Never Too Close

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Never Too Close Page 11

by Moncomble, Morgane


  »Ich bin keine Jungfrau mehr«, erkläre ich mit fester Stimme. »Ich lasse mir nur Zeit. Wenn es dich stört, dann …«

  »Spinnst du? Es stört mich überhaupt nicht. Im Gegenteil. Lieber langsam als zu schnell. Auch wenn ich – ich will dich nicht anlügen – mich jedes Mal, wenn ich dich sehe, am liebsten auf dich werfen würde«, sagt er, um die Stimmung zu heben.

  Ich lächle ihn an und muss unwillkürlich an Zoé und ihre dumme Idee denken. Jetzt bin ich am Arsch. Zoés Idee ist die einzige Lösung, die mir noch möglich erscheint. Auf keinen Fall darf Clément herausfinden, dass ich ihn angelogen habe, und vor allem will ich mich nicht zum Deppen machen, indem ich versuche, mich beim ersten Mal richtig zu verhalten.

  Clément küsst mich nun wieder sanfter, als eine Nachricht den Zauber des Augenblicks unterbricht. Clément und ich werfen gleichzeitig einen Blick auf das Display, auf dem der Name Loan erscheint.

  »Ah.«

  Überrascht hebe ich den Kopf.

  »Wieso ›ah‹?«

  Er wirkt verlegen. Ich schlucke und warte ab. Dabei weiß ich längst, was er sagen will.

  »Loan und du, ihr steht euch so nah … Vielleicht merkst du es nicht, aber es ist irgendwie beunruhigend.«

  »Warum beunruhigend?«

  Er seufzt mit todernster Miene. Innerhalb einer Minute scheint die Temperatur um mehrere Grad gefallen zu sein.

  »Ich glaube nicht an Freundschaft zwischen Jungs und Mädchen …«

  Ich frage mich, wie er in diesem Fall all die Mädchen bezeichnet, die sich an ihn rangeschmissen und als »nur befreundet« ausgegeben haben.

  »Also ich schon.«

  »Ich weiß. Deshalb nehme ich es ja auch hin.«

  Stille folgt. Eine schreckliche Stille, die nichts Gutes verheißt. Clément kann wegen Loan ganz beruhigt sein. Wenn wirklich zwischen uns etwas hätte passieren sollen, dann hätten wir es wohl versucht, als er und ich solo waren. Aber dem war nicht so.

  Ich knie mich vor Clément und nehme sein Gesicht zwischen die Hände.

  »Hey. Du bist derjenige, der hier ist, oder?«

  Statt einer Antwort drückt er den Mund auf meine Lippen und gibt mir einen erleichterten Kuss. Er ist es, der ihn kurzatmig und mit geschwollenem Mund beendet.

  »Ich hole uns was zu trinken und bin gleich wieder da!«

  Ich nicke lächelnd und sehe zu, wie er die Tür hinter sich schließt. Wieder bleibe ich allein in der Stille zurück.

  Nachdem ich bei Clément behauptet habe, dass ich keine Jungfrau mehr bin, kann ich nicht mehr zurück. Das aber bedeutet, dass ich mich nicht als frische, unberührte Blume präsentieren kann. Ich muss jemanden finden, der bereit ist, mit mir zu schlafen, und zwar nur ein einziges Mal. Danach wäre ich frei. Ich wüsste, was zu tun ist. Und meine Nacht mit Clément würde perfekt.

  Ich versuche, die Idee zurückzudrängen, aber sie ist längst allgegenwärtig. Seit ich um fünf die Vorlesung verlassen habe, geht sie mir immer wieder durch den Kopf. Es wäre der perfekte Plan. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich dazu in der Lage bin. Allein beim Gedanken daran dreht sich mir der Magen um.

  Aber im Moment fällt mir kein anderer Kandidat ein. Ich muss es versuchen. Immerhin bin ich Loan wichtig genug, dass er mir diesen kleinen Gefallen tun könnte, oder?

  Ja. Nein.

  Mist. Ich werde das tun, was ich eigentlich nicht tun wollte.

  Ich werde Loan bitten, der Erste zu sein.

  8

  Heute

  Loan

  Heute ist der Tag. Violettes zwanzigster Geburtstag.

  Ich stehe zwei Stunden vor den Mädchen auf, um die Anrufe anzunehmen. Ich habe Violettes Facebook durchforstet, um alle ihre Freunde aus dem Jura einzuladen. Wenn ich mir vorstelle, wie überrascht sie sein wird, muss ich schmunzeln.

  Dann mache ich Frühstück. Mit einer Blume und Schokolade für meine Violette, die mich seit dem Vorfall mit den Schoko-Bons mit Blicken erdolcht, sobald ich mich auch nur in die Nähe des Süßigkeitenschranks wage. Kaum halte ich mich in der Küche auf, fühle ich mich beobachtet. Es ist fast gruselig.

  Mit dem Tablett in der Hand stoße ich die Tür der Mädchen auf. Sofort sehe ich Violettes goldene Locken, die sich über ihr Kissen ausbreiten, als wäre sie in einem Spinnennetz gefangen. Einen Moment lang stelle ich mir vor, ihr Haar um meine Faust zu wickeln und daran zu ziehen, ein verbotenes Bild, bei dem mir fast schwindlig wird.

  Loan, nicht jetzt! Ich reiße mich sofort zusammen und erkläre:

  »Alle, die heute zwanzig werden, heben die Hand!«

  Violette brummt schlaftrunken. Ihre kleine Hand hat Mühe, sich aus der Decke zu befreien, aber sie schafft es.

  »Dachte ich mir doch«, sage ich und steige über Zoés Klamotten auf dem Boden hinweg.

  Als Violettes sommersprossige Nase die Crêpes erschnuppert, öffnet sie die Augen, setzt sich auf und schiebt die Decke beiseite, um das Tablett auf die Knie zu nehmen. Beim Anblick des dünnen, weißen Hemdchens, unter dem ich die dunkleren Spitzen ihrer Brüste erahnen kann, stockt mir fast das Blut in den Adern. Verdammt, nichts geht mehr.

  »Oh Loan!«, schwärmt Violette und streichelt die Blume mit den Fingerspitzen. »Vielen, vielen Dank.«

  Sie zwinkert mir unwiderstehlich zu, ehe sie in ein Schokocroissant beißt. Ich setze mich für ein paar Sekunden, während sie mir von ihrem »schrecklichen« Albtraum erzählt. Ich höre nicht zu. Meinem Verstand prägen sich die Wörter »Kühlschrank«, »Dieb« und »Verfolgungsjagd« ein, aber ich begnüge mich damit, sie anzuschauen.

  »Gut«, verkünde ich, als sie fertig ist. »Ich muss heute auf die Feuerwache, aber heute Abend bestellen wir was beim Chinesen, okay?«

  Sie wirkt überrascht. Ich glaube, sie ist ein wenig enttäuscht, dass wir nichts vorbereitet haben. Innerlich juble ich. Nun taucht auch Zoé aus den Kissen auf und fordert uns auf, leiser zu reden. Violette ignoriert sie, nickt, ohne mich anzusehen, und beißt ein Stück Croissant ab. Mir fällt auf, dass sie die Zähne zusammenbeißt.

  »Jep.«

  Autsch.

  »Cool. Gut, dann wünsche ich dir einen schönen Tag!«, sage ich und verlasse das Zimmer.

  Ich dusche und warte wohlweislich, bis Violette geht. Als ich ins Wohnzimmer komme, verschlingt Zoé gerade die Reste von Violettes Frühstück. Im Vorbeigehen gebe ich ihr einen Klaps auf die Hand.

  »Hast du etwa Geburtstag?«

  »Mneim«, antwortet sie mit vollem Mund.

  »Na also – das hier ist nicht für dich.«

  Sie streckt mir die Zunge heraus, aber ich beachte sie nicht.

  »Sie ist sauer auf mich, oder?«

  »Na logisch«, trumpft Zoé auf. »Du hättest mal sehen sollen, wie sie die Bananenstücke mit der Gabel aufgespießt hat … Ich glaube, sie hat sich vorgestellt, dir die Augen auszustechen.«

  Möglich. Oder etwas anderes.

  Alles ist bereit. Ohne Violette und Clément, die bald hier sein sollten, sind wir ungefähr fünfzig Leute. Wie mit Zoé vereinbart, wird Clément ihr anbieten, sie nach Hause zu bringen, und dann werden alle »Überraschung!« rufen. Das ist der Deal. Ich habe den ganzen Morgen damit verbracht, mein Geschenk vorzubereiten, dann habe ich das Zimmer der Mädchen abgeschlossen, damit Violette es nicht vorzeitig findet.

  Ich habe nicht alle Namen behalten, weil die meisten Gäste aus dem Jura gekommen sind. Andere, wie Alexandra und Chloé, sind bei ESMOD. Auch Ethan ist da, und ich stelle fest, dass er die Feministin mitgebracht hat.

  »Clément hat mir gerade geschrieben«, berichtet Zoé, während Jason die Nachricht über ihre Schulter hinweg mitliest. »Sie sind in fünf Minuten hier.«

  Sie wendet sich an meinen Freund und fordert ihn auf, ein paar Schritte zurückzutreten.

  »Weißt du, wie sexy du bist, wenn du dich ärgerst?«

  »Wenn du noch einmal sagst, ich wäre sexy, kastriere ich dich.«

  Jason runzelt die Stirn. Ich verziehe das Gesicht angesichts
dieser Drohung.

  »Was ist bloß mit euch Weibern los, dass ihr alle immer unser Ding angreifen wollt? Sucht euch doch was anderes!«

  »Weil es das Einzige ist, mit dem ihr rund um die Uhr angebt. Wir wissen, wie wichtig es euch ist.«

  Ich warte. Mein Blick ist auf die Wohnungstür geheftet. Irgendwann sind Geräusche im Treppenhaus zu hören. Ich erstarre. Alle Anwesenden verstummen. Ich höre Schritte vor der Tür, doch es dauert und dauert. Die Leute fangen an, sich gegenseitig anzusehen und sich zu fragen, ob es wirklich Violette war.

  Endlich dreht sich ein Schlüssel im Schloss. Als Violettes Gesicht erscheint, rufen alle gleichzeitig: »HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!« Violette bleibt wie angewurzelt stehen, reißt die Augen auf und fängt fast sofort an zu weinen. Es bricht mir beinahe das Herz. Jason steht neben mir. Sein Lächeln schwindet und er zischt mir zu:

  »Solche Überraschungen sind nie eine gute Idee.«

  Ich beachte ihn nicht, sondern stürze auf Violette zu und nehme ihr Gesicht in meine Hände. Sie hält sich die Augen zu, aber ich schiebe ihre Hände weg und trockne ihre Tränen mit meinen Daumen. Violette lächelt mich an. Es ist der schönste Moment des Tages. Sie ist nicht mehr sauer.

  »Hör auf zu weinen, Violette-Veilchenduft. Genieße deinen zwanzigsten Geburtstag.«

  Meine beste Freundin fällt mir um den Hals. Ich umarme sie so fest ich kann, schließe die Augen und vergrabe die Nase in ihrem seidigen Haar. Ich spüre die köstliche Wärme ihres Körpers, herrlicher als ein Kaminfeuer mitten im Winter, und ich berausche mich an ihren gegen meine Brust gedrückten Kurven.

  Violette flüstert mir ein absolut wunderbares »Danke« zu, ehe sie mich wieder loslässt. Dann dreht sie sich um und küsst Clément auf den Mund. Er sagt etwas zu ihr, das ich lieber nicht hören will. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal mehr, warum ich ihn eingeladen habe. Während Violette auf ihre alten Freunde zustürmt und Freudentränen vergießt, bleibt Clément bei der immer noch offenen Tür stehen und lächelt breit.

  Wenigstens freut er sich über ihr Glück. Das ist zumindest etwas.

  Mir fällt ein, dass er niemanden kennt, und ich gebe mir einen Ruck. Für Violette. Ich gehe auf ihn zu, schließe die Wohnungstür und reiche ihm die Hand.

  »Danke, dass du sie beschäftigt hast.«

  Ich schüttle seine Hand mit festem Griff, damit er versteht, wer ich bin, und sehe in seinen Augen, dass die Botschaft bei ihm ankommt.

  »Das war nicht schwer«, sagt er. »Wir haben uns prima amüsiert.«

  Umso besser für dich.

  »Mir war klar, dass sie weinen würde«, meint Clément lachend und verdreht die Augen. »Schon mein Vater hat immer gesagt: ›Frauen bestehen nur aus Wasser. Entweder sie pinkeln oder sie heulen‹.«

  Ich runzle die Stirn, lasse seine Hand los und verschränke die Arme vor der Brust. Soll das etwa ein Witz sein? Verdirb es nicht, lass es sein, flüstert meine Vernunft mir zu. Für Violette.

  Gemeinsam beobachten wir, wie sie glücklich von einer Umarmung in die nächste weitergereicht wird. Jason macht sich auf der anderen Seite des Raums über mich lustig. Sogar Zoé grinst spöttisch, als er auf Clément und mich zeigt. Das Schweigen stört mich keineswegs – im Gegenteil –, auch wenn es Clément nicht angenehm zu sein scheint. Schließlich hält er es für angebracht, mir zuzuraunen:

  »Sie ist echt was Besonderes, nicht wahr?«

  »Wem sagst du das?«, murmle ich und denke daran, wie Violette ist und was wir zusammen erlebt haben.

  »Seid ihr schon lang beste Freunde?«

  »Ein Jahr.«

  Mein Blick folgt Violette, die durch die Wohnung streift. Irgendwann treffen sich unsere Blicke. Ihre Augen funkeln und ihr Lächeln wird so breit, als wolle es den Mond erreichen.

  »Solltest du mich nicht vielleicht warnen?«, scherzt Clément. »So nach dem Motto: Wenn du ihr wehtust, finde ich dich und mache dich kalt?«

  Er scheint den Blickkontakt nicht zu bemerken, den weder Violette noch ich unterbrechen wollen. Ich weiß nicht, was sie in meinen Augen sieht, und ich weiß nicht, ob sie darin liest, dass ich sie heute Abend schön finde, aber sie schaut immer noch nicht weg.

  »Ich hatte nichts dergleichen vor«, antworte ich lahm und mit immer noch verschränkten Armen. »Ich mische mich nicht in ihre Angelegenheiten ein, erst recht nicht bei den Typen, die sie sich aussucht.«

  Er schweigt einige Sekunden. Schließlich reiße ich den Blick von Violettes Augen los. Die Schauer, die über mein Rückgrat rieseln, gefallen mir nicht wirklich. Ich nehme das Glas, das Zoé mir im Vorbeigehen anbietet, trinke einen Schluck und wende mich wieder an Clément.

  »Aber wenn du ihr wehtust, finde ich dich und mache dich kalt.«

  Mit Pokerface warte ich auf seine Reaktion. Clément weiß nicht wirklich, ob ich scherze oder ob ich es ernst meine. Ich warte nicht, bis er es kapiert, nicke ihm komplizenhaft zu und gehe.

  Das Fest beginnt mit fröhlichem Wiedersehen. Alle sind gut drauf und reden laut durcheinander. Was mich angeht, so sitze ich mit Ethan, seiner neuen Freundin und Jason in der Küche. Mein Kollege erwähnt den letzten Einsatz, den wir vor zwei Tagen hatten, aber ich will das Gespräch darüber abkürzen. Wieder einmal ein Autounfall, bei dem eine ganze Familie draufging. Besonders schrecklich war, dass wir das Handy in ihrer Tasche klingeln hören konnten.

  »Na?«, erkundigt sich Jason mit einem Augenzwinkern, das mich das Schlimmste befürchten lässt.

  »Na was?«

  »Hast du gesehen, wie viele hübsche Mädchen Violette uns beschert hat?«

  »Rein technisch gesehen war ich es, der sie uns beschert hat«, korrigiere ich.

  »Darum geht es nicht. Der Punkt ist, dass du freie Auswahl hast.«

  Ethans Freundin – sie heißt Ophélie – rümpft missbilligend die Nase.

  »Danke – also nein danke«, antworte ich und trinke einen Schluck Bier.

  Ethans Freundin flüstert ihm etwas zu und geht zu den Mädchen, nicht ohne einen abfälligen Blick auf Jason zu werfen. So ist es nun einmal mit Jason und den Frauen: Wenn er sie nicht in sein Bett komplimentiert, bringt er sie gegen sich auf. Es gibt offenbar keinen Mittelweg.

  »Okay, lass uns nicht um den heißen Brei reden«, fährt Jason fort und glotzt zu Zoé hinüber. »Wann hast du das letzte Mal gevögelt?«

  Ethan lacht vor sich hin und ist froh, nicht an meiner Stelle zu sein. Ich seufze und starre in mein Glas. Jason und seine Fragen nerven mich allmählich. Ja, es ist tatsächlich schon viel zu lange her. Aber ich bin nun mal kein Mann für einen One-Night-Stand, weil ich genau weiß, dass es mir nichts gibt.

  Richtig ist jedoch auch, dass es mich langsam ernsthaft belastet, keinen Sex zu haben. Aber ich komme damit klar.

  »Mit Lucie«, antworte ich sehr leise und fast verschämt.

  Die Stille um mich herum ist beinahe greifbar. Ich schaue auf. Jason und Ethan starren mich bestürzt an und warten darauf, dass ich meine Antwort als Scherz entlarve. Ich durchbohre sie mit Blicken.

  »Hört auf«, knurre ich.

  »Warte … Das war kein Witz?«

  »Nein, das war kein Witz. Hast du was dazu zu sagen?«, fordere ich ihn irritiert heraus.

  »Du musst ein Heiliger sein«, erklärt Ethan und hebt sein Bier.

  »Du bist ein Wichser, das ist es!«, schreit Jason. »Worauf wartest du? Besorg dir sofort eine Frau.«

  Er kotzt mich an. Er kotzt mich an, und ich hasse es, diese Art Gespräch mit ihm zu führen. Nicht weil es mir peinlich ist, sondern weil ich Angst habe, dass er meine Gedanken mit seinen perversen Abenteuern verseucht. Ich liebe Sex und vermisse ihn, das gebe ich offen zu. Aber ich werde mich nicht dazu herablassen, eine Frau zu vögeln, die mir nicht gefällt, nur um primäre Bedürfnisse zu befriedigen.

  »Du kannst mich mal«, gifte ich ihn an. »Wenn du glaubst, dass …«

  Plötzlich umschlingen warme Arme meinen Hals von hinten. Ich erkenne sie, ohne mich umdrehen zu müssen.

  »Hallo
Leute«, gluckst Violette mit fröhlicher Stimme. »Worüber redet ihr?«

  Ihr Atem auf meiner Haut und ihr leichtes Lallen zeigen mir, dass sie bereits einiges intus hat. Wenigstens muss sie nicht fahren.

  »Ach, weißt du … über alles Mögliche«, antwortet Jason augenzwinkernd.

  Ich drehe mein Gesicht in ihre Richtung. Meine Lippen sind so nah an ihren, dass ich ihren Atem spüre. Es wäre so einfach, sie zu küssen. Es würde genügen, die Lippen hinzuhalten, wie beim ersten Mal. Ein Reflex, nur ein Reflex. Was spielt es schon für eine Rolle, ob es ein Reflex des Herzens oder des Körpers ist?

  »Hey«, flüstert sie, als wolle sie mir ein großartiges Geheimnis anvertrauen.

  Ich schaue ihr in die Augen. Sie sprühen vor Aufregung und etwas Anderem, das ich noch nie deuten konnte.

  »Tanzt du mit mir?«

  Ich erstarre. Nein. Nein, nein, nein, mit dieser Hexe tanze ich nicht mehr. Ich habe diesen Fehler schon mal gemacht und werde nicht mehr darauf hereinfallen. Und doch zieht es meinen Körper gefährlich zu ihrem. Er will tanzen. Er will die Geschmeidigkeit ihres Halses, den frischen Geruch ihrer Haare, die sinnliche Bewegung ihrer Hüften.

  Ich wünschte, ich wäre stark genug.

  »Okay.«

  Kein Kommentar. Immerhin hat sie heute Geburtstag. Sie hat schon dreimal mit Clément getanzt, jetzt bin ich an der Reihe.

  Violette stößt einen Siegesruf aus und hüpft zu Zoé hinüber, um sich einen Song zu wünschen. Als sie an den anderen Tänzern vorbei zu mir zurückkehrt, hämmert der Rhythmus von »Wake me up before you go go« in meine Ohren. Ich lächle leicht. Es ist einer ihrer Lieblingssongs und zu meinem Glück nicht die Art von Musik, zu der man eng umschlungen tanzt.

  Ich nehme sie an der Hand und wirble sie herum. Endlich habe ich Spaß und genieße es. Violette tanzt wie ein kleiner Teufel, schwingt die Hüften und lacht mehr denn je. Unser Tanz endet in einem mitreißenden Rock ’n’ Roll. Ich weiß nicht, ob ich lächerlich wirke, aber es ist mir egal. Ich amüsiere mich köstlich. Umso mehr, da Clément uns die ganze Zeit beobachtet, während er mit anderen Typen redet. Leider wendet Violette sich irgendwann von mir ab und er übernimmt. Weil es mich langweilt, ihnen dabei zuzusehen, wie sie verliebt turteln, wende ich mich Zoé zu und greife nach ihrer Hand. Sie akzeptiert sofort.

 

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