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ALTERED STATES Page 15

by Paddy Chayefsky


  Emily rührte sich nicht. Sie blieb an der Wand sitzen, und Tränen liefen über ihr Gesicht.

  Sie nahmen alle geplanten Untersuchungen an ihm vor.

  Emily war nicht in der Lage zuzusehen. Den größten Teil der nächsten beiden Stunden verbrachte sie draußen auf den Korridoren. Hin und wieder ging sie in den Überwachungsraum und schaute durch das Einwegfenster, aber der Anblick ihres Mannes in diesem zwergenhaften anthropoiden Zustand war einfach unerträglich, und sie konnte nicht mit ansehen, wie seine beiden besten Freunde mit seinem narkotisierten Körper hantierten, als sei er nichts weiter als irgendein Labortier. Einige Sekunden lang ertrug sie es, aber dann drohten ihre Nerven zu versagen, und sie musste den Raum ganz schnell verlassen; draußen auf dem Gang ging sie auf und ab und paffte Zigaretten.

  Zuerst machten Rosenberg und Parrish Aufnahmen mit dem Fotoapparat, zwei Filme: Ganzporträts, Ausschnitte, Bilder von den seltsam unausgeformten Füßen, den ungewöhnlich langen, starken Fingern und den behaarten Händen, Kopf, Arme, Beine. Sie hatten ihn auf der Untersuchungsliege ausgestreckt und mit den beiden Schwanenhalslampen angestrahlt; Rosenberg richtete seine Nikon methodisch auf einen Körperteil nach dem anderen und gab Parrish dabei Anweisungen: »Okay, dreh ihn auf die Seite.« Danach filmte Parrish Videoaufnahmen von Rosenberg, wie er Arme und Beine der Kreatur bewegte, um Muskelapparat und Beweglichkeit zu demonstrieren.

  Natürlich waren sie beide heftig erregt, vor allem Rosenberg. Gewöhnlich ein besonnen sprechender, nüchterner, ruhiger Mann, war er jetzt wie ein atemloses, verliebtes Mädchen. Er sprang um die Liege herum, schoss seine Bilder und brabbelte unaufhörlich. »Hör mal, wir müssen uns dieses Problem der Raumzeit-Verbindung genauer vornehmen. Diese ganze Sache ist irgendwie zeitgebunden. Ich meine, warum muss es im evolutionären Kontinuum immer dieser Raum sein? Die Droge muss Bestandteile haben, die ein zeitliches Bindeglied sind. Das kann doch nicht alles nur vom Bewusstsein stammen. Das ist doch widersinnig. Mann, Mason, wir haben hier mit multidimensionalen Raum-Zeit-Kontinuen zu tun. Okay, dreh ihn rum, machen wir die Rückenaufnahmen.«

  Parrish nahm einige Gewebeproben; dazu musste er eine kleine Stelle am Schenkel rasieren, um an das Epithelgewebe heranzukommen. »Die Haut ist schwarz«, murmelte er.

  Rosenberg war völlig außer sich. Er brachte Parrish ein Glas mit einer Salzlösung für die Gewebeprobe. Sein konfuses Plappern brach dabei nicht ab: »Also, was bedeutet denn das, ich meine, wie willst du das erklären oder auch nur beschreiben? Für das hier gibt es keine kohärenten Schemata. Wir brauchen eine ganz neue Sprache, ein ganz neues Bild von Raum und Zeit. Wir sind im luftleeren Raum, großer Gott!«

  »Gib mir einen Tupfer«, verlangte Parrish, der die Blutung an Jessups Schenkel zum Stillstand bringen wollte. Sie entnahmen Blutproben, machten EEG- und Polygraphen-Aufzeichnungen. »Es wird allerhand diffuse Verschleppungen geben«, sagte Parrish. »Er hat eine starke Narkose.«

  Dann folgten Muskel-Gewebeproben, eine Rückenmarkspunktion zur Entnahme des Liquors und eine Blutdruckmessung. Als sie alles fertig hatten, war es schon fast

  Mitternacht. Sie zogen die Infusion ab und legten den Körper vorsichtig auf den Boden. Dann stapelten sie ihre ganze Ausrüstung auf die fahrbare Liege und rollten sie auf den Gang.

  Draußen wurden sie von Emily, immer noch überreizt und durcheinander, mit der Frage erwartet: »Geht es ihm gut?«

  »Ich glaube, du solltest jetzt nicht da hinein gehen«, sage Parrish. »Es geht ihm gut, aber er wird in ein paar Minuten aufwachen, und wir wissen nicht, was dann passiert.«

  Rosenberg, der gerade die BEG-Ausrüstung herausschleppte, fügte hinzu: »Und wir wissen auch nicht wie lange es dauert, bevor er wiederhergestellt ist.«

  »Wenn er überhaupt wiederhergestellt wird«, sagte Emily.

  »Bis jetzt hat die Wirkung der Droge immer nur vier Stunden angehalten«, sagte Rosenberg. »Er ist immer nach vier Stunden wieder zurückgekommen, und er hat ja gesagt, dass es beim letzten Mal auch so war.«

  »Wir hätten das niemals zulassen dürfen!«, sagte Emily. »Weshalb haben wir uns bloß von ihm überreden lassen? Das ist doch Wahnsinn. Wir haben einfach nicht geglaubt, dass es passieren wird, das ist der Grund. Wir haben gedacht, er spinnt, und haben uns über ihn lustig gemacht. Oh Gott, es wird etwas Furchtbares passieren. Wo ist er jetzt?«

  »Wir haben ihn eingeschlossen«, sagte Parrish. »Wir legen ihn jetzt in den Tank zurück, wie er gesagt hat.«

  »Ich komme mit rein«, sagte Emily. Sie öffnete die Tür zum Isolationsraum, und die beiden kamen ihr nach. Sie ging in den Überwachungsraum und beobachtete, wie Parrish die kleine Gestalt sanft aufhob und in den Tank zurücklegte. Sie löschten wieder die Deckenbeleuchtung, verschlossen die Tankraumtür und kamen zu Emily zurück in den Überwachungsraum. Parrish, immer noch in seinem langen weißen Kittel, sank auf den Boden, ließ den Kopf hängen und schloss die Augen. Er war völlig erschöpft; alle waren sie es. Rosenberg saß auf seinem Schemel und legte die Stirn auf seine Arme, die er auf der Schaltkonsole gekreuzt hatte. Emily stand am Fenster und starrte in das Halbdunkel des Tankraums. Es gab nichts zu reden. Auch die Männer überkam jetzt angesichts der unbegreiflichen Ereignisse, die sie gerade erlebt hatten, ein Gefühl der Angst und des Zweifels, ob sie richtig gehandelt hatten.

  Parrish war schweißgebadet, und zugleich schüttelten Kälteschauer seinen Körper. »Ich weiß nicht«, murmelte er, mehr zu sich selbst. »Ich sage euch, ich weiß nicht.«

  Rosenberg richtete sich mühsam auf und streckte eine Hand aus, um den Kassettenrekorder einzuschalten. Die Spulen begannen sich langsam zu drehen.

  Drüben in dem dunklen Raum stand still der Tank, eine drohende schwarze Kiste.

  Und plötzlich - flog er in die Luft.

  Es gab eine ohrenbetäubende Explosion von blauem Licht, das in Schockwellen durch den Raum flutete, und die vier Wände des Tanks flogen auseinander, als wäre drinnen eine nukleare Sprengladung gezündet worden. Wasser schoss mit schrillem Geräusch in einer pilzförmigen Wolke an die Decke, stürzte donnernd zurück und füllte den Raum knöcheltief. Wellen von infrarotem Licht fluteten hin und her durch den Raum, verdichteten sich zu Orange und Gelb, das heißer schien als die Sonne, und der ganze Tankraum war von flammender Hitze erfüllt.

  Wo der Tank gestanden hatte, war jetzt eine pulsierende weiße Masse zu sehen, die sich aus der dünnen Schicht kochenden Wassers erhob - das musste Jessup sein. Ein riesiges Stück war aus der Vorderseite dieses grotesken, weißen, formlosen Dings herausgerissen, und in diesem Loch sah man Teile einer Skelettstruktur.

  Emily schrie, außer sich vor Entsetzen. Immer noch schreiend, stürzte sie auf die verschlossene Tür des Tankraums zu und zerrte vergeblich an der Klinke.

  Parrish und Rosenberg standen geduckt und wie versteinert vor dem Fenster und starrten in den Tankraum.

  Mitten im rotglühenden Tankraum schien die weiße Masse zu versuchen, eine Gestalt anzunehmen. Stümpfe von Armen und Beinen, missgestaltet und an den falschen Stellen, stülpten sich aus der Masse hervor und wurden wieder von ihr aufgesaugt.

  Die Substanz wechselte die Farbe, begann zu kochen wie unter der Hitze eines inneren Feuers. Deformierte Schnauzen und blutende Augen erschienen und verschwanden. Dann stand Jessups wirkliche Gestalt plötzlich einen atemberaubenden Augenblick lang scharf gezeichnet da, sein menschliches Selbst, die Hände flach angelegt, die nackte, weiße Statue eines Mannes, die sich aber sofort in ein ausgebranntes, vertrocknetes, schmutzfarbenes Bild verwandelte, auf dem Tausende von kleinen Rissen erschienen, und für einen winzigen Moment sah es so aus, als würde die Gestalt zu Staub zerfallen. Sie begann zu schreien, so durchdringend und qualvoll, dass Emilys Kopflosigkeit mit einem Schlag verschwand. Sie schloss auf, stürzte hinein und platschte durch das Wasser zu ihrem Mann; der Raum war plötzlich kosmisch schwarz und von pulsierenden Kraftwellen erfüllt, ein Schauer von Strahlengürteln. Ein dröhnender Wirbel von Energie.

  Die Luft tönte und zitterte.

  Jessups immer noch erkennbar menschliche Gestalt schien in einem Plasma aus Energiewellen und Temperaturdiffere
nzen gefangen zu sein, die ihn umwickelten, umschwirrten und seine Farbe beständig veränderten: von leuchtendem Weiß über verschwommenes Infrarot und das brennende Rot der ultravioletten Strahlung bis hin zu einer undeutlichen helldunklen Mischung aus Schwarz und Grau wie auf einem Röntgenbild. Seine Gestalt selbst schien sich unter flimmernden Schwingungen in den pulsierenden Energiewellen zu lösen, die ihn durchdrangen. Plötzlich schwoll sein Körper, bis er zu einer Gaskugel aufgebläht war, ein blendend gelbes Gas, das langsam rot wurde und dann plötzlich unter der Wucht seiner eigenen Schwere in sich zusammenstürzte. Aus seinen Eingeweiden brachen Flammen hervor, entfachten den irrsinnigen Farbenwirrwarr aufs Neue, bis die Hitze alles in blendende Weißglut verwandelte.

  Wieder brach der Schrei des namenlosen Entsetzens aus ihm hervor. Er sank auf die Knie, als schmelze er in sich zusammen, er schien zu implodieren, als würde er von dem schwarzen Loch aufgesaugt, das er selbst war.

  Emily warf sich auf die von Schaudern geschüttelte, immer gestaltloser werdende Antimaterie ihres Mannes und umarmte ihn. Seit der Explosion waren noch keine fünfzehn Sekunden vergangen. Parrish und Rosenberg standen immer noch bewegungslos da und starrten, ohne zu begreifen.

  Jessups Körper lag pulsierend, berstend und dröhnend in Emilys Armen, und wieder schrie er seinen gequälten Urschrei. Seine Augen starrten blind in irgendein unsägliches Grauen. Dann legten sich die fließenden Ausstülpungen von Materie, kaum als Arme und Beine zu erkennen, um Emily, und sie knieten auf dem überfluteten Boden beieinander, zwei entsetzte Wesen allein in einem schwarzen, raumlosen Dröhnen der Energie, ineinander verschlungen, um sich vor dem Grauen der Menschwerdung zu schützen.

  So explosiv es begonnen hatte, so abrupt war es plötzlich vorüber. Das wahnsinnige, pochende Dröhnen entropischer Kräfte brach unvermittelt ab. Die kosmische Schwärze wich mit einem Schlag zurück, als sei sie aufgesaugt worden, und Emily preßte die jetzt völlig wiederhergestellte nackte Gestalt ihres Mannes an

  sich.

  Sie verharrten, in ihrer verzweifelten Umarmung aneinander gefesselt, inmitten der Verwüstung. Überall lagen Bruchstücke des hölzernen Tanks, die kleineren Teile schwammen träge auf dem Wasser, das den Boden bedeckte.

  Jessup schrie nicht mehr.

  Kein Geräusch war zu hören. Lastende, fühlbare Stille. Emily schaute in das aschfahle Gesicht, das an ihrer Brust ruhte. Sie fühlte Jessups Atem, er lebte also, aber offenbar war er im Koma. Sie wandte ihr qualverzerrtes Gesicht dem dunklen Fenster zu und flehte stumm um Hilfe. Einen Augenblick später kamen Parrish und Rosenberg herein, nahmen ihr den leblosen, schlaffen Körper aus den Armen und trugen ihn in den Überwachungsraum.

  Beacon Hill

  Mai 1976

  Sie zogen Jessup an und brachten ihn in seine Wohnung. Alle Lebensfunktionen schienen intakt, aber er stand noch unter Schock. Parrish musste ihn zum Wagen tragen. Rosenberg blieb im Tankraum, um aufzuräumen. Angesichts der Tatsache, dass in diesem Tankraum erst vor zwei Wochen ein Affe gefunden worden war, dessen Herkunft und Verbleib bis heute im dunklen lagen, wollten sie sich lieber nicht an das Hauspersonal wenden; das würde doch nur zu unangenehmen Fragen führen. Rosenberg hatte bis vier Uhr morgens zu tun.

  Parrish und Emily brachten Jessup ins Bett und saßen dann im Wohnzimmer, um wache zu halten.

  Parrish sprach Emily Mut zu. »Alle Lebenszeichen sind gut. Er wird wohl einen oder zwei Tage schlafen und dann ein bisschen benommen aufwachen. Er hat eine mordsmäßige Ladung von Drogen im Körper. Es ist bei solchen psychedelischen Erfahrungen nicht ungewöhnlich, dass es einen für ein paar Tage umhaut.«

  »Das kann man wohl kaum einfach eine psychedelische Erfahrung nennen«, murmelte Emily und stand auf, um einen Blick in das dunkle Schlafzimmer zu werfen. Ihr Mann lag immer noch da, wie sie ihn hingelegt hatte.

  »Sein Herz ist in Ordnung, sein Blutdruck ist in Ordnung, sein Puls ist in Ordnung, seine Atmung ist in Ordnung. Ich mache mir mehr Sorgen um dich als um ihn.«

  »Mir geht's ganz gut, Mason.«

  Das stimmte natürlich nicht. Sie war sehr mitgenommen, schon über die Erschöpfung hinaus. Sie versuchte sich auszuruhen. Sie sank in den weichen Sessel zurück und lehnte den Kopf an, aber gleich darauf bäumte sich ihr Körper von Krämpfen geschüttelt wieder auf, sie krümmte sich nach vom, den Kopf auf den Knien, und weinte. Jeder Nerv in ihrem Körper fühlte sich wie bloßgelegt an. Als Parrish beruhigend seine Hand auf ihre legen wollte, zuckte sie zusammen und stand auf. »Warum muss ich von allen Männern in der Welt ausgerechnet diesen lieben?«, rief sie weinend. »Ich werde ihn einfach nicht los! Kannst du dir vorstellen, wie oft ich im letzten Jahr versucht habe, mich in andere Männer zu verlieben? Es geht nicht! Ich kann ins Bett gehen, mit wem ich will, wenn ich dabei nicht an ihn denke, passiert nichts! Ich kann essen oder spazierengehen, mit wem ich will, immer ist dieser Schmerz da, weil er es nicht ist! Ich bin besessen! Verrückt ist das!«

  »Aber so muss es doch sein«, sagte Parrish.

  »Er interessiert sich einen Dreck für mich.«

  »Oh nein, Emily, du bist das einzige, was ihn außer seiner Arbeit noch wirklich berührt.«

  Sie setzte sich hin, plötzlich wieder beherrscht, aber der nächste Ausbruch war ihr schon anzusehen. »Nein, Mason, er liebt nur die absolute Wahrheit, Gott. Ich war für ihn nie wirklich. Nichts Menschliches kann für ihn jemals wirklich sein. Wirklich kann für Eddie nur sein, was unwandelbar, ewig gleich ist. Was er heute Nacht erlebt hat, das war seine Idee von Liebe. Das war die Erfüllung. Er ist endlich mit Gott im reinen. Er hat endlich das Absolute umarmt, die Verzückung der letzten Wahrheit erlebt. Und dabei wär er um ein Haar kaputtgegangen!« Sie war wieder aufgesprungen und schrie: »Er hat mich nie geliebt! Du kennst ihn so gut wie ich! Wir sind für ihn nur kleine Stücke vergängliche Materie!«

  Sie ließ sich auf die Couch fallen, blieb steif sitzen und starrte auf den Boden.

  »Du wirst auch einen Schock kriegen«, sagte Parrish. »Ich geh' dir was holen.«

  Er ging ins Schlafzimmer, wo er seinen kleinen braunen Beutel liegen gelassen hatte, und blieb einen Augenblick stehen, um den gleichmäßigen Rhythmus von Jessups Atem zu beobachten. Als er ins Wohnzimmer zurückkam, wühlte er in seinem Beutel nach der Valiumdose. »Hier, davon schläfst du nicht ein, aber es nimmt dem Ganzen die Spitze. Ich hole dir Wasser.« Er ging in die Küche.

  Kurz nach vier erschien Rosenberg. Emily war auf der Toilette; Parrish öffnete.

  »Wie geht's ihm?« fragte Rosenberg.

  »Keine Veränderung. Aber sie ist total erledigt.«

  »Wer ist das nicht?«

  »Hast du alles aufgeräumt und sauber gemacht?«

  »Ja. Was für ein Saustall. Hör mal, ich hab' das ganze Zeug im Wagen, die Gewebe- und Blutproben, die Filme, die Bänder. Was soll ich damit machen?«

  »Oh Mann, weiß ich auch nicht. Die Proben jedenfalls am besten in den Kühlschrank.«

  Emily kam aus dem Bad. »Wenn du ein paar Brote oder Kaffee haben willst, Arthur, in der Küche liegt alles.«

  »Nein, danke. Wie geht's dir?«

  »Wird schon werden. Ich habe Sylvia angerufen und ihr gesagt, sie soll sich keine Sorgen machen.«

  »Danke.«

  Sie saßen schweigend und niedergeschlagen im Wohnzimmer.

  Es gab eigentlich nichts zu reden, sie waren alle noch viel zu sehr von den Ereignissen der Nacht überwältigt. Alle Lampen im Zimmer brannten, aber das Licht konnte wenig gegen die düstere Atmosphäre ausrichten, von der die Luft schwer war. Immer wieder stand Emily auf, um ins Schlafzimmer zu schauen, aber Jessups Zustand veränderte sich nicht. Sie kehrte an ihren Platz zurück, nahm einen Schluck lauwarmen Kaffee und schloss die Augen, um zu ruhen.

  »Hört mal«, sagte Rosenberg plötzlich, »es muss ausgesprochen werden. Was wir heute Nacht erlebt haben, war einer der phantastischsten Momente in der Geschichte der Wissenschaft. Vergleichbar vielleicht dem ersten Mal, als jemand durch ein Mikroskop geschaut und entdeckt hat, dass feste Materie nicht fest ist. Wenn ich mich überhaupt noch an etwas von meiner College-Physik erinnere, dann ist es
das, was die Relativisten eine kosmische Singularität nennen. Wir haben heute Nacht einen Punkt erreicht, wo die Naturwissenschaften einfach zusammenbrechen. Diese Nacht ist Geschichte, und was fangen wir damit an?«

  »Ich will überhaupt nichts damit anfangen«, sagte Parrish. »Ich bin fix und fertig vor Angst. Ich will nur noch nach Hause und schlafen, und wenn ich wieder aufwache, dann will ich diesen ganzen gottverdammten Mist vergessen haben.«

  »Vielleicht hast du recht«, sagte Rosenberg. »Vielleicht sollten wir es lieber bis morgen ruhen lassen.« Er ging in die Küche, um sich ein Käsebrot zu machen, aber er war kaum aus dem Zimmer, als er auch schon wieder in der Tür stand. Offensichtlich konnte er es nicht einfach ruhen lassen. »Fliegt dieser Tank doch einfach in die Luft. Da drinnen ist genug Energie freigesetzt worden, um eine mit Aluminium verstärkte Holzkiste zu sprengen. Also ich weiß nicht, vielleicht ist an dieser Idee was dran, dass es eine Art menschlichen radioaktiven Zerfall gibt. Radioaktiver Zerfall ist immer mit einem Verlust an Quantenenergie verbunden.«

  »Verdammt noch mal«, brauste Parrish auf, »hör jetzt auf damit! Ich will nichts mehr davon hören!«

  »Ich kann's nicht ändern!«, schrie Rosenberg. »Du willst vielleicht schlafen gehen, aber ich, so wie ich mich jetzt fühle, ich würde am liebsten ein Jahr lang nicht mehr schlafen! Ich brenne einfach darauf zu wissen, weshalb ich da stundenlang im Tankraum herumkriechen musste, um den Boden aufzuwischen! Glaubst du an übernatürliche Mächte, Mason?«

  »Nein!«

  »Dann war das, was wir heute Nacht gesehen haben, ein physikalisches Phänomen, unbegreiflich zwar, aber wenn es ein Phänomen war, dann muss es zu erklären sein, und ich muss wissen, was es war! Lasst mich doch bloß um Gottes willen reden! Ich muss es loswerden! Ich habe da drei Stunden lang den Boden aufgewischt, und ich will euch erzählen, was ich tun möchte. Ich möchte ein paar Zellen von den Gewebeproben in den Inkubator tun, sie mit der Droge zusammenbringen und durch verschiedene Kraftfelder bewegen, um zu sehen, ob es irgendwelche Kraftveränderungen gibt. Dann will ich mit dem Zeug eine Röntgenkristallographie machen und nach Strukturveränderungen suchen. Dann will ich mit dem Gewebe einen Elektronenspin-Test machen und sehen, ob es Energieveränderungen gibt. Dein Kumpel Sproule könnte das alles für uns machen. Vielleicht kann er auch Kirlian-Fotografien für uns machen.«

 

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