Love is Loud – Ich höre nur dich
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Sofort werden wir reingewunken. Drinnen ist es dunkel und laut. Auf der Bühne spielt auch hier eine Liveband, davor tanzen unzählige Körper. Es sieht ungezügelt und wild aus. Wie grenzenloser Spaß ohne Gedanken an ein Morgen. Ich blicke mich etwas orientierungslos um. Der ganze Laden scheint einfach nur ein großer Raum mit Bar und Bühne zu sein. Es gibt zwei Sitzecken mit zerschlissenen schwarzen Polstern. Auf der einen knutschen zwei Mädchen miteinander. Die Tische sind mit leeren Gläsern und Flaschen vollgestellt. Aber keiner stört sich daran, also beschließe ich, es auch nicht zu tun. Hugo wäre stolz auf mich .
»Drink?«, ruft Bonnie in mein Ohr.
»Gerne!« Ich nicke deutlich, für den Fall, dass sie mich nicht verstanden hat.
Sie nimmt mich an der Hand und zieht mich Richtung Bar. Ich glaube, Bonnie ist so ungefähr der coolste Mensch, mit dem ich je ein Wort gewechselt habe. Sie wirkt vollkommen furchtlos und als würde jeder mit ihr befreundet sein wollen. Sie bestellt zwei Bier und reicht mir dann eine Flasche.
»Erzähl«, sagt sie, »was führt dich in diese verrückte Stadt?«
Ich nehme einen Schluck, um Zeit zu gewinnen. Soll ich ehrlich sein und mich auslachen lassen? Leicht nervös spiele ich am Etikett meiner Flasche herum. »Also, ich habe gerade meinen Bachelor gemacht«, sage ich.
»Wow! Herzlichen Glückwunsch!«, ruft Bonnie. »Darauf trinke ich!«
Unwillkürlich muss ich lächeln. Ich habe meinen Abschluss nie als eine sonderlich große Leistung empfunden. Eher als etwas, das eben von mir erwartet wurde. Das nötig war, um eine Zukunft zu haben.
»Und bevor ich mir einen langweiligen Job suche, wollte ich noch ein Jahr für mich haben«, erzähle ich weiter, ohne überhaupt noch daran zu denken, dass das hier tatsächlich die lahme Wahrheit ist.
»Wie cool«, sagt Bonnie, und ich blicke erstaunt auf.
»Findest du?«, frage ich.
»Ist doch sehr mutig, oder? Ich bin noch nie wirklich aus New Orleans rausgekommen. Das hier ist alles, was ich kenne. Ich bewundere dich.«
Mir verschlägt es beinahe die Sprache. »Na ja«, bringe ich hervor, »wenn ich mutig wäre, würde ich vielleicht auf den Job danach verzichten und …« Ich halte kurz inne und denke an Hugo. »… und mir etwas suchen, das mir richtig viel Spaß macht. So wie ihr.«
»Danke für die Blumen! Aber romantisier den Scheiß, den wir machen, bloß nicht. Ist es großartig? Ja. Ist es mein Leben? Absolut. Aber es ist auch fucking hart.«
Ich nicke.
In diesem Moment erblicke ich Link. Er ist gerade zur Tür hereingekommen und versucht mal wieder seine Haare zu bändigen.
»Er braucht wirklich einen Haarschnitt«, sagt Bonnie neben mir.
»Ich finde, es sieht gut aus«, entfährt es mir.
»Link sieht immer gut aus«, sagt Bonnie und lacht.
Er kommt zu uns, und ohne Vorwarnung nimmt er mir das Bier aus der Hand und trinkt einen Schluck.
»Sorry«, sagt er. »Ich hol mir gleich selbst eins.«
Dann reicht er mir die Flasche mit einem schelmischen Grinsen zurück. Mir wird auf einmal seltsam bewusst, dass meine Lippen gleich dort sein werden, wo seine vor wenigen Sekunden waren, und ich bin froh, dass man in diesem Licht nicht sehen kann, dass ich bestimmt schon wieder rot werde.
»Geile Band«, sagt er. »Was meinst du, Frenzy? Jelly-Roll-Morton-ig genug für dich?« Er lacht und legt erst mir seinen rechten und dann Bonnie seinen linken Arm um die Schultern. »Was für ein Abend, oder? Das war fast schon historisch.«
Mir gefällt sein Selbstbewusstsein. Dass er keine Berührungsängste hat, sich nicht um Etikette zu scheren scheint. Genau wie Bonnie verkörpert er eine Leichtigkeit, die ich in Deutschland so von niemandem kenne. Ein bisschen wie Hugo vielleicht, jedoch auf eine junge und weniger grimmige Art.
»Willst du tanzen?«, fragt Bonnie an mich gewandt .
Dazu bin ich allerdings noch nicht bereit. Heute Nacht habe ich bereits mehr verrückte Dinge gemacht als im letzten Jahr zusammengenommen. Deswegen schüttle ich den Kopf.
»Nein, danke, gerade nicht. Aber geh ruhig, ich komme schon klar.«
»Link?«
»Immer.« Er nimmt sie an der Hand und will sie auf die Tanzfläche ziehen, doch Bonnie zögert kurz.
»Ist das okay für dich?«, fragt sie.
»Na klar.« Ich schwinge mich auf einen Barhocker, schlage die Beine übereinander, als hätte ich nie etwas anderes gemacht, und nehme einen Schluck von meinem Bier, die Augen auf Links Lippen gerichtet.
Im nächsten Moment verschmelzen die beiden mit der tanzenden Menge, und ich beobachte sie aus sicherem Abstand. Bonnie bewegt sich toll. Sehr geschmeidig. Aber das Tanzen ist hier nicht wie bei uns zu Hause im Club. Es folgt nicht diesen Musikvideo-Standards, für die ich völlig ungeeignet bin. Es ist viel freier und ausgelassener. Mein Blick wandert von Bonnie zu Link. Auch er kann sich bewegen. Richtig gut. Er hat seinen Körper völlig unter Kontrolle, nichts sieht zufällig aus, und dennoch wirkt es nicht einstudiert. Das ist Gefühl, denke ich. Wenn man einfach weiß, was man zur Musik machen muss.
Ich wippe mit meinem Fuß im Takt und nehme noch einen Schluck Bier. Zu Hause habe ich mich immer unwohl gefühlt, wenn ich am Rand saß und zugesehen habe, wie die anderen ihren Spaß hatten. Noch unwohler habe ich mich dabei gefühlt, wenn ich auch versuchte, ihren Spaß zu haben. Nichts funktionierte für mich. Aber hier scheint es völlig in Ordnung zu sein. Zumindest fühle ich mich nicht fehl am Platz.
»Einen Wodka mit Eis«, ruft jemand neben mir. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass es Curtis ist. »Oh, hi, Kleines«, sagt er. »Hast du Spaß?«
»Ja!«, erwidere ich. »Und du?«
»Geht so. Aber der hier wird es richten.« Er nimmt einen kräftigen Schluck Wodka.
»Tut es weh?«, frage ich und deute auf sein Gesicht.
»Wenn ich nicht darüber nachdenke, nicht«, antwortet er.
»Wie ist das passiert?«
»Ein Alligator.«
»Haha«, mache ich, weil ich ihm kein Wort glaube. »Hast du dich geprügelt?«
»Und wenn schon.«
Er ist ein bisschen kurz angebunden, macht allerdings auch keine Anstalten, wieder wegzugehen.
Bonnie löst sich aus der Menge und kommt wieder zurück. Sie verzieht das Gesicht. »Esmé ist da«, sagt sie zu Curtis.
»Irks«, macht Curtis.
»Wer ist Esmé?« Ich bin neugierig und suche die Tanzenden nach einem Hinweis ab. Dann fällt mein Blick auf Link, der mit einer ziemlich heißen Dunkelhaarigen tanzt. Und sie macht tatsächlich die Bewegungen aus den Musikvideos. Ganz eng an seinem Körper. »Das ist Esmé?«, frage ich, und Bonnie nickt.
»Bin nicht ihr größter Fan. Curtis auch nicht. Wenn ich es mir recht überlege, ist das niemand. Aber Link hat irgendwie ein funktionierendes Arrangement mit ihr.«
Ich nicke. Kurz bin ich ein bisschen enttäuscht, aber dann ist es mir egal. Schließlich bin ich für mich hier. Für mein Abenteuer.
Und deswegen: »Tanzen?«, frage ich und springe vom Barhocker.
»Immer«, sagt Bonnie, und zusammen gehen wir auf die Tanzfläche .
Einen Augenblick lang beobachte ich Bonnies Bewegungen. Es sieht spielerisch leicht aus. Sie beschreitet ein sehr rhythmisches Viereck auf dem Boden, wenn ich es richtig sehe. Dabei sind ihre Hüften ganz locker, und die Bewegungen der Arme wirken wie der Ausdruck ihrer Stimmung zur Musik. Ich versuche es ihr nachzutun. Bestimmt ist es viel steifer als bei ihr, viel unbeholfener. Aber es ist ein Tanz, so viel steht fest. Mein Tanz, und es ist mir völlig gleichgültig, was die Leute davon halten. Ob es nun daran liegt, dass ich in New Orleans bin, oder daran, dass ich mein drittes Bier trinke, ist dabei egal.
Je länger ich mich zur Musik wiege, desto leichter fällt es mir. Ich lege beinahe alle Scheu ab. Und auf einmal spüre ich zwei Hände auf meiner Hüfte. Dazu raunt eine Stimme in mein Ohr: »Nicht erschrecken, ich bin’s nur.«
Ich drehe mich um, und hinter mir steht Link, der sich ebenfalls im Takt wiegt. Dann beschleunigt die Band das Tempo, und wir werden alle wie auf Kommando ausgelassener. Wir sprin
gen, werfen unsere Arme in die Luft, und ich blicke an die Decke und frage mich, wie ich nur hierher geraten bin. In eine Menge von Menschen, in einen seltsam unschuldigen Flirt mit einem phänomenal aussehenden Gitarristen, in eine Unterhaltung mit dem coolsten Mädchen, das ich je gesehen habe. Und das alles an einem einzigen Abend.
Jasper gesellt sich zu uns, doch Bonnie scheint ein bisschen erschöpft zu sein. »Ich brauche eine Pause«, sagt sie und bahnt sich einen Weg zurück zur Bar. Link hat sich auch umorientiert und steht nun etwas abseits mit einer Blonden, die ihm angeregt Dinge ins Ohr flüstert. Und ich beschließe, dass es demnächst Zeit für mich wird, nach Hause zu kommen. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, hat Link vorhin gesagt. Und ich hatte heute so viel Spaß wie noch nie.
12
Lincoln
Ich lasse mich wieder einmal von Esmé auf die Tanzfläche winken. Die beiden Mädels, mit denen ich mich gerade unterhalten habe, waren nett, aber Esmé hat Argumente, denen ich heute Abend nicht widerstehen kann. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Bonnie und German Girl an der Bar sprechen. Frenzy gefällt mir. Ihre leichte Unsicherheit und Unbeholfenheit hat etwas Faszinierendes. Die Blondinen gefielen mir. Esmé gefällt mir. Heute Abend stört mich die Tatsache, dass sie mir an den Fersen klebt, seit sie in den Club gekommen ist, weniger als sonst. Solange ich mich um sie kümmere, ist sie richtig gut drauf. Und sie sieht verboten heiß aus in ihrem kurzen, schwarzen Kleid. Ich lasse meine Finger über ihren Körper wandern, spüre ihre Rundungen durch den dünnen Stoff und überlege, ob es falsch wäre, erst German Girl nach Hause zu bringen und dann noch bei Esmé aufzutauchen.
Als ich das nächste Mal aufblicke, kann ich Bonnie und Frenzy nirgendwo mehr entdecken. Ich bedeute Esmé, kurz zu warten.
»He, Jasper«, rufe ich. »Wo ist Bonnie?«
»Ich glaub, sie wollte ein Taxi für die Deutsche holen.«
»Aber ich hab doch gesagt, ich … sind sie draußen?« Auf einmal habe ich Esmé und all die anderen vergessen. Ich wollte sie nach Hause bringen.
Jasper zuckt mit den Achseln, und ich werfe ihm einen wütenden Blick zu. Das ist natürlich vollkommen ungerechtfertigt, er kann überhaupt nichts dafür. Ich bin nur genervt, dass ich nicht alles haben kann in diesem Moment.
Draußen stehen jede Menge Leute beim Rauchen und Kiffen. Hektisch sehe ich mich um. Frenzy müsste mit ihrer Hautfarbe eigentlich auffallen. Auf der anderen Straßenseite entdecke ich sie unter einer Laterne. Bonnie tippt etwas in ihr Handy, und Frenzy plappert vergnügt.
»He!«, rufe ich. »Sag das Taxi ab.«
Bonnie sieht überrascht zu mir hinüber. »Es ist in fünf Minuten da.«
Ich laufe über die Straße. »Ich hab gesagt, ich bringe dich nach Hause, also mache ich das auch. Ich will nicht, dass du mit irgendeinem Taxifahrer allein bist.«
»Sind Taxifahrer gefährlich?«, fragt Frenzy mit gerunzelter Stirn.
»Wenn du willst, können wir sofort los.« Es fühlt sich seltsam dringend an, derjenige zu sein, der dafür sorgt, dass sie sicher nach Hause kommt, obwohl es in einem Taxi viel bequemer für sie wäre. Und ich könnte direkt mit zu Esmé gehen. In meinem Kopf scheint sich etwas verschoben zu haben, denn es steht außer Frage, wo meine Prioritäten in diesem Moment liegen. Ich kenne German Girl zwar kaum, aber sie wirkt so vollkommen anders als alle meine anderen Eroberungen der letzten Jahre. Unschuldiger, vernünftiger. Meilenweit entfernt von meinem Beuteschema. Aber vielleicht ist es ja genau das, was ich auf einmal reizvoll finde.
»Okay«, sagt sie zögerlich und sieht Bonnie an.
Die zuckt mit den Schultern. »Bei Link bist du auf jeden Fall gut aufgehoben.« Sie klopft mir auf den Rücken. Dann umarmt sie Frenzy. »Hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen. Lass dich mal wieder blicken.«
German Girl lächelt und nickt. »Mich hat’s auch gefreut. «
»Na komm, bevor das Taxi hier auftaucht und der Fahrer Ärger macht.« Ich nehme sie an der Hand und ziehe sie über die Straße und um das Funk House herum, wo mein Fahrrad steht.
»Du musst mich wirklich nicht bringen«, sagt sie. »Das ist doch viel zu weit.«
»Wo musst du denn hin?«, frage ich. New Orleans ist groß, vielleicht wäre ein Taxi doch die bessere Alternative gewesen.
»In den Garden District.«
»Fancy«, sage ich. »Aber es ist nicht weit. Maximal eine halbe Stunde.«
»Sicher?« Sie sieht nicht überzeugt aus und nestelt an ihren Haaren herum, sodass ihre Ohren auf einmal zum Vorschein kommen. Süße, abstehende Ohren.
Doch ich winke ab. »Meine leichteste Übung. Bist du schon mal auf dem Lenker gefahren?«
Sie schüttelt kichernd den Kopf. »Auf einem Lenker?«
»Na komm, spring auf!«, sage ich.
Ich ziehe die Handbremsen, und Frenzy klettert geschickt auf den Lenker. Dann schwinge ich mich auf den Sattel und fahre los. Früher bin ich stundenlang auf diese Weise mit Bonnie durch Tremé geradelt. Wir haben allen möglichen Leuten Besuche abgestattet in der Hoffnung, Süßkram zu bekommen. Oft hat es geklappt. Ab und zu habe ich Blythe von der Schule abgeholt, wenn ich selbst schwänzte. Sie war jedes Mal sauer und hatte keine Lust, auf dem Lenker zu sitzen. Aber mir gefiel es, sie herumzufahren.
»Whoawhoawhoa«, macht Frenzy, als ich aus Versehen einem Schlagloch nicht ausweiche, und klammert sich fester an den Lenker.
»Lehn dich einfach nach hinten an meine Schulter«, sage ich. »Ich verspreche dir, es kann nichts passieren. Ich bin auf diesem Gebiet sehr erfahren. «
Sie lacht leise, lehnt sich aber wirklich zurück, sodass ich ihre Haare riechen kann, die sie in diesem Knoten versteckt. Bonnie versteckt ihren Körper in weiten Klamotten, Esmé versteckt ihre Unsicherheiten, Frenzy versteckt ihre Haare – was ist nur los mit den Frauen?
Da der Louis Armstrong Park ab Einbruch der Dunkelheit geschlossen ist, müssen wir außen herumfahren. Der Weg führt uns an einer großen, mehrspurigen Straße entlang, doch nachts herrscht glücklicherweise wenig Verkehr.
Wir kommen gut voran. Links von uns liegt das French Quarter, aber wir fahren über die Basin Street und die Loyola Avenue großzügig daran vorbei. Denn um diese Zeit macht es dort keinen Spaß mehr.
Frenzy dreht ihren Kopf etwas, sodass ihr Haarknoten meine Wange für den Bruchteil einer Sekunde berührt.
»Weißt du, was? Du solltest den Wind in deinen Haaren spüren«, sage ich.
»Tu ich doch«, entgegnet sie und lacht. Es ist ein hübsches Lachen. Leise, aber mit Potenzial. Ob sie sich zurückhält?
»Nein, ich meine so, dass die Haare im Wind fliegen.« Ich schüttle wild meinen Kopf. »So in etwa.«
Sie kreischt, weil ich bei dieser Aktion einen ungeplanten Schlenker mache. Aber sofort habe ich das Rad wieder unter Kontrolle.
»Bist du betrunken?«, fragt sie.
»Bist du betrunken?«, gebe ich zurück.
»Ein bisschen vielleicht.« Wieder ist da dieses leise Lachen. »Okay, halt an. Ich mache meine Haare auf. Aber morgen, wenn ich sie bürsten muss, werde ich dich hassen.«
»Aber nur kurz, oder?«, frage ich und wundere mich, dass es mir wichtig ist.
»Ja, nur kurz«, verspricht sie mir und springt vom Lenker .
Sie löst den Haargummi, bis ihre Haare schließlich frei sind, und fährt dann noch einmal hindurch.
»Krass«, sage ich. »Du bist ein ganz anderer Mensch.« Ihre Gesichtszüge wirken viel gelöster, als hätten die Haare sie bis eben irgendwie festgezurrt. Nun ist ihr Lächeln frei und ihr Gesicht eingerahmt von diesem Meer aus Haar, aus dem ihre Ohren hervorlinsen.
Sie lacht wieder, und ich könnte schwören, es ist ein bisschen lauter geworden.
»Okay, dann beweis mir, dass es sich gelohnt hat«, sagt sie und klettert wieder auf den Lenker.
Ich trete fest in die Pedale, damit wir schnell Fahrt aufnehmen. Frenzys Haare fliegen im Wind. Immer mehr und immer höher.
»Wooohoo«, macht sie lauter, als ich es von ihr erwartet hätte. »Du hast völlig recht, das ist toll«, ruft sie. Wieder das Lachen. Und der Duft ihrer Haare in meiner Nase. Einzelne Strähnen str
eichen über mein Gesicht, und ich genieße die flüchtigen Berührungen.
Als wir zum Lee Circle kommen, sagt sie: »Jetzt weiß ich, wo wir sind! Hier fährt mein Streetcar, oder?« Sie klingt fast ein bisschen stolz.
»Ja«, sage ich nur, weil mir auf einmal der Körperkontakt zwischen uns sehr bewusst ist. Ihr Rücken an meiner Schulter.
Wir biegen auf die St. Charles Avenue ab. Ich lenke das Fahrrad in die Mitte der Straße auf diese grüne Insel zwischen den Streetcar-Schienen, auf der morgens Leute entlangjoggen und den ich nachts als Fahrradweg verwende.
»Darf man das?«, fragt Frenzy.
»Zwischen den Schienen fahren?«, frage ich. »Wen sollte es denn stören?«
»Hm«, macht sie .
Frenzy sagt erst nichts weiter. Ich habe das Gefühl, dass sie sich noch ein wenig stärker an mich lehnt.
»Bist du ursprünglich aus New Orleans?«, fragt sie dann.
»Ja, geboren und aufgewachsen in New Orleans, Louisiana.« Ich lache. »Und damit für immer verdorben für alle anderen Orte dieser Welt.«
»Wie meinst du das?«, fragt sie, und als sie kurz versucht, sich zu mir umzudrehen, streift ihre Wange meine Nase. Sofort wird sie sich ihrer wackligen Situation bewusst und blickt wieder nach vorn.
»Diese Stadt ist so … so …« Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, denn den meisten Leuten, mit denen ich Tag für Tag zu tun habe, geht es wie mir. Man muss nicht erklären, warum dieser Ort magisch ist. »Weißt du, es ist so. Unter der Hitze, unter der Feuchtigkeit spürt man etwas, das sich anfühlt wie eine Seele. Die Seele dieser Stadt. Eine schwere, bunte, laute Seele, die aus Musik und Farben besteht. Und aus den Menschen, die hier gelebt haben und immer noch hier leben.«
»Wie Hugo«, sagt Frenzy.
Wie Blythe, denke ich.
Frenzy ändert ihre Sitzposition kaum merklich und räuspert sich. »Ähm«, macht sie kurz.
»Ja?«
»Nein, nichts.«
»Wenn du was sagen willst, kannst du es sagen.«
»Ich … also ich hab mich gefragt …«
»Was?«
»Ich hab mich gefragt, ob du mir ein bisschen mehr über die Stadt erzählen könntest.« Sie sagt es so leise, dass ich es beim Fahrtwind kaum verstehen kann.