Book Read Free

Wir sind der Sturm

Page 10

by Bichon, Sophie


  »Du bist ein Idiot«, murmelte ich an dem Stoff seines Shirts, doch Aiden lachte nur.

  »Lou? «

  »Hmm?«

  »Du weißt, dass ich Paul die Nase brechen würde, weil er dir das Herz gebrochen hat, oder?«

  Trotz dieser absurden Situation musste ich leise lachen. Vielleicht aber auch gerade deswegen.

  »Ich weiß, Aiden«, sagte ich, »Aber du brauchst deine Hand zum Gitarre spielen! Was ist sonst mit den ganzen Mädchen, die den Sänger von Goodbye April schon seit einer Ewigkeit anschmachten und unbedingt mit ihm rumknutschen wollen?«

  Aidens Grinsen wurde breiter, als er die Arme hinter dem Kopf verschränkte. »Ach, Lou, zum Glück wohnen wir zusammen. Du hast also genug Zeit, mein gerade zerstörtes Ego mit genau solchen Sätzen Stück für Stück wieder zusammenzusetzen.«

  Hireath

  7. KAPITE L

  Paul

  Zwischen Flammen und Feuersturm schrie ich Louisas Namen, immer und immer wieder. Erdrückende Angst schnürte mir die Kehle zu, weil ich sie inmitten des dunklen Rauchs nicht ausmachen konnte. Ich tastete um mich, bekam sie aber nicht zu fassen. Das erschütternde Geräusch einer Explosion und darauffolgende Stille, die nur von meinen panischen Rufen unterbrochen wurde. Doch Louisa war weg, und zurück blieben nur das Feuer und ich.

  Es war mein eigener, lauter Schrei, der mich hochschrecken ließ –mitten hinein in die Wirklichkeit, hinein in den Montag und eine neue Woche. Ich war schweißgebadet und rang verzweifelt nach Luft, während mein Herz wie wild gegen meine Rippen hämmerte. Ein lautes Pochen, das mir in den Ohren rauschte. Nur langsam sickerte die Tatsache, dass das nur ein beschissener Traum gewesen war, zu mir durch. Doch die Bilder brannten auf meiner Netzhaut, waren übermächtige Schatten, die nicht verschwinden wollten. Es war dieser wiederkehrende Albtraum, in dem sich meine Erinnerungen mit meinen größten Ängsten vermischten, die Vergangenheit mit der Gegenwart.

  Die Bilder verfolgten mich noch, als ich mich wenig später aus dem Bett quälte und unter die Dusche stellte. Ich drehte das Wasser eiskalt auf und hielt mein Gesicht direkt unter den Duschkopf. Und je länger das eisige Wasser auf meine Haut prasselte, desto mehr vertrieb die Kälte die Erinnerungen an die Nacht voller Albträume. Das Gefühl der Leere aber blieb während des restlichen Tages: Es war da, als ich mir im Firefly vor meiner ersten Vorlesung einen Kaffee holte und kurz mit Trish sprach, als ich mich mit Luke vor unserem Hörsaal traf. Es war da, als ich Louisa mit einem Buch in der einen und einem Becher Kaffee in der anderen auf den Stufen vor dem Mathe-Gebäude sitzen sah. Ihre Lippen bewegten sich, als würde sie den Text leise mitlesen. Und es blieb. Auch als ich Fotos von diesem neuen Café in Redstone machte, das sich kurzfristig bei mir gemeldet hatte. The Bean brauchte Bilder für die Website. Und trotz des Zusammenspiels all der geometrischen Formen, Hell und Dunkel und dem vielen Grün der Pflanzen – etwas, das mir viele Möglichkeiten und Freiheiten gab – fühlte ich mich unfassbar leer.

  Erst als ich mich am frühen Abend mit Trish traf, um zusammen nach New Forreston zu unserer alten Highschool zu fahren, verblasste das Gefühl langsam, auch wenn es nicht völlig verschwand. Tatsächlich freute ich mich darauf, Luca und Katie zu sehen. Ich würde zwar einen Teufel tun und das zugeben, doch ich war heilfroh, dass mein kleiner Bruder vorletzte Woche deutlich mehr Eier als ich gehabt und nicht locker gelassen hatte. Ich hatte mir fest vorgenommen, dass wir uns wieder regelmäßig sahen, weil er nichts für meine verdammten Fehler konnte.

  Die Stimmung zwischen Trish und mir war zuerst angespannt. Natürlich ahnte ich, wieso sie sich mir gegenüber so abweisend verhielt, doch nach einem wiederholten Seitenblick fragte ich nach, was los sei. Und sie ließ mich knapp wissen, dass sie nur wegen Luca mitfuhr und sie sauer auf mich war, weil sie einfach nicht verstehen konnte, wieso ich mich Louisa gegenüber so verletzend verhielt. Ich nickte, sagte aber nichts, denn was hätte ich auch sagen sollen?

  Als ich diesen furchtbaren Song aus High School Musical anmachte, den Trish so liebte, taute sie langsam auf. We’re All In This Together , sang sie lauthals mit und brachte mich mit ihrer unbeschwerten Art zum Lächeln. Der blonde Zwerg war niedlich, auch wenn ich das mit keinem Wort erwähnte und stattdessen nur die Augen verdrehte. Während der Aufführung von West Side Story starrte Trish durchgehend wie gebannt auf die Bühne und drückte Luca danach überschwänglich an sich, als wir uns nach der Aufführung draußen mit ihm trafen. Er wurde knallrot, als sie ihm immer wieder versicherte, dass er großartig gewesen sei. Ich selbst hatte sowieso schon länger die Vermutung, dass Luca die Theater AG gar nicht so übel fand, wie er uns alle immer glauben lassen wollte – und das nicht nur wegen Katie. Er war wirklich ziemlich gut, zumindest soweit ich das beurteilen konnte.

  Wir gingen zusammen zu dem Café um die Ecke, in dem es auch um diese Zeit noch die besten Waffeln gab. Katie, Luca, Trish und ich. Es war fast wie eine Reise in die Vergangenheit, in die Zeit, in der ich hier unzählige Stunden mit Aiden und Trish verbracht hatte. Und obwohl ich diese Dunkelheit in mir trug, meine Schatten und Dämonen ständig präsent waren, diese schmerzende Wahrheit, die ich zu keinem Zeitpunkt vergessen konnte, stellte ich überrascht fest, dass ich nicht zurückwollte. Während die anderen sich konzentriert über die Karten beugten und anschließend diskutierten, wer was bestellen sollte, damit wir möglichst viel probieren konnten, durchzuckte mich einen Wimpernschlag lang dieser eine Gedanke: War das Gefühl von Glück, das ich für einen kurzen Moment mit Louisa empfunden hatte, nicht besser als gar keins? War das nach diesem Unfall an Weihnachten letztendlich nicht sogar viel mehr gewesen, als ich mir jemals für mich und mein Leben hätte vorstellen können?

  Zurück in der WG setzten wir uns zu Isaac, Bowie und Taylor ins Wohnzimmer. Sie sahen sich einen Film an und aßen Reese’s Peanut Butter Cups und Unmengen Chips. Wir blieben ewig wach, die anderen schienen einfach nur aufgedreht zu sein, ich hingegen wusste, welche Bilder mich erwarteten, sobald ich versuchen würde zu schlafen. Sobald ich nur die Augen schloss. Irgendwann schlief erst Trish gegen mich gelehnt ein, dann Bowie mit dem Kopf in ihrem Schoß. Es wurde immer später, und als der Abspann von The Big Lebowski über den Fernseher flimmerte, verabschiedete Taylor sich ins Bett, wenig später Isaac. Aber aus irgendeinem Grund wollte ich Trish und Bowie nicht wecken. Vielleicht weil sie so süß aussahen, wie sie ineinander verschlungen und halb auf mir lagen, vielleicht weil die Nähe der beiden mich auf irgendeine verlorene Art tröstete. Der blonde Zwerg und seine Freundin – das waren die einzigen beiden Frauen, deren Nähe ich tatsächlich ertrug. Die Art Nähe, die nichts mit bloßem Sex zu tun hat. Vorsichtig und ohne Trish zu wecken, die immer noch auf meinem Arm lag, rutschte ich vom Sofa und holte eine Decke aus meinem Zimmer und breitete sie über den beiden aus. Einem spontanen Impuls folgend ging ich noch einmal zurück, um meine Polaroid-Kamera zu holen. Ein leises Klicken. Ich lächelte, als ich diesen eingefangenen Moment an der Wand zwischen Taylors und meinem Zimmer zu all den anderen Bildern pinnte.

  Kurz blieb mein Blick an dem Foto hängen, das ich kurz vor Weihnachten von Louisa gemacht hatte. An dem Tag, an dem ich das erste Mal mit ihr geschlafen hatte. Mit dem Daumen strich ich über diese in einem verdammten Quadrat gefangene Erinnerung. Das ehrliche Lachen und das Leuchten in ihren Augen, während sie die Schüssel mit dem Plätzchenteig auf ihren Oberschenkeln balancierte und von ihrem ersten Vanillekipferl abbiss. Einzelne Locken hatten sich aus ihrem Haarknoten gelöst und fielen auf ihre geröteten Wangen.

  Vor zwei Monaten noch hatte sie mich tatsächlich dazu gebracht zu denken, dass meine Vergangenheit keine Rolle spielen würde, dass der Mensch, der ich heute war, alles von Bedeutung war. Und jetzt hatte meine Vergangenheit mich auf die schlimmstmögliche Art eingeholt, die ich mir nicht einmal in den Albträumen, die mich seit Weihnachten wieder in den meisten Nächten wachhielten, hätte vorstellen können.

  Zurück auf dem Sofa rutschte Trish mit einem Seufzen näher an mich heran, und ich legte den Arm um sie, weil es so bequemer war. Und dann irgendwo zwischen Tag und Nacht und der Quasi-Nähe dieser zwei Mädchen, zwischen bittersüßen un
d vor allem schmerzhaften Erinnerungen und verdammten Wahrheiten, tat ich etwas verflucht Dummes: Ich entsperrte mein Handy, tippte auf den Chatverlauf mit Louisa und starrte auf diese eine Nachricht: Nächte sind unser Ding. Einen atemlosen Augenblick blickte ich noch auf das Display und diese vier Wörter, dann begann ich zu tippen. Senden, ohne weiter darüber nachzudenken. Nicht die eine große Wahrheit, aber eine kleinere, absolut ehrliche:

  Ich denke an dich.

  Louisa

  Meine Hände zitterten, als mitten in der Nacht mein Handy vibrierte und Pauls Name auf dem Bildschirm aufleuchtete.

  Erst nach und nach erschloss sich mir die Bedeutung seiner Worte voll und ganz. Vier Wörter, die aus dem vollkommenem Nichts gekommen waren. Und mit ihnen kam die Wut. Erst langsam, dann ein heißes und brennendes Gefühl, das durch meine Venen floss.

  Was fiel Paul ein? Was dachte er sich, so mit mir umzuspringen? Er hatte mich benutzt, mich zu seinem Spielzeug gemacht. Und trotzdem versuchte ich, ohne ihn weiterzumachen, auch wenn ich mich immer noch Tag für Tag fragte, wieso er mich verlassen hatte. Wieso er mir gesagt hatte, dass ich nie mehr als ein Fick für ihn gewesen war. Hatte er überhaupt eine Ahnung davon, wie weh das tat? Wie unerträglich der Gedanke war, dass ich mehr in ihm gesehen hatte, als er gewesen war? Dass ich vermutlich nur das gesehen hatte, wonach ich mich weit hinter meinen Mauern gesehnt hatte?

  Als ich am Mittwoch nach meiner letzten Vorlesung über den Campus Richtung Firefly lief, weil ich dort vor Beginn meiner Schicht mit Trish und Bowie zum Kaffeetrinken verabredet war, kreisten meine Gedanken um Pauls Nachricht. Immer wenn ich dachte, ich könnte ihn zumindest ein kleines bisschen mehr vergessen, tat er irgendetwas, das für den Bruchteil einer Sekunde diesen Hoffnungsschimmer schürte – ganz tief versteckt in mir. Ich wusste nicht einmal, ob ich nach seinem Verhalten noch bereit wäre, ihm eine Chance zu geben. Aber wenn es einen anderen Grund für das Ende zwischen uns geben würde, als dass ich ihm nie etwas bedeutet hatte, würde es zumindest ein bisschen weniger wehtun.

  Obwohl inzwischen schon Mitte Februar war, hingen immer noch die Lichterketten von Weihnachten in der Fensterfront des Firefly. Kleine Glühwürmchen, die selbst jetzt bei Tageslicht leuchteten und den Raum hinter dem Glas mit den chaotisch angeordneten Tischen aus dunklem Holz und den Samtsesseln vor der rot gestrichenen Wand warm und einladend aussehen ließ. Doch als ich die Valentinstagsdeko bemerkte, die noch niemand abgenommen hatte, seufzte ich.

  Gerade als ich meine Hand an die Klinke legen und die Tür öffnen wollte, schwang diese begleitet von dem typischen Bimmeln von innen auf. Ausgerechnet Paul trat nach draußen, in der einen Hand eine Schachtel Zigaretten, in der anderen einen Becher mit dem Logo des Fireflys darauf. Ich denke an dich , hallte es in meinem Kopf wider.

  Und der Mann mit dem Sturm in den Augen … er ignorierte mich einfach. Seine wie immer selbstsicheren Schritte führten direkt an mir vorbei, ich hätte meine Hand ausstrecken und ihn berühren können. Doch Paul sah mich, ohne mich zu sehen. Mir wurde eiskalt. Diese Nachricht hatte keinerlei Bedeutung gehabt. In mir zog sich alles schmerzhaft zusammen bei dem Gedanken daran, dass Paul vor drei Tagen wahrscheinlich nur Lust auf unverbindlichen Sex gehabt hatte – mehr war ich scheinbar nie gewesen.

  »Mensch, Lou, wo bist du denn mit deinen Gedanken«, beschwerte Trish sich, die plötzlich direkt vor mir stand. Völlig gedankenversunken hatte ich das Firefly betreten, war dann aber direkt an der Tür stehen geblieben. »Bowie und ich haben dich schon zigmal gerufen. Wir sitzen direkt da hinten in der Ecke!« Ich folgte ihrem Blick und entdeckte Bowie an dem Tisch direkt vor dem großen grünen Sofa, direkt vor ihr zwei große Kaffeetassen und ein aufgeklappter Laptop. Sie hob die Hand und winkte mir zu, doch ich reagierte nicht.

  Und dann passierte es einfach: Ich brach in Tränen aus. Mitten im Firefly vor all diesen Menschen, die ich zum größten Teil nicht einmal kannte. Erschrocken blickte Trish mich an, zog mich in der nächsten Sekunde aber schon entschlossen hinter sich her. Vorbei an der Theke, an der Madison uns verwirrt hinterher sah, rechts abbiegen neben Brians Büro und dann wir beide allein in dem Mitarbeiterraum mit dem grellen Licht und dem abgewetzten Sofa. Die Mischung aus sanfter Musik und Gesprächen schien hier hinten weit weg zu sein, war nicht mehr als ein Hintergrundsummen.

  »Mann, scheiße!«, fluchte ich laut, dann schniefte ich. Und erneut flossen mir die Tränen über die Wangen. Warm und heiß. »Scheiße, scheiße, scheiße. Ich bin für ihn einfach nur eine verdammte Nummer gewesen, Trish!« Verzweifelt vergrub ich meine Hände in meinen Locken und stöhnte laut auf. »Ich hasse das so. Ich hasse es, dass ich so unfassbar traurig bin und ihn nicht vergessen kann. Dass ein Teil von mir immer noch auf der Suche nach einer Entschuldigung für ihn und sein Verhalten ist, wobei es dafür einfach keine gute Erklärung geben kann. Und das alles wegen eines Kerls. Ich bin nicht …« Ich zögerte und fuhr mit den Händen auf der Suche nach einem passenden Wort durch die Luft. »Ich bin nicht … so «, fügte ich leiser hinzu und ließ mich auf das Sofa fallen.

  Trish nahm meine Hände in ihre und ging vor mir in die Hocke, dann sah sie zu mir hinauf. »Bevor ich Bowie kennengelernt habe, war ich immer eine starke Person mit großer Klappe, die ganz genau wusste, was sie will und auch immer dafür eingestanden ist. Wenn mir ein Mensch nicht gut getan hat, habe ich mich ganz bewusst dagegen entschieden. Und als ich wegen ihr das erste Mal Liebeskummer hatte, weil ich dachte, dass sie für mich nicht das Gleiche empfindet, war ich auf einmal anders. Ich hatte das Gefühl, plötzlich jemandem hinterherzurennen, nicht für das zu kämpfen, was ich will und was mir guttut«, sagte Trish sanft. »Was ich damit eigentlich sagen will, ist, dass niemand von uns so ist, bis da dieser eine Mensch kommt, der plötzlich etwas in uns berührt. Und es ist völlig in Ordnung, sich deswegen schwach zu fühlen.«

  Ganz langsam nickte ich, versuchte all die restlichen heißen Tränen zurückzuhalten, die immer noch in meinen brennenden Augen schwammen. Und als Trish kurz vorn verschwand und mit einer Packung Taschentücher und einer Tasse heißer Schokolade mit Sahne zurückkehrte, nahm ich beides dankbar entgegen. Erst wischte ich mir die Tränen weg, dann zog ich die Knie an und balancierte die dampfende Tasse zwischen ihnen und meinen Händen.

  »Ich hab Aiden geküsst«, platze es aus mir heraus, und ich stöhnte auf und begann erst, zu lachen, dann wieder zu weinen. Meine Gefühle waren ein Chaos, mein Verhalten war es ebenso.

  Irritiert sah Trish mich an.

  »Ich habe Aiden geküsst, weil … keine Ahnung, weil er mir so wichtig ist und meine Sehnsucht nach Paul einfach nicht weniger zu werden scheint … und weil ich für eine Sekunde vielleicht gedacht habe, dass alles so einfach sein könnte, wenn einfach Aiden und ich uns ineinander verliebt hätten.« Ich nippte an meiner heißen Schokolade und leckte mir die Sahne von den Lippen. Die Wärme breitete sich in mir aus. Ich hielt einen Moment inne, dachte über meine eigenen Worte nach, die so viel wahrer waren, als es mir zunächst bewusst gewesen war. Aiden und ich – das wäre so unkompliziert, obwohl wir Mitbewohner und Freunde waren. Weil er es mir mit seiner Art von Anfang an so leicht gemacht hatte.

  »Aber ihr habt euch nicht verliebt«, stellte Trish fest und ließ sich neben mich aufs Sofa fallen.

  »Nein, das haben wir nicht«, sagte ich leise und lehnte mich gegen sie, als sie den Arm um mich legte. »Vielleicht wenn es diese Frau nicht geben würde, an die Aiden immer noch ständig denkt. Vielleicht wenn es Paul nie gegeben hätte und die Art, wie er mein Leben durcheinandergewirbelt hat, erst auf eine gute und dann auf eine ziemlich beschissene Art!«

  »Und …«, sagte Trish gedehnt, bevor ihre Lippen sich zu einem listigen Grinsen verzogen, »… was für eine Art Kuss war das? So ein unschuldiges Küsschen oder einer mit vollem Körpereinsatz und deinen Händen unter seinem Shirt? Und die wichtigste Frage: Mit wem war es heißer? Ich meine, du befindest dich gerade echt in einer krassen Position, und mindestens der halbe Campus würde jetzt gerne in deiner Haut stecken.« Sie machte eine dramatische Pause und senkte dann die Stimme: »Louisa Davis. Die Frau, die mit Paul Berger und Aiden Cassel rumgemacht hat.«
/>
  Ich boxte ihr in die Seite. Tatsächlich musste ich lachen, obwohl da immer noch die Tränen auf meinen Wangen waren. Es gab keinen Menschen wie Trish, dem ich meine Gedanken auf diese Art offenbaren, der gleichzeitig das Richtige sagen und mich im nächsten Moment zum Lachen bringen konnte.

  »Kein Wort zu Mel!«, ermahnte ich sie. »Die lässt mich mit dem Thema sonst nie in Ruhe!«

  »Ja, weil ein Teil von ihr voll auf Aiden abfährt«, lachte Trish. Dann seufzte sie, die grauen Augen auf mich gerichtet. Und wir wurden beide wieder ernst.

  »Weißt du, ich dachte, ich hätte das einigermaßen im Griff«, sagte ich und schloss die Finger fester um die Tasse. »Ich versuche, nicht zu Hause zu sitzen, Eis in mich reinzuschaufeln und mir einen Film nach dem nächsten anzusehen. Ich gehe in meine Kurse, lerne, mache mein ganzes Zeug, gehe zur Arbeit. Ich will mich nicht mehr verkriechen, wenn etwas in meinem Leben nicht nach Plan läuft.« Diese Zeit hatte ich hinter mir – so hoffte ich zumindest .

  »Wofür ich dich wirklich bewundere, Lou«, grinste Trish jetzt. »Bei meinem letzten Liebeskummer hab ich völlig klischeehaft tonnenweise Eis gefuttert und dabei Tatsächlich Liebe in Dauerschleife angesehen. Was richtig dumm war, weil dieser Film am Ende sowieso alles noch viel schlimmer macht. Ich habe also nur noch mehr geweint, und am Ende war mir von dem Eis wahnsinnig schlecht.«

  »Man muss in solchen Momenten ja theoretisch auch die richtigen Liebesfilme anschauen«, warf ich ein und rieb mir mit einer Hand über die brennenden Augen, »Die dürfen nicht zu traurig sein, aber auch nicht zu fröhlich. Ersteres macht wirklich alles nur noch schlimmer, und man fühlt sich in seinem Leid bestätigt, Letzteres macht einen wütend, weil andere glücklich sind. Und insgeheim möchte man in solchen Momenten doch, dass alle so sehr leiden wie man selbst!«

  »Aber wenn ein Liebesfilm nicht unheimlich traurig ist oder wahnsinnig gut endet, wo bleibt denn dann das Drama und der Herzschmerz? Und die Hoffnung, dass alles wieder gut wird?«

 

‹ Prev