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ALTERED STATES Page 13

by Paddy Chayefsky


  Während des ganzen Vortrags war er im Raum umhergewandert. Jetzt wandte er sich Emily wieder zu und sagte mit einem strahlenden Lächeln: »Also müssen wir die Biologie verlassen, um das hier zu verstehen. Wir müssen uns Disziplinen zuwenden, für die Raum und Zeit nicht ausschließlich lineare Dimensionen sind. Physik. Wir haben hier eine ganz ungewöhnliche Energieübertragung. Irgendwie etwas Radioaktives. Ist unter unseren Freunden kein Physiker? Parrish kennt einen ganzen Haufen von diesen Typen am MIT. Aus irgendeinem Quantenfritzen werd' ich das schon rausschütteln. Ich glaube nämlich, dass ich irgendwie in ein Quantenstadium gekommen bin, wo es keine wirkliche Materie mehr gibt, nur noch potentielle Materie.«

  Er setzte sich wieder auf die Armlehne des Sessels und murmelte: »Ja, das ergibt einen Sinn, oder? Ein ursprünglicher und universeller Zustand von Energiepotential. Irgendwie bin ich in dieses Ursprungsbewusstsein reiner Potentialität gestolpert. Mein Gott, was für ein herrlicher Gedanke - und unausweichlich!«

  Er stand langsam auf, buchstäblich glühend, strahlend wie in einer Erleuchtung. Es war einer dieser Augenblicke, wo sich die Schleier heben, wo die Welt von Horizont zu Horizont kristallklar hervortritt. Er stand unbeweglich mitten im Zimmer, schloss die Augen und starrte in die Ewigkeit. Sein Gesicht war maskenhaft wie eine Ikone. »Es muss wahr sein«, sagte er leise. »Was so schön ist, muss wahr sein.«

  Emily konnte nichts weiter denken, als dass er unglaublich sinnlich wirkte; sie sah einen Mann in totaler Verzückung.

  »Vielleicht können wir diese Bewusstseinsenergie in einem Gewebe lokalisieren oder sogar in einer einzelnen Zelle«, dachte er laut. »Wir könnten ihre Wirkung auf andere Organismen untersuchen. Das versucht ja dieser Kerl an der University of Massachusetts schon seit fünfzehn Jahren. Er hat sich über Burrs Sachen hergemacht. Burr ist der Mann, der in Yale all diese Sachen über Lebensfelder herausgefunden hat. Jetzt ist er sogar schon dabei, L-Felder durch Manipulation des Bewusstseins zu verändern. Aber eins sag ich dir, ich bin noch vor diesem Scheißkerl in Stockholm. Heute Nacht hab' ich ihn um Millionen Jahre überrundet!«

  Er starrte sie an, seine Augen leuchteten triumphierend.

  »Weißt du was«, rief er, »ich glaub, ich hab' die Urkraft gefunden! Die. letzte Wahrheit! Ich hab' sie gefunden, und ich kann sie ins Labor bringen und demonstrieren!«

  Er seufzte wie ein am Ziel Angekommener, hingerissen, und sank in die weiche Umarmung des Sessels zurück.

  »Ich verstehe von dem Ganzen kein Wort«, sagte Emily, der allmählich wieder etwas unbehaglich zumute wurde.

  Er lag entspannt in dem weichen Sessel. Fast schien er zu schlafen. »Nachdem ich gestern Nachmittag von dir fort gegangen war«, murmelte er, »bin ich in den Tankraum gegangen, habe zweihundert Milligramm von der Droge genommen, bin in den Tank gestiegen, habe mich in meine Urlebenskraft zurückprogrammiert, und irgendwann während des Abends hab' ich die Materie meines Körpers in eine frühe menschliche Form verwandelt, vielleicht in die früheste.«

  Sie strich sich nervös über das Haar. »Was soll das heißen, du hast dich verwandelt?«

  »Ich habe mich in ein kleines, behaartes, aufrechtes, vormenschliches Wesen verwandelt. Ich bin ein paar wilden Hunden nachgelaufen. So bin ich in den Zoo gekommen. Sie haben mich angegriffen, und ich bin in den Zoo geklettert, um ihnen zu entkommen. Im Zoo hab' ich eine kleine Gazelle erlegt und gefressen. Ich war ganz Urtier. Ich bestand nur aus dem Willen zu überlegen, zu essen, zu trinken, zu schlafen. Das war die erfüllteste, befriedigendste Zeit meines Lebens. Ich war eins mit meiner Welt, mit all den Kräften des Lebendigen um mich her - alle Energien waren in vollkommener Übereinstimmung. Ich habe die Ureinheit erlebt. Ich war mein wahres Selbst. Ich kann mich an alles erinnern, was sich auf dieses wahre Selbst bezieht und an nichts sonst. Ich weiß, wie gesagt, nicht mehr, wie ich aus dem Tankraum und aus der Medical School herausgekommen bin oder was passiert ist, bevor ich die Hunde gesehen habe.«

  Es läutete.

  »Das muss Mason sein«, sagte Emily; sie war dankbar für diese Unterbrechung.

  »Hör zu, Emily, ich erwarte nicht, dass du mir glaubst. Wenn einer mir so was erzählen würde, müsste ich ihn auch für verrückt halten. Aber ich weiß eben, dass es passiert ist, und deshalb muss ich es glauben. Jetzt kommt es darauf an, dass ich es noch mal mache, und dass ihr, du, Arthur und Mason, alles nüchterne und verantwortungsbewusste Wissenschaftler, es beobachtet. Wegen der kritischen Toleranzgrenze kann ich das Experiment die nächsten zwei Wochen nicht wiederholen, aber wir können diese Zeit für einen sehr guten Zweck nutzen. Wir müssen eine Menge Untersuchungen vorbereiten. Wir müssen einen Film davon machen. Wir müssen Gewebe- und Blutproben nehmen. Ich muss vorher noch mit einem Physiker oder Molekularbiologen sprechen, weil ich einfach nicht weiß, wie oder warum es passiert. Ich will von dir nichts weiter, als dass du mitkommst und dir anschaust, was geschieht, bevor du mich rundweg als Verrückten abstempelst. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt.«

  Es läutete wieder. Emily stand auf und ging zur Tür.

  »Ich habe heute Nacht vielleicht einen Menschen umgebracht«, sagte er, »oder so gut wie umgebracht. Ich weiß noch, daß ich jemanden blutig geschlagen habe.«

  Sie zögerte kurz, seufzte und öffnete dann die Tür.

  Parrish stürmte mit Jessups Kleidern unter dem Arm herein. »Mann!«, polterte er sofort los, »ihr könnt euch nicht vorstellen, was ich für einen Ärger hatte, diese Klamotten zu kriegen! Ich musste extra zum Wachzimmer! Du sollst sie gleich mal anrufen. Da war heute Nacht irgendein Affe in deinem Tankraum; weißt du darüber irgendwas? Dieser Affe hat fast einen von den Sicherheitsbeamten umgebracht. Du hast doch keinen Affen mit in den Tankraum genommen, oder? Deine Uhr und das andere Zeug sind in deiner Jackentasche.«

  Er merkte an dem Schweigen der beiden, daß irgendetwas los war. »Ist alles in Ordnung? Ist er okay?«

  Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Wenn er okay ist, dann kommt auf alle anderen eine Menge Probleme zu«, sagte sie und ging in die Küche, um frischen Kaffee aufzuschütten. Zu Jessup sagte sie noch: »Erzähl ihm doch, was du mir erzählt hast. Ich möchte gern wissen, was er dazu sagt.«

  »Das lässt sich wohl vorhersagen«, meinte Jessup.

  Cambridge: Harvard Medical School

  April - Mai 1976

  Natürlich fiel Masons Reaktion erwartungsgemäß aus.

  Einige Grundtatsachen lassen sich einfach nicht von der Hand weisen, zumindest nicht in dem geordneten Kosmos, den Parrish zu bewohnen wünschte. Es gab doch eine viel plausiblere Erklärung für Jessups komische nächtliche Abenteuer: Er hatte mit seiner Droge einfach die kritische Grenze überschritten und war übergeschnappt, ein toxisches Delirium. Bei Zusammenbrüchen nach Drogenmissbrauch hatte Parrish schon ganz andere Sachen erlebt; nackt und zu nachtschlafender Zeit im Zoo herumzulaufen, das war in so einem Fall gar nichts Ungewöhnliches. Ein anderer Kerl, den er an der Medical School gekannt hatte, war mit einer etwas zu großen Dosis LSD im zwölften Stock aus dem Fenster gesprungen. Ernsthafte Sorgen bereitete ihm nur die Tatsache, dass Jessup an seine Halluzinationen glaubte, dass er Halluzination und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten konnte. Das war beängstigend und krankhaft; Jessup gehörte längst in die Hände eines Fachmanns. Was den tobenden Affen im Untergeschoß der Medical School anging, so würde sich ganz sicher bald herausstellen, dass es irgendwelche Kinder waren, die eingebrochen waren, um Drogen oder so was zu stehlen.

  Auf jeden Fall gab Parrish seinen Zweifeln an Jessups wunderbarer Verwandlung deutlich Ausdruck, und Emily war ihm dafür dankbar. Als Parrish mit seinen Neuigkeiten von dem widerspenstigen Affen hereinkam, war Emily für einen Augenblick schwankend geworden; in diesem Augenblick war sie versucht, ihrem Mann zu glauben, und Parrishs erbarmungslose Vernünftigkeit war wie eine Erlösung.

  Mit aufreizender Ruhe ging Jessup auf ihre Zweifel ein. »Ihr glaubt also, ich hätte ein toxisches Delirium gehabt. Na gut, eigentlich ist das verständlich. Untersuchen wir die Sache doch einfach. Das geht natürlich nur auf eine Weise: Wir müssen das Experiment wiederholen. Wenn ihr weiter
keine Sorgen habt, als dass ich ausflippe, dann könnt ihr mich doch jederzeit mit ein bisschen Benzodiazepin wieder runterholen.«

  »Worüber ich mir Sorgen mache«, schnaubte Parrish, »das ist, dass du schon ein paar Gramm von diesem Scheißzeug in dir hast dass du über deine Toleranz offensichtlich schon hinaus bist, und dass du keine Ahnung hast, wie sehr du dir damit schaden kannst!«

  »Ach, komm, Mason, wenn ich schon so viel von dem Zeug in mir gespeichert hab', dann werden weitere zweihundert Milligramm mich doch wohl nicht umhauen. Im Übrigen glaube ich nicht, dass es ein toxisches Delirium war. Ich glaube, dass es wirklich passiert ist, und es gibt nur einen Weg, das herauszufinden, und zwar, es noch einmal zu machen, mit euch als Beobachtern.«

  Kurz vor fünf rief Mrs. Lindsay an und sagte, Margaret sei aufgewacht, quengele ununterbrochen und verlange nach ihrer Mutter; Emily brach sofort auf, um sich darum zu kümmern. Auch der Rest dieses Wochenendes wurde für sie ein Alptraum. Sie hatte seit ihrem Abflug in Afrika vor zwei Tagen nur wenige Stunden geschlafen, und bei der heiligen Unordnung in der Wohnung und mit den beiden Kindern, die auf die schwelende Hysterie der Erwachsenen mit übler Laune reagierten, würde sie wohl auch an diesem Morgen kaum Schlaf finden. Sie hatte mit Mrs. Thorpe, ihrer alten Haushälterin, vereinbart, sie solle vorbeikommen und helfen, aber das war erst um zehn, und als Mrs. Thorpe endlich kam, konnte Emily sich nur noch in voller Kleidung auf eine Matratze fallen lassen, wo sie in einen unruhigen Schlaf sank. In Panik schreckte sie gegen zwei Uhr nachmittags auf, kroch zum Telefon und rief Jessup an, aber er meldete sich nicht.

  Sie wählte Parrishs Nummer; er sagte, Jessup sei wahrscheinlich in der Bibliothek, um sich Bücher über theoretische Physik zu beschaffen. Das hatte er zumindest gesagt, als Parrish ihn bei Tagesanbruch verlassen hatte. Emily meinte, sie, Parrish und Rosenberg sollten sich treffen und beratschlagen, was zu tun sei. Dann fiel ihr ein, dass Rosenberg etwas von einem Familienbesuch in Providence an diesem Tag gesagt hatte.

  So wurde es Sonntagnachmittag, bis Parrish und Rosenberg kamen; sie saßen zusammen in dem immer noch mit allen möglichen Dingen vollgestopften Wohnzimmer und diskutierten über Jessup. Dabei hörten die Rosenbergs zum ersten Mal von Jessups ereignisreicher Nacht im Zoo. Auch Rosenberg fand Jessups Erklärung dieser Ereignisse unwahrscheinlich und neigte eher Parrishs Ansicht zu. Andererseits gab er Jessup jedoch recht, dass man einen weiteren Versuch wohl wagen könne. Er hatte auch nichts dagegen einzuwenden, in zwei Wochen mit dabei zu sein. Emily war anderer Meinung; sie wollte alles versuchen, ihren Mann von diesem Vorhaben abzubringen, aber selbst Parrish gab diesem Plan keine Chance.

  »Du wirst ihn auf keine Weise davon abbringen, wieder in den Tank zu gehen«, sagte er. »Du kennst ihn doch besser als ich, und du weißt genau, dass er es tun wird, ohne uns oder mit uns. Also machen wir lieber mit.«

  Dann war es plötzlich Montag, und der ganze nächtliche Alptraum schien weit weg, zerredet. Parrish und Rosenberg gingen in den Seminarräumen und Labors wieder ihrer Arbeit nach, und Jessup hielt seinen Neun-Uhr-Kurs in Physiologie ab. Emily wachte an diesem Montagmorgen um halb sieben auf, machte Frühstück für sich und die Kinder, wusch sie, zog sie an, brachte sie in die Schule und ging dann in die Stadt, um Gardinen einzukaufen. Mittags kam Mrs. Thorpe, und sie packten zusammen das letzte Gepäck aus. Emily stürzte sich wie wild in diese Arbeit, bis sie schließlich in einem stillen Moment - Mrs. Thorpe bereitete gerade das Abendessen vor - ans Telefon ging und Jessup anrief. Sie hatte am Samstag noch spät abends und dann wieder am Sonntagmorgen mit ihm gesprochen, und es schien ihm gut zu gehen; jedenfalls aber ging es ihm jetzt gut.

  Er hatte sich ein paar Bücher über Quantenmechanik beschafft und büffelte jetzt fleißig, um wenigstens einigermaßen fit zu sein, wenn er einem Physiker sein Problem vorlegte. Es schien gar keine Zweifel mehr daran zu geben, dass Rosenberg, Parrish und sie am Freitag in acht Tagen als Beobachter in den Isolationstankraum kommen würden. Für den Fall, dass die Verwandlung tatsächlich stattfand, waren sogar schon ein paar Untersuchungen vorbereitet worden. Die Tatsache, dass die Verwandlung so schnell zu einer ganz normalen Möglichkeit geworden war, entnervte Emily ein wenig. Sie erinnerte Jessup daran, dass er wirklich auch mal ein bisschen Zeit für die Kinder opfern könnte. Schließlich hatte er sie ein Jahr lang nicht mehr gesehen, und sie fragten oft nach ihm. Sie schlug vor, mit den Kindern nach der Schule einmal zu ihm zu kommen, und dann könnte er sie irgendwohin mitnehmen, fast hätte sie gesagt: in den Zoo. Dann hätte sie auch endlich einmal Gelegenheit, sich seine Materialien anzusehen, die Bänder abzuhören, seine Berichte zu lesen. Sie wollte alles wissen, was im letzten Jahr geschehen war, und sich auf den neuesten Stand bringen. Jessup fand diese Idee großartig und schlug Donnerstag vor, weil er am Freitag unterrichten musste und am Mittwoch mit Parrish zum MIT ging, um mit einigen Physikern zu sprechen.

  Den stärksten Eindruck machten an diesem Donnerstag die Blutanalysen der Labors von Goodman und Sarich auf Emily. Jeder Labortest unterlag ja einer gewissen Irrtumswahrscheinlichkeit, aber wenn zwei Labors von diesem Ruf zum gleichen Ergebnis kamen, dann musste es stimmen. Kein Zweifel, es musste irgendein seltsamer, wenn auch vorübergehender genetischer Wandel eingetreten sein. Rosenbergs Bericht über die Fraktionierung der Drogenmischung hinterließ keinen Eindruck bei ihr. Chemie war ihre schwächste Seite. Die Röntgenaufnahmen von Jessups Hals erinnerten zwar an die Verhältnisse bei Affen, aber sie hatte schon lange keine Röntgenbilder mehr analysiert, und diese kamen ihr ohnehin nicht besonders klar vor. Aber die Bandaufzeichnungen der Tankexperimente, insbesondere des einen, bei dem die Aphasie aufgetreten war, faszinierten sie. Die Laute, die Jessup auf dem Band machte, ähnelten verblüffend ihren eigenen Aufnahmen, die sie aus Afrika mitgebracht hatte. Auch die dramatische Spannung dieser Bänder fesselte sie. Als sie die Sachen in Jessups Regale zurückstellte, fühlte sie sich angeregt und war neugierig geworden, auf eine Weise neugierig, wie es nur Wissenschaftler sein können.

  Zum Abendessen trafen sie sich alle in einem McDonald's, die typische amerikanische Familie, nur dass die Mutter den Vater in diesem Fall immer wieder nach Details von Erlebnissen fragte, die er vor vielleicht acht oder zehn Millionen Jahren hatte. Die Kinder waren von der phantastischen Geschichte ihres Vaters begeistert, und das Abendessen ging in fröhlicher Stimmung vorüber. Jessup erzählte ihr auch von dem Essen mit den Physikern vom MIT am vergangenen Tag. Er war so entspannt wie selten, und seine Geschichte klang sehr amüsant.

  Parrish hatte mit einem Quantenmechaniker ein Essen verabredet, ein Freund, der, wie er Jessup erklärte, selbst für einen Quantenmechaniker eine sehr verschrobene Type war. »Die sind am MIT alle reif für Paragraph einundfünfzig, alle«, unterrichtete er Jessup. »Wenn du zehn Minuten mit so einem Hochenergetiker gesprochen hast, weißt du schon nicht mehr, ob du wach bist oder träumst. Ich hab' da mal einen Mathematiker getroffen und wollte wissen, was er so macht. Er sagte, er brütet mathematische Theoreme aus, mit deren Hilfe man eine höhere Art von mathematischen Theoremen erzeugen kann. Also denk daran, du sprichst da mit lauter meldepflichtigen Verrückten.«

  Parrishs Freund, Willard Sproule, erwies sich als ein sehr netter Kerl von etwas über dreißig, der aber mit seinem John-Denver-Haarschnitt, einer randlosen Brille und einem offenen Sporttrikot aussah wie kaum zwanzig. Er blinzelte dauernd und hatte beständig ein Lächeln im Gesicht, das auszudrücken schien, dass er in jedem Augenblick auf irgendein Wunder wartete. Alles entlockte ihm ein staunendes »Mann!«, selbst ein so simpler Vorgang wie der, Jessup vorgestellt zu werden. Das Gespräch hatte in der Cafeteria des MIT begonnen und setzte sich auf dem Weg über den Campus zu Sproule Büro fort; unterwegs gesellten sich noch weitere Wissenschaftler zu ihnen, ein Biophysiker namens Goddard, ein theoretischer Physiker namens Murdoch und ein Biologe namens Garrett, alles komplette Spinner, wie Parrish leise zu verstehen gab. Keiner von ihnen schien die Verwandlung eines Menschen in einen Affen für etwas ganz Unmögliches zu halten; spekulieren ließ sich darüber auf jeden Fall. Alle wollten gern dabei sein, wenn Jessup seine einmalige Darbietung wiederh
olte. Jessup dachte darüber einen Augenblick nach, entschied sich aber schließlich dagegen. Es war ja vielleicht doch nur eine besonders lebhafte Halluzination gewesen, und er wollte sich nicht gern dem Gelächter der wissenschaftlichen Welt preisgeben; jedenfalls wollte er sich zurückhalten, bis er mehr hieb- und stichfeste Beweise für seine Theorie vorlegen konnte. Vorläufig sollte man das Ganze mehr als reine Spekulation verstehen, als ein Brainstorming aus Spaß an der Sache. Die MIT-Spinner ließen sich bereitwillig darauf ein. Manchmal ging es in Sproules Büro dabei so turbulent zu, dass weder Jessup noch Parrish mitbekam, worum es eigentlich ging: Alle schrien durcheinander, und manchmal sprang einer auf, schnappte sich ein Stück Kreide und hielt an der Tafel eine Stegreifvorlesung.

  Die Physiker sahen die ganze Sache unter dem Aspekt von Elementarteilchen und Energiezuständen. Goddard stellte die Theorie auf, Jessup sei es gelungen, kleine Veränderungen in seinen Energiepotentialen zu bewirken; dadurch sei ein bestimmter Elektronenaustausch ermöglicht worden und sozusagen eine Art Ursuppe aus Protein entstanden, die sich dann auf dem nächstgelegenen Energieniveau reorganisiert habe. Man sieht sich in der Elementarteilchenphysik - und übrigens ja auch im Bermuda-Dreieck, soweit Goddard wusste - manchmal vor Situationen gestellt, wo irgendetwas in einem bestimmten Zustand vorliegt und dann urplötzlich in einen anderen übergeht. Anscheinend überspringt es dabei einfach das Sperrgebiet zwischen den beiden Zuständen. Angenommen, Jessups Geschichte stimmte, dann war es ihm vielleicht gelungen, die Heisenberg'sche Unschärfe hinsichtlich seiner Energie auf Null oder nahe Null zu reduzieren, so dass der Zeittunnel, in dem er sich bewegen konnte, praktisch unendlich war. Irgendwie hatte er es geschafft, die Energie aller seiner Elementarteilchen gleichzeitig zu steuern. Aber wie hatte er das gemacht? Was war der Auslöser?

 

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