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002 - Free like the Wind

Page 9

by Kira Mohn


  «Cay! Es ist halb drei! Solltest du nicht mal aufstehen?»

  Ich blinzele ihn im hellen Sonnenlicht an und fühle mich wie ein Vampir, dem man den Sargdeckel weggerissen hat. «Wieso denn?», murmele ich und drehe mich von ihm weg. Da schlafe ich endlich einmal mehrere Stunden am Stück, und dann muss er kommen.

  «Weil du um drei bei Thompson & White sein musst? Oder steht das nicht mehr? Du hast zumindest erzählt, dass du die ersten beiden Semesterferienwochen jeden Nachmittag dort sein wirst. Musst du jetzt nicht mehr die Fehlstunden der letzten Wochen ausgleichen?»

  Gott. Warum erzähle ich Jackson so was? Und warum steht er jetzt allen Ernstes neben meinem Bett wie früher eine meiner Nannys? Wobei die netter klangen als er.

  «Cay! Was ist jetzt?»

  «Ich geh nicht hin.»

  «Wieso nicht?»

  «Keine Lust.»

  «Herrgott, Cayden …»

  «Verdammt, Jax!» Ich richte mich auf. «Ich geh morgen, okay? Nerv mich nicht! Du bist mein Mitbewohner, nicht mein Babysitter!»

  «Du scheinst einen Babysitter zu brauchen», schnappt Jackson zurück.

  «Ganz sicher nicht!»

  «Ach, scheiße, dann flieg da eben raus.» Jackson dreht sich endlich zur Tür. «Sorry, dass ich angenommen habe, irgendwas an deinem ganzen Studium hätte noch eine Bedeutung für dich.»

  «Entschuldigung angenommen.»

  «Du kannst mich mal.»

  «Verpiss dich.»

  Für Jacksons Verhältnisse schlägt die Tür ungewöhnlich laut ins Schloss. Gereizt reibe ich mir mit beiden Händen die noch immer an mir klebende Müdigkeit aus dem Gesicht. So begrüßt man doch gern einen neuen Tag.

  Im Badezimmer starre ich lange den unfassbar schlecht gelaunten Typen im Spiegel an. Seit wann trage ich eigentlich dieses T-Shirt? Ich glaube, darin habe ich schon vorletzte Nacht geschlafen, und mittlerweile scheint es mir reif für die Wäsche zu sein. Eine Runde trainieren könnte ich darin noch. Dann lohnt es sich wenigstens richtig.

  Achte auf deinen Körper und achte auf deinen Geist.

  Dieser Spruch stammt von meinem Vater. Den Geist mag ich gerade ein bisschen vernachlässigen, aber zumindest was den Körper betrifft, bin ich noch ansatzweise motiviert. Sich auszupowern lenkt immerhin eine Weile davon ab, wie bodenlos angeödet ich derzeit von allem bin. Das Studium. Die Kanzlei. Irgendwelche Leute und Partys und ständig wechselnde Frauen. Wobei Letzteres …

  Jackson sitzt auf dem Sofa, telefoniert und beachtet mich nicht, als ich mir erst in der Küche eine Wasserflasche fülle und dann die Stufen der Wendeltreppe hinuntersteige.

  Okay, Emma kam Samstagabend nicht gegen Tom Collins an, aber was heißt das schon? Mit der Nächsten läuft es wieder, fertig. Ist ja nicht so, dass auch der Sex immer gleich wäre – und falls ich irgendwann doch zu diesem Ergebnis kommen sollte, kann man ja immer noch was Neues ausprobieren.

  Im Trainingsraum drehe ich die Musik an und schalte das Laufband auf mittlere Geschwindigkeit.

  Vielleicht habe ich ja irgendwelche Vorlieben, die ich noch gar nicht kenne? Wieso nicht einfach alles einmal ausprobieren? Ich könnte gleich mit Tessas Vorschlag anfangen. Sie meinte, ihr Kerl sei heiß auf Typen wie mich.

  Mit einem Tastendruck erhöhe ich die Geschwindigkeit.

  Wer weiß, vielleicht stehe ich sogar darauf. Oder wie wäre es mit zwei Frauen? Gruppensex? Orgien? Swingerclub? Ich könnte in einen Sadomasoschuppen gehen und mich auspeitschen lassen, und was, verfluchte Scheiße, denke ich da eigentlich für einen abgefuckten Mist?

  Demnächst wird es meine Lungen zerfetzen – mit Aufwärmen hat das hier nicht mehr viel zu tun. Trotzdem schalte ich noch eine Stufe höher, wische mir mit dem Unterarm den Schweiß aus den Augen und die Haare aus dem Gesicht.

  Die Anstrengung ätzt jeden Gedanken aus meinem Hirn, und das ist gut so.

  Knapp zwei Stunden später steige ich die Wendeltreppe wieder hinauf. Jackson ist nirgends zu sehen.

  Gefühlt stürze ich mehrere Liter Wasser in mich rein und zerre mir bereits auf dem Weg zum Badezimmer das völlig durchgeschwitzte Shirt über den Kopf. Jeder Muskel ist überansprucht, doch es ist ein Schmerz, den ich gut leiden kann, ein stechendes Brennen, das sich im heißen Wasserstrahl der Dusche aufzulösen beginnt.

  Unmittelbar nachdem ich mich mitsamt Smartphone auf dem Sofa niedergelassen habe, um den Abend durchzuplanen, erscheint Jackson wieder auf der Bildfläche, und misstrauisch werfe ich ihm einen Blick zu. Beruhigenderweise wirkt er wesentlich entspannter als am frühen Nachmittag.

  «Ziehst du noch mal los?», will er wissen.

  «Ja.»

  «Was dagegen, wenn ich mitkomme?»

  Überrascht halte ich in der Bewegung inne. Gerade habe ich festgestellt, dass Thompson & White versucht haben, mich zu erreichen, und diese Information beiseitegewischt, um Chase anzurufen. «Klar, warum nicht? Wenn’s dich nicht stört, dass ich dich eventuell irgendwann sitzenlasse?»

  Jackson schüttelt den Kopf. «Wo willst du denn hin?»

  «Ich weiß noch nicht genau. Ins Knox oder ins Terrys.»

  Das Terrys ist eher ein Pub als eine Bar, aber in beiden Läden trifft man Frauen, und mehr erwarte ich eigentlich nicht von dem Abend.

  «Lass uns ins Terrys gehen. Wann willst du los?»

  «Keine Ahnung – jetzt gleich? Ich wollte nur noch kurz was essen.»

  «Hast du den ganzen Tag noch nicht, oder?»

  Meine Wachsamkeit steigt wieder an. Er hat mich also immer noch auf dem Schirm. Wenn er jetzt nur mitkommt, um mir einmal mehr irgendwelche Vorträge zu halten …

  «Haben wir noch irgendetwas da, das man schnell in die Mikrowelle tun kann?» Jackson steht auf, um in die Küche zu gehen.

  «Mir reicht ein Sandwich oder so was in der Richtung.»

  Ich höre ihn im Eisfach kramen. «Linsen-Chili oder rotes Curry gäbe es noch.»

  Mit viel gutem Willen könnte man annehmen, dass Jackson mich nicht gehört hat. Er steckt den Kopf zur Küchentür heraus und mustert mich fragend.

  «Rotes Curry», seufze ich ergeben.

  Eine halbe Stunde später haben wir gegessen, Jackson hat noch einige Minuten lang seine Kreditkarte gesucht, obwohl ich ihm sagte, ich könne ihm was leihen, dann hat er einfach den Fernseher ausgeschaltet und ist die Treppe hinuntergegangen. Zugegebenermaßen musste ich einen Augenblick überlegen, ob ich den Fernseher wieder einschalten soll.

  Während der Fahrt mit Jacksons Wagen reden wir über seinen anstehenden USA-Trip und darüber, was Haven und er während ihrer Reiseetappen auf keinen Fall verpassen dürfen.

  «Und geht in den Central Park», erkläre ich. «Plant dafür mindestens einen Tag ein. Aber lasst euch bloß keine Kutschfahrt aufschwatzen, die sind nur teuer, und ihr fahrt an allem vorbei, was ihr euch genauer ansehen solltet. Leiht euch lieber Fahrräder aus. Und seht nach, ob es abends irgendwo ein Konzert oder so was gibt.»

  «Strawberry Fields steht auf der Liste.»

  «Wer hat das draufgesetzt? Du oder Haven?»

  «Ich.»

  «Wusste gar nicht, dass du John-Lennon-Fan bist.»

  «Na ja, was heißt Fan.»

  «Was steht noch drauf?»

  «Empire State Building, Edge Hudson Yards, One World Trade Center, und abends wollen wir zum Times Square. Und Haven will unbedingt noch ins MoMa.»

  «Vergesst FAO Schwarz nicht.»

  «FAO Schwarz?»

  «Der beste Spielwarenladen der Welt.»

  «Du empfiehlst einen Spielwarenladen?» Jackson lacht. «Was sollen wir da machen? Dir einen Teddy mitbringen?»

  «Blödsinn.» Ich sehe zum Beifahrerfenster hinaus. So genau weiß ich gerade selbst nicht, warum ich Jackson ausgerechnet zu FAO Schwarz schicke.

  «Du kennst New York, oder?», nimmt Jackson den Faden wieder auf.

  «Meine Grandma hat dort gelebt. Ich habe bei ihr einige Sommer verbracht.»

  «Wie alt warst du da?»

  «Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, als ich zum ersten Mal da war. Aber beim letzten Mal war ich neun. Dann kam ich auf ein Internat und
hatte keine Zeit mehr.»

  «Nicht mal während der Ferien?»

  «Es gab Sommerkurse.»

  «Komisch.» Jackson wirft mir einen kurzen Blick zu, bevor er sich wieder auf die Straße konzentriert. «Ein Internat. Irgendwie bin ich immer davon ausgegangen, dass du auf einer ganz normalen Schule warst, aber klar, jemand wie du …»

  «Immer nur das Beste für jemanden wie mich, oder?» Ich gebe mir keine Mühe, die Ironie aus meiner Stimme herauszuhalten.

  «Na ja, ist das schlecht?», fragt Jackson nach einer Weile. «Immerhin musst du dir über wenig Gedanken machen. Hey, dir gehört eine Villa.» Sein Grinsen gerät ein wenig schief.

  Wir haben nie wirklich darüber gesprochen, doch mittlerweile ahnt er so einiges, nehme ich an.

  «Mit diesen heiligen Händen gebaut», entgegne ich entsprechend sarkastisch und hebe die Arme.

  «Ist doch egal, wer das Ding gebaut hat.»

  «Ich hab das Ding auch nicht bezahlt.»

  «Stört dich das?»

  «Nein.»

  Dass wir jetzt in die Straße einschwenken, in der sich das Terrys befindet, kommt mir nicht ungelegen. Jacksons Blick, den er mir auf meine Antwort hin zuwirft, stört mich nämlich durchaus. Wo liegt eigentlich sein Problem? Die Zeiten, als man mit ihm noch von Party zu Party ziehen konnte, ganz ohne tiefergehende Fragen und bedeutungsvolle Blicke, waren definitiv weniger anstrengend.

  Zum Terrys gehören bewachte Parkplätze, einer der unbestreitbaren Vorteile dieses Ladens, und kurz darauf ziehe ich die schwere Tür zum Pub auf und lasse Jackson vorangehen.

  Alles ist hier ein wenig kleiner und enger als im Knox, Holzstühle stehen vor der Bar und auch dicht nebeneinander an den schartigen Tischen. Lampen aus buntem Glas hängen von der niedrigen Decke, und das nussbaumfarbene Fischgrätparkett ist abgetreten und zerkratzt. Trotzdem ist das Terrys ein ziemlich angesagter Laden, weshalb es auch um diese frühe Uhrzeit bereits gut besucht ist.

  Jackson zieht mich zu einem der Tische an der Wand, der gerade frei wird. Gutes Timing. Das Paar, das sich eben erhoben hat, scheint es eilig zu haben, eines der Gläser ist nur zur Hälfte geleert. Ausgehend davon, wie die Frau den Typen anstrahlt, der ihr in die Jacke hilft, haben sie jetzt etwas sehr viel Besseres vor.

  Im Setzen sehe ich mich um. Diesen Blick möchte ich heute auch noch zugeworfen bekommen, und zwar nicht von Jackson.

  «Lebt deine Grandma noch?»

  «Bitte?» Aus dem Konzept gebracht, wende ich mich ihm wieder zu. «Meine Grandma? Nein. Nein, sie ist schon tot.»

  «Das tut mir leid.»

  «Sie war alt.»

  «Na und?»

  Ja. Na und. Bescheuertes Argument, Jackson hat schon recht. Sie hätte ja auch noch älter werden können. Vielleicht wäre ich dann nach meiner Internatszeit noch einmal bei ihr gewesen.

  «Hi, was darf’s für euch sein?»

  Die Kellnerin neben unserem Tisch habe ich noch nie gesehen, scheint neu zu sein. Sie hat raspelkurze Haare und einen etwas zu breiten Mund, aber ein sympathisches Lächeln.

  «Wir hätten gern …» Jackson nimmt die Karte aus dem hölzernen Halter.

  «Zwei Whisky», sage ich, und er schlägt die Karte wieder zu.

  «Canadian Club, Black Velvet, Crown Royal oder Forty Creek?»

  «Forty Creek. Trinkst du einen mit?»

  Sie grinst. «Ich muss arbeiten.»

  «Sorry, stimmt, das war nicht wirklich durchdacht – vielleicht später?»

  Sie lacht, bevor sie zurück zur Bar geht und dabei prüfende Blicke in Richtung der anderen Tische wirft.

  «Also …» Jackson lehnt sich zurück. «Um noch mal auf das Thema Urlaub zu kommen – was planst du denn für die nächsten Wochen?»

  «Nix.»

  «Nix.»

  «Ich lass das einfach auf mich zukommen», erkläre ich und hoffe, Jax kriegt den warnenden Unterton mit.

  «Thompson & White?»

  «Jax …»

  «Okay, taucht in deiner Planung nicht auf.»

  «Wären sowieso nur zwei Wochen.»

  «Musst du irgendwas vorbereiten?»

  «Vorbereiten?»

  «Anscheinend nicht.»

  «Jax, lass es gut sein.»

  «Wenn du nix auf dem Plan hast, könntest du doch eigentlich Rae bei ihrer Tour durch den Nationalpark begleiten.»

  Ich starre Jackson an, als habe er mir einen Ausflug zum Mond vorgeschlagen, und um ehrlich sein, finde ich beides ähnlich absurd. «Bitte was?»

  «Rae plant eine Wandertour durch den Jasper National Park.»

  «Ich weiß. Das hat du mir gestern erzählt.»

  «Es gibt da allerdings das Problem, dass ihre Mutter dagegen ist.»

  «Raes Mutter ist … was?»

  «Frag mich nicht. Irgendwie gelten da andere Regeln.»

  «Ich frag ja gar nicht. Wie alt ist Rae noch gleich?»

  «Zwanzig.»

  «Sie ist zwanzig, und ihre Mutter verbietet ihr, eine Wanderung durch einen Nationalpark zu unternehmen?» Das Gefühl, dass das alles völlig absurd ist, verstärkt sich noch. «Und daran hält sie sich?»

  «Anscheinend schon.»

  «Warum fährt Haven nicht mit?»

  «Wir sind in zehn Tagen erst einmal weg.»

  «Na und? Reichen zehn Tage nicht?»

  «Sie will mehrere Wochen unterwegs sein.»

  Das klingt schon eher wieder nach Rae. Wenn, dann richtig.

  «Ihr kommt ja auch irgendwann wieder zurück.»

  «Ja. Aber erst einen Monat später.»

  «Na und?» Abwehrend hebe ich eine Hand. «Dann wandern sie eben Weihnachten zusammen.»

  «Optimale Zeit für mehrwöchige Wanderungen.»

  «Oder nächstes Jahr, ist mir doch egal. Vergiss es, Jax. Auf keinen Fall geh ich da mit.»

  «Wieso nicht?»

  «Weil ich keine Lust habe, mehrere Wochen lang blöde Wanderwege abzulaufen.»

  «Du hast doch eh nichts Besseres zu tun.»

  «Der Whisky.» Die Kellnerin stellt zwei Gläser vor uns auf den Tisch, und das Lächeln, das sie mir dabei schenkt, ist vielversprechend.

  «Danke – ich bin übrigens Cay. Und das hier ist Jax.»

  «Freut mich.» Sie lächelt. «Marie.»

  «Freut mich auf jeden Fall auch.»

  Marie nickt uns noch einmal freundlich zu, bevor sie sich daranmacht, die anderen Drinks auf ihrem Tablett zu verteilen.

  Ich hebe das Glas in Jacksons Richtung. «Was hast du noch gleich gesagt?»

  «Dass du nichts Besseres zu tun hast», stellt er unbeeindruckt fest. Er lehnt sich ein Stück vor. «Du hängst doch echt nur rum. Das geht schon seit Wochen so. Noch viel länger eigentlich. Seit Ewigkeiten machst du gerade so das Nötigste fürs Studium und seit einiger Zeit nicht einmal mehr das. Dein Leben findet vor dem Fernseher oder in irgendeinem Bett statt.»

  «Und warum sollte ich deiner Meinung nach in einen Wald fahren, wo es weder Serien noch Frauen gibt?»

  «Weil …»

  «Abgesehen von Rae natürlich.»

  «Ich denke …»

  «Hast du mir nicht gestern noch gesagt, ich solle die Finger von ihr lassen?»

  «Sollst du auch.»

  «Und weshalb willst du dann ausgerechnet mich zu ihrem Begleiter machen?»

  «Haven meinte, bei Rae bestünde da keine Gefahr.»

  «Wieso? Steht sie nicht auf Männer?»

  «Doch, aber offenbar nicht auf dich.»

  «Ah – das ist natürlich ein Grund, noch einmal einen solchen Spaß-mit-Scheißmoskitos-Trip anzugehen.»

  Mittlerweile bin ich ernsthaft genervt. Wieso begleitet Jackson mich ins Terrys, nur um mir mit dieser völlig bescheuerten Idee zu kommen? Ich hätte doch Chase anrufen sollen.

  «Ihr müsst ja nicht die ganze Tour zusammen machen. Es reicht schon, wenn du Raes Mutter erklärst, dass du mitkommst. Ob ihr danach getrennt lauft, ist eure Sache. Ich dachte nur, für dich wäre es …»

  «Du dachtest, ich wäre der geeignete Kandidat für ein weiteres Selbsterfahrungsding made in Jasper», stelle ich fest
. «Aber nur weil du einiges verändert hast, nachdem du letztes Jahr aus dem verwunschenen Wald zurückgekehrt bist, muss das nicht jeder wollen, okay? Mein Leben gefällt mir, wie es ist. Erzählt doch einfach Raes Mutter, du würdest mitkommen.»

  «Sie weiß, dass Haven und ich für vier Wochen weg sind.»

  «Dann soll Rae eben irgendeinen anderen vorschieben.»

  «So viele Freunde hat sie nicht.»

  «Nicht? Wieso nicht? Nein, egal», ich hebe eine Hand. «Ich will es gar nicht wissen. Frag Dylan.» Jackson öffnet den Mund, und ich falle ihm direkt ins Wort. «Okay, Dylan würde nur mitmachen, wenn er tatsächlich vorhätte, mitzugehen. Dann frag Chase. Der macht alles, wenn du ihm dafür irgendwas Hochprozentiges in die Hand drückst. Verschone mich nur mit dieser Erleuchtungswanderungs-Idee, okay?»

  «Du hast doch nur Angst.»

  Jetzt wird’s albern. «Klar, Jax. Das ist der eigentliche Grund. Du bist so weise. Wenn du jetzt noch die Güte hättest, mir mitzuteilen, wovor genau ich Angst habe? Dann könnte ich nämlich daran arbeiten, und das ist natürlich mein innigster Wunsch. Ich schätze mal, meine größte Angst wäre, mich totzulangweilen.»

  «Du kommst nicht mit dir selbst klar, wenn du dich nicht mit irgendetwas ablenken kannst.»

  Eine Sekunde lang verschlägt es mir die Sprache. Dann stehe ich auf. «Es reicht. Wenn ich irgendwann einen Hobbytherapeuten brauche, sag ich dir Bescheid. Und bis dahin hörst du auf, mir dermaßen auf den Sack zu gehen, okay? Sonst würde ich nämlich vorschlagen, du suchst dir demnächst eine andere Wohnung.»

  Schade um Marie und schade auch um den Whisky, den ich jetzt mit einem Schluck herunterkippe, bevor ich einen Schein auf den Tisch lege, aber irgendwann ist auch mal gut.

  Jackson unternimmt keine Anstalten, mich am Gehen zu hindern, sondern mustert mich nur mit diesem Blick, als sei zufällig alles Wissen der Welt durch ihn geflossen. Echt nicht zu ertragen.

  Ich laufe den ganzen Weg bis nach Hause, und ich brauche fast eine Stunde dafür. Meine Hoffnung, mich dabei wieder etwas abzuregen, erfüllt sich nicht, eher im Gegenteil. Die Wohnung ist dunkel, als ich die Eingangstür aufschließe, und ich frage mich kurz, ob Jackson zu Haven gefahren ist. Auf jeden Fall sitzt Mr. Allwissend garantiert nicht mehr im Terrys und flirtet mit der Kellnerin.

 

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