Wir sind der Sturm
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Und doch … ein Teil von mir erinnerte sich an das Hin und Her. Wie Paul mich zu seinem Geheimnis gemacht hatte und wir so wie jetzt voreinander gestanden und ich ihn angeschrien hatte. Und daran, wie er mich hatte links liegen lassen.
»Scheiße, du rennst mir hinterher wie all die anderen Tussen auch. Also lass es einfach gut sein, bevor es peinlich wird!«, sagte er statt einer Antwort mit unfassbar herablassendem Tonfall.
Ich wich einen weiteren Schritt vor ihm zurück, jedes Wort ein Pfeil, der sein Ziel unfehlbar traf. Mitten hinein ins Schwarze, nur dass dieser dunkle Fleck plötzlich mein Herz war.
Und doch straffte ich die Schultern. »Du lügst!«, behauptete ich bestimmt, obwohl seine Worte unendlich schmerzten.
Mit einem spöttischen Zug um den Mund lachte er auf und verschränkte die Arme vor der Brust: »Und wieso genau sollte ich dich anlügen? «
Ich schluckte schwer. »Dann sag es mir ins Gesicht. Schau mir in die Augen und sag mir, dass du mich nicht liebst, Paul!«
Er schnaubte, stieß sich von der Bar ab und schloss den Abstand zwischen uns. Ein Blinzeln und er stand gefährlich nah vor mir, viel zu nah. Und mit ihm kam dieser unendlich vertraute Geruch nach Wald und Holz. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihn ansehen zu können. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem eigenen entfernt. Und dann hob ich langsam den Blick, sah in seine Bernsteinaugen, die auf mir ruhten. Seine unerwartete Nähe ließ all die Erinnerungen sowohl in meinem Kopf als auch in meinem ganzen Körper nur noch lauter und viel drängender werden.
Er stand vor mir, irgendwie bedrohlich, blickte zu mir hinunter, sah mich unverwandt an.
»Verdammt, jetzt sag es mir einfach!«, forderte ich Paul auf, deutlich lauter dieses Mal, viel zu laut. »Das schuldest du mir. Das und eine Erklärung!«
Sein Kiefer mahlte. Die ganze Haltung beherrscht und irgendwo dahinter wahnsinnig aggressiv und düster. Kurz vor der Explosion. Dann überbrückte er die letzten Zentimeter zwischen uns, baute sich regelrecht vor mir auf. Und die Stille in seinem Blick breitete sich eiskalt in meinem Körper aus. Keine Gefühle und Erinnerungen darin, so als wären wir einander nicht nur jetzt fremd, sondern es immer schon gewesen.
»Ich liebe dich nicht, Louisa«, sagte er gefährlich leise. »Fuck, ich hab dich nie geliebt.« Und er stand so nah vor mir, dass ich die ausgesprochenen Worte auf meinen Lippen zu spüren glaubte. Erst fühlte ich nichts, dann alles auf einmal.
Ich stolperte zurück. Seine Worte und die Art, wie er mich ansah – beides zusammen war zu viel. Mit den ersten fünf Worten hatte Paul unsere Geschichte beendet. Mit den letzten sechs hatte …
Pau l
… ich Louisa das Herz herausgerissen. Und ich hatte es bei vollem Bewusstsein getan. Bei dem Anblick ihrer weit aufgerissenen blauen Augen hätte ich am liebsten alles zurückgenommen. Doch ich war ihr Verderben, war es gewesen und war es immer noch. Das Mindeste, das ich tun konnte, war, sie ihr Leben leben zu lassen – ohne mich. Es war immer noch besser, wenn Louisa mich hasste, weil sie dachte, sie hätte mir nie etwas bedeutet, als wenn sie die Wahrheit erfuhr. Und doch schmerzte jedes dieser ausgesprochenen Worte unerträglich. Noch nie hatte ich einem Menschen so sehr ins Gesicht gelogen.
»Okay«, sagte Louisa mit einem leichten Zittern in der Stimme und krallte sich mit den Händen in den Stoff ihres Kleides, als wüsste sie nicht, wo sie sich sonst festhalten sollte. Es stimmte, es hatte die Farbe ihrer Augen, und für eine Sekunde war da dieser andere Gedanke, den zu denken ich absolut kein Recht hatte: Dass dieses dunkelblaue Kleid viel zu kurz war, viel zu heiß, zumindest an ihr. Und dass ich sicher nicht der einzige Kerl bleiben würde, der bemerkte, wie unglaublich schön sie war – nicht auf eine klassische, sondern eine untypische und aufregende Art, die erst durch diese verfluchten Kleinigkeiten so unausweichlich wurde: Das Funkeln in diesen Wahnsinnsaugen, die ein bisschen zu weit auseinanderstanden, der spezielle Farbton ihrer Locken, der minimale Ansatz in genau dem Braun wie auch die fein geschwungenen Augenbrauen.
»Gut«, schob Louisa noch einmal hinterher und nickte langsam. »Danke für deine Ehrlichkeit!«
Was für eine schreckliche Floskel, die sie garantiert nicht so meinte. Feuerlocken, die in der schwachen Beleuchtung leicht schimmerten. Und alles in mir schrie danach, ihr zu sagen, dass sie sich an mir festhalten konnte statt an ihrem Kleid. An mir ganz allein, immer. Und dass ich sie so viel mehr brauchte als sie mich .
Mein Blick zuckte zu dem Phönix an ihrem Handgelenk. Linien, die ich für sie gezeichnet hatte, dann zurück zu ihren Augen unter dichten Wimpern. Ich ertrank in diesen Ozeanen, fiel immer tiefer hinein.
Louisa reckte das Kinn nach vorn, sah mich mit einem Mal emotionslos und doch irgendwie verloren an. Am liebsten hätte ich meine Hand nach ihr ausgestreckt.
Wir standen so nah zusammen und doch so weit voneinander entfernt wie niemals zuvor. Rückblickend erschien es mir beinahe schon lächerlich, dass meine Angst vor Nähe, vor allem, was über eine Nacht hinausging, eines der Dinge gewesen waren, die anfangs zwischen uns gestanden hatten. Dabei ging es jetzt um etwas viel Größeres. Und obwohl ich Louisa wehtun musste, um sie zu beschützen, war ich gerade auch wahnsinnig stolz auf sie, was irgendwie keinen Sinn ergab und doch mehr als alles andere. Sie versteckte sich nicht mehr hinter dem spöttischen Zug um ihre vollen Lippen, hinter ihren grellen Locken, hinter den sorgfältig aufgerichteten Mauern. Sie forderte eine Erklärung, wieso ich mich wie ein kompletter Arsch benahm, sie zeigte mir offen, dass sie verletzt und enttäuscht war. Es machte mich stolz, dass sie ihre Narben weiterhin und Stück für Stück wie Flügel trug – unabhängig davon, ob ich sie auffangen würde, sollte sie versuchen, zu fliegen.
Das waren die Dinge, die ich ihr am liebsten gesagt hätte. Stattdessen schluckte ich jedes einzelne Wort hinunter und blickte sie an, mit meiner Maske an Ort und Stelle und einem falschen Lächeln auf den Lippen.
»Ich …«, setzte Louisa an und fuhr sich mit den Fingern durch die Locken. »Ich sollte gehen.« Ihre Stimme bebte, und ich musste dem Drang widerstehen, sie in meine Arme zu nehmen, weil sie in diesem Augenblick so zerbrechlich wirkte. Doch das war etwas, das ich mir nicht erlauben durfte. Stattdessen nickte ich, griff nach einem neuen Drink und schob mich an ihr vorbei, bevor ich noch etwas wirklich Dummes tat – wie sie zu küssen zum Beispiel. Oder sie einfach nur festzuhalten .
Ich drehte mich kein einziges Mal um, als ich mich durch die Menge schob, den Blick auf der Suche nach Aiden, Trish, Bowie oder einem der Jungs, nur nach vorn gerichtet. Ich hatte absolut keine Ahnung, woher Bowie all diese Leute kannte. Gefühlt das halbe RSC quetschte sich in das Heaven, und nirgends entdeckte ich jemanden, den ich kannte – und auf den ich Lust hatte. Es gab gerade wirklich nicht viele Menschen, die ich ertragen konnte. Selbst die kleine Blonde von gerade war Mittel zum Zweck. Das waren sie alle, und ich machte kein Geheimnis daraus. Gott, ich klang wie ein Arsch. Ich verhielt mich wie ein Arsch. Aber was machte das schon, wenn ich Louisa dadurch weit genug von mir stoßen konnte?
Als ich schließlich Aiden und Luke auf der anderen Seite des Raums entdeckte, stieß ich erleichtert Luft aus. Mit einem breiten, falschen Grinsend legte ich Luke den Arm um die Schulter und überredete ihn zu ein paar Shots. Wir lachten über Aidens Witze, und ich tanzte mit der kleinen Blonden, die mich mit einem Blick ansah, der mir vor Augen führte, dass ich so schnell wie möglich klarstellen musste, dass das hier nicht mehr als eine einmalige Sache werden würde. Aber diese einmalige Sache war genau das, was ich in diesem Moment brauchte, sonst trieb mich der Gedanke an den Anblick von Louisas geweiteten Augen, als ich ihr gesagt hatte, dass ich sie nicht lieben würde, in den Wahnsinn. Es war einfach an der Zeit, dass endgültig wieder alles so wurde wie letztes Jahr, bevor ich Louisa kennengelernt hatte: keine Nähe, keine Dates und schon gar keine verdammten Gefühle.
Louisa
Ich musste raus und frische Luft atmen. Obwohl Paul sich mir gegenüber schon vor diesem Abend wie ein Arschloch verhalten und ich ihm gerade dennoch und bei vollem Bewusstsein offengelegt hatte, wie tief verletzt ich war, hatten seine Worte mich mit vol
ler Wucht getroffen. Mich an all den Leuten vorbeizuschieben, ohne vor seinen Augen zusammenzubrechen, kostete mich also wahnsinnig viel Kraft – doch es war in dieser Situation der letzte Rest Stolz, den ich hatte. Während Pauls offenkundige Ablehnung und das Gesagte unablässig in mir brannten, durchquerte ich den Club mit festen Schritten, gab die Starke, die sich von nichts und niemandem verletzen ließ.
Und dann trat ich endlich ins Freie. Mitten hinein in rettende, klare Luft. Diese Nacht war nicht magisch, nur weltenverändernd – zumindest was meine Welt betraf. Kalter Wind strich über mein erhitztes Gesicht, und ich blinzelte mehrmals, denn nur langsam gewöhnten meine Augen sich an das allumfassende Schwarz um mich herum. An die Schatten, die sich im Schein des Mondes Sekunde für Sekunde deutlicher abzeichneten.
Zum Glück hatte ich mich wegen all der Gigs von Goodbye April im Heaven an den Hinterausgang mit dem kleinen Innenhof erinnert. Die Leute, die sich vorn am Eingang von der Nachtluft abkühlen ließen, hätte ich jetzt nicht ertragen. Ich blickte mich um und stellte erleichtert fest, dass ich allein war. Nur gedämpfte Musik und ein schmaler Lichtstreifen, der durch die zugefallene Tür schien. Ich holte tief Luft – und dann schrie ich es in die Nacht hinaus: »Du bist ein verdammtes Riesenarschloch, Paul Berger!« Und weil es so guttat, schrie ich es mir nochmal von der Seele. Und noch einmal.
Erschöpft ließ ich mich erst gegen die rau verputzte Wand in meinem Rücken sinken, setzte mich dann auf den Boden. Es war mir egal, dass mein Kleid mir über die Oberschenkel nach oben rutschte. Es war mir egal, dass es wahnsinnig kalt und ich ohne Jacke nach draußen gestürmt war. Es war mir egal, dass meine Augen erst zu brennen begannen und mir wenig später lautlose Tränen über die Wangen liefen. Ich unternahm nicht einmal den Versuch sie wegzuwischen. Stück für Stück verlor ich die Menschen in meinem Leben: Erst meinen Dad, dann meine Mom. Leah, die Ewigkeiten meine beste Freundin gewesen war, und all meine anderen Freunde an der Highschool. Und jetzt den ersten Mann, den ich wirklich geliebt hatte. Letztendlich verlor ich alles und jeden. Bei dem Gedanken begann mein Herz, zu rasen, schien mit seinem Pulsieren beinahe meinen Brustkorb zu sprengen. Ich rang nach Luft, keuchte, sog so viel kalte Nachtluft in meine Lungen, wie möglich war, keuchte erneut auf, weil es immer noch zu wenig war. Atmen. Ich musste atmen, erinnerte ich mich, als meine Gefühle sich mit einem Mal in nackte Angst verwandelten. Atmen. Darauf versuchte ich, mich zu konzentrieren. Ein und aus. Gegen die Panik, die in mir aufkeimte. Luft einatmen, Luft ausatmen. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah in den tintenschwarzen Himmel, suchte die Sterne, um mich wie so oft an ihrem Anblick festhalten zu können. Doch das Licht des Monds kämpfte sich schwer durch die Wolkendecke, genauso wie das der Milliarden Sterne. Sie waren nicht da – jetzt, wo ich sie so dringend gebraucht hätte.
Ich zuckte zusammen, als sich plötzlich die Tür zum Heaven öffnete. Ich blinzelte gegen das Licht, das den Innenhof für kurze Zeit erhellte. Trish trat nach draußen und stieß einen kurzen Fluch aus, als sie mit einem ihrer Absätze an der winzigen Stufe hängen blieb. Dann fiel die Tür wieder schwer hinter ihr ins Schloss, und erneut waren da nur die schützende Dunkelheit und das schwache Licht der Laternen hinter der Mauer.
»Tut mir leid, Süße«, sagte Trish, als sie sich seufzend neben mich auf den Boden sinken ließ. Kleid an Kleid, ihres mit Glitzer. Die nackte Haut meines Schenkels an ihrer warmen Haut. Ich erschauderte und griff dankbar nach meiner Jacke und dem Schal, die Trish mir nun entgegenstreckte. Warmer, weicher Stoff, der zwar nicht ankam gegen die Kälte in mir, aber zumindest ein bisschen gegen die der Nacht.
»Es tut dir leid?«, fragte ich verwirrt und mit kratziger Stimme. Doch ich war unendlich froh, dass ihre erste Frage nicht Paul galt und dem, was vorgefallen war .
»Na, dass ich so lange gebraucht habe, um dich zu finden. Ich hätte mir eigentlich gleich denken können, dass du hier draußen bist, statt den ganzen Club nach dir abzusuchen.« Ich hörte das Lächeln in ihrer Stimme. Dann sagte Trish gar nichts mehr, sondern griff nach meiner Hand und verschränkte ihre Finger mit meinen. So saßen wir beide da und starrten in den Himmel, bis die Wolken, die sich vor den Mond geschoben hatten, langsam weiterzogen. Ihre Finger lagen dabei ununterbrochen um meine. Der Mond, das war meine Nepenthe . Ein wunderschönes, altgriechisches Wort, das zum ersten Mal in der Odyssee aufgetaucht war und demnach ganze Jahrtausende überdauert hatte. Beschrieben wird es als Droge, welche Schmerz und Trauer verschwinden lässt. Als etwas, das uns beim Vergessen hilft. Und Pauls Worte und seinen ausdruckslosen Blick hätte ich nur zu gern aus meiner Erinnerung gestrichen.
Nur zwischendurch leuchtete Trishs Handy für einen Moment auf und tauchte ihr Gesicht mit den rot geschminkten Lippen in grelles Licht, das von dem goldenen Ring in ihrer Nase reflektiert wurde. Wenige getippte Worte, dann umhüllte uns wieder Dunkelheit und Schweigen. Trishs Hand, die mich erneut hielt wie ein Anker im Hier und Jetzt. »Ich habe Aiden geschrieben. Er kommt gleich raus und fährt dann mit dir zurück zum Campus. Ich glaube, er ist so ziemlich der Einzige, der noch nichts getrunken hat – also abgesehen von dir natürlich.«
»Ich …«, versuchte ich heiser zu protestieren, räusperte mich dann jedoch nur.
Trish legte den Arm um mich und strich mir über die Haare. »Süße, ich hab nicht genau mitbekommen, wie das gerade abgelaufen ist, aber ich kann es mir denken«, sagte sie und blickte mir besorgt ins Gesicht. »Du hast offensichtlich geweint und bist fix und fertig. Und niemand ist dir böse, wenn du jetzt einfach gehst, am allerwenigsten Bowie. Die versteht das wirklich!«
»Aber es ist ihr Geburtstag , Trish«, erwiderte ich. Sogar in meinen Ohren klang mein Protest schwach, doch ich wollte mich von Paul und seinen Worten nicht derart aus der Bahn werfen lassen, dass ich den Geburtstag einer meiner Freundinnen vorzeitig verließ. Ich wollte nicht zulassen, dass er eine solche Macht über mich besaß.
Im nächsten Augenblick hatte Trish beide Arme fest um mich gelegt, mein Kopf an ihrer Schulter und ihren weichen Haaren. Der Geruch nach ihrem Erdbeershampoo stieg mir in die Nase. Und für diesen einen Moment erlaubte ich mir, schwach zu sein. Ich erlaubte mir, mir wirklich einzugestehen, dass ich in Paul die wahre Liebe gefunden und mich gleichzeitig scheinbar in diesem einen Menschen getäuscht hatte.
»Du musst hier wirklich absolut niemandem etwas beweisen, okay?«, meinte Trish ganz leise und strich mir eine einzelne Locken hinters Ohr.
Wegen all der Gigs im Heaven wusste Aiden, wie wir nach draußen kamen, ohne noch einmal durch den Club zu müssen. Eine letzte Umarmung von Trish und das Versprechen, dass sie sich später noch bei mir melden würde, dann folgte ich ihm. Mit schnellen Schritten durchquerte er den schwach beleuchteten Innenhof bis hin zu einer schmalen Tür, die sich leicht aufdrücken ließ. Kein einziges Mal fragte er mich, was eigentlich passiert war, und wie immer war ich dankbar, dass er jemand war, der mich mit meinen Gedanken allein ließ und mich nie dazu drängte, etwas von mir preiszugeben, wenn ich nicht dazu bereit war. Ich blickte Aiden von der Seite an: die zerzausten Haare, die im Mondlicht hell schimmerten, den Schwung seiner geraden Nase und sein immer lachender Mund, der jetzt zu einem schmalen Strich zusammengekniffen war. Er schien wegen irgendetwas aufgebracht zu sein, und unwillkürlich fragte ich mich, was Trish ihm erzählt hatte. Ob er wütend war? Auf Paul? Auf mich? Auf uns beide? Andererseits war Aiden dieser Typ Mensch, der das in einem ruhigen Moment wie diesen angesprochen hätte.
Wir liefen durch Redstones ruhige Straßen, von einer Laterne zur nächsten, von Lichtkegel zu Lichtkegel. Doch als wir in eine schmale Seitenstraße einbogen und Aidens Wagen in Sichtweite kam, blieb er abrupt stehen und musterte mich mit einem ernsten Ausdruck in den blauen Augen. »Du willst noch gar nicht nach Hause, oder?«
Ich zögerte, nickte dann jedoch langsam. Ich wollte nicht zurück in unsere Wohnung. Ich wollte nicht allein mit meinen Gedanken sein, wollte aber auch nicht über das reden, was passiert war. Mein Herz war sich nur über die Dinge im Klaren, die es nicht wollte, nicht über das, was in diesem Moment das Beste war.
Aiden legte den Arm um mich, und gemeinsam drehten wir um
, die schmale Straße wieder bis zur Kreuzung zurück. Wir liefen durch die Nacht. Unsere Schritte auf dem Asphalt, seine schweren und meine leichteren. Und je größer die Strecke wurde, die wir scheinbar ziellos durch die Stadt zurücklegten, desto mehr stellte sich das Gefühl ein, endlich wieder richtig atmen zu können. Begierig sog ich die kalte Nachtluft tief in meine Lungen hinein.
Vor der breiten Eingangstür des Luigi’s kamen wir schließlich zum Stehen und Aiden zog grinsend einen Schlüsselbund hervor. Mit routinierten Bewegungen machte er erst die Lichter an, stellte sich dann hinter die Bar und machte mir einen alkoholfreien Cocktail. Der Shaker flog zwischen seinen Händen hin und her, und am Ende zierte eine Schaumkrone die dunkelrote Flüssigkeit in meinem Glas. Ein Schimmern in sanftem Licht. In der Küche fand Aiden noch eine Schale mit einem Rest Tiramisu. Nebeneinander saßen wir an der Bar und tauchten unsere Löffel abwechselnd in die Schale. Wir machten Witze darüber, wie betrunken Bowie inzwischen wohl war, stellten Vermutungen darüber an, wer die mysteriöse Unbekannte war, mit der die zwei Jungs von Goodbye April parallel etwas am Laufen gehabt hatten, und diskutierten über den neuen Tarantino, den wir zusammen mit Trish im Kino gesehen hatten. Zwischendurch sah ich in Aidens hellen Augen zwar immer wieder Sorge aufblitzen, doch er sagte nichts .
Zurück auf dem Campus sahen wir uns in seinem Zimmer drei Folgen Supernatural an, und ich kommentierte alles, was Sam und Dean taten, weil ich sowieso wusste, was in welcher Szene passieren würde. So lange, bis ich auf dem Sofa einschlief – erschöpft und mitten im Satz. Und irgendwo in meinen Träumen war da diese Stimme: Glaub Paul nicht! Glaub ihm nicht, Louisa! Und er lügt doch! Ganz sicher! Jedes Wort, das Paul gesagt hatte, war eine Lüge.