»Hast du dich geschnitten?«, fragt er leise mit dem Blick auf mein Pflaster. Ich habe es heute Morgen noch mal gewechselt, weil der Schnitt in der Nacht wohl doch aufgegangen ist.
»Halb so schlimm«, flüstere ich und frage mich, ob er mich überhaupt hören kann, so wild wie mein Herz schlägt.
Er nimmt mir die Scherben aus der Hand, legt sie zurück auf den Boden.
»Können wir uns darum später kümmern?«, fragt er, ohne meine Finger wieder freizugeben. »Ich will dich etwas fragen.«
Mein Atem geht stockend vor Nervosität.
»Okay.«
»Ich habe ein bisschen Angst, dass du wieder ausflippst und wegrennst.« Er lächelt mich schüchtern an.
»Das mache ich nicht mehr«, erwidere ich, denke erneut an den Brief und an all die Möglichkeiten, die wir jetzt haben.
Jasper lacht. »Was auch immer passiert ist …« Dann atmet er tief ein, als würde er neu anfangen wollen. »Egal. Ich … ähm … ich würde dich gerne fragen, ob …« Er räuspert sich. »… ob du mir erlauben würdest …«
Seine Finger verweben sich mit meinen, und unsere Blicke treffen sich. Fragende Blicke, die sich ineinander spiegeln. Seine grünbraunen Augen sehen ganz wach aus. Schlau. Meine Finger zucken, so sehr wollen sie über sein Gesicht streichen. Mein Herz will es. Und mein Kopf will es auch. Ein absurdes Gefühl. Wie Freiheit. Wie Einklang.
»… dir zu zeigen, dass … ähm …« Er lacht leise und senkt den Blick. »Okay, in meinem Kopf klang es vorhin flüssiger, das kannst du mir glauben.«
»Was willst du mir zeigen?«, frage ich vorsichtig.
»Dass die Band nicht darunter leidet, wenn wir … miteinander … ausgehen.«
Die Band. Meine Ausrede, um Jasper auf Abstand zu halten. Beinahe muss ich laut lachen. Doch ich reiße mich zusammen.
»Und wie würdest du das anstellen?«, frage ich stattdessen.
»Ich … ich würde dich ausführen«, sagt er, und ich sehe, dass er leicht rot wird. »Wenn du es mir erlaubst«, schiebt er etwas unsicher hinterher. »Denn was auch immer dich zurückhält, ich glaube, wir können es aus der Welt schaffen.«
Es ist bereits aus der Welt geschafft, würde ich gern laut ausrufen. Ich atme tief ein. Stattdessen sage ich nur: »Ich erlaube es.« Fast entfährt mir ein Glucksen.
Jasper setzt sich auf, strafft die Schultern. Er sieht mich unverwandt an, auf den Lippen ein Lächeln.
»Und wie ist es hiermit?«, fragt er und nimmt mein Gesicht in seine Hände. Die Linke ebenfalls leicht klebrig von dem Kuchen.
»Erlaube ich auch.« Mein Herz galoppiert davon, und meine Gedanken überschlagen sich. Wir werden uns küssen. Wir dürfen uns küssen. Nichts von alledem ist verboten. Es ist kein Verrat. Es ist einfach nur schön.
»Und wie ist es hiermit?« Er nähert sich mit seinem Gesicht dem meinen. Ich sehe in seine Augen, lasse den Blick über seine Bartstoppeln, seine Lippen gleiten. Lippen, nach denen ich mich so sehr sehne.
»Erlaube ich auch.« Meine Stimme ist ganz rau und heiser.
Mit seinen Fingern zeichnet er langsam meine Unterlippe nach. Als ich die Spur mit der Zunge nachfahre, schmecke ich Kuchen. Auch ich hebe nun meine Hände, lege sie auf seine Wangen. Spüre seine Haut, die Stoppeln. Atme seufzend ein, gebe mich dem Gefühl hin, dass alles in mir zu ihm drängt. In seinen Arm. Zwischen seine Lippen.
»Erlaubst du, dass ich hier bin?«, fragt er und fährt mit seinem Daumen über meinen Mund. »Genau hier?«
»Ich erlaube es.«
Und dann ist er da. Genau da. Seine Lippen sind auf meinen, sanft und doch verlangend. Sie sind warm. Sie schmecken nach Frühstück und Kaffee. Sie schmecken nach Ankommen, nach Geborgenheit. Nach Freundschaft und Liebe.
»Es tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe«, raunt er an meinen Lippen.
»Wir brauchten beide Zeit«, sage ich.
»Nicht dafür!« Jasper lacht leise. »Ich meine, bis ich dich richtig gesehen habe.«
Wieder umschließt er meine Lippen mit seinen. Unsere Bewegungen sind in perfektem Einklang. Sie sind langsam, aber begehrend. Sie sind fordernd und hungrig, und doch vorsichtig.
Jasper öffnet die Lippen, und ich zögere keine Sekunde, sondern dringe mit meiner Zunge in ihn ein. Erkunde ihn, lerne ihn zum ersten Mal richtig kennen. Ich lasse mir Zeit, schmecke, forsche. Streiche sanft über seine Zunge, seine Lippen. Heiße ihn in meinem Mund willkommen. Wir werden eins. Verschmelzen zu einer Einheit. Zu etwas, das sich anfühlt wie die Erfüllung aller Träume. Ich höre seinen hungrigen Atem, spüre seine Wärme auf meiner Haut. Er soll nie wieder irgendwo anders sein als genau dort. Zwischen meinen Lippen. Seine Hände sollen für immer über meinen Körper wandern. Über meine Wangen, meine Schlüsselbeine, meinen Rücken. Und ich will mich für immer an seinen Schultern festhalten. Will ihn für immer schmecken, für immer seinen Duft inhalieren.
Doch auf einmal fällt mir etwas auf. Mein Mund verzieht sich zu einem breiten Grinsen.
»Was?«, fragt er etwas atemlos.
Nur widerwillig löse ich mich für einen Moment von ihm. »Du riechst nach Emmys Parfüm«, sage ich und lache.
»O Gott«, stöhnt er. Dann: »Hätte ich gewusst, dass du so drauf abfährst, hätte ich mir schon eher mal eine Flasche davon besorgt. Dem Geruch nach zu urteilen, kann es eigentlich nicht viel kosten.«
Ich pruste los. Und auch Jasper kann sich kaum noch halten. Wir lachen und lachen, und als wir uns wieder einigermaßen beruhigt haben, liegen wir auf meinem Teppich und halten einander fest.
»Das ist schön«, sagt Jasper.
»Das ist es.«
»Aber ich glaube, ich sollte mal nach den Kindern sehen.«
»Oh, ja klar«, sage ich und beeile mich aufzustehen.
Doch Jasper hält mich zurück und drückt mir noch einen Kuss auf meine Lippen. Einen heißen Kuss, der sich anfühlt, als könnte er nicht genug von mir bekommen. Dann lösen wir uns voneinander.
»Da fällt mir ein«, sage ich, »ich hab noch was für Weston.«
Von unter dem Bett hole ich eine Pappschachtel hervor. Ich öffne sie und ziehe ein paar Comichefte hervor.
»Die Runaways? «, fragt Jasper.
»Ich hab die als Kind verschlungen«, sage ich. »Und Weston hat mir erzählt, ihm fehlt Volume 1.«
Jasper nimmt meine Hand und drückt einen Kuss darauf. »Ich weiß nicht, wer von uns beiden mehr auf dich steht, Weston oder ich«, sagt er. »Gut, dass ich dich zuerst um ein Date gebeten habe.« Er lacht wieder, und gemeinsam gehen wir nach unten.
Es ist etwas seltsam, nun wieder unter all den anderen Leuten zu sein. Es scheint, als hätten Jasper und ich gerade die Zeit angehalten und nur wir beide wüssten, was in dieser Viertelstunde geschehen ist.
Maya und Lula haben frische Pancakes auf das Büfett gestellt, Weston hat einen neuen Haarschnitt. Er hat wirklich verblüffende Ähnlichkeit mit Link.
»Bonnie, hilfst du mir eben mit den Getränken?« Es ist meine Mom, die leere Flaschen in die Küche trägt.
»Bin gleich da«, sage ich, und mit einem Blick zu Jasper: »Tut mir leid, ich glaube, ich sollte …«
»Kein Problem«, erwidert er und grinst. »Ich glaube, wir gehen dann mal nach Hause.«
Ich will ihm sagen, dass sie bleiben können, dass ich nicht will, dass er schon geht. Aber wahrscheinlich ist es besser, wenn ich hier meinen Pflichten nachkomme und wir uns die zweisame Zeit für unser Date aufheben. Das Date!
»Wir sehen uns morgen im Cat’s Cradle «, sage ich deswegen.
»Und am Mittwoch. Und zur Bandprobe. Und … zu einem Date«, sagt er, und mein Magen hüpft.
»Wann?«, frage ich leise.
»Freitag?«
»Freitag.«
Sein Lächeln wird breiter, und meine Mundwinkel fühlen sich an, als hätten sie mein Gesicht bereits verlassen.
»Bonnie?«, ruft meine Mom.
»Eine Sekunde! Weston?«, frage ich. »Ich hab oben Volume 1 von den Runaways gefunden.« Ich reiche ihm den Comicband.
Seine Augen funkeln. »Kann ich mir den ausleihen?«, fragt er.
»Ich schenk
e ihn dir«, sage ich und freue mich über sein glückliches Strahlen beinahe ebenso sehr wie über Jaspers.
42 – Jasper
Heute
»Es gibt Eis!«, rufe ich ins Haus.
Sofort geht drinnen ein Poltern los, und meine Mundwinkel heben sich unwillkürlich in die Höhe. Es ist viel zu einfach. Mit Eiscreme kriegt man sie immer.
Ich bewege mich seit ein paar Tagen auf einem schmalen Grat der Geheimniskrämerei. Es ist heikel, denn eine Stimme in meinem Kopf sagt mir, dass Bonnie unser Date erst einmal nicht an die große Glocke hängen will. Nach außen tun Bonnie und ich also so, als hätte sich nichts verändert. Wir werfen uns bei den Gigs oder den Bandproben verstohlene Blicke zu, die mein Inneres tanzen lassen. Doch dann gehen wir getrennte Wege. Obwohl ich nicht einmal weiß, dass Bonnie die Sache tatsächlich so sieht, bin ich mir doch ziemlich sicher, dass sie fürchtet, auf Widerstände zu treffen. Innerhalb der Band, innerhalb meiner Familie. Deswegen setze ich alles daran, diese Widerstände aus dem Weg zu räumen. Und heute will ich mit Weston und Maya sprechen. Denn meine Kinder sind die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Solange sie nicht an Bord sind … Ich schlucke. Selten war ich so nervös.
»Schokolade«, sagt Weston grinsend, als er vor seiner Schwester nach draußen tritt.
Maya quietscht glücklich und klettert neben Weston auf einen der Stühle. Sie ist viel zu klein, um ohne Kissen auf den Gartenstühlen zu sitzen, aber es scheint ihr nichts auszumachen, dass sie mit dem Kinn gerade auf der Höhe ihrer Schüssel ist.
»Hat jemand Geburtstag?«, fragt Weston und schiebt sich einen großen Löffel Eis in den Mund.
»Das nicht gerade«, sage ich und stochere verlegen mit dem Löffel in meiner Schüssel herum. »Aber es gibt etwas, das ich mit euch besprechen will.«
Weston legt seinen Löffel zurück in die Schüssel, und auch Maya sieht mich mit wachen Augen an. Sie runzelt die Stirn etwas. Das hat sie ganz eindeutig von mir.
Ich räuspere mich. Lasse meinen Blick durch den Garten wandern. Die frisch gepflanzten Büsche haben dicke Knospen gebildet. Es dauert sicher nur noch ein paar Tage, bis sie anfangen zu blühen. Der Rasen ist zu einer dichten, grünen Matte herangewachsen. Durch Hugos Hilfe ist dieser Ort endlich wieder eine Oase geworden. Ein Zeichen dafür, dass die Dinge sich entwickeln. Wachsen. Gedeihen, wenn man ihnen Zeit gibt und sich kümmert.
»Ihr wisst doch«, beginne ich, ohne dass ich so recht weiß, wohin es führen wird. Vielleicht hätte ich mir eine Rede aufschreiben sollen. Dann würde ich wie ein souveräner Dad wirken. Stattdessen bin ich nervös, als hätte ich mein erstes Klaviervorspiel vor Publikum. »Ihr wisst, dass ich euch über alles liebe, oder?«
»Hä?«, macht Weston. »Ja klar.«
»Du auch, Maya?«, frage ich.
Sie nickt und schiebt sich einen weiteren Löffel Eis in den Mund.
»Ihr seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben«, fahre ich fort und ernte einen verwunderten Blick von Weston. »Und früher war eure Mom auch einer dieser Menschen. Ist es noch«, schiebe ich schnell hinterher. »Ihr beide und eure Mom. Wir waren die tollste Familie, die man sich vorstellen konnte.«
Ich schlucke, als ich sehe, wie die Erwähnung ihrer Mom die Stimmung verändert. Maya hat keinerlei Erinnerung an Blythe. Sie kennt lediglich das Konzept einer Mutter. Und auch Weston war noch sehr klein. Er kennt lediglich die Trauer.
»Eure Mom wird immer eure Mom sein«, fahre ich fort. »So, wie ich immer euer Dad bin und ihr immer die wertvollsten Schätze in meinem Leben seid.«
Maya steckt ihren Finger in die Schüssel und rührt in der angeschmolzenen Eiscreme herum. Doch ich ignoriere es. Soll sie doch die Schokoladensoße überallhin schmieren. Das hier ist wichtiger.
»Dad«, sagt Weston in einem, wie mir auffällt, alarmierten Tonfall, »was ist los?«
»Es ist alles gut«, erwidere ich schnell. Das langsame Vorbereiten auf die eigentliche Nachricht ist vielleicht die sanftere Methode, aber sie lässt meinem Sohn offenbar zu viel Zeit, um sich Sorgen zu machen. »Ich will euch etwas erzählen. Etwas, von dem ich glaube, dass es schön ist.« Ich sehe von Weston zu Maya. Beide haben ihre Blicke nun fest auf mich gerichtet. »Zumindest ist es für mich etwas sehr Schönes«, füge ich leise hinzu. »Und ich hoffe, dass es euch auch gefällt.«
Das satte Grün des Rasens beruhigt mich. Das Zeichen dafür, dass vorwärts die richtige Richtung ist. Dass aus etwas Kahlem Neues entstehen kann. Etwas, das brachlag, lebt. Genau so sieht es nun in mir aus.
Ich nehme all meinen Mut zusammen, atme einmal tief ein und lasse es dann einfach raus. »Bonnie und ich, wir würden gerne miteinander ausgehen, wenn das für euch in Ordnung ist.«
Für einen Moment sagt niemand ein Wort. Um zu beweisen, wie normal diese Situation ist, nehme ich noch einen Löffel Eiscreme, obwohl mir eigentlich gar nicht danach ist.
»Ich mag Bonnie«, sagt Weston. »Aber bitte macht kein ekliges Zeug. Küssen und so.« Er tut so, als würde er sich übergeben, und ich muss lachen. Vor Erleichterung. Und vor Glück.
»Und du, Maya?«, frage ich dann und sehe in die großen dunklen Augen meiner Tochter. »Ist es für dich auch in Ordnung, wenn Daddy und Bonnie sich öfter sehen?«
»Ich mag Bonnie auch«, sagt sie ganz leise.
Und nun kann ich nicht mehr an mich halten. Ich springe auf, laufe um den Tisch herum und gehe zwischen meinen beiden Kindern in die Hocke. Ich lege meine Arme um sie und ziehe sie ganz fest an mich. Dabei ist es egal, dass Mayas Löffel erst auf meine Hose und dann auf den Boden fällt. Es spielt keine Rolle, dass ihr schokoladiger Mund an mein frisch gewaschenes Hemd gepresst wird. Weston windet sich etwas, doch ich kann ihn nicht loslassen. Ich habe einen Kloß im Hals, und ich muss mich wirklich, wirklich am Riemen reißen, um nicht laut loszuheulen, so unendlich dankbar bin ich für diese zwei kleinen Menschen, die mir das Wertvollste auf der ganzen Welt sind.
»Dad«, sagt Weston erstickt, »du tust mir ein bisschen weh!«
»Oh, entschuldige«, sage ich und lasse ein wenig lockerer, jedoch ohne meine Umarmung zu lösen. Dazu bin ich noch nicht bereit.
Ich bin so stolz auf uns. Wie wir als Familie zusammenstehen, wie wir alles hinkriegen. Die schlimmen Zeiten, die guten Zeiten. Die unsicheren und die gemütlichen. Und ich bin ein bisschen stolz auf mich – etwas, das ich sonst eigentlich nicht zulasse. Stolz darauf, wie ich die letzten vier Jahre gemeistert habe. Wie ich getrauert habe, wie ich wieder aufgestanden bin. Wie ich immer wieder hingefallen, doch nie liegen geblieben bin. Wie ich für meine Kinder da war, auch wenn es mich all meine Kraft gekostet hat. Wie es mir gelungen ist, eine Routine für uns zu finden, mit der wir alle so glücklich sind wie möglich. Wie ich es schaffe, Dad und Mom und Freund zu sein, je nachdem, was Weston und Maya brauchen. Wie ich keinen Druck auf Maya ausübe und Weston das Gefühl gebe, dass ich alles im Griff habe, damit er sich nicht noch mehr den Kopf zerbricht und sich Sorgen macht. Und ich glaube, Blythe wäre auch stolz auf mich. Ist stolz auf mich. Und ich weiß, sie freut sich für Bonnie und mich.
»Jetzt reicht’s, Dad«, sagt Weston und befreit sich aus meinem Arm, um sich wieder seiner Eiscreme zuzuwenden.
Ich lache leise, schließe für einen Moment die Augen. Dann kehre ich zu meiner Schüssel zurück, deren Inhalt inzwischen vollkommen zu Soße geworden ist.
Maya ist von ihrem Stuhl heruntergerutscht und steht vor mir, ihre kleinen Arme ausgestreckt.
»Willst du auf meinen Schoß?«, frage ich.
»Ja«, sagt sie, und es kommt mir vor wie der unwirklichste Klang, den ich je vernommen habe.
Ich hebe sie hoch und halte sie ganz fest. Vergrabe meine Nase in ihren dunklen Locken und entspanne mich. Vollkommen. Währenddessen schmiert Maya die Schokolade von ihrem Finger so ungefähr überallhin, aber es ist vollkommen egal. Weston verdreht die Augen, als er die Sauerei sieht. Doch das hier ist kein Moment zum Augenverdrehen. Es ist ein Moment, den wir feiern sollten. Also stecke ich einen Finger in die Schokoladensoße vor mir und male damit ein Strichmännchen auf den weißen Plastiktisch.
»Dad!«, schimpft Weston, aber Maya lacht.
»Das kann man doch wieder wegputzen. Und, ehrlich gesagt«, ich halte Mayas Hände hoch, »ist es ohnehin zu spät für Sauberkeit.«
Nun grinst auch Weston. »Okay, aber weißt du, was?«, fragt er. »Du hast die Sorgenfalte zwischen deinen Augen vergessen.«
Er geht um den Tisch herum und malt mit geschmolzener Eiscreme einen feinen Strich zwischen die Augen des Strichmännchens.
»Ja, jetzt erkennt man, dass ich es sein soll«, sage ich lachend. »Die Ähnlichkeit ist nicht zu übersehen.«
Von plötzlichem Eifer gepackt, beginnt Weston nun ein weiteres etwas kleineres Strichmännchen zu malen. »Das bin ich. Mit neuer Frisur«, sagt er und malt sich kurze Schokoladenhaare. Er kichert. »Maya, du bist dran.«
Maya steckt ihre Hand in meine Schüssel und malt mit dem Finger ein kleines Mädchen mit einem Dreieck als Kleid.
»Du hast Locken«, sagt Weston. »Schau, so.« Er malt ihr lockige Haare. »Bei dir stimmt sogar die Haarfarbe.«
Da kommt mir eine Idee. »Bei dir jetzt auch!«, rufe ich, klemme mir Maya unter den Arm und, noch ehe er sich in Sicherheit bringen kann, habe ich ihm mit meiner Schokoladenhand über die Haare gestrichen. Maya prustet, Weston stöhnt. Aber die Fröhlichkeit überwiegt eindeutig seine Genervtheit.
»Wir müssen noch Bonnie malen«, sagt Maya auf einmal. Und es ist weniger der Inhalt als vielmehr die Tatsache, dass sie einen langen Satz einfach so laut gesagt hat, der Weston und mich innehalten lässt. Doch schnell wird mir bewusst, was sie da gesagt hat, und das Glücksgefühl, das nun in mir aufsteigt, ist unvergleichlich.
»Hier«, sagt Weston und malt eine Strich-Bonnie mit langen Schokoladen-Braids. »Und das hier«, fährt er fort, »ist Hugo.« Hugo bekommt einen Schokoladen-Strohhut auf den Kopf.
»Dann müssen wir auch Grandma und Grandpa malen«, sage ich und versuche mich an einem Schokoladen-Rollstuhl für Charlie, während Maya einen ziemlich großen Con malt.
»Link fehlt noch«, sagt Weston mit einem Blick auf den Wohnwagen. Doch Link hat die Nacht bei Franzi verbracht. Weston steckt seinen Finger erneut in seine Schüssel und malt ein Strichmännchen mit Gitarre.
»Und Franzi«, fügt er hinzu und macht sich sogleich daran, sie neben Link zu malen.
Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition) Page 28