by Kira Mohn
«Ich meine für mich. Ich packe einfach alles ein, und dann besorge ich noch irgendwas, womit ich dich hinterherziehen kann.»
Ich stütze mich auf die Unterarme, um ihn ansehen zu können. Er sitzt neben dem Rucksack, die Arme um die angewinkelten Beine geschlungen, und grinst auf diese Art, auf die nur er grinsen kann.
«Okay, so machen wir das», entgegne ich. «Dann pack ich auch noch meine Fotoausrüstung ein.»
Cayden lacht auf. «Du besitzt eine Fotoausrüstung?», fragt er dann.
«Nein.»
«Nachdem du den hundertsten Baum fotografiert hast, dürfte es eh etwas langweilig werden.»
«Als ob es da nur Bäume zu fotografieren gäbe – hast du meiner Mutter nicht irgendetwas von einem Elch erzählt?»
«Na ja, ein einziger Elch, der sich zu schnell vom Acker gemacht hat, um ihn zu erwischen.» Er sieht hinter sich, rutscht an das Bücherregal heran und lehnt sich dagegen. «Ansonsten könntest du mit einem guten Makroobjektiv natürlich jede Menge faszinierender Porträtaufnahmen von Stechmücken machen. Oder eben Selfies.»
«Warum willst du eigentlich mitkommen?» Wenn dieser Moment kein guter ist, um Cayden danach zu fragen, dann weiß ich auch nicht. «Wo du doch jetzt schon weißt, dass du alles langweilig finden wirst?»
Eben hat er noch gelächelt, und jetzt lächelt er immer noch, aber anders. So langsam durchschaue ich dich, Cayden Terrell.
«Braucht es dafür irgendeinen besonderen Grund? Warum planst du diese Tour?»
Innerhalb von Sekunden scheint die Luft in meinem Zimmer sich zu verdichten. Cayden hat seine Gründe. Ich habe meine Gründe. Und wir wollen beide nicht darüber sprechen. Optimale Voraussetzungen, um in den nächsten Wochen Tag und Nacht aufeinanderzuhängen.
«Gut, ich fahr dann wohl mal Einkaufen, bevor ich zu Thompson & White muss.» Cayden steht auf.
«Thompson & White? Ist das nicht eine Anwaltskanzlei? Was willst du denn da?»
«Arbeiten.»
Das hätte ich mir jetzt auch denken können.
«Was hältst du davon, wenn ich dich heute Abend im Kino abhole, und wir packen danach gemeinsam die Rucksäcke fertig? Wo arbeitest du denn?»
«Im Phoenix. Aber heute ist Spätvorstellung. Da komme ich erst gegen zwei raus.»
«Du wirst also erst so um drei im Bett liegen, willst aber morgen früh um acht losfahren?»
«Genau.»
«Klingt gut. Organisiert.» Er öffnet meine Zimmertür. «Dann werfen wir einfach alles in dein Auto und packen in Jasper zur Not noch mal neu.»
«Klingt gut», wiederhole ich. «Organisiert.»
Ich sehe Caydens Lächeln noch vor mir, lange nachdem die Tür sich hinter ihm geschlossen hat. Sein rechter Mundwinkel zieht sich dabei ein kleines Stückchen höher als der linke. Was einem alles so auffällt, wenn man jemanden nur oft genug mustert. Ich würde ihn gern mal richtig lachen sehen. So richtig. Nicht nur dieses kurze Auflachen, weil er lustig findet, was ich gerade gesagt habe, und schon gar nicht nur dieses spöttische Grinsen. Einfach mal ein Lachen, weil ihn irgendetwas begeistert. Weil er sich freut. Seltsamerweise kann ich mir gerade nichts vorstellen, das Cayden dazu bringen könnte. Ob ihn im Jasper National Park irgendetwas so mitreißen kann?
Unwahrscheinlich, so wie er darüber spricht.
Ich klettere von der Matratze, um herauszufinden, ob es mir nicht doch gelingt, Jacksons Rucksack zu packen.
Und dabei versuche ich noch immer, mir einen befreit lachenden Cayden vorzustellen.
Cayden
Tütensuppen. Ich kaufe Tütensuppen, ultradünne Spaghetti, Milchpulver, Instantkaffee, Nüsse und Trockenobst. Außerdem Reis, Salz, getrocknete Früchte und Trockenfleisch. Haferflocken. Energieriegel. Und überhaupt alles, was Jackson beim letzten Mal auch gekauft hat.
Danach fahre ich mit jeder Menge Tüten auf dem Rücksitz zu Thompson & White, kehre dort den perfekten Anwaltsanwärter raus und mache am frühen Abend noch einmal einen Abstecher in ein Outdoorgeschäft, um ein paar Dinge für Rae zu besorgen. Sich ein bisschen als Retter in der Not aufspielen kann nicht schaden. Ich ertappe mich auf dem Heimweg bei dem Gedanken an eine dankbar lächelnde Rae, die meinem Vorschlag, sich einen Schlafsack zu teilen, ausgesprochen offen gegenübersteht.
Blödsinn. Finger weg von Rae. Das muss mir Jackson nicht noch einmal sagen, das sage ich mir auch selbst.
Erstens werde ich es ja wohl hinkriegen, mal für ein paar Wochen auf Sex zu verzichten. Und zweitens bin ich mir hundertprozentig sicher, dass Rae mit einer unverbindlichen Beziehung nichts anfangen könnte. Ansonsten würde ich den ersten Punkt wohl ignorieren und es mal bei ihr versuchen. Outdoorsex. Wenn man sich Moskitos, Ameisen und sonstigen Kleinmist wegdenkt, hätte das schon was.
Jackson ist nicht da. Von ihm habe ich mich bereits am Nachmittag verabschiedet. Der Flieger, mit dem er und Haven zu ihrem USA-Trip aufbrechen, startet morgen früh bereits gegen sieben Uhr, und er übernachtet bei Haven.
«Viel Spaß», hat er mir gewünscht, doch als ich jetzt nach kurzem Nachdenken noch Kondome ganz nach unten in den Rucksack stecke, bin ich mir ziemlich sicher, dass er diese Art von Spaß nicht im Sinn gehabt hat.
Ich ja auch nicht. Nicht mit Rae. Aber es wird ja dort wohl irgendwo auch andere Frauen geben, und die Dinger wiegen ja nix. Nicht so viel wie das Zweimannzelt jedenfalls, das sich ebenfalls in meinem Rucksack befindet. Ich meine – wieso hätte ich mir noch ein Einzelzelt besorgen sollen, wenn ich genauso gut das benutzen kann? Auf die paar Gramm Unterschied kommt es mit Sicherheit nicht an.
Als ich alles gepackt und nach unten in den Hausflur gestellt habe, ist es gerade einmal zehn Uhr. Mir fällt ein, dass ich meinem Vater noch Bescheid sagen muss, und über die Worte, die ich dafür wähle, denke ich nach bis halb elf, dann gebe ich es auf. Egal, was ich schreibe, er wird sowieso anrufen.
In der Küche mixe ich mir einen Drink, dann werfe ich mich aufs Sofa und schicke die vorbereitete Nachricht ab.
Wir müssen unser Treffen verschieben. Ab morgen bin ich für mehrere Wochen unterwegs. Ich melde mich, wenn ich wieder da bin.
Ich hab den Wodka Lemon noch nicht einmal zur Hälfte getrunken, da summt das Smartphone, das ich neben mich gelegt habe. Ein paar Sekunden lang starre ich es an, bevor ich den Rest meines Drinks herunterkippe und das Telefon in die Hand nehme.
«Hi, Dad.»
«Was genau meinst du mit Du bist unterwegs?»
«Damit meine ich, dass ich ein paar Wochen Urlaub machen werde. Es ist noch nicht sicher, wann ich wieder zurück bin.»
«Das ist keine ausreichende Erklärung, Cayden.»
«Ich geh wandern. Meine Semesterferien dauern bis September. Irgendwann vorher bin ich wieder da.»
Stille. Mein Vater setzt Schweigen gern als Waffe ein, und auch diesmal hat sich meine Pulsfrequenz vermutlich verdoppelt, bevor er endlich weiterspricht. «Was genau soll das werden? Ist das irgendeine Art von Aussteigerprovokation?»
«Es ist einfach nur ein Urlaub.»
«Urlaub? Statt bei Edward Thompson weitere Erfahrungen zu sammeln?»
«Das habe ich in den letzten zwei Wochen getan.»
«Es ließe sich problemlos verlängern.»
«Das will ich aber nicht.»
Mein Vater atmet vernehmlich ein. «Cayden, du wirst hier jetzt keine spätpubertäre Revolution starten.»
«Ich bin dreiundzwanzig. Und ich mache lediglich Urlaub.» Krieg dich einfach wieder ein, du Arsch.
«Planst du diesen Urlaub zusammen mit der Frau von neulich?»
«Was?»
«Ob du gedenkst, deinen Urlaub mit der Frau zu verbringen, die mir mitgeteilt hat, dass ihr gerade dabei seid, es miteinander zu treiben?»
Normalerweise ist mir kaum etwas peinlich. Wenn es um Sex geht, schon gleich gar nicht. Aber meinen Vater diesen Satz mit seiner üblichen kühlen Geschäftsstimme aussprechen zu hören, lässt Hitze in mir aufsteigen.
«Ich wüsste nicht, inwiefern das für dich relevant sein könnte.»
«Ich erwarte, dass du dich auf dein Studium konzentrierst und nicht auf irgendwelche Flittchen.»
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Klar. Solange Mr. Terrell seinen Sohn zum Staranwalt heranzüchtet, der später exklusiv für ihn arbeiten wird, darf es daneben keinerlei Ablenkung geben. Eine Spur Genugtuung glimmt in mir auf, darüber, dass er keine Ahnung hat, wie wenig mich seine Forderung interessiert. Am liebsten würde ich unser absurdes Gespräch an dieser Stelle einfach unterbrechen, doch ich habe so meine Erfahrungen mit den Reaktionen meines Vaters gemacht, sobald ich versuche, etwas Unangenehmem auszuweichen.
«Die Frau ist nicht dabei», erwidere ich gepresst und hasse mich dafür, seine fucking Frage überhaupt zu beantworten.
«Du hast vor, allein zu wandern? Eine Pilgerreise? Selbsterfahrungsmärchenrunde?»
Seinen Sarkasmus hasse ich sogar noch mehr als sein unpersönliches Geschäftsgetue. Mit seiner Unpersönlichkeit komme ich mittlerweile hervorragend klar, sein Spott allerdings öffnet zuverlässig ein Ventil zu meiner dauerschwelenden Wut, und das ist nicht besonders gut.
«Ich mache Urlaub», wiederhole ich stur und leiser, als ich es tun würde, wenn nicht mein Vater am anderen Ende der Leitung wäre. «Allein. Einfach so. Weil Leute hin und wieder Urlaub machen.»
Von Rae muss er nichts wissen. Das ist besser für alle.
Das Schweigen, das sich auf meinen letzten Satz hin ausbreitet, dauert diesmal so lang an, bis ich kurz davorstehe, irgendetwas erklären zu wollen, was auch immer. Ich fand es schon immer am unerträglichsten, nicht zu wissen, welche Ideen mein Vater in seinem Psychopathenhirn gerade entwickelt.
«Gut», sagt er plötzlich. «Du meldest dich, sobald du wieder da bist. Ich erwarte, dass wir uns noch einmal sehen, bevor dein Semester startet. Viel Spaß beim Wandern.»
Er legt auf, bevor ich noch etwas erwidern kann, und mit einem Aufatmen werfe ich das Smartphone auf die andere Seite des Sofas.
Fuck! Verdammt noch mal – Fuck!
Mit beiden Händen fahre ich mir übers Gesicht, schiebe die Haare so heftig nach hinten, dass ich spüre, wie einige sich an den Wurzeln lösen.
Wahrscheinlich würde mir niemand anmerken, wie sehr mich jeder Kontakt mit meinem Vater aus dem Gleichgewicht bringt, der mich Augenblicke später dabei beobachten könnte, wie ich mir sorgfältig einen zweiten Drink mixe. Die Oberfläche der Flüssigkeit in meinem Glas ruht spiegelglatt, als ich es anhebe, um einen ersten Schluck zu nehmen.
Vielleicht würde Rae es mitkriegen.
So wie sie mich manchmal ansieht … plötzlich meine ich zu wissen, warum sie mich in dieser einen Nacht gefragt hat, ob ich ein Einzelkind bin. Warum sie Gemeinsamkeiten zwischen uns vermutet. Sie erkennt etwas in mir wieder, etwas, das heftig genug ist, um sie an den Tod ihrer Schwester zu erinnern. Vielleicht hat sie in diesem Moment gedacht, ich hätte auch jemanden verloren.
Ich trinke das Glas in einem Zug leer und greife erneut nach der Flasche.
Aber da täuschst du dich, Rae. Ich habe niemanden verloren.
Höchstens mich selbst.
Wäre das tragisch? Irgendwie von Bedeutung?
Nach dem dritten Drink lasse ich das Bitter Lemon weg.
11.
Rae
Caydens Gesicht wirkt etwas wächsern, als er mir Freitagmorgen die Tür öffnet. Die frühe Uhrzeit scheint ihm nicht wirklich zu bekommen.
Mum hat es sich nicht nehmen lassen, mir noch ein Frühstück zu machen und sich mit mehreren Umarmungen und vielen Ratschlägen von mir zu verabschieden, und deshalb ist es bereits Viertel nach acht, als wir Caydens Sachen in mein Auto laden.
Man könnte meinen, er habe schon einige Fernwanderungen hinter sich gebracht. Er trägt helle Hosen mit Reißverschlusstaschen und dazu ein graues T-Shirt, das eng an seinem Oberkörper sitzt und garantiert atmungsaktiv ist und ultraschnell trocknet oder was weiß ich. Natürlich ist er mal wieder die Perfektion in Person, bis hin zu den silberblonden Haarsträhnen, die ihm in die Stirn fallen – muss interessant sein, so auszusehen, dass bei deinem Anblick Herzchen in den Augen aller aufleuchten.
Das Einzige, was am derzeitigen Bild des Vorzeigewanderers nicht ganz stimmig ist, ist wohl, dass alles etwas zu neu wirkt – mit diesen Trekkingschuhen ist auch Cayden garantiert noch keine fünf Meilen gelaufen.
Er setzt sich neben mich auf den Beifahrersitz, sinkt ein Stück nach unten und schließt ein paar Minuten später die Augen. Für seine Verhältnisse ist er die ersten Stunden der Fahrt erstaunlich schweigsam. Nicht einmal die Tatsache, dass er im Fußraum eine leere Timbits-Schachtel und mehrere alte Kaffeebecher zur Seite schieben musste, hat ihn dazu gebracht, irgendeine Bemerkung fallenzulassen. Dabei würde man in seinem Wagen mit Sicherheit nicht mal ein verirrtes Weingummi finden. Schon gar nicht mit Staub dran.
Zuerst nahm ich an, er würde schlafen, bis er mich plötzlich, noch bevor wir Edmonton hinter uns gelassen haben, gefragt hat, ob ich an meine Krankenkassenkarte gedacht hätte.
Habe ich nicht, aber die befindet sich ohnehin immer in meinem Portemonnaie.
Erst kurz vor Edson räuspert er sich wieder. «Soll ich mal übernehmen?»
«Musst du nicht.»
«Muss ich nicht, könnte ich aber.»
«Schlaf lieber. Du siehst aus, als könntest du etwas Schlaf vertragen.»
«Das täuscht.» Es raschelt im Fußraum, als er die Beine ausstreckt. «Hätte nicht gedacht, dass ich die Schuhe schon jetzt brauchen kann.»
«Was meinst du?» Irritiert werfe ich ihm einen schnellen Blick zu.
«Der Verkäufer meinte, knöchelhohe Schuhe seien sinnvoll, weil der Fuß darin mehr Halt habe. Und außerdem wäre man so sicherer vor Bissen.»
«Bissen?»
«Schlangen und was weiß ich für Viecher.»
«Aber …» Endlich funken in meinem Hirn ein paar Synapsen. «In meinem Auto leben keine Viecher!»
«Nein, bestimmt nicht.» Es raschelt schon wieder, als Cayden sich jetzt umdreht und die Rücksitze begutachtet. «Allerdings bin ich mir nicht so sicher, ob du es mitbekommen würdest, wenn es hier drin Mäuse gäbe.»
Ich habe noch darüber nachgedacht, zumindest den ganzen Verpackungsmüll in eine der ebenfalls in meinem Auto herumliegenden Tüten zu stopfen und zu entsorgen. Blöderweise habe ich es wieder vergessen.
«Du könntest auch nach Jasper laufen, wenn du Angst vor Mäusen hast.»
«Ach, passt schon. Ich habe ja die knöchelhohen Schuhe.»
«Ich werfe dich trotzdem raus, wenn du nicht die Klappe hältst.»
«Ernsthaft?»
Aus den Augenwinkeln bekomme ich mit, dass er mich ansieht, und ganz automatisch erwidere ich seinen Blick. Eine Sekunde lang kriegt er mich mit diesem Hauch von Schuldbewusstsein in seinem Gesicht, während es in seinen dunklen Augen funkelt, dann richte ich meine Aufmerksamkeit wieder zurück auf die Straße.
«Ernsthaft, Kilgrave.»
«Okay, bin still.»
Eine halbe Minute verstreicht, dann bewegt sich Cayden, und es raschelt im Fußraum.
Kurz darauf raschelt es noch einmal.
Dann noch mal.
«Cayden!» Ich will es empört ausrufen, muss aber leider lachen. «Hör sofort auf damit! Sonst musst du hier aufräumen!»
«Mach ich glatt.»
«Auf gar keinen Fall.» Ich strecke ihm die Zunge heraus und fühle mich im selben Moment bescheuert deshalb. «Wie lange, hast du gesagt, laufen wir zum ersten Zeltplatz?»
«Wenn wir den Whistlers Campground nehmen, eine knappe Stunde. Ein Stück weiter liegt der Wapiti Campingplatz, und danach käme Wabasso. Aber dort gibt es keine Duschen.»
In der nächsten halben Stunde diskutieren wir die Vorzüge von Sanitäranlagen und einer geregelten Stromversorgung und die Frage, ob der Wabasso Campingplatz vielleicht weniger überlaufen sein könnte, bevor wir uns schließlich für den Wapiti Campground als vorläufigen Ausgangspunkt entscheiden. Nicht nur die Duschen, sondern auch die Tatsache, dass er keine zwei Stunden von Jasper entfernt liegt, geben den Ausschlag. Ich will erst einmal ausprobieren, wie ich mit dem Rucksack zurechtkomme, und meine neuen Schuhe sollten auch noch ein wenig eingelaufen werden, bevor ich damit Tagesmärsche angehe.
In Jasper regelt Cayden alles
mit dem Mann, in dessen Vorgarten wir meinen Wagen parken dürfen, während ich meiner Mutter eine Nachricht schreibe, dass wir gut angekommen sind, und nach einem letzten Check, ob wir nichts Wichtiges im Auto liegengelassen haben, machen wir uns tatsächlich auf den Weg.
«Schaffst du das mit dem Rucksack?», vergewissert sich Cayden, nachdem er mir geholfen hat, das Ungetüm auf meine Schultern zu wuchten, und ich dabei einen Schritt zur Seite gestolpert bin.
«Klar.» Im Leben nicht würde ich zugeben, dass ich mich gerade fühle, als befände sich eine volle Badewanne auf meinem Rücken.
«Wir könnten noch ein bisschen was umpacken.»
«Wenn ich das richtig sehe, schleppst du ohnehin schon das ganze Kochzeugs. Ich krieg das schon hin.»
«Na gut.» Zweifelnd mustert er mich. «Lauf am besten vor mir, damit ich es mitbekomme, falls du zusammenbrichst.»
Dieser Satz sorgt dafür, dass ich die ersten Meilen in einem wesentlich strammeren Schritt hinter mich bringe, als es mir beim Aufsetzen des Rucksacks noch möglich erschien.
Bereits auf der Fahrt hierher haben mich die zunehmend dichter stehenden Baumriesen beeindruckt, und als bewaldete Hügel und Berge am Horizont auftauchten, beschlich mich eine erste schwache Ahnung von der unfassbaren Größe des Nationalparks.
Doch nachdem wir Jasper über die Hazel Avenue hinter uns zurücklassen und auf einem Wanderweg, der am Icefields Parkway entlangführt, in Richtung des Wapiti Campingplatzes laufen, packt mich irgendwann das Gefühl, mit jedem weiteren Schritt alles, was mein Leben bisher ausgemacht hat, einfach abstreifen zu können. Habe ich mich anfangs noch zwingen müssen, forsch voranzuschreiten, scheint es jetzt auf einmal leichter zu gehen. Obwohl ein paar Meter rechts von uns immer wieder Autos vorbeifahren, meistens langgezogene Camper, fühle ich mich, als sei ich einen kleinen Schritt zur Seite getreten und in einer völlig neuen Welt gelandet. Auf eine gewisse Art ist es befreiend, nur mit einem Rucksack auf dem Rücken, in dem sich alles befindet, was ich hier im Nationalpark brauche, einfach weiter und immer weiter zu laufen. Es riecht nach Wald, nach Nadelbäumen, Erde und moderndem Holz, und ich stelle mir vor, dass ich einen mikroskopisch kleinen Fleck auf einer Weltkarte erstmalig für mich erobere.