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Wir sind der Sturm

Page 12

by Bichon, Sophie


  »Willst du mich eigentlich verarschen, Cassel? Ich will verdammt nochmal wissen, ob es stimmt, dass Louisa und du euch geküsst habt! «

  Ein überraschter Ausdruck huschte über Aidens Gesicht, dann nickte er und blickte mich offen an. »Ja, haben wir. Aber …«

  Entsetzt sah ich ihn an. Das war gegen alle Brocodes dieser Welt. Weiß Gott, bis zu diesem Moment hatte ich gehofft, dass Trish mich einfach nur hatte provozieren wollen. Dass das diese Art von Gerüchten war, die einfach nur erstunken und erlogen waren. Und die unfassbare Wut in mir steigerte sich von Sekunde zu Sekunde immer weiter. Mein ganzer Körper stand unter Strom.

  Ich ging einen Schritt auf Aiden zu. Ich sah rot und war so kurz davor, ihm einen Schlag in die Fresse zu verpassen …

  »Ganz ehrlich, Berger, wieso überrascht dich das jetzt so? Du hast Lou aus heiterem Himmel das Herz gebrochen und behandelst sie seitdem richtig mies. Ich wohne mit ihr zusammen, ich sehe jeden Tag, wie es ihr damit geht – auch wenn sie sich die größte Mühe gibt, sich nichts anmerken zu lassen. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, vögelst du dich auch noch durch das ganze College, und das vor ihren Augen. Und jetzt nimmst du dir echt auch noch das Recht heraus, dich wegen eines einfachen Kusses aufzuregen, der nicht einmal irgendetwas bedeutet hat?« Aiden schüttelte den Kopf und starrte mich fassungslos an.

  Obwohl eigentlich ich der Impulsive von uns war und er der Gelassene, standen wir uns inzwischen gefährlich nah gegenüber, starrten uns finster an, und ich sah die Wut, die jetzt auch in Aidens blauen Augen aufblitzte.

  »Du benimmst dich einfach nur wie ein riesiges Arschloch, Berger. Du zerstörst eine Clique mit deinem Scheiß. Lou ist meine Mitbewohnerin, meine Freundin. Sie ist ein Mensch geworden, der mir wichtig ist, so wie du es eigentlich auch immer gewesen bist – und ganz ehrlich, Mann: Du kannst froh sein, dass das so ist und wir beide uns schon eine halbe Ewigkeit kennen. Denn zu jedem anderen, der sich so benehmen würde, wie du, hätte ich gesagt, dass er sich verpissen kann! «

  Für einige Sekunden war da diese Stimme in meinem Kopf, die mir zuflüsterte, dass Aiden die Wahrheit sagte. Dass es stimmte, was er da sagte. Doch das wäre ein Eingeständnis, das ich mir unter keinen Umständen leisten konnte. Ich hatte Louisa verletzen müssen, weil ich keine andere Wahl gehabt hatte. Das war noch lange kein Grund, sich an sie ranzumachen, sobald ich aus ihrem Leben verschwunden war.

  Laut und falsch lachte ich auf. Dieser scheiß Wichser, der behauptet hatte, mein bester Freund zu sein! Jeder Zentimeter meines Körpers bebte vor Wut. Brodelnd und zerstörerisch. Da waren diese Bilder in meinem Kopf, die ich kaum ertrug. Wie er das Mädchen, das ich liebte, küsste, wie er sie berührte, wie sie dasselbe mit ihm tat. Ob sie bei ihm auch beinahe lautlos aufgestöhnt hatte in der Sekunde, kurz bevor ihre Lippen aufeinandergetroffen waren? Wusste Aiden von dieser Stelle unterhalb ihres Ohres, an der jede einzelne Berührung Louisa zum Aufseufzen brachte? Hatte er seine Hände auch immer und immer wieder durch ihre Feuerlocken gleiten lassen – Locken, nach denen ich so verrückt war? Und vor allem: War ihm das Blau ihrer Augen mit einem Mal auch unendlich erschienen, als könnte er auf einen Schlag bis auf den geheimnisvollen Grund eines Meeres blicken? Zur Hölle, sollte Louisa ihn auch auf diese Art angesehen haben …

  »Fuck«, brüllte ich durch den Raum, »du hast doch die ganze Zeit nur darauf gewartet, dass ich scheitere. Weil das jetzt deine Chance ist, Louisa endlich flachzulegen, aber eins sag ich dir: Sie gehört dir nicht, ganz egal, was du denkst, was da zwischen euch ist! Egal, was du dir auch einzubilden versuchst. Da ist verdammt nochmal nichts!«

  »Hörst du eigentlich den Mist, den du gerade von dir gibst?« Inzwischen hatte auch Aiden angefangen, mich anzuschreien. »Lou gehört niemandem, weder dir noch mir. Und es geht dich einen feuchten Dreck an, wen sie küsst und wen nicht, weil du sie einfach hast sitzen lassen und diese Beziehung beendet hast. Denkst du echt, sie würde dir irgendetwas schulden? «

  »Es ist aber mein bester Freund, der sie offensichtlich geküsst hat!«, schrie ich ihn an. »Ich sag dir das jetzt nur einziges Mal, Cassel: Lass deine scheiß Finger von meinem Mädchen!«

  Aidens Augenbrauen zogen sich gefährlich zusammen, dann begann er, zu lachen. »Von deinem Mädchen ? Sag mal, tickst du eigentlich noch ganz richtig? Du hast es doch auf ganzer Linie verkackt. Ich hab dir die ganze Zeit gesagt, dass du noch die Chance hast, das irgendwie wieder geradezubiegen, was dir aber egal gewesen ist. Ich hab dir gesagt, was für ein Glück du mit Lou hast und dass du sie verlieren wirst, wenn du dich nicht endlich zusammenreißt. Du bist also ganz offensichtlich selbst schuld daran. Und jetzt komm verdammt nochmal wieder ru–«

  Und dann sauste meine Faust auf Aidens Gesicht zu, weil ich diesen ganzen Scheiß nicht hören wollte. Weil mich die Vorstellung, dass ausgerechnet er mit meinem Feuermädchen rumgemacht hatte, in den Wahnsinn trieb. Ein Moment der Genugtuung, ein unschönes Knacken, ein blechernes Geräusch und der Schock, der in dem Blau von Aidens Augen aufflammte, als er gegen das Schlagzeug stolperte, das hinter ihm stand.

  Doch im nächsten Moment ließ mich ein fester Schlag nach hinten taumeln. »Du scheiß Vollidiot!«, knurrte Aiden. Und dann passierte alles ganz schnell, ich schlug zurück, dann er. Die Wucht einer Faust und ein Brennen in meinem Gesicht. Wir gingen aufeinander los, und der Sturm an Gefühlen in mir wurde einfach nicht weniger.

  Plötzlich war da das Geräusch der sich öffnenden Tür, Arme, die mich nach hinten zogen, irgendjemand, der uns auseinanderriss. Mehrere Stimmen sprachen durcheinander, ließen sich nicht beirren, als ich versuchte loszukommen.

  Mit geschlossenen Augen saß ich eine Viertelstunde später auf dem Boden, die Beine überkreuzt, den Kopf an die Wand in meinem Rücken gelehnt .

  »Ich hoffe, das wird jetzt nicht zur Gewohnheit, dass hier alle wegen irgendwelchen Frauengeschichten aufeinander losgehen«, murmelte jemand. Zustimmendes Gelächter. Die Jungs von Goodbye April saßen in der hinteren Ecke des Raumes auf dem breiten Stoffsofa mit den ganzen Rissen und Löchern, die alle eine Geschichte erzählten. Direkt vor mir stand Landon, der mir einen Kühlakku entgegenhielt.

  Ich schnaubte. Fuck ! Noch ein Kerl, der sich bei der nächsten sich ihm bietenden Gelegenheit an Louisa ranmachen würde und sich wahrscheinlich schon jetzt Dinge ausmalte, deren Details ich lieber nicht kannte. Gott, dieses ziehende Gefühl in mir war nicht gut, überhaupt gar nicht gut. Daran erinnerte mich in diesem Moment vor allem das dumpfe Pochen in meiner Hand und der stechende Schmerz an meiner Wange, wo Aiden mich getroffen hatte. Wie zur Hölle sollte ich es so schaffen, mich von Louisa und ihrem Leben fernzuhalten, wenn mir einerseits bewusst war, dass sie einen besseren Mann als mich verdient hatte, der bloße Gedanke daran mich aber so offensichtlich aus der Fassung brachte? Ich stieß einen Fluch aus und riss Landon den Kühlakku aus der Hand.

  Mit einigen Metern Abstand saß Aiden ebenfalls mit einem Kühlakku an die Wand gelehnt da, einen Arm auf die angezogenen Beine gestützt. Ich drehte den Kopf in seine Richtung, und wir starrten uns finster an. Ein Blickduell, verfluchter Subtext und immer noch grenzenlose Wut, auch wenn sie inzwischen weniger brannte. Und dann Genugtuung, als ich bemerkte, dass Aidens Auge bereits jetzt anschwoll. Haut, die sich violett verfärbte. Doch schon im nächsten Moment stöhnte ich selbst auf, als ich das Eis an mein eigenes Gesicht presste und mich ein stechender Schmerz durchzuckte.

  »Du siehst richtig scheiße aus!«, grinste Aiden mich selbstgefällig an.

  Meine Mundwinkel zuckten. »Kann ich nur zurückgeben, Cassel!«

  Aiden sprach mit den Jungs, und die Probe wurde auf den nächsten Tag verschoben. Den Raum verließen sie aber erst, als Aiden und ich sie davon hatten überzeugen können, dass wir die Sache klären und das nicht in der nächsten Prügelei enden würde. Ich wusste nicht, wie es bei Aiden war, doch ich für meinen Teil hatte gelogen. Sollte er mir erzählen, dass es nicht nur bei diesem Kuss geblieben, dass zwischen Louisa und ihm mehr gelaufen war … dann konnte ich für nichts garantieren.

  »Das mit dem Kuss tut mir leid, Berger«, sagte Aiden irgendwann. »Keine Ex-Fre
undinnen oder Frauen, auf die einer von uns beiden steht, so lautet die Regel. Ist mir klar, dass das richtig scheiße von mir war, vor allem, weil ich es dir nicht erzählt habe. Aber du bist momentan einfach so extrem neben der Spur, ich wollte dir nicht noch einen Grund mehr geben durchzudrehen.«

  Ich seufzte auf, weil Aiden letztendlich recht hatte: Ich war neben der Spur, verhielt mich seit dem Unfall zum größten Teil unberechenbar und war um so vieles leichter auf die Palme zu bringen. An seiner Stelle hätte ich es mir wahrscheinlich auch nicht erzählt.

  »Und«, sprach Aiden weiter, »ich weiß nicht mal, wieso ich diesen Kuss überhaupt erwidert habe. Vielleicht weil ich überrumpelt war und es sich für einen kurzen Moment gut angefühlt hat, dass da eine Frau war, die mir tatsächlich etwas bedeutet. Und bevor du jetzt wieder ausflippst: Damit meine ich auf eine freundschaftliche Art.«

  Ich sah meinen besten Freund an und alles, was ich in seinem Blick erkannte, war Aufrichtigkeit. Scheiße, seit wann stritten wir beide uns wegen einer Frau, seit wann fingen wir wegen einer an, uns zu prügeln?!

  »Mir tut es auch leid. Ich hätte echt nicht gleich auf dich losgehen müssen. Und letztendlich hast du wahrscheinlich recht«, gab ich zu, obwohl mir das alles andere als leichtfiel. »Ich war derjenige, der Louisa verlassen hat, und dass sie jetzt ohne mich weitermacht ist nichts, worüber ich mich aufregen darf. Aber … ich meine, scheiße«, ich rieb mir über den Nacken, »du bist mein bester Freund, das bist du immer gewesen. Aber wenn es um Louisa geht, dann …« Hilflos zuckte ich mit den Schultern, schluckte das fast Gesagte hinunter, weil ich merkte, wie di eser Moment mich weich werden ließ und den tosenden Sturm meiner Gefühle näher an die Oberfläche brachte.

  Überrascht sah Aiden mich an, so als hätte er nicht mit diesem Eingeständnis gerechnet. Und ich stand abrupt auf, weil in mir alles so wirr durcheinanderwirbelte – ich traute mir selbst nicht und hatte Angst, diesen Raum jeden Moment mit meinen Worten und der Wahrheit zu füllen. Ich stellte mich ans Fenster und steckte mir entgegen dem Rauchverbot im Proberaum eine Zigarette an, blies den Rauch nach draußen. Inzwischen war es wirklich dunkel geworden.

  »Aber eine Sache kapier ich einfach nicht, Berger. So eifersüchtig, wie du bist, empfindest du doch eindeutig noch etwas für Lou, und trotzdem fickst du eine nach der anderen und hast das mit ihr beendet. Wobei du es ja nicht einmal wirklich beendet hast … Du hast sie einfach ohne Erklärung stehen lassen, was noch so eine Sache ist, die ich einfach nicht verstehe«, sagte Aiden, und sein Tonfall ließ erahnen, was er von mir und meinem Verhalten hielt. »Und das, obwohl ich dich wirklich noch nie so glücklich gesehen habe. Du warst mit niemandem so, mit keiner anderen Frau, auch nicht mit Heather. Was hast du dir nur dabei gedacht?« Plötzlich stand Aiden neben mir, schüttelte den Kopf und sah mir dann direkt in die Augen. »Was ist verdammt nochmal los mit dir, Paul?«

  Und dann passierte es: Die Schuldgefühle der vergangenen fünf Jahre brachen alle auf einmal über mich herein und drohten, mich zu ersticken. Dazu kamen die Erinnerungen an die Monate zusammen mit Louisa, in denen sie mir in ihrer bedachten und manchmal frechen Art nach und nach gezeigt hatte, dass ich lieben konnte, obwohl ich so verkorkst war. Der Gedanke an das, was ich verloren hatte. An das, was Aiden nicht wusste, was niemand außer mir wusste, schnürte mir aber endgültig die Luft ab. Dieser ganze Berg an Gefühlen und Geheimnissen, der einfach zu viel für mich war.

  Ich hielt Aidens Blick stand, während ich einen letzten Zug von meiner Zigarette nahm und sie an dem Fensterbrett ausdrückte. Und dann, inmitten des kühlen Windes, der hineinwehte und mir über das Gesicht strich, kapitulierte ich.

  Zum ersten Mal erzählte ich ihm, dass ich Luca an Weihnachten nicht nur sein Geschenk vorbeigebracht, sondern das Haus meiner Eltern betreten hatte, um mit ihnen zu sprechen. Von meiner Wut und meinem Versuch, auf dem Rückweg Louisa zu erreichen. Ich erzählte von dem Gedanken an sie, der das Einzige gewesen war, das mich einigermaßen beruhigt hatte, und dem Augenblick, als das andere Auto auf mich zugerast war. Und schließlich von den Flashbacks und dieser furchtbaren Wahrheit, die sie enthielten. Ich erzählte Aiden all das, was es zu sagen gab, bis ich mich ganz leer fühlte. Doch es war eine andere Leere als die, die mich seit Weihnachten begleitet hatte. Das Gefühl fühlte sich mehr wie Erschöpfung an – und tief dahinter war Erleichterung.

  »Der Tag, an dem wir morgens zusammen auf dem Dach saßen …«, sagte Aiden irgendwann, und ich sah in seinen hellen Augen, wie in seinem Kopf ein Puzzleteil in das nächste passte, »als du mich gefragt hast, was du bloß tun sollst, weil du dieses Mädchen gefunden hast … Du hast Lou gemeint.«

  Ich fuhr mir in einer fahrigen Bewegung durch den Bart und nickte dann. Zu mehr war ich in diesem Moment nicht in der Lage. Das hier fühlte sich wie ein Wendepunkt in meinem Leben an – einfach nur die Tatsache, meinen besten Freund eingeweiht zu haben. Das machte diese ganze Situation erst so richtig real. Jetzt, wo die Worte draußen in der Welt waren, gab es endgültig kein Zurück mehr.

  »Und seitdem stößt du Lou so von dir«, murmelte Aiden. Er begann, in dem Proberaum auf und ab zu laufen. »Lou hat mir erzählt, wie ihr Dad gestorben ist, aber ich hätte niemals gedacht, dass er … dass du … Wie … Das ist doch … Bist du dir wirklich absolut sicher?« Ein fragender Blick aus blauen Augen, dann wieder große Schritte von einer Wand zur nächsten und wieder zurück. Die blonden Haare standen inzwischen in alle Richtungen ab, so oft war er sich mit einer Hand durch sie hindurchgefahren. Mit der anderen drückte er immer noch den Kühlakku an sein Gesicht.

  Ich erzählte Aiden von dem Gespräch mit meiner Mom, um sicherzugehen. Von meiner Erinnerung. Von der Tatsache, dass ich zu dem Zeitpunkt in Kalifornien gewesen war. Dass die schlimmste Nacht sowohl meines als auch Louisas Leben fünf Jahre her war. Zu viele Zufälle.

  »Fuck!«, sagte Aiden. »Scheiße, scheiße, scheiße.« Große Schritte, wieder von einer Wand zur anderen, dann zurück. Schritte. Wand. Umdrehen. Schritte. Wand. Aiden sah unruhig aus, getrieben. Bei ihm passierte der Orkan draußen, bei mir drinnen. Plötzlich waren unsere Rollen vertauscht.

  »Ich hab ihren Dad umgebracht, Cassel«, sprach ich die Wahrheit noch einmal mit all ihrer Härte aus. »Das ist nichts, was sie mir jemals verzeihen könnte, ich kann es ja selbst nicht einmal. Es ist also scheißegal, was ich für Louisa empfinde, es ist komplett egal, dass sie die erste Frau ist, die ich wirklich liebe!« Gequält rieb ich mir über das Gesicht. »Und glaub mir, ich weiß sehr gut, dass sie das absolut Beste ist, das mir passiert ist, aber ich kann unmög-«

  »Nein«, schnitt Aiden mir das Wort ab, »hör auf damit, dir immer und immer wieder die Schuld dafür zu geben, was passiert ist. Heather ist gefahren, es hat wie aus Eimern geregnet, dann noch der Sturm. Klar, ihr habt euch gestritten, und du hast vielleicht Dinge gesagt, die du lieber zurücknehmen würdest, aber das ist noch lange kein Grund, einen Unfall zu bauen. Und vor allem kein Grund, mit dem du dich selbst jahrelang so fertig machen kannst. Du saßt nicht am Steuer! Und sie war es, die die Kontrolle über das Auto verloren hat. Gib wenigstens euch beiden die Schuld, aber nicht dir allein!«

  Doch Aidens Worte änderten nichts an dem, was ich fühlte. Und das wusste er .

  »Louisa hätte genauso gut sterben können …«, erinnerte ich Aiden, doch der schüttelte wieder den Kopf.

  »Das ist sie aber nicht, oder?«, sagte er bestimmt. »Außerdem hast du sie aus diesem Auto herausgezogen. Du hast dein Bestes getan! Und weißt du, irgendwo verstehe ich wirklich, wieso du dich ihr gegenüber gerade so verhältst, wie du es tust … aber du tust Lou damit so weh! Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man sich die ganze Zeit die Frage stellt, wieso man diesen einen Menschen verloren hat und nicht begreift, was zur Hölle eigentlich passiert ist. Tu ihr das bitte nicht länger an! Irgendeine Art von Erklärung hat sie verdient.«

  »Das hat sie«, sagte ich langsam und nickte. Louisa hatte noch so viel mehr verdient als das – all das, was ich ihr niemals würde geben können. Sie hatte jemanden verdient, der gut war, jemanden, der ganz war.

  »Ich werde mit ihr reden«, versprach ich Ai
den, vor allem aber mir selbst. »Und, scheiße, ich hab echt keine Ahnung, was ich ihr sagen soll, aber irgendetwas werde ich sagen müssen. Ich brauche nur noch etwas Zeit.«

  »Okay.« Aiden nickte. »Ich werde nichts sagen, weil das deine Sache ist und ich kein Recht habe, mich einzumischen. Wohl fühle ich mich damit aber trotzdem nicht, und ich hoffe wirklich, du tust es bald.«

  Dankbar nickte ich. Ich verstand Aidens Bedenken; mein Verhalten der letzten Wochen zeugte nicht unbedingt davon, dass ich wusste, was ich tat. Doch ich hatte es ernst gemeint: Ich würde Louisa eine Erklärung geben und hoffentlich auch die Wahrheit.

  »Und zwischen euch«, brummte ich, »da ist nichts?« Gott, eigentlich war es egal, was Aiden sagen würde – Louisa konnte mir so oder so nie mehr gehören.

  »Nein.« Aiden schüttelte den Kopf und lachte. »Das war nur ein Versuch, dich zu vergessen.«

  Kurz bevor wir das AMC zusammen verließen, umarmten Aiden und ich uns. Es war eine unbeholfene Umarmung und eine ohne Worte, doch wir wussten beide, was sie bedeutete. Dass wir beste Freunde waren und Blut nicht immer dicker als Wasser ist. Wir waren eine verdammte Familie.

  Louisa

  Nervös klopfte ich mit dem Stift auf das Blatt Papier vor mir. Es war weiß, leer und wartete nur darauf, mit Wörtern und Sätzen gefüllt zu werden. Ich saß neben Bowie und Trish in einer der letzten Reihen, und während die beiden sich gedämpft miteinander unterhielten, wirbelten in mir Aufregung und Vorfreude hin und her. Und das, obwohl ich die Vorlesung zu den Britischen Schauergeschichten des 19. Jahrhunderts ja gar nicht mehr offiziell besuchen und dafür Credits bekommen konnte. Aber es war eine Veränderung, ein Schritt in die Richtung einer Entscheidung. Und noch mehr ein Schritt in die Richtung des Lebens, das zu mir passte und das ich mir für mich wünschte.

  Trish hatte nichts mehr zu dem Kuss und meinem Zusammenbruch im Firefly vor wenigen Tagen gesagt, und ich war ihr wirklich dankbar dafür. All meine Gedanken auszusprechen und dieses eine Mal offen zuzugeben, dass ich Paul einfach nicht vergessen konnte, dass ich unter Hiraeth litt, hatte dem Gefühl einen Teil seiner Schwere, einen Teil meiner Einsamkeit genommen. Doch ein weiteres Mal darüber zu reden, hätte alles wieder hervorgeholt.

 

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