Love is Loud – Ich höre nur dich
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»Ricky macht mich fertig«, sagt sie. »Er gibt mir nur noch beschissene Schichten, weil ich nicht mehr mit ihm in die Kiste steige. Ich mein: Hallo? Der Kerl ist über vierzig. Wie viele Jahre soll ich denn noch an ihn verschwenden?«
In der Küche nehme ich mir eine Tasse vom Abtropfgestell neben der Spüle und schenke mir einen Kaffee aus der Thermoskanne ein. Annabella sorgt dafür, dass sie nie leer ist.
»Danke«, sagt Lula und nimmt mir die Tasse aus der Hand. »Ist das zu fassen? Wir waren ja nicht mal zusammen. Und jetzt kommt er mir so?«
Ich hole eine weitere Tasse und fülle sie erneut. Dann nehme ich einen Schluck. Der Kaffee ist heiß und stark. Genau wie ich ihn mag. Der Geschmack erinnert mich an unbeschwerte Zeiten, als Bonnie und ich noch dachten, das Leben sei eine große Wundertüte, in der nur aufregende bunte Süßigkeiten sind. Oder so ähnlich. Lange war die Wundertüte für mich leer. Doch seit einiger Zeit … spätestens seit meinem Kuss mit Frenzy ist da wieder etwas, das macht, dass ich tanzen möchte.
Die Hintertür steht offen. Ich blicke einmal kurz zu Lula, um zu sehen, ob sie vielleicht Anstalten macht, wieder ins Wohnzimmer zu gehen, aber Fehlanzeige. Ich seufze innerlich und trete nach draußen. Die Sonne blendet mich, und ich kneife die Augen zusammen, denn nach der kühlen Dunkelheit im Inneren des Hauses muss ich mich an den hellen Sonnenschein erst wieder gewöhnen.
Draußen hängt Bonnie Wäsche auf. Sie trägt wie immer weite Boyfriendjeans und ein Band-T-Shirt, dessen Ärmel sie nach oben gerollt hat. Während Lula in jeder Situation zeigt, wie makellos ihr Körper ist, versteckt Bonnie sich lieber in weiten Klamotten hinter einem gigantischen Kontrabass.
»Hi«, sage ich. Normalerweise würde ich ihr einen Kuss auf den Scheitel drücken, aber heute wahre ich Abstand. »Ich habe Lula dabei.«
»Das sehe ich«, sagt Bonnie und reicht ihrer Schwester ein Bettlaken zum Aufhängen. »Du entkommst mir trotzdem nicht«, flüstert sie mir zu.
»Du mir auch nicht.« Mein Tonfall ist deutlich distanzierter als ihrer. »Sollen wir sie reinschicken?« Ich schnappe mir ein riesiges neonfarbenes Kleid von Annabella, um es aufzuhängen .
»Nein, lass sie einen Moment«, flüstert Bonnie. »Ihr geht’s nicht so gut. Ricky …«
»Was ist mit Ricky?«, fragt Lula, die gerade wieder hinter dem Bettlaken auftaucht.
»Er ist ein Penner«, sagt Bonnie.
»Vollkatastrophe«, bestätigt Lula hinter der Wäsche.
»Und du, Link?« Bonnie spricht nun wieder leise, als Lula mit dem nächsten Laken verschwindet. »Wird das bei dir auch eine Vollkatastrophe?«
»Witzig«, gebe ich zurück. »Willst du es zu einer Vollkatastrophe machen?«
»Nein, nicht witzig. Ich meine es ernst.« Bonnies Tonfall ist streng, und ich fahre mir genervt durch die Haare.
»Meinst du nicht, dass es meine Angelegenheit ist?«
»Nicht, solange noch andere Leute mit drinhängen.« Sie dreht mir den Rücken zu, um sich nach einem weiteren Wäschestück zu bücken.
»Worum geht’s hier, Bonnie?«
»Ich will es auch wissen!«, sagt Lula, die ebenfalls in der Wäschekiste herumfischt.
»Frühstück?«, frage ich, um Bonnie etwas auf Abstand zu halten und Lula abzulenken. Ich warte ihre Reaktion nicht ab, sondern kümmere mich gleich darum.
Fünf Minuten später sitzen wir an einem weißen Plastiktisch hinter der sauberen Wäsche, die im leichten Wind hin und her schwingt. Es gibt Frühstücksflocken – Lucky Charms, Bonnies guilty pleasure. Wobei, so guilty ist es gar nicht. Eher: Bonnies pleasure.
»Wisst ihr, was auch nervt?«, fragt Lula, und ich bin ihr beinahe dankbar, dass sie nicht aufhört zu quasseln. Bonnies Verhalten macht mich echt sauer.
»Was?«, frage ich und klinge interessierter, als ich es tatsächlich bin .
»Ich glaube, ich habe einen Stalker.«
»Was?« Das ist nun tatsächlich spannend.
»Seit ich diese späten Schichten habe, kommt immer dieser seltsame Kerl, setzt sich vor mich, sieht mich an. Und wenn ich fertig bin und nach meiner Schicht rauskomme, um noch einen Cocktail zu trinken, ist er weg.«
»Das ist kein Stalking, Lula«, sagt Bonnie. »Das bringt dein Job mit sich. Dass sich geile Kerle vor dich setzen, dich angaffen und dann nach Hause zu ihren Frauen gehen.«
Ich lache, und Lula zieht einen Flunsch.
»Als wüsste ich das nicht«, sagt Lula. »Aber der ist anders. Der ist penetranter.«
»Vielleicht solltest du mal wieder unter andere Leute kommen«, schlage ich vor, um auch etwas beizutragen. »Du warst ewig nicht mehr bei einem Gig von uns.«
»Nein, danke«, sagt Lula, »ist nicht mein Ding.« Kurz schweigen wir. Dann fragt sie: »Was führt dich eigentlich heute Morgen hierher?«
Da ich ihr nicht erzählen kann, dass Bonnie und ich eine Meinungsverschiedenheit über eine Sache haben, die einzig mich etwas angeht, sage ich nur: »Hatte einfach Lust, Marshmallows in Milch zu ersäufen.« Bonnie versetzt mir unter dem Tisch einen spielerischen Tritt. Der Versuch, etwas Normalität herzustellen. Und ich steige drauf ein. Ich will mich nicht streiten. »Komm schon, Bonnie. Ich weiß wirklich nicht, ob es in diesem Land außer dir noch irgendjemanden jenseits des Grundschulalters gibt, der Marshmallows in seinen Cerealien mag.« Wir lachen, aber die Unbeschwertheit ist nur oberflächlich. Darunter brodelt es.
Nachdem Lula ihre Geschichten erzählt hat, ist sie schnell gelangweilt und verschwindet wieder nach drinnen.
»Also?«, frage ich und verschränke die Arme vor der Brust .
»Du weißt ganz genau, worum es geht«, sagt Bonnie. »Du bist gerade erst wieder richtig da.«
»Übertreib mal nicht.« Ich klinge nach wie vor abweisend.
»Übertreiben? Ich?« Bonnie lacht spöttisch. »Entschuldigung, emotional stabilster Mensch, den ich kenne, dann muss ich dich wohl verwechselt haben.« Sie funkelt mich an. »Wir sind beste Freunde, Link, oder? Wir können uns alles sagen.«
»Natürlich.«
»Du warst ein Wrack. Ein halbes Jahr lang warst du ein Wrack. Ich weiß nicht, ob die Band das ein weiteres Mal verkraftet.«
Es ist das erste Mal, dass ich so etwas höre. »Was soll das bedeuten, Bonnie?«
»Sal wollte aussteigen. Er hat gesagt, wenn wir dich nicht in den Griff kriegen, geht er. Und, ehrlich gesagt, waren Curtis und ich kurz davor, uns nach einer Alternative umzusehen.«
»Was? Seid ihr verrückt?« Ich kann nicht glauben, was sie mir vor den Kopf knallt. After Hours war immer unser Projekt. Unser aller Traum.
»Ich weiß nicht, ob du dich noch an alles erinnerst, aber in deinem Alkohol-Trauer-Dunst warst du nicht gerade die Ausgeburt an Zuverlässigkeit und Freundlichkeit.« In ihrem Blick sehe ich einen leichten Vorwurf.
»Ja, ich weiß. Ich war ein Arsch«, sage ich kleinlaut. »Aber das war nur eine Phase. Sieh mich an, ich bin komplett wiederhergestellt. Ich bin glücklich.«
»Fragt sich nur, wie lange.«
»Hör auf, in Rätseln zu sprechen.« Langsam werde ich ungeduldig.
»Ich habe gesehen, wie du sie ansiehst.«
»Und wie sehe ich sie an?«
»Wie du Eloise angesehen hast. «
Eloise, die abgehauen ist. Die mich erschüttert hat.
»Aber Frenzy ist anders. Sie ist nicht wie Eloise. Sie ist wie niemand, den ich kenne. Das ist es, was mich so wahnsinnig macht, verstehst du? Sie ist vernünftig. Ruhig. Sicher.«
»Sie ist für ein Jahr hier. Für ein einziges Jahr. Und was passiert dann?«
Ich schlucke. Es stimmt. Aber soll mich das davon abhalten, jetzt glücklich zu sein? Ich nehme einen Tag nach dem anderen, ohne mich sonderlich um morgen zu kümmern. Niemand weiß, was morgen ist. Morgen kann alles vorbei sein. Die Stadt von einem Tag auf den anderen von einem Hurrikan weggefegt. Die Schwester von einem Moment auf den anderen nicht mehr unter uns. Was interessiert mich morgen, wenn ich heute leben kann?
Ohne dass ich weiß, wie es passiert, sage ich: »Weißt du, Bonnie, nicht jeder von uns verschanzt sich vor der Chance auf Glück.« Ich schlage mir die Hände vor de
n Mund. Das hätte ich niemals sagen dürfen. »Entschuldige. Bonnie, es tut mir so leid.« Doch der Schaden ist angerichtet, das sehe ich. Ihre Augen sind vor Entsetzen weit aufgerissen.
»Wow, Link.« Sie schluckt. »Dass du dich so schnell wieder in ein Arschloch verwandeln würdest, hätte ich allerdings auch nicht gedacht.«
Sie will gerade aufstehen, doch ich halte sie zurück. »Bonnie, bitte. Das war dumm von mir. Deine Situation ist eine andere. Ich weiß das. Ich bin nur so … ja, du hast recht. Ich bin ein Arschloch.«
»Ja, das bist du.«
»Ich weiß es zu schätzen, dass du dir Sorgen um mich machst. Danke. Ich hoffe, ich kann irgendwann genauso für dich da sein. Vielleicht lässt du mich ja mal?«
Sie sieht immer noch kritisch aus, aber ihre Gesichtszüge haben sich wieder etwas entspannt .
»Es wird nicht passieren, Bonnie«, sage ich. Und dann noch einmal mit mehr Überzeugung in der Stimme: »Die Band bedeutet mir alles. Du musst dir keine Sorgen machen.«
Aus Bonnies Blick, aus ihrer Körperhaltung spricht die pure Skepsis.
»Sind wir beste Freunde?«, frage ich sie nun, wie sie es vorhin bei mir gemacht hat.
»Wenn man deine Aussetzer ausklammert, ja.«
»Keine Aussetzer mehr. Ich verspreche es.«
Sie lacht. »Versprich nichts, was du nicht halten kannst.«
»Vertraust du mir?«
»Ja.«
Ich nehme ihre Hand. »Ich war seit Jahren nicht mehr so überzeugt von etwas. Seit Blythe gestorben ist, habe ich mich nicht mehr so gut gefühlt. Es ist, als wäre die Welt klarer, wenn ich bei ihr bin.«
Bonnie schüttelt den Kopf, doch ich kann erkennen, dass sich ein flüchtiges Lächeln auf ihre Lippen gestohlen hat. »Hör schon auf. Das klingt ja grauenhaft.«
»Aber es ist so.« Ich zucke mit den Schultern. »Und für dich, du zauberhaftes Wesen, gibt es das auch.«
»Nur nicht mit dem Mann, mit dem ich es will.«
Dazu sage ich nichts, denn es steht mir nicht zu. Das habe ich bereits mehrfach deutlich zu spüren bekommen.
»Aber sag, wie stellst du dir die Sache mit Frenzy vor? Willst du sie zu dir nach Hause bringen? Ich meine, hast du wenigstens darüber nachgedacht?«
»Ich nehme einen Tag nach dem anderen«, sage ich, doch ein nagendes Gefühl bleibt zurück. Denn natürlich habe ich weder darüber nachgedacht noch eine spontane Lösung parat. Aber für den Moment ist es mir egal. Für den Moment genieße ich die Sonne im Gesicht, den Duft der frischen Wäsche hinter mir, die Gewissheit, dass meine beste Freundin für mich da ist, die Vorfreude auf alles, was auf mich zukommt. Man muss es nur zulassen, denke ich mir. Und wieder einmal hat Blythe recht behalten. Eines Tages, kleiner Bruder, kommt jemand, und du weißt, dass es richtig ist. Ganz egal, was die anderen sagen. So wie es bei Jasper und mir war. Zu einem hohen Preis, aber wir hätten jeden Preis gezahlt. Und ich bin auch bereit, jeden Preis zu zahlen. Und wenn es bedeutet, dass das Glück nur ein paar Monate andauert. Immerhin weiß ich, woran ich bin, und kann mich darauf vorbereiten. Andere hatten dieses Glück nicht. Andere mussten sich so plötzlich voneinander verabschieden, dass der Gedanke daran mein Herz immer wieder ein klein wenig brechen lässt.
»Ich weiß«, sagt Bonnie. »Aber sie wäre stolz auf dich.«
Wie früher, als alles noch gut war, steht Bonnie auf und setzt sich auf meinen Schoß. Dann schlingt sie die Arme um mich.
»Woher weißt du, dass ich an sie gedacht habe?«, frage ich.
»Dein Blick. Er wird ganz anders. Ganz schwer. So wie ich mich fühle, wenn ich an sie denke.«
Ich nicke. »Sie wäre auch auf dich stolz, weißt du? So verdammt stolz.«
»Und auf Weston und Maya«, sagt Bonnie. »Und auf Jasper. Auf ihn am meisten.«
23
Franzi
»Es ist unhöflich, dauernd aufs Handy zu schauen«, sagt Hugo, der dabei ist, sein Bein mithilfe eines Gummibands zu dehnen.
Ich sitze vor ihm auf dem Fußboden, überwache seine Übung und sehe etwas zu häufig auf mein Handy. Link wollte sich längst melden, mir erzählen, wie es mit Bonnie gelaufen ist.
»Es ist auch unhöflich, unhöflich zu sein«, gebe ich zurück.
»Touché«, sagt er und verzieht den Mund, während er sein Bein erneut dehnt.
»Tut das weh?«, frage ich.
»Papperlapapp. Die Knochen sind nur alt.«
»So alt nun auch wieder nicht«, beruhige ich ihn. »Mach langsamer. Die Ärztin sagt, du sollst dein Bein nicht überstrapazieren.«
»Was weiß die schon?«
»Mehr als wir, glaube ich.« Ich stehe auf und hole den Gummiball, den Hugo bei der nächsten Übung mit den Zehen aufheben soll.
»Dein Lover lässt fragen, ob du heute Zeit für ihn hast«, sagt Hugo, und als ich mich umdrehe, sehe ich, dass er mein Smartphone in der Hand hat.
»Hey«, sage ich tadelnd, »das ist privat! «
»Und offenbar wichtiger als meine Übungen«, gibt er schmollend zurück.
»Dir sind die Fusseln auf deinem Hemd wichtiger als deine Übungen.«
»Heute bist du on fire «, sagt Hugo. »Was soll ich antworten?«
»Kann ich ihm vielleicht selbst antworten?«, frage ich.
»Wenn du es mich machen lässt, verspreche ich, dass ich die Übungen ganz brav absolviere. Bis zum Ende.«
»Du bist wie ein kleines Kind.«
»Ja, und wie gut ist das?«, fragt er. »Kleine Kinder sind mit Abstand die unbeschwertesten Wesen. Jeder sollte wie ein kleines Kind sein. Du auf jeden Fall.«
»Einer von uns beiden muss sich aber wie ein Erwachsener benehmen«, erwidere ich und denke an Adrian. Für den ich auch immer die Erwachsene war, sodass er ein Kind bleiben konnte. »Also gut, dann antworte ihm.« Ich verdrehe die Augen. »Schreib, dass wir uns erst heute Abend treffen können, weil ich bis dahin arbeiten muss.«
»Haha, ja, arbeiten«, sagt Hugo und pfeffert das Gummiband in eine Ecke.
»Was soll das?«, frage ich, doch dann fällt mir auf, dass ich womöglich Hugos Gefühle verletzt habe, indem ich die Zeit, die ich mit ihm verbringe, »Arbeit« genannt habe. Auch wenn es das genau genommen ist.
»Okay, ich schreibe ihm, dass du ihn heute Abend treffen willst«, sagt Hugo und beginnt, mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf meinem Touchscreen herumzutippen.
»Du weißt, dass es schneller geht, wenn du die Daumen verwendest?«, frage ich.
»Schhhhhh«, macht Hugo, »ich muss mich konzentrieren. Diese Buchstaben sind wirklich verdammt winzig.«
Nach ein paar Minuten legt er mein Handy weg. Kurz darauf vibriert es, und er liest sehr zu meinem Missfallen Links Antwort.
»Er ist einverstanden«, sagt er. Und dann konzentriert er sich tatsächlich ganz auf seine Übungen. Ohne Widerworte oder Proteste. Er scheint sogar richtig guter Laune zu sein. Das ist auch ein Grund, warum ich darauf bestehe, dass wir die Übungen zusammen machen. Diese gemeinsame Zeit verbessert nicht nur Hugos Beweglichkeit, sondern auch unser Verhältnis.
24
Lincoln
Ich stehe vor der opulenten Südstaatenvilla und wische mir nervös meine feuchten Hände an meiner Hose ab. Schon in dem Moment, als sie mich bat, einfach bei ihr vorbeizukommen, wusste ich, dass es keine gute Idee war. Doch nun, als ich wie ein nervöser Teenager am Abend des Proms vor dem gusseisernen Gartentor stehe, würde ich mich am liebsten in die Büsche übergeben.
Es macht mir nichts aus, vor hundert Menschen auf der Bühne zu stehen, Konflikte mit meinen Freunden auszutragen oder das Mädchen, das ich begehre, zu küssen. Das sind Augenblicke, in denen das Adrenalin mich trägt. Aber vor einem Haus wie diesem zu stehen in Erwartung irgendeines reichen Schnösels, der mich abschätzig von oben bis unten mustert, ist ein Albtraum. Zu gut erinnere ich mich an Blythes Horrorgeschichten, als sie anfing, Jasper zu daten.
Das Schlimme ist nicht das Geld oder die Macht oder die Ungleichheit. Das Schlimme sind ihre Blicke, erzählte sie mir. Mit dem ersten ziehen sie dich aus. Nicht bis du nackt vor ihnen stehst, sondern bis sie in dich sehen, bis in deine tiefste Unsicherheit
hinein. Und mit dem zweiten zeigen sie dir, wie gerechtfertigt deine Unsicherheit ist. Dass du es nie mit ihnen aufnehmen wirst. Und dass es besser wäre, du würdest dich mit deinen Klamotten nicht auf das teure Sofa setzen.
In einem letzten verzweifelten Versuch streiche ich meine Haare erneut zurück, damit sie mir nicht in die Stirn hängen. Dann atme ich einmal tief durch und betätige die Klingel am Eingangstor.
»Wer ist da?«, fragt eine barsche männliche Stimme.
»Hallo, hier ist, ähm, ich bin ein Freund von …« – fast will ich Frenzy sagen – »… von Franziska.«
»Hast du auch einen Namen?«, fragt er.
»Ich bin Link. Lincoln. Mein Name ist Lincoln Hughes.«
Ein Summer ertönt, und ich drücke das Tor auf. Im nächsten Moment öffnet sich die Haustür, und zu meiner Überraschung erscheint der alte Mann, den Frenzy dabeihatte, als wir uns das erste Mal über den Weg gelaufen sind.
»Guten Abend, Sir«, sage ich unsicher. Obwohl ich bei unserer ersten Begegnung den Eindruck hatte, wir wären auf einer Wellenlänge, bin ich in dieser Umgebung überfordert. Ich versuche, seinem Blick standzuhalten, aber meine Augen wünschten, sie könnten auf den Boden schauen. »Bitte entschuldigen Sie die Störung.«
»Ja, Störungen sind hässlich. Niemand will so was. Besser, alles ist leise und wie immer. Im Idealfall tot«, sagt er und mustert mich tatsächlich. Jedoch fühle ich mich nicht, als würde er mich ausziehen.
Ich schlucke, doch er öffnet die Tür ein wenig weiter. Das hereinfallende Licht zeigt seine knochigen Beine in der kurzen Hose.
»Ich bin mit Franziska verabredet. Ist sie da?«, frage ich.
»Nein.«
»Oh, okay.« Mir gelingt es kaum, die Überraschung in meiner Stimme zu verbergen. Vor ein paar Stunden hat sie mich doch extra noch herbestellt. »Würden Sie ihr …«
»Komm rein.« Er sagt es in einem Ton, der keine Widerrede duldet.
»Wenn Sie ihr einfach etwas ausrichten …«
»Papperlapapp. «
Er zieht die Tür vollständig auf und bedeutet mir, einzutreten. Obwohl sich alles in mir dagegen sträubt, das Haus zu betreten, setzen sich meine Beine in Bewegung. Wenige Sekunden später und ohne dass ich wüsste, wie mir geschieht, stehe ich in einem kühlen marmorgefliesten Flur.