Wir sind der Sturm
Page 8
6. KAPITE L
Paul
Mit zwei Pizzakartons in den Händen stieß ich die Tür des Luigi’s auf und trat endlich nach draußen ins Freie. Es war meine erste Schicht nach dem Unfall gewesen, weil Giovanni mit seiner Frau und den beiden Kindern kurz vor Weihnachten zu seiner Familie nach Italien geflogen und bis Mitte Januar geblieben war. Das Luigi’s hatte er kurzerhand für zwei Wochen geschlossen und mir zusätzlich noch eine Woche freigegeben, damit ich mich schonen konnte , wie er sich ausgedrückt hatte. Und ich wusste nicht, ob es traurig oder schön war, dass mein Boss sich mehr wie ein Dad benahm als mein eigener.
Ich brauchte das Geld wirklich dringend. Und doch rieb ich mir erschöpft über das Gesicht. Ich war so verflucht müde! Diese Art Müdigkeit, die nicht nur bleiern schwer auf dem Körper lastete, sondern noch viel mehr auf der Seele. Ein Teil von mir trank, kiffte, ging auf Partys, hatte zu viel Sex und versuchte mit aller Macht und allen Mitteln, zu vergessen. Weiß Gott, einfach nur zu betäuben, bevor mich in den Nächten am Ende sowieso wieder die Albträume einholten. Der andere Teil in mir war einfach wie auf Autopilot: Mit mir, der funktionierte, während in meinem Kopf nur Leere war.
In dem Moment, in dem ich die Tür zu Aidens Wagen, den ich mir lieh, seit mein Pick-up nur noch ein Haufen Schrott war, öffnen wollte, klingelte mein Handy. Ich stieß einen kurzen Fluch aus, legte die beiden Pizzakartons auf das Dach des Autos und kramte in meinem Rucksack nach meinem Handy. Ich hoffte, dass das endlich ein Foto-Job war, mit dem ich mir etwas dazuverdienen und mir schnellstmöglich wieder eine eigene Karre würde leisten können.
Doch als ich Lucas Namen auf dem Bildschirm aufleuchten sah, seufzte ich. Himmel, natürlich vermisste ich meinen Bruder, aber ich war gerade so nah am Abgrund, konnte nicht klar denken! Und das wollte ich eigentlich auch gar nicht. Lieber Gedanken hinter Nebel als der Boden der Tatsachen. Ich wollte nicht, dass er mich auf diese Art sah. Zögernd schwebte mein Daumen über dem Anrufsymbol, bevor ich Luca wegdrückte, so, wie ich es auch all die anderen Male getan hatte.
Gerade wollte ich endlich in das Auto steigen und mich auf den Weg zurück zum Campus machen, als ich hinter mir plötzlich Schritte hörte. Dann ein Räuspern. Wahrscheinlich hatte sich die neue Aushilfe wieder einmal kurzfristig krank gemeldet, und jetzt wollte mich irgendjemand fragen, ob ich noch länger bleiben und einspringen könnte.
Ich drehte mich um, eine Erwiderung auf den Lippen, doch vor mir stand … Luca, das für ihn typische freche Grinsen im Gesicht, das bis zu den grünen Augen mit den braunen Sprenkeln reichte.
»Ich will ja nichts sagen, Bruderherz, aber hast du mich gerade echt einfach weggedrückt? Schon wieder?«
Verwirrt musterte ich ihn, beinahe auf Augenhöhe, weil Luca inzwischen fast so groß war wie ich. Was zum Teufel machte er hier? Steckte am Ende wieder mein Vater dahinter, der das gute Verhältnis zwischen seinen Söhnen nutzte, um mich unter Druck zu setzen? Hatte er ihn hergeschickt? Bei dem Gedanken an unser kurzes Gespräch an Weihnachten ballte ich die Hände unwillkürlich zu Fäusten. Seine Herablassung, seine Arroganz, seine begrenzte Weltsicht. Ich hatte verflucht nochmal wirklich nicht viel erwartet, aber ganz sicher nicht, dass er mich verbal beinahe schon aus dieser ohnehin beschissenen Villa schmeißen würde – nur weil ich andere und vor allem eigene Träume für mein Leben hatte.
»Was willst du hier?«, fragte ich schroffer als beabsichtigt und beobachtete Luca, wie er die Arme vor der Brust verschränkte. Jetzt tauchte auch noch Katie neben ihm auf. Mit dem Ellenbogen stieß er ihr in die Seite. »Hab ich dir nicht gesagt, dass er sich kein Stück freuen wird, mich zu sehen?«
»Quatsch, natürlich freut er sich«, erwiderte Katie bestimmt und blickte zu Luca nach oben. Ich verzichtete darauf, die beiden darauf hinzuweisen, dass er anwesend und immer noch vor ihnen stand.
»Ich bin mir sicher, Paul freut sich«, sagte Katie noch einmal und durchbohrte mich mit Blicken. Das Blau ihrer schwarz umrandeten Augen war so dunkel wie das ihrer gefärbten Haarspitzen.
»Wieso bist du hier, Luca?«, versuchte ich es versöhnlicher.
Doch das breite Grinsen verschwand mit einem Mal aus seinem Gesicht, und dieses Mal blickte er mich finster an. »Nach deiner Entlassung ist das jetzt schon der vierte Freitag in Folge, an dem wir nichts ausgemacht haben, Paul. Wir sehen uns jeden Freitag, seit du ausgezogen bist …« Dann trat ein ernster Ausdruck in Lucas grüne Augen, und für einen Moment fühlte es sich so an, als wäre er der Ältere von uns beiden. »Alter, ich hab mir Sorgen gemacht, okay? Also hat Katie mich hergefahren … und als du nicht in der WG warst, hab ich Aiden angerufen und gefragt, wo du bist. Ich wollte echt nicht schon wieder meine Zeit mit den Versuchen, dich zu erreichen, verbringen. Ich hab gerade das Gefühl, als wäre ich dir einfach egal!«, sagte er, und etwas leiser fügte er hinzu: »Mann, ich vermisse dich, okay?«
Luca klang verunsichert. Und für einen kurzen Moment sah ich hinter seiner coolen Art, die er vor allem vor Katie an den Tag legte, den Typen, der bald erst sechzehn Jahre alt werden würde. Der seinen großen Bruder brauchte, nicht nur einen Schatten davon. In unaufhaltsamen und heftigen Wellen machte das schlechte Gewissen sich in mir breit. Ich hatte nicht gewollt, dass Luca mich so sah. Dass er am Ende bemerkte, dass ich ihm einfach kein Vorbild sein konnte. Dass er am Ende die Wahrheit erfuhr, die irgendwann immer ans Licht kam.
Immerhin hatte ich auch einmal gedacht, dass ich Heathers Schulter zum Anlehnen sein konnte. Nach dem Unfall hatten wir uns erst wieder an der Highschool gesehen. Auf meine Nachrichten hatte sie nie geantwortet, auf meine Anrufe nie reagiert, und als wir uns in den Fluren über den Weg gelaufen waren, hatte sie nicht nur anders ausgesehen mit den blonden Haaren, die sie plötzlich nur noch schulterlang trug, und dem entschlossenen Zug um die wie immer kirschroten Lippen. Sie hatte mich auch anders angesehen: enttäuscht, ängstlich, angewidert. Eine fest zudrückende Faust um mein Herz, als sie vor ihrem Spind einen Schritt vor mir zurückgewichen war.
»Wie kannst du dich hier überhaupt noch blicken lassen nach dem, was passiert ist?«, hatte sie mir förmlich entgegengespuckt. »Deine Familie kann mit ihrem scheiß Geld noch so viele Leute bestechen, aber ich weiß, was passiert ist. Ich war dabei. Ich weiß, dass dieser Mann wegen dir gestorben ist. Du allein hast das zu verantworten!« Sie gab mir die Schuld, und ich gab sie mir selbst. Es war nur diese eine Sache, dir wir beide noch gemeinsam gehabt hatten. Heathers Entscheidung für die California State University und gegen eine Fernbeziehung war der Grund für unseren Streit und damit eine halbe Trennung gewesen. Die Tatsache, dass ich einen Menschen und vielleicht beinahe auch uns umgebracht hatte, war der verfluchte Todesstoß gewesen. Ich trug so viel Schuld in mir, auf so viele Arten.
Mit geballten Fäusten schüttelte ich die Erinnerungen ab, denn dass Luca sich Sorgen um mich machte, das war überhaupt nicht in Ordnung. Wenn sich schon jemand sorgte, dann ich um ihn, der ältere Bruder um den jüngeren.
Ich gab mir einen Ruck. »Ich bin froh, dich zu sehen, Kl-Luca«, verbesserte ich mich und ignorierte seine zusammengezogenen Augenbrauen. Dieses Mal sah seine Kleine zufrieden zwischen uns beiden hin und her, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Gott, irgendwie mochte ich dieses Mädchen.
»Macht ihr zweimal das, was ihr eben sonst so miteinander macht, ich bin dann mal wieder weg«, meinte Katie zufrieden. An Luca gewandt fügte sie hinzu: »Ruf mich an, wenn du zurückfahren willst.«
Sie stellte sich auf Zehenspitzen und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. Dann schob sie ihre Hände in die hinteren Taschen seiner Jeans und sah erst mit einem Lächeln, dann mit einem Blick zu ihm hinauf, der mich wegsehen ließ. Die beiden waren sowas von verknallt ineinander!
Plötzlich war wieder Louisa in meinen Gedanken. Das Mädchen aus Feuer, das für kurze Zeit mir gehört und mich genauso angesehen hatte.
Machst du das mit Absicht, Paul? Tust du mir mit Absicht weh?
Dieser Augenblick, als ich ihr mit meinen Worten bewusst das Herz gebrochen hatte und ihre Augen nur noch mattes Blau gewesen waren, ließ sich nicht vergessen – ganz egal, wie viele Frauen ich nach Bow
ies Geburtstag auch flachgelegt hatte. Jedes Mal fühlte es sich auf eine schmerzhafte Art und Weise falsch an und doch richtig. Keiner von ihnen hatte ich etwas versprochen, hatte meine Absichten von Anfang an offengelegt und mir dann das genommen, was ich brauchte, um zu vergessen. Ich redete mir ein, dass das nun mal das war, was ich immer schon getan hatte.
»Lust auf Pizza?«, fragte ich, als wir allein waren und deutete auf die beiden Pizzen, die Giovanni zu viel gemacht hatte und die immer noch auf dem Dach lagen.
Luca verfrachtete die Kartons auf die Rückbank, setzte sich nach vorn neben mich und überkreuzte die Beine mit den Füßen auf dem Armaturenbrett, so wie immer. Doch dieses Mal fing er sich keine Kopfnuss ein. Zum einen war das nicht mein eigener Wagen, zum anderen konzentrierte ich mich seit dem Unfall zu hundert Prozent auf die Straße vor mir. Gott, dieser Moment, als das Handy mir aus der Hand geflogen und das andere Auto auf mich zugerast war, hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Jedes Mal, wenn ich seitdem auf dem Highway gewesen war, hatte sich Unruhe in mir breitgemacht, doch ich wollte das Fahren und die damit verbundene Selbstständigkeit unter keinen Umständen aufgeben. Denn genauso wie meine Joggingrunden durch den Wald waren das Momente der Freiheit.
Ich lenkte das Auto aus Redstone heraus auf den Highway, die gewohnte Strecke Richtung Lake Superior, doch dieses Mal war die Stille zwischen Luca und mir ungewöhnlich laut. Ein Schweigen, das mir fast schon in den Ohren dröhnte. Nach wenigen Minuten machte ich das Radio an, drehte die Musik so laut auf, bis es ohnehin unmöglich war, sich zu unterhalten. Luca wippte mit den Füßen auf dem Armaturenbrett im Rhythmus der Musik, ich tat es mit trommelnden Fingern auf dem Lenkrad.
Den Wagen parkte ich an unserem Platz unter den Tannen. Zu dieser Jahreszeit verirrte sich kaum jemand hierher. Da war nur ein Mann, dick eingepackt mit Mütze und Schal, der in der Ferne mit seinem Hund spazieren ging. Und Luca und ich, die schweigend nebeneinander herliefen, bis zu dem Steg, der wegen der kahlen Bäume schon viel früher zu sehen war als sonst. Die Bretter knarzten unter unseren Schritten, als wir uns ganz am Ende auf das Holz sinken ließen, nebeneinander inmitten des zugefrorenen Sees. Eis glitzerte in der Sonne, und der Blick war frei auf das dunkle Grün der Tannen vor der schneebedeckten Bergkette. Es war so leicht, sich in diesem Anblick zu verlieren, in dieser friedlichen Atmosphäre und dem Versprechen auf Freiheit.
»Was ist los, Paul?«, wollte Luca mit einem Mal wissen.
Ich riss mich von der Aussicht los, und schon wieder lag mir eine sarkastische Erwiderung auf den Lippen, doch ich schluckte sie hinunter. Ich konnte diese unendliche Wut in mir, die das Gefühl der Hilflosigkeit überlagerte, nicht ständig an den Menschen um mich herum auslassen. Vor allem nicht an meinem kleinen Bruder. Ich überging seine Frage also und schob Luca stattdessen einen der beiden Kartons zu. Wahrscheinlich war die Pizza höchstens noch lauwarm, doch das machte nichts .
Luca erzählte mir, dass er in den Ferien eine ganze Woche bei seinem besten Freund geblieben war, weil die Stimmung zu Hause unerträglich gewesen war. Von den Streichen, die sie geplant hatten, und der letzten Probe vor der Aufführung des Wintermusicals. Ich wuschelte ihm durch die Haare und versprach ihm, mich zu melden, auf seine Nachrichten zu antworten und ihn nicht wieder aus meinem Leben auszuschließen. Und ich musste auf meine Spiegelreflexkamera schwören. Dieser schlaue Kerl!
»Ah Mist, fast hätte ich es vergessen«, sagte Luca, als wir wieder im Auto saßen. Er schnappte sich seinen Rucksack, um darin herumzuwühlen. Ein Rascheln, dann ein breites Grinsen, welches sein Gesicht aufhellte, als er mir etwas in die Hand drückte.
»Alter, lass mich das nicht bereuen, okay?«, fügte er noch hinzu, bevor ich einen Blick darauf werfen konnte. »Ich hab echt null Bock auf dumme Sprüche oder so!«
Luca verzog das Gesicht zu einer Grimasse, und ich senkte den Blick auf das, was er mir da gegeben hatte. Zwei schmale Tickets. New Forreston High – West Side Story. Aufführung des Wintermusicals stand in schmalen Großbuchstaben darauf.
Ich lachte laut auf, und gleichzeitig fühlte ich eine Wärme in mir, die dort lange nicht mehr gewesen war, weil er mich offensichtlich dabei haben wollte, obwohl die Premiere bereits Anfang des Monats gewesen und ich ihm in den letzten Wochen alles andere als ein guter Bruder gewesen war – das konnte ich in Zukunft wahrscheinlich auch nicht wirklich sein. Was ich aber tun konnte, war, in dieses Musical zu gehen und ihm damit eine Freude zu machen. Meine Eltern waren wahrscheinlich wieder zu beschäftigt, um bei so einer Schulveranstaltung aufzukreuzen. Ein Grund mehr für mich, Luca zuliebe hinzugehen.
»Das lasse ich mir auf keinen Fall entgehen, Kleiner!«, sagte ich und meinte es genau so .
Einem Impuls folgend machte ich mit dem Handy ein Foto und schickte es Trish, weil das genau ihr Ding wäre: Ein Abend an unserer alten Highschool, um mit einem breiten Grinsen durch die Flure zu hüpfen und sich darüber zu freuen, dass sie diesem Ort entkommen war. Ein Abend, um Luca damit aufzuziehen, dass der sich bei seinen Streichen nicht nur hatte erwischen lassen, sondern von Rektor Baker auch noch zur Teilnahme an der Theater AG verdonnert worden war. Und schließlich ein Abend, um sich für wenige Stunden wie in High School Musical zu fühlen, auch wenn ich ihre Besessenheit von damals mindestens genauso gern vergessen hätte wie sie mich jedes Mal zum Lachen brachte.
Doch ich hatte keine Ahnung, ob der blonde Zwerg tatsächlich mitkommen würde. Mir war klar, dass ich mich seit Weihnachten auch meiner besten Freundin gegenüber mies verhielt. Trotzdem war es einen Versuch wert. Luca hatte mir heute gezeigt, wie wichtig es war, dass ich ihn, der meine ganze Familie war, hatte. Und so war es auch mit Aiden und Trish. Mein Feuermädchen würde mich irgendwann vergessen. Doch wenn ich neben Louisa auch noch meinen Bruder und meine beiden besten Freunde verlieren würde, hätte ich nichts mehr. Also musste ich mich in Zukunft irgendwie zusammenreißen, denn ich befand mich verdammt kurz vor dem freien Fall. Und weiß Gott: Was hielt einen Menschen – vor allem einen mit so vielen Fehlern wie mich – vor dem Abgrund zurück, wenn er nichts mehr hatte?
Louisa
Mit dem Februar hörte der Schnee auf und machte Platz für den Regen. Und ich fragte mich, ob das schon die Kevättalvi war: der Teil des Winters, der noch in den Frühling hineinreichen würde. Mir gefiel der Gedanke einer inoffiziellen fünften Jahreszeit, der Gedanke, eigene Regeln aufzustellen. Noch mehr aber berührte mich der Klang des finnischen Wortes. Es erschien mir so fremd, fast Teil einer anderen Welt zu sein.
Mit den Händen in den Hosentaschen seiner Jeans lehnte Robbie in der Haustür, als ich auf die Veranda zuging: Die gelbe Farbe des Häuschens wirkte wie eine kleine Sonne inmitten des wolkenverhangenen Himmels, durch den schon den ganzen Tag kein bisschen Licht zu dringen schien.
»Hey, Kleines!« Robbie musterte mich, während er sich mit einer Hand durch den dunklen Vollbart strich. Wie immer schien seinem aufmerksamen Blick nichts zu entgehen, immer bereit, zu reagieren.
»Officer Brown«, sagte ich und nickte ihm zu. Robbies Mundwinkel zuckten. »Oh Gott, ehrlich Lou, wann wirst du endlich aufhören, mich so zu nennen?«, brummte er und umarmte mich.
Ich lachte und schlug ihm leicht auf den Oberarm, weil dieser riesige Kerl mich fast erdrückte. Und trotzdem rastete in diesem Augenblick etwas in mir ein. Bei diesem Mann, der meine Schwester glücklich machte und für mich wie ein großer Bruder war. In einem der Sommer, in denen ich mit heruntergelassenen Fenstern bei ihm im Streifenwagen hatte mitfahren dürfen, hatte ich ihn gefragt, wieso er sich in sie verliebt hatte. Den Blick hatte er weiterhin konzentriert auf die Straße gerichtet, doch da war dieses verschmitzte Grinsen gewesen und keine Sekunde des Zögerns.
»Wie hätte ich mich nicht in sie verlieben können?«, war die schlichte Antwort gewesen.
Bis zu diesem Moment hatte ich Angst gehabt, dass er wieder aus Mels und meinem Leben verschwinden würde – doch das hatte er nicht getan. Jahr für Jahr war Robbie da gewesen. Und seit diesem einen Sommer glaubte auch ich ihm, dass er tatsächlich bleiben würde. Für immer.
Mel fand ich in der Küche, die dunklen Locken zu einem wirren Ha
arknoten zusammengesteckt, der sich bereits zur Hälfte aufgelöst hatte. Geistesabwesend murmelte sie ein Hallo , drückte mir einen Kuss auf die Wange und starrte dann wieder in den Ofen hinein, drückte sich die Nase fast an der Scheibe platt.
Mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck wandte sie sich schließlich mir zu. »Oh Mann, Lou«, seufzte sie. »Ich wollte Dads legendäres Mac and Cheese für uns machen, weil doch Wochenende ist und ich dir eine Freude machen wollte. Ich war wirklich nur ganz, ganz kurz weg, um den Unterricht für nächste Woche vorzubereiten, und als ich gerade zurückgekommen bin … Denkst du, man kann das noch irgendwie retten?!«
Ich stellte mich neben meine Schwester und öffnete den Ofen. Als mir dichter Rauch entgegenschlug, musste ich erst husten, dann laut lachen. Schnell öffnete ich das Fenster auf der gegenüberlegenden Seite, als der Rauch sich immer weiter auszubreiten begann.
»Nein, Mel«, sagte ich kopfschüttelnd, »ich glaube, das kann man definitiv nicht mehr retten. Das ist so verbrannt, ich könnte nicht einmal sagen, was das überhaupt sein sollte, wenn du es mir nicht gesagt hättest!«
Robbie bot grinsend an, etwas vom Asiaten zu holen. Und während wir auf ihn warteten, deckten wir zusammen den breiten Tisch vor dem Sofa und machten Kerzen an. Wir setzten uns zwischen die bunt gemusterten Kissen einander gegenüber, Fußsohle an Fußsohle, so wie immer. Im Hintergrund lief leise Musik, und ich schloss für einen Moment die Augen, um sie in mir aufzunehmen, die sanfte Melodie mit all den hellen Tönen. Das hier fühlte sich nach Zuhause an. Nein, verbesserte ich mich selbst: Das hier war mein Zuhause, eines von zweien.
Mel erzählte mir von einem ihrer Lieblingsschüler, auch wenn sie immer wieder betonte, dass man eigentlich keine haben sollte, und wie sehr sie sich auf die heutige Date Night mit Robbie freute. Seine Eltern hatten Mary schon gestern Abend abgeholt und würden sie erst morgen Nachmittag wieder hierherbringen – die beiden hatten also endlich einmal wieder Zeit füreinander. Und weil ich die Kleine vermisste, nahm ich mir jetzt schon vor, so bald wie möglich wieder herzukommen.