei Flaschen Bier wieder gegangen. Eine davon war eigentlich für Cayden gedacht gewesen, der nur verständnisvoll nickte, als ich ihm erklärte, er müsse sich selbst eine Flasche besorgen, ich würde beide brauchen.
Es gefällt mir noch immer nicht, mich daran zurückzuerinnern – wer steht schon gern wie ein Vollidiot da? –, doch es schien mir nicht so, als hätte Stella irgendetwas dagegen gehabt, sich von dem Kerl ablecken zu lassen.
«Stella …», beginne ich gedehnt.
Sie sieht auf, und es ist noch hell genug um zu erkennen, dass sie angestrengt Tränen wegblinzelt. «Warum gibst du nicht wenigstens zu, dass du noch dieser Lynn hinterherhängst?», unterbricht sie mich. «Weißt du – du bist gar nicht beziehungsfähig!»
Bevor ich darauf etwas erwidern kann, steht sie auf.
«Irgendwann wirst du das vielleicht kapieren, und dann wird es dir leidtun, so ein … gleichgültiger … ignoranter …», sie sucht angestrengt nach Worten, die sie mir noch an den Kopf werfen kann, «… Idiot gewesen zu sein», endet sie schließlich wenig spektakulär. «Nur weil man gut aussieht, hat man deshalb noch lange nicht das Recht, sich anderen gegenüber wie ein Arsch zu benehmen!»
Mit diesen Worten dreht sie sich um und marschiert zurück zum Haus. Ich bekomme noch mit, wie Diane sie abfängt, und weil sie unmittelbar darauf in meine Richtung gucken, ist ziemlich klar, dass Stella gerade noch einmal ihrer Freundin erzählt, was es über sie, Lynn und mich zu wissen gibt.
Lynn hat über einen wesentlich längeren Zeitraum mit einem anderen rumgemacht als Stella mit dem Kerl neben dem Kühlschrank. Und ihr Betrug war sehr viel bitterer.
Das liegt allerdings nicht daran, dass ich in Lynn verliebt gewesen wäre und in Stella nicht. Genau genommen war ich nie in Lynn verliebt, während ich bei Stella anfangs dachte, es könne mehr daraus werden.
Lynn dagegen war meine beste Freundin gewesen, seit Jahren schon, schon immer. Ein Leben ohne Lynn kannte ich nicht, und trotzdem habe ich sie nie auf diese Art geliebt, von der Stella ausgeht. Lynn war der Mensch, mit dem ich über alles reden konnte, und was unsere Freundschaft letztlich zerstörte, war nicht dieser andere Mann. Sondern die Tatsache, dass Lynn mir nicht vertraut hat.
«Was war das denn gerade?» Cayden wirft sich mit so viel Schwung neben mich, dass die Hollywoodschaukel quietschend ins Schwingen gerät. «Sah nicht so aus, als hättet ihr euch versöhnt.» Er hält ein hohes Glas in der Hand, Limone und Eiswürfel in einer klaren Flüssigkeit. «Brauchst du einen Drink?»
Ich schüttele den Kopf. «Da gibt es nichts zu versöhnen. Ich war nie richtig sauer auf Stella.»
«Okay, wenn du ihr das gesagt hast, verstehe ich, warum sie sauer auf dich ist.»
«Nein, es ging um etwas anderes. Es ging um Lynn», setze ich auf Caydens fragenden Blick hinzu.
«Ah», erwidert er, als sei damit alles erklärt. Vermutlich ist es das auch. Cayden weiß von der Geschichte um Lynn, und im Gegensatz zu Stella hat er die Sache kapiert.
«Ich dachte übrigens, du hättest Stella von dem Waldmädchen erzählt», sagt er jetzt.
Okay, das gilt es auch noch zu regeln. «Hör zu, Haven wird nächsten Freitag nach Edmonton kommen»
«Sie besucht dich? Wo übernachtet sie? Etwa bei uns?»
«Sie besucht mich nicht, sie … plant, für ein paar Monate in Edmonton zu leben.»
«Was?» Cayden sieht mich entgeistert an, auf seinem Gesicht liegt ein äußerst ungewohnter Anblick. «Zieht sie etwa gleich ein? Das hättest du vorher mit mir absprechen müssen.»
«Sie zieht nicht bei uns ein. Sie wird bei ihrer Tante wohnen und will ein Gastsemester am Rutherford machen. Falls das in diesem Semester noch möglich ist.»
«Sie studiert? Ich dachte, sie hätte nicht mal einen Schulabschluss.»
«Natürlich hat sie den», erwidere ich scharf. «Und wenn alles klappt, wird sie an dieselbe Uni gehen wie du und ich, und ich will, dass du dich ihr gegenüber zurückhältst.»
Cayden beginnt zu grinsen. «Ich hatte nicht vor, mich an sie ranzumachen.»
«Lass sie einfach in Ruhe. Keine blöden Sprüche. Und hör auf, von ihr als ‹Waldmädchen› zu sprechen.»
«Du stehst wirklich auf sie, oder?»
«Kannst du einfach tun, worum ich dich bitte?»
«Seid ihr zusammen?»
Sind wir das? Ich … ich schätze schon. «Ja», erwidere ich knapp.
«Und das erzählst du gar nicht?»
«Wann hätte ich das denn erzählen sollen? Ich bin erst seit ein paar Stunden wieder da, und in dieser Zeit musste ich Geburtstagslieder singen und mit Stella rumdiskutieren.»
«Eine Freundin . Scheiße, Jax, du kommst aus dem Wald zurück und schleppst eine neue Freundin an.» Cayden lacht auf. «Aber du hast sie nicht versehentlich geschwängert, oder?»
«Genau solche Sprüche verkneifst du dir in Zukunft bitte.»
«Meinst du, damit kommt sie nicht klar?» Sein Grinsen gefällt mir nicht.
«Wer kommt damit schon dauerhaft klar? Tu mir einfach den Gefallen, in Ordnung?»
Statt zu antworten, trinkt Cayden einen Schluck, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. «Ich werde mir Mühe geben», sagt er dann.
«Cayden!»
«Ehrlich.»
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HAVEN
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bsp; D ie letzte Woche verstreicht zäh und gleichzeitig viel zu schnell. Sowohl Dad als auch ich bemühen uns angestrengt, so zu tun, als sei alles wie immer, während wir versuchen, die Dinge, die besprochen werden müssen, möglichst unbeschwert einfließen zu lassen.
Als meine Tante sich meldet, um zu berichten, dass es ihr tatsächlich gelungen ist, an der Uni eine Ausnahme für mich zu erwirken, gratuliert er mir steif und spricht den restlichen Abend über kaum mehr ein Wort.
Jedes Mal, wenn ich dazu ansetze, über Mum zu reden oder darüber, wie wichtig es für mich gewesen wäre zu wissen, dass ich eine Tante in Edmonton habe, scheinen sich die Worte zu verflüchtigen, die ich mir den Tag über zurechtgelegt habe. Am Abend vor meiner Abreise versuche ich erst gar nicht mehr, Dad noch einmal darauf anzusprechen.
Ich habe gekocht, Gemüsecurry mit Kokosmilch, genug, dass es auch für den nächsten Tag noch reicht. Mein Vater ist früh nach Hause gekommen, so wie die ganze Woche über, und als er seinen Teller beiseiteschiebt, haben wir bereits darüber gesprochen, ob ich mich mit dem Wagen sicher genug fühle, um damit in Edmonton herumzufahren, und sind gerade bei Samuel gelandet, meinem Cousin, von dem Tante Caroline mir heute erzählt hat. Er ist acht, und sie meinte, sie habe bisher nicht daran gedacht, ihn zu erwähnen, weil sie immer wieder vergesse, wie lange mein letzter Besuch bei ihnen zurückliege. Und heute habe ich plötzlich gedacht: Moment, Sam ist acht Jahre alt – Haven kann ihn gar nicht kennen , habe ich noch Carolines Stimme im Ohr. Er freut sich auch sehr auf dich. Er, Lucy – wir alle!
Meine bisher ausgesprochen winzige Familie hat sich damit um einen kleinen Jungen erweitert, was dazu geführt hat, dass ich den Nachmittag über in einem Gefühl beklommener Freude herumgelaufen bin.
«Ich wollte dir noch etwas geben.»
In Dads Blick bei diesen Worten liegt etwas, das mich sogar Samuel für den Moment vergessen lässt. Er ist ernst und fast ein wenig … unsicher, etwas, das an Dad äußerst selten zu bemerken ist. Er steht auf, steigt die Treppe hinauf nach oben, und als er wieder zurückkommt, trägt er ein Buch in den Händen, ein großes, quadratisches Buch mit einem dunkelroten Einband aus Stoff.