Rabentod (Rabenblut Serie 2) (German Edition)
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»Kdo je tam?«
»Sorry«, sagte ich hastig. »Äh … promiňte!« Ich wollte die Tür gleich wieder zuziehen, da schaltete der Mann seine Nachttischlampe ein und setzte sich auf die Bettkante. Er tastete nach der Brille auf seinem Nachttisch. »Ist etwas mit Frau von Steinberg?« Sein Deutsch klang kein bisschen eingerostet, aber er hatte einen starken tschechischen Akzent.
»Nein, nein, ihr geht es gut. Hoffe ich. Ich habe nur ihr Zimmer gesucht. Wir müssen sie aufwecken. Es ist –«
»Ist der Fürst hier?«
Der Fürst? Ach, du Schande! »Sie meinen Alexej? Ja, er ist hier und …« Himmel, wie sollte ich ihm das erklären? Ich konnte doch schlecht sagen, wir werden angegriffen, oder sonst einen dramatischen Satz. Aber im Grunde war es genau so und nicht anders. Wir wurden verflucht noch mal angegriffen!
Hoffentlich wusste er wenigstens über die Raben Bescheid. Doch falls nicht, konnte ich mich nicht mit ausführlichen Erklärungen aufhalten.
»Es sind Männer unterwegs, um einen der Raben zu holen. Ein kleines Mädchen. Sie –«
Mit einem Ruck stand er auf. »Ich wecke Frau von Steinberg sofort.« Er zog seinen Morgenrock von einem Stuhl, ein flamboyantes Stück, das perfekt in das Setting von Downton Abbey passte, und hätte mir nicht das Herz bis zum Hals geschlagen, hätte ich darüber sicher geschmunzelt.
»Šimon«, sagte er, als er an mir vorbeikam, und deutete doch tatsächlich so was wie eine leichte Verbeugung an. »Folgen Sie mir.«
»Ich … bin Isabeau.« Dieser Mann übertrieb es ein bisschen mit seiner Ergebenheitsrolle, aber das sollte mir egal sein, solange er die Dinge in die Hand nahm.
»Ich bin über Ihre Ankunft informiert worden. Frau von Steinberg hat für einen solchen Notfall vorgesorgt, kein Grund zur Beunruhigung.«
Ich hoffte, dass er mit Notfall nicht mein Auftauchen meinte, sondern den Ernst der Lage begriffen hatte. Überhaupt schien dieser Mann ein etwas kauziger Kerl zu sein. Er bat mich, vor dem Zimmer zu warten, als ob wir nicht in aller Eile wären und ich nicht eigentlich jeden Moment in Panik ausbrechen würde. Aus dem Salon hörte ich ein seltsames Scheppern, dann war es wieder still. Unruhig trat ich auf der Stelle.
»Frau von Steinberg ist nun bereit.« Er führte die alte Dame an der Hand aus dem Zimmer. Sie hatte ihre Haare zu einem Dutt aufgewickelt und zum Schlafen ein Tuch über den Kopf gebunden, das sie jetzt aufknöpfte und in ihre Manteltasche schob. Ihr Gesicht war aschfahl, als sie ins Flurlicht trat.
»Alexej hat gesagt, dass Sie sich mit dem Mädchen in der Bibliothek einschließen sollen«, sagte ich ohne Umschweife. »Kommen Sie schnell, diese Männer … Sie können in einer knappen Stunde schon hier sein.«
»Aber Kind.« Mit einem schlurfenden Gang lief sie auf mich zu, immer einen Arm auf Šimon gestützt. »Ich habe nicht vor, mich in meinem eigenen Haus zu verstecken.«
Ich wusste von Alexej, dass sie bereits über achtzig war, aber sie kam mir nun sogar noch älter vor. Alt und zerbrechlich und auf jeden Fall keiner Situation wie dieser gewachsen, aber vielleicht täuschte ich mich auch.
»Wo ist das Mädchen?«, fragte sie nun.
»Jaro passt auf sie auf. Er hat sie vermutlich schon in die Bibliothek gebracht. Das Schlimme ist nur, dass Alexej nicht bereit ist, die Polizei zu rufen. Und er wollte die Alarmanlage deaktivieren.«
»Begleiten Sie mich, bitte.« Sie streckte ihren freien Arm nach mir aus, und ich war kurz davor zu schreien. Ich konnte gerade so gar keine Geduld für die alte Dame aufbringen und wollte lieber wissen, was Alexej mit Arwed, Milo und András besprach. Vielleicht konnte ich ihnen irgendwie helfen. Was ich nicht wollte, war, für eine alte Dame so was wie eine Kammerzofe spielen, während der Mann, den ich liebte, sein Leben riskierte. Hinter mir klapperte eine Tür. Verzweifelt sah ich von Šimon zum General und wieder zurück.
»Oh Mann«, zischte ich gereizt, weil ich es nicht länger unterdrücken konnte. »Ich wünschte wirklich, Sergius wäre hier!«
Daran, wie der General eine Augenbraue streng anhob, erkannte ich, dass ich wohl einen Fauxpas begangen hatte. Dann hörte ich eine tiefe Stimme in meinem Rücken sagen:
»Und schon geht dein sehnlichster Wunsch in Erfüllung.«
Ich fuhr herum.
Sergius warf die Tür hinter sich ins Schloss und stopfte sich das Hemd in die Hose, wobei er einen Blick zurück über die Schulter warf. Es war ihm nicht anzumerken, in welcher Stimmung er sich befand.
»Tut mir leid die Sache mit deinem Fenster, Mütterchen«, sagte er und wedelte lapidar mit der Hand in Richtung des Salons. »Ich musste nur irgendwie da reinkommen, um mir ein paar Klamotten von eurem verfluchten Fürsten auszuleihen.«
»Wer ist dieser impertinente Mensch?«
Sakra! Hatte ich mir eben wirklich gewünscht, Sergius zu sehen? Und hatte er den General tatsächlich Mütterchen genannt? Mir rutschte das Herz in die Hose. Er wusste echt, wie man eine Party sprengte. Konnte er nicht einmal Alexejs Großmutter gegenüber etwas höflich sein? Nein, vermutlich konnte er das nicht. So was lernte man eben nicht, wenn man in einem Kinderheim aufwuchs, in dem man vernachlässigt, misshandelt und missbraucht wurde. Eines dieser Heime, die es gar nicht geben durfte. Das war wohl auch der Grund, warum ich das Bedürfnis verspürte, Sergius vor dem General in Schutz zu nehmen.
»Er ist …«, ich stockte kurz, »… genau der Mann, den wir jetzt brauchen.«
Der General schwankte für ein paar Sekunden, dann nestelte sie ihre Brille aus dem Morgenrock und setzte sie unbeholfen auf. Ein bellendes Lachen drang aus ihrer Kehle. »Habe ich es mir doch gleich gedacht, ein Drygalski.«
»Sorry, Alte«, sagte er knapp, »nicht mein Name.«
Sowohl Šimon als auch ich sogen scharf die Luft ein, aber davon ließ sich Sergius kein bisschen beeindrucken. Ich beobachtete den General beunruhigt, weil ich Angst hatte, sie würde aufgrund dieser respektlosen Art gleich einen Herzinfarkt bekommen.
»Es würde mich sehr wundern, wenn du dich überhaupt erinnern könntest, wie du wirklich heißt«, blaffte sie. Dann machte sie einen wackeligen Schritt auf Sergius zu und hob sein Kinn mit ihrem Gehstock an. Sergius verzog keine Miene.
»Deine Mutter Aneczka ist bei deiner Geburt gestorben und dein Vater nur wenige Jahre später, dann hat man dich in diese Familie gesteckt, zu sechs anderen Bengeln. Ha!«, lachte sie auf und ließ die Hand mit dem Stock sinken. »Du bist das Abziehbild von Wojciech, deinem Großvater, und der war schon ein Drygalski, wie er im Buche steht. Das freche Mundwerk hast du von ihm geerbt.«
»Scheiße, für so was habe ich jetzt echt keinen Nerv, Alte.« Er streckte die Hand nach mir aus. »Komm, Isa!«
»Es tut mir sehr leid«, sagte ich zum General und lief hinter Sergius her. Kurz bevor wir das Ende des Flurs erreicht hatten, drehte er sich noch einmal um.
»Drygalski, ja?« Er pustete eine blonde Strähne weg, die ihm in die Stirn gefallen war, und seine Augen waren zwei dunkelgrüne Tiefen aus Moldavit.
»Von Drygalski«, verbesserte der General, die es nicht lassen konnte, ihn zu belehren. »Altes polnisches Adelsgeschlecht. Sie trugen den Beinamen ›Korvin‹, was sich auf das lateinische Wort für Rabe zurückführen lässt.«
Sergius lachte. »Ein beschissenes ›von‹. Scheiße, ich glaub’s nicht!« Dann stieß er die Tür auf und schubste mich nach draußen.
Auf dem Korridor krempelte er die Ärmel seines Hemdes bis über die Ellbogen hoch, als wollte er sich gleich mit jemandem prügeln. Ich fand es ungewohnt genug, ihn in einem ordentlichen Hemd zu sehen, ihn jetzt aber mit dem Hintergrundwissen des Generals zu betrachten, überforderte meine Vorstellungskraft völlig. Sergius von Drygalski?
»Du hast das wirklich nicht gewusst?«
»Wollen wir uns jetzt über ein paar Leichen unterhalten, die meine Eltern gewesen sind, oder lieber die Zeit nutzen –«
»Wenn du jetzt irgendwas Unanständiges sagst, dann flippe ich aus!«, unterbrach ich ihn.
Verblüfft starrte er mich an. Dann grinste er sein breites Apfelspaltengrinsen. »Hatte ich nicht vor. Ich dachte, wir üben ein paar Handgriffe, und ich zeige dir, wie man einem
erwachsenen Mann das Genick brechen kann.« Er ließ seine Fingerknöchel knacken.
»Och, ich weiß nicht«, sagte ich mit zartem Schmelz in der Stimme. »Werde ich das jemals in meinem Leben anwenden können? Bring mir doch lieber bei, wie man Augäpfel aussticht.« Ich holte tief Luft. »Spinnst du eigentlich? Ich dachte, du erzählst mir jetzt mal euren Plan und wie ich dabei helfen kann.«
»Also kein Physikunterricht?«
Ich schüttelte den Kopf.
Sergius seufzte. »Ich habe nicht mit Alexej gesprochen. Wie soll denn der Plan aussehen? Wie ich ihn kenne, wird er versuchen, die Söldner von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie werden ein bisschen reden, Alexej sagt ihnen, dass er es für keine gute Idee hält, ihnen das Mädchen zu geben, die Söldner sehen das ein, bedanken sich artig für das Gespräch und fahren nach Hause.«
»Sehr lustig.«
»Hat unser braver Pazifist etwa nicht von dir verlangt, dass du dich mit dem Mütterchen zusammen verkriechen sollst? Wenn nicht, dann bin ich platt.«
Natürlich hatte er das, aber das würde ich Sergius garantiert nicht auf die Nase binden.
»Und ich wette, das passt dir überhaupt nicht, weil du nämlich null Talent hast, das zu tun, was man dir sagt. Du bist nicht so friedliebend, wie unser Fürst das gerne hätte. Im Grunde geht es dir nämlich genauso wie mir. Du fühlst dich von Gewalt angezogen.«
»Lächerlich.«
»Du brauchst den Thrill.« Er grinste noch breiter.
»Gut«, blaffte ich, »wenn du meinst! Dann werde ich mir jetzt eben irgendeine Waffe suchen.«
»Das kannst du gerne machen. Aber nur, damit du Bescheid weißt: Es wird keine drei Sekunden dauern, bis einer von ihnen diese Waffe gegen dich richtet. Du kannst sie ihnen also auch gleich freiwillig übergeben.«
»Was soll ich dann deiner Meinung nach machen?«
»Deine Hände und dein Hirn benutzen, verdammt! Sie werden doch hier kein Massaker an einem Touristenort veranstalten. Das wird selbst Wassilij nicht vertuschen können. Also entspann dich mal.«
Das versuchte ich ja, ich versuchte es wirklich!
Ich holte tief Luft. Das Licht an der Korridorwand fing an zu flackern, wahrscheinlich würde die Birne gleich durchbrennen und uns im Dunklen hier zurücklassen.
Ich fasste Sergius am Arm, genau dort, wo er von Narben übersät war. »Ich habe Angst. Also richtige Angst, nicht bloß ein mulmiges Gefühl«, ließ ich ihn wissen.
Sein Blick folgte meiner Bewegung bis zu der Stelle, wo meine Fingerspitzen die Innenseite seines Unterarms berührten. Und mit Staunen sah ich in dem gelben flackernden Schein, dass sich jedes einzelne blonde Härchen auf seinem Arm aufgestellt hatte. Sergius’ Augen weiteten sich.
Gänsehaut. Er hatte eine Gänsehaut. Abrupt ließ ich meine Hand sinken.
Er schluckte. »Ich werde dich schon nicht verrecken lassen.«
BLINDVERTRAUEN
ISABEAU
»Wo ist diese beschissene Bibliothek?«, blaffte Sergius und starrte mit wilden Augen auf den Schlüsselbund in meiner Hand.
Ich stocherte damit im Schloss der nächsten Tür herum. »Wir haben doch schon fast alles durch, sie kann nur noch hier sein.«
»Was für ein Schwachsinn ist das eigentlich, jede einzelne Tür abzuschließen? Damit hält man doch niemanden auf, der wirklich hier reinwill, aber wenn man versucht rauszukommen, ist man echt am Arsch.«
»Findest du das logisch?«, keuchte ich und hatte es endlich geschafft, die Tür zu öffnen. Sergius stieß sie krachend auf.
»Verschwindet!«, schleuderte uns Jaro entgegen, der Ewa hinter seinen Rücken geschoben hatte. Als er erkannte, dass wir es waren, fiel sein aggressiver Gesichtsausdruck in sich zusammen. »Gott sei Dank.«
»Schon wieder einer, der sich freut, mich zu sehen«, sagte Sergius. »Langsam geht mir das auf den Sack.«
»Ich bin überhaupt nicht froh, dass du es bist«, widersprach Jaro. »Ich bin nur froh, dass es niemand anderes ist.« Hinter seinem Rücken lugte Ewa hervor. Sie hatte Sergius vermutlich noch nie gesehen, und ich bezweifelte, dass sie erkennen konnte, wie ähnlich sie sich waren. Sie wusste wahrscheinlich nicht einmal, wie sie selbst aussah. Ewa war erst seit ein paar Tagen ein Mensch, und ich fragte mich, ob sie überhaupt begriff, dass da ein Unterschied zu ihrem Rabenwesen bestand. Sie trug ein viel zu großes T-Shirt von mir, und ihre dürren Glieder kamen darunter hervor wie Storchenbeine. Sie beugte sich nach vorne, wie ein Rabe es tat, wenn er einen tiefen Krächzlaut ausstoßen möchte. Ihr Brustkorb hob sich, als sie Luft holte, aber was sie hervorbrachte, war nur ein frustriertes Krähen.
»Ist schon gut, Ewa«, sagte Jaro und wollte ihr beruhigend über den Rücken streicheln, aber sie stieß seine Hand weg und versuchte erneut, einen Laut auszustoßen.
»Ist sie schwachsinnig?«, fragte Sergius wenig feinfühlig.
Jaro blieb beinahe die Spucke weg. »Du verdammter Dreckskerl!«, zischte er, und man sah ihm an, dass er am liebsten mit seinen Fäusten auf Sergius losgegangen wäre.
»Also nein?« Sergius wirkte erleichtert. Ich wusste, dass seine Frage nicht so böse gemeint war, wie sie geklungen hatte. Ganz sicher hatte er dabei an seinen kleinen Bruder gedacht, der geistig behindert gewesen war. Auch wenn er eben erst erfahren hatte, dass Mikolaj gar nicht sein leiblicher Bruder war, so war er offenbar einer der wenigen Menschen, für die Sergius annähernd etwas wie Liebe hatte empfinden können.
»Ihr könnt hier nicht bleiben, wenn die Söldner ins Gebäude eindringen«, sagte er nun. »Ich schlage vor, ihr verschwindet dann in den Wald, bis alles vorbei ist.« Er trat zu einem der Fenster, die nicht zum Innenhof zeigten, sondern nach außen zur Moldau, und ruckelte kurz am Riegel. Als der nicht nachgab, holte er mit dem Ellbogen aus. Es knirschte, und die dünne Scheibe zerbrach.
»Aber Ewa kann sich nicht zurückverwandeln«, sagte Jaro hastig. »Sie kann das noch nicht kontrollieren.«
»Kannst du ihr das nicht irgendwie beibringen?«, fragte ich und merkte gleich, wie idiotisch dieser Vorschlag war. »So in den nächsten fünf Minuten?« Ich zog eine Grimasse.
Sergius nahm einen der dicken Folianten aus dem Regal und schlug damit die Reste des Fensterglases ab, die noch in der Fassung festhingen. »Er muss ihr nichts beibringen.« Sergius schüttelte den Kopf, als wäre es das Dämlichste, was er je gehört hatte. »Sie ist ein Rabe. Und wenn sie nur ein bisschen von meinen Genen abgekriegt hat, dann wird sie sich schon verwandeln, wenn sie in Stimmung ist.«
»In Stimmung.« Jaro sah aus, als hätte er den Berg Scherben schlucken müssen, den Sergius aus dem Fenster geschlagen hatte.
»Wenn sie aufgeregt ist, meinst du?«, fragte ich.
Sergius nickte. »Sobald die Söldner die Treppe hochkommen, packst du dir das Mädchen und wirfst es aus dem Fenster. Sie wird einen solchen Adrenalinstoß bekommen, dass sie sich verwandelt, noch bevor sie am ersten Stock angekommen ist.« Er deutete nach unten.
»Du bist ein Monster.« Jaro war völlig fassungslos.
Ich versuchte zu begreifen, ob Sergius das tatsächlich ernst meinte oder ob er uns nur schockieren wollte. Seine Miene zeigte jedoch keine Spur von Sarkasmus.
Jetzt hatte er den Verstand verloren. »Du meinst das wirklich ernst?«
Er hob sein Kinn. »Wirf sie aus dem Fenster, das ist eure einzige Chance.«
»Eher sterbe ich.« In Jaros Blick lag die ganze Wut seiner Jugend. Er konnte nicht begreifen, was in Sergius vorging, und auch mir fiel das schwer. Das Risiko war viel zu groß. Wenn Ewa es nicht schaffte, dann war alles umsonst. Kein Mensch, der auch nur ein bisschen bei klarem Verstand war, würde ein Kind aus dem Fenster werfen mit nichts als der vagen Hoffnung, dass sie ihre Flügel ausbreiten konnte.
»Dann wäre das ja geklärt«, sagte Sergius. »Ihr werdet beide sterben, weil du ein beschissener Feigling bist, ein elendes Muttersöhnchen.«
»Du willst wohl unbedingt heute noch eins auf die Fresse kriegen, oder?«
»Ich hatte darauf gehofft. Aber von dir?« Sergius lehnte den Kopf zurück und lachte schallend. In der nächsten Sekunde stürzte Jaro nach vorn und rammte ihm seinen Kopf in den Magen.
Die beiden stürzten zu Boden, und das Krachen, als Sergius mit dem Hinterkopf aufschlug, ließ mich aufschreien.
»Hört auf damit!«
Ewa fing an zu weinen. Ich stürzte zu ihr und drückte ihr Gesicht an meinen Bauch, damit sie nicht sah, wie wahnsinnig sich die beiden aufführten. Ich wollte nicht, dass sie vor ihrem eigenen Vater Angst haben musste.
Jaro hatte kurzzeitig die Oberhand und kam rittlings auf Sergius zu sitzen. Er holte aus, aber sein Schlag verpuffte, als Sergius ihn mit der flachen Hand abfing. Stattdessen rammte der ihm die Faust gegen das Kinn, und Jaro flog zur Seite. Mit einem Ächzen richtete sich Sergius auf. Der Kampf war vorbei, noch ehe er richtig begonnen hatte.
»Ihr seid doch völlig bescheuert. Wir müssen zusammenhalten und uns gegen Wassilijs Männer schützen, und ihr schlagt euch gegenseitig die Köpfe ein?«
Jaro stieß einen Fluch aus und rappelte sich hoch. Die Lust, sich mit Sergius anzulegen, war ihm wohl vergangen.
»Nur zum Aufwärmen.« Sergius griente. Dann wies er mich an, näher zu kommen. »Du weißt, wo du hintreten musst, wenn dir ein Mann auf die Pelle rückt, oder?« Seine Stirn umwölkte sich. Offenbar erinnerte er sich dunkel daran, dass ich ihn schon dort getreten hatte, denn um seinen linken Mundwinkel zuckte es.
»Ich denke schon.«
»Das bringt dir aber nichts, wenn ich direkt vor dir stehe, weil ich zu nah bin und du nicht richtig ausholen kannst. Es tut nicht weh. Es hat mir auch damals nicht wehgetan«, sagte er, und es hörte sich fast entschuldigend an.
»Also trittst du mir als Erstes gegen das Schienbein. Mach das mal. Jetzt!«, sagte er, weil ich keine Anstalten machte, mich zu rühren.
»Sergius, wir haben dafür keine Zeit mehr«, drängte ich ihn. Ich nestelte mein Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf die Uhr.
»Sagst du das dem Typen, der dich gleich erwischt, dann auch? Sorry, ich habe gerade keine Zeit? Verflucht, Isa, tritt mich jetzt endlich.«
Also gut, wenn er es unbedingt so wollte. Ich holte aus und trat ihm mit voller Wucht gegen das Schienbein. Sergius gab ein Zischen von sich. »Okay«, sagte er. »Das lenkt mich auf jeden Fall ab. Und jetzt schubst du mich weg. Aber nicht wie ein kleines Mädchen«, blaffte er, als ich mit krummen Armen gegen seine Brust hieb.