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Rabentod (Rabenblut Serie 2) (German Edition)

Page 10

by Nikola Hotel


  »Du wirst mich nie wieder so anfassen, wie du es eben getan hast!«

  »Es sei denn«, seine Lider hoben sich träge, »du willst es.«

  Ich biss die Zähne zusammen. »Das ist genau das, was ich meine. Ich bin fest davon überzeugt, dass du das nicht beurteilen kannst. Du bildest dir vielleicht ein zu wissen, was andere möchten, aber das tust du nicht wirklich.«

  »Du täuschst dich. Ich merke ganz genau, was du willst oder nicht«, sagte er und dabei lallte er fast. »Es ist mir nur scheißegal.«

  »Dann können wir dieses Gespräch gleich beenden.«

  Er hob eine Hand, dann setzte er sich im Bett auf. »Ich war noch nicht fertig. Ja, es ist mir egal. Aber ich verspreche dir, dass ich dich nicht anfassen werde, wenn du mich nicht darum bittest. Worauf soll ich schwören?«, fragte er, und sofort erschien wieder diese Apfelspalte in seinem Gesicht, die ihn so viel jünger aussehen ließ.

  »Woran glaubst du denn?«

  »Ich glaube nicht an Gott. Ich glaube nur an meinen eigenen Arsch und sonst nichts«, erwiderte er.

  »Dann schwöre auf deinen eigenen Arsch, dass du mich auf dieser Fahrt niemals bedrohen oder anfassen wirst.«

  Er räusperte sich. »Ich schwöre.«

  Sein Schwur klang in etwa so feierlich wie die Sprachsteuerung meines Handys, aber das war vermutlich das Beste, was ich von ihm erwarten konnte.

  EISFINGER

  ISABEAU

  Bitte sag Lara Bescheid, dass die Wanderer noch gestern Abend den Park verlassen haben. Ich habe ein ganz komisches Gefühl bei den beiden. Sie hatten Jagdgewehre bei sich, und ich habe Verpackungsmüll ihrer Munition gefunden. Sollten sie wieder auftauchen, würde ich die Polizei rufen.

  Der Zettel, den ich Marek geschrieben hatte, würde ihn vermutlich mehr aufregen als beruhigen. Ich konnte ihm nicht sagen, weshalb ich mir wirklich sein Auto geliehen hatte, und hatte ihm deshalb eine kryptische Botschaft hinterlassen, in der Alexejs Großmutter die Hauptrolle spielte. Sollte er aus meinem wirren Gefasel etwas verstehen, dann nur so viel, dass sie krank geworden war und ich auf ihren Wunsch schnellstmöglich nach Orlík kommen sollte. Jaro war bereits zum Schlafplatz des Schwarms aufgebrochen, und Sergius besorgte aus Michalas Küche etwas zu essen, als ich schnell noch die verräterischen Spuren beseitigte, die überall in meinem Zimmer verstreut waren. Das Blut auf dem Fußboden, die Reste des Verbandsmaterials, meine Sachen, die Sergius grob vom Tisch gefegt hatte und die mein Zimmer aussehen ließen, als hätte jemand eingebrochen und sich darüber geärgert, dass er nichts Wertvolles fand.

  Es war vielleicht falsch, doch einfach weil sich die Gelegenheit dazu bot, schnitt ich ein Stück aus dem blutigen Handtuch heraus und schrieb mit Filzmarker ein S auf den Stoff. Und ich fischte Alexejs Kompresse wieder aus dem Mülleimer, markierte sie mit einem A und steckte beides zusammen in einen Briefumschlag, den ich speziell an Roman Gnezda adressierte.

  Kannst du diesen Brief bitte an das Labor schicken? Roman wartet schon auf die Proben, und wenn ich zurück bin, werde ich die Daten mit ihm auswerten. Ich rufe dich an, sobald ich bei Alexejs Oma angekommen bin. Macht euch keine Sorgen. Isa

  Ich stülpte mir meine Wollmütze über den Kopf und wickelte mir den Schal um den Hals, bevor ich in meinen Parka schlüpfte und noch einmal kontrollierte, ob das Holz im Ofen abgebrannt war. Die Luftzufuhr drehte ich vollständig zu, so würde auch der letzte Rest Glut langsam ersticken. Draußen empfingen mich beißende Kälte und neue Schneeflocken, die aufwirbelten und um Mareks Suzuki tanzten. Die Tasche stellte ich auf den Rücksitz, weil im Kofferraum bereits der Rucksack des Jägers lag. Der Rucksack, den ich nicht einmal ansehen wollte, geschweige denn berühren. Der Rucksack mit der SIG-Sauer P226.

  Als Sergius endlich kam, saß ich auf dem Fahrersitz und rieb meine Hände warm, die trotz der Handschuhe steif wie Stöcke waren.

  »Wie wäre es, wenn ich fahre?«, fragte er kauend und riss ein weiteres Stück von dem Brot ab, das er in der Hand hielt. »Damit wir auch vorwärtskommen.«

  »Ich wusste gar nicht, dass du einen Führerschein hast.«

  »Das habe ich auch nicht behauptet.«

  Mit einem vielsagenden Blick drehte ich den Schlüssel im Zündschloss und startete den Motor. »Vergiss es.« Mit diesem Macho-Getue würde er bei mir nicht weiterkommen.

  Milo war vor mehr als einer halben Stunde zurückgekehrt und hatte uns berichtet, dass der Pathfinder in einem mehr als gemütlichen Tempo auf der 39 unterwegs war. András ließ den Wagen zwar nicht aus den Augen, allerdings würde es schwierig werden, wenn sie die nächstgrößere Stadt erreichten, erst recht bei Tagesanbruch. Doch die Jäger schienen es gar nicht so eilig zu haben, Südböhmen zu verlassen. Wäre er über die Grenze nach Deutschland oder Österreich gefahren, dann wäre es in dem dichten Autobahnnetz unmöglich gewesen, ihn im Auge zu behalten. Aber hier, wo die Landschaft nur wenig besiedelt war, gab es nur Land- und ein paar wenige Schnellstraßen. Dass die Jäger diesen Weg gewählt hatten, konnte nur bedeuten, dass ihr Ziel innerhalb Tschechiens lag. Oder dass sie gar nicht damit rechneten, verfolgt zu werden.

  Nach nur wenigen Minuten hatten wir den Schotterweg hinter uns gelassen und fuhren vom Parkgelände hinunter auf die Hauptstraße, die sich durch das hügelige Gelände von einem Dorf zum nächsten schlängelte. Das Schneetreiben wurde dichter, und ich gab es auf, mit Fernlicht zu fahren, weil sich alles im Scheinwerferlicht zu einer undurchdringlichen weißen Wand aufbaute. Auf die Idee, das Radio anzustellen, kam ich gar nicht erst, weil ich daran gewöhnt war, dass die Musik Alexej missfiel. Doch Alexej war nicht hier.

  Sergius war schon nach der ersten Kurve im Sitz nach unten gerutscht. Seine Füße ragten über das Armaturenbrett. Es war mir schleierhaft, wie er in dieser Position schlafen konnte. Sollte er sich doch den Hals dabei verrenken, es war mir egal.

  Die Flocken fielen inzwischen so dicht, dass der Suzuki nur noch im dritten Gang vorwärtskam. Ich sah kaum noch bis zur nächsten Kurve. Immer wieder hielt ich Ausschau nach Jaro, der zwar hoch über uns flog, aber trotzdem dicht bei uns bleiben wollte. Hätte es nicht so geschneit, wäre mir der seltsame weiße Vogel sicher viel früher aufgefallen, aber so verschwamm das Federkleid in der Schneemasse. Vor der nächsten Kurve schaltete ich in den zweiten Gang zurück und ließ den Wagen gemächlich über die Kuppe kriechen. Da sah ich auf einem Zaunstück am Wegesrand den weißen Vogel sitzen. Vielleicht eine Schleiereule? Ich war zu schnell vorbei, um ihn genauer ansehen zu können. Im Rückspiegel beobachtete ich, wie das Tier aufflatterte, war mir aber nicht sicher, ob ich es tatsächlich sah oder ob die weißen Schwingen nicht doch nur vom Wind gepeitschte Flocken waren. Vermutlich war ich einfach nur übermüdet. Ich unterdrückte ein Gähnen. Immer wieder sah ich etwas an den Fenstern vorbeihuschen und schreckte zusammen, nur um dann zu merken, dass mir mein Gehirn einen Streich gespielt hatte.

  Sergius schlief tief und fest. Wie schön für ihn, dass er sich während der Fahrt so wohlfühlte, dachte ich missmutig. Es war bereits halb drei und die Anspannung der vergangenen Stunden machte mir zu schaffen. Und doch konnte ich nichts anderes tun, als auf der Straße immer weiterzufahren, bis Milo oder Jaro uns eine neue Richtung wiesen. Wie lange auch immer es dauern würde.

  Inzwischen hatte sich auch die Lüftung aufgeheizt, und ich konnte meine Handschuhe loswerden. Sergius schien die Kälte wirklich nichts auszumachen. Im Gegensatz zu mir, die ich mich in meinen gefütterten Parka gekuschelt hatte, trug er lediglich seinen Kapuzenpulli und hatte auch noch die Ärmel hochgekrempelt. Seine nackten Unterarme hielt er über der Brust verschränkt. Diese Narben – ich konnte den Blick kaum davon lösen – sahen aus, als hätte jemand Zigaretten auf seiner Haut ausgedrückt und sich hinterher noch die Krallen daran geschärft. Kreisrunde helle Stellen und zahlreiche Schnitte, die ein schauriges Muster auf den Innenseiten seiner Unterarme bildeten. Nur seine Hände waren makellos. Seine Hände, seine Füße, sein Hals und sein Gesicht. Eigentlich alles, was man sehen konnte, wenn er vollständig bekleidet war. Als hätte jemand extra darauf geachtet, dass keine Verletzungen unter seiner Kleidung zum Vorschein kamen. Ob er das selber gewese
n war?

  Und ob er wirklich nie eine Gänsehaut bekam? Das war doch eigentlich gar nicht möglich, oder? Das war schließlich nichts, was man beeinflussen oder unterdrücken konnte. Mein Blick huschte von der Straße immer wieder zurück zu Sergius’ überkreuzten Armen, an denen feine, blonde Härchen zu sehen waren. Ich streckte meine Hand aus und drehte die Lüftung von warm zu kalt. Dann justierte ich die Lamellen so, dass der kalte Luftzug direkt in Sergius’ Richtung strömte. Bereits nach wenigen Minuten wurde mir so kalt, dass ich am liebsten meine Handschuhe wieder übergestreift hätte, weil meine Finger zu steif waren, um das Lenkrad richtig zu umfassen.

  Sergius atmete völlig ruhig und entspannt, mit keiner Regung verriet mir sein Körper, dass er sich unwohl fühlte. Keine Gänsehaut, nichts. Ich schaltete in den dritten Gang hoch, als das Schneegestöber abebbte, und ließ den Schaltknüppel los. Mein Handrücken war nicht weit von Sergius’ Unterarm entfernt. Nur ein paar Zentimeter. Ich berührte seinen nackten Unterarm und zog dann die Hand erschrocken zurück. Die Haut war eiskalt wie die einer Leiche.

  Was tat ich hier eigentlich?

  Entsetzt über mein eigenes Verhalten drehte ich hastig die Heizung auf Höchststufe und hangelte dann nach hinten, wo auf der Rückbank zur Sicherheit mehrere Fließdecken lagerten. Den Blick starr auf die Fahrbahn gerichtet, zerrte ich eine davon heraus und breitete sie umständlich über Sergius aus. Das war nicht normal! Alexej hatte immer Probleme, seine Körpertemperatur zu regulieren, wenn er sich verwandelte. Er war heiß, fiebrig, weil Vögel einfach eine höhere Temperatur besitzen als wir Menschen. Sergius schien damit keine Probleme zu haben. Er fieberte nicht, hatte sich aber im Gegenteil auch kein bisschen kalt angefühlt, als er mich eben in meinem Zimmer an die Wand gepresst hatte.

  Als es wieder wärmer wurde, konnte ich mich entspannen. Dabei fiel es mir immer schwerer, mich aufs Fahren zu konzentrieren. Ich gähnte und hielt mir die Hand vor den Mund. Plötzlich schlingerte der Wagen und wäre fast am Heck ausgebrochen. Sofort nahm ich den Fuß vom Gas. Nur mit Mühe brachte ich den Suzuki wieder auf die Spur. Die Fahrbahn war nun so dicht mit Schnee bedeckt, dass die Räder mehr rutschten als rollten. Ich warf einen Blick zur Beifahrerseite, wo Sergius’ Kopf zur Seite gerollt war. Gott sei Dank hatte er von diesem Schlenker nichts mitbekommen.

  Ich blinzelte, weil meine Lider schwerer wurden und der Drang immer stärker, die Augen zu schließen. Mit der flachen Hand klatschte ich mir gegen Stirn und Wange, um endlich wieder wacher zu werden.

  Seltsam, wie still es war, wenn Schnee und Dunkelheit alles verschluckten. Rechts und links von der Straße schienen die Bäume wie mit Watte ummantelt. Ich musste abbremsen, als die Straße zum ich-weiß-nicht-wie-vielten Male über Bahnschienen führte, dann ging es an einer endlosen Reihe von Birken entlang, deren kahle Zweige wie Nadeln in den Himmel stachen. Sergius gab ein leises Stöhnen von sich, und das lenkte mich ab. Nur für einen winzigen Augenblick schwenkte mein Kopf zu ihm, und als ich wieder nach vorne sah, stand etwas Weißes mitten auf der Straße.

  Mit einem Aufschrei riss ich das Lenkrad herum und trat auf die Bremse. Nach einem kurzen Ruckeln blockierten die Räder und der Wagen schlidderte über die linke Spur, machte eine halbe Drehung und kam schließlich entgegengesetzt zur Fahrtrichtung zum Stehen. Mit einem harten Ruck wurde mein Oberkörper vom Gurt zurückgerissen.

  »Scheiße, Isa!«, keuchte Sergius auf. »Willst du uns umbringen?«

  Sofort drückte ich auf die Gurtschließe und zerrte hektisch am Gurt, um mich zu befreien. Das war kein Tier gewesen!

  »Was zum Teufel wird das?« Auch Sergius öffnete seinen Gurt, aber da hatte ich bereits die Autotür aufgerissen und sprang aus dem Wagen. Auf dem glatten Boden rutschten meine Sohlen weg, und ich stolperte vorwärts. Das war kein Reh oder so gewesen! Ohne auf Sergius’ Rufe zu achten, rannte ich quer über die Fahrbahn, zurück zu der Stelle, an der ich den Suzuki herumgerissen hatte, heraus aus dem schmutzigen Gelbton, den die Scheinwerfer auf den Boden warfen, als hätte jemand in den Schnee gepinkelt.

  »Hallo?« Meine Stimme schallte panisch durch die Nacht. Durch die zerfetzten Wolken am Himmel schien der Mond bleich auf meine Hände, die ich hilflos gehoben hatte. Nichts, hier war nichts! Aber ich hatte es gesehen! Wenn auch nur für eine winzige Sekunde, aber ich hatte es gesehen!

  Hoffentlich hatte ich niemanden verletzt, kochte eine dunkle Ahnung in mir hoch. Falls es doch ein Tier gewesen sein sollte und mir meine Sinne nur einen Streich gespielt hatten, dann hatte es sich vielleicht in den Graben gerettet oder war in den Wald gelaufen. Aber falls nicht …

  Ich lief mehrere Meter am Straßenrand entlang. »Hallo? Ist hier jemand?«

  Als Antwort hörte ich nur das Knirschen, das Sergius’ Schuhe verursachten. Ich ging denselben Weg wieder zurück und hob fragend die Schultern an. »Da stand etwas mitten auf der Straße.« Meine Zähne fingen an zu klappern. Etwas, das helles Haar besaß, oder zumindest ein sehr helles Fell.

  »Wahrscheinlich ein Reh.« Sergius zuckte mit den Schultern und schob seine Hände in die Hosentaschen. »Garantiert hat es sich noch mehr erschreckt als du. Schade eigentlich, dass du es nicht erwischt hast, ich hätte nichts gegen ein Bambi einzuwenden.«

  »Aber das war kein Reh!«, beharrte ich, ohne auf seine Provokation einzugehen. »Es sah aus wie ein Kind.«

  Mit einem Auflachen deutete er auf den Boden. Genau auf die Stelle, wo die Reifenspuren einen Haken nach links machten und sich auf dem anderen Fahrstreifen verloren. »Aber es gibt keine Spuren«, sagte er. »Gar keine. Das hast du dir nur eingebildet.« Er trat näher an mich ran, seine Schuhe schleiften durch den Schnee. Falls also bis eben noch Spuren zu sehen gewesen wären, dann hätte er sie spätestens jetzt alle verwischt. Als hätte er das mit Absicht getan. Er hob seinen Arm, wie um ihn mir um die Schulter zu legen. Doch dann besann er sich und ließ ihn langsam wieder sinken. »Ich fahre jetzt. Du bist doch total übermüdet.«

  »Okay.« Ich nickte, weil es sinnlos war, hier in der Dunkelheit zu diskutieren. Ich bildete mir ein, dass Sergius kurz stockte, doch dann lief er stur zum Auto zurück.

  Ich konnte mir das unmöglich eingebildet haben. Jedes einzelne Haar an meinem Körper stellte sich auf, und meine Zähne schlugen aufeinander, als ich zurück ins Auto auf den Beifahrersitz kroch.

  Sie war da gewesen, diese dürre Gestalt im Schnee! Die nackten weißen Arme und das blonde Haar, das struppig über die mageren Schultern fiel. Pergamentene Haut, durch die es blau schimmerte, als sähe man durch einen Aquamarin. Ich war mir sicher, dass mich fremde Augen direkt angesehen hatten. Zwei dunkle, seelenlose Höhlen in einem Kindergesicht.

  Kurz darauf lenkte Sergius den Wagen gemächlich zurück auf die Straße. Mir war es nun völlig egal, ob er einen Führerschein hatte oder nicht. Es zählte nur, dass er fuhr und ich endlich für einen Moment die Augen schließen konnte. Für einen köstlichen Moment, in dem sich mein Herzschlag beruhigte und die Decke sich nicht nur warm über meine Beine ausbreitete, sondern auch über meine Gedanken.

  »Du wirst es aber nicht ausnutzen, dass ich schlafe, oder?«, vergewisserte ich mich. Die Worte bildeten Bläschen in meinem Kopf, die sofort platzten. Vor Müdigkeit wusste ich gar nicht mehr, was ich da redete.

  »Keine Sorge«, raunte Sergius. Seine nächsten Worte kamen so leise, als wären sie gar nicht für mich bestimmt. »Würde ich so viel Interesse an deinem Körper zeigen wie du an meinem, dann hätte ich wahrscheinlich längst ein Messer zwischen den Rippen hängen.«

  »Ja«, nuschelte ich, »ganz bestimmt hättest du das.«

  Ich hörte noch, wie er leise lachte, ein heiseres, abgehacktes Lachen, dann kippte mein Kopf zur Seite.

  MONDERINNERN

  ISABEAU

  Meine Stirn klebte an der kalten Fensterscheibe, als ich aufwachte. Mit einem Ächzen richtete ich mich auf und versuchte meine Arme zu bewegen. Von der ungewohnten Position waren mir die Hände eingeschlafen, und ich schüttelte sie.

  »Du sabberst im Schlaf.« Sergius stand in der Tür und bog seinen Rücken durch. Auch ihm schien das lange Sitzen nicht bekommen zu sein.

  Unwillkü
rlich wischte ich mir über den Mund, doch das breite Grinsen in Sergius’ Gesicht strafte seine Worte Lügen. »Und du hast meinen Namen gestöhnt. Mindestens dreimal hintereinander.«

  »Klar!« Sofort war ich hellwach und warf ihm einen wütenden Blick zu. »Davon träumst du vielleicht.« Erst jetzt fiel mir auf, dass sich seine Hände an seinem Hosenstall zu schaffen machten, und meine Augen weiteten sich.

  »Stell dich nicht so an, ich war nur mal eben pinkeln.«

  »Wie spät ist es?«

  »Kurz nach vier. Du hast nicht mal eine halbe Stunde geschlafen.«

  »Gibt es Neuigkeiten? Hat Jaro sich gemeldet?«

  »Er hat auf dich aufgepasst, als ich im Wald war«, sagte er. Wie immer troff ihm seine Dominanz beinahe aus jeder Pore. Als hätte er allein zu bestimmen, dass Jaro auf mich aufpasste, und als wäre der Junge nicht alt genug, selber zu entscheiden, was er tat. Sergius ließ sich in den Sitz fallen. »Milo hat den Wagen kurzzeitig aus den Augen verloren, aber eben haben sie den Pathfinder wiedergefunden. Keine Viertelstunde von hier auf einem Parkplatz.«

  »Worauf warten wir dann noch?«, fragte ich, rollte die Decke von meinem Schoß zusammen und warf sie nach hinten auf die Rückbank. »Lass uns fahren.«

  »Wir haben’s nicht eilig.« Er nahm einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche, die zwischen uns beiden in der Mittelkonsole gesteckt hatte, und nachdem er sie absetzte, hielt er mir die offene Flasche hin.

  Glaubte er ernsthaft, ich würde mit ihm gemeinsam aus einer Flasche trinken? »Nein danke.«

  Mit einem Schulterzucken ließ er das Getränk zurück in die Halterung gleiten. »Sie haben den Wagen abgestellt. Entweder sind sie längst über alle Berge, oder das Ganze war genau so geplant. So langsam, wie sie über die Landstraße gekrochen sind, wollten sie vielleicht sogar von uns verfolgt werden.«

  »Und wieso sollten sie von uns verfolgt werden wollen?«, fragte ich patzig, weil mir die Vorstellung ganz und gar nicht gefiel. »Sie haben von uns doch nichts zu befürchten. Was können wir schon tun? Dass wir ihnen nicht die Polizei auf den Hals hetzen, dürfte ihnen inzwischen auch klar geworden sein.«

 

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