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Wir sind der Sturm

Page 13

by Bichon, Sophie


  Als die Professorin den Hörsaal betrat, wurde es von der einen auf die andere Sekunde still. Die Frau mit streng zusammengebundenen Haaren und weichen Gesichtszügen stellte sich an das Pult, holte eine Ausgabe von Frankenstein hervor und rückte das braune Gestell ihrer Brille zurecht. Ich strich mir meine Locken zurück, setzte mich ganz gerade hin, um möglichst viel von dem, was gleich passieren würde, tief in mich aufnehmen zu können .

  Frankenstein oder Der moderne Prometheus , geschrieben 1816 in einem Jahr ohne Sommer. Ich liebte die Entstehungsgeschichte dieses Romans. Die Geschichte von Lord Byrons Landgut am Genfer See, in dem Mary Shelley gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Stiefschwester zu Gast war. Ein Jahr zuvor brach der Vulkan Tambora aus, legte sich mit einer Decke aus Asche und Staub um die gesamte Erde. Es folgten Kälteeinbrüche, Überschwemmungen, Ernteausfälle und Hungersnöte. Ungewöhnliche Wetterphänomene, die sich damals noch nicht erklären ließen. Das schlechte Wetter zwang Lord Byrons Gäste, die meiste Zeit im Anwesen zu bleiben. Und das war der Moment, in dem Frankenstein geboren wurde: mit dem Beschluss, dass alle eine Schauergeschichte schreiben und sie sich anschließend gegenseitig vorlesen würden. Genau dort entstand auch Der Vampyr von John Polidori, die erste Vampirerzählung der Weltliteratur. Ich stellte mir vor, wie diese Leute zusammensaßen, keine Erklärung für das verrücktspielende Wetter, gefangen in diesem Jahr, in dem der Sommer einfach fehlte. Und ich bekam eine Gänsehaut, denn all das ergab Sinn, die Erschaffung von etwas Monströsem machte Sinn. Diese Entstehungsgeschichte war mythisch, fühlte sich fast an wie eine Legende – vielleicht mochte ich sie deshalb so sehr.

  Die Professorin klatschte vorn in die Hände und begann zu sprechen. Keine Einführung, kein langsames Herantasten an den Text. Es wurde vorausgesetzt, dass jedes Buch, das wir besprachen, vor der Vorlesung gelesen wurde und wir uns darüber hinaus mit dem Text beschäftigt und erste Gedanken notiert hatten. Das Tempo war zügig und ich konzentriert.

  Und ich liebte alles daran.

  »Wie fandest du es?«, wollte Bowie wissen, als wir fast als Letzte den Hörsaal verließen. Sie links eingehakt, Trish rechts und ich in der Mitte.

  »Sie fand es mega«, meinte Trish. »Du warst völlig versunken, Lou, von gar nichts abzulenken. Hast du mitbekommen, dass der Kerl vor dir Nacktfotos von seiner Freundin geschickt bekommen hat? Und das Mädchen mit den schwarzen Haaren in der Reihe weiter vorn hat sich an ihrem Laptop von einem Onlineshop zum nächsten geklickt und nur seltsame Dinge gekauft.« Trish hielt inne und stupste mich in die Seite. »Also, wie fandest du es?«

  »Lagom«, sagte ich ehrlich.

  Trish lachte. »Und was heißt das?«

  »Genau richtig. Nicht zu viel und nicht zu wenig.«

  »Heißt das, du kommst nächstes Mal wieder mit?«

  Ich lächelte. »Auf jeden Fall!«

  Am Samstag holte Mel mich schon vormittags vom Campus ab. Mary saß in dem Kindersitz auf der Rückbank und drückte sich die Nase an der Scheibe platt. Ich küsste sie auf die Wange, umarmte Mel und ließ mich dann erschöpft in den Sitz fallen. Aiden und ich hatten uns bis spät in die Nacht Game of Thrones angesehen, und ich war viel zu spät ins Bett gegangen. Zum Glück war es zwischen uns so wie immer. So, dass ich mit Aiden über alles sprechen konnte und es nicht seltsam war, wenn er bei unseren Filmabenden den Arm um mich legte. Nur über das blaue Auge, mit dem er vor zwei Tagen von der Probe mit Goodbye April zurückgekommen war, wollte er nicht reden. Ich hoffte einfach, dass das nur eine unbedeutende Prügelei gewesen war und Aiden keinen Ärger hatte. Vielleicht hatte es in der Band wieder Streit wegen dieses Mädchens gegeben, und Landon und er hatten dazwischengehen müssen.

  »Bist du schon aufgeregt?«, fragte ich Mel. Wir waren auf dem Weg nach Helena, wo sie sich heute in einem Brautladen ein Kleid aussuchen würde. Der Termin bei Velvet Bride stand schon seit Monaten, und Mel hatte sich ganz bewusst dazu entschieden, nur mit Mary und mir zu fahren. Sie wollte nicht, dass ihr lauter Leute reinredeten, weil jeder eine andere Meinung hatte. Und ich freute mich über diese Gelegenheit, etwas allein mit meiner Schwester und meiner Nichte zu unternehmen. Nur Mary, Mel und ich. Drei Davis-Frauen, zwei Generationen, eine Familie.

  »Oh Gott, ja!« Mel grinste und sah mich kurz an, ehe sie sich wieder auf die Straße konzentrierte. »Ich finde, das Kleid macht alles irgendwie noch einmal realer, auch wenn ich es immer noch nicht so ganz glauben kann, dass ich bald eine verheiratete Frau bin.«

  »Dann bist du keine Davis mehr, sondern eine Brown«, stellte ich mit einem leisen Lächeln fest. Und dieser Umstand war etwas, das mich im gleichen Atemzug glücklich wie traurig machte. Ein bittersüßes Gefühl.

  »Ich hoffe natürlich, dass ich ein Kleid finde, das meinen Vorstellungen entspricht.«

  »Deswegen hast du ja mich dabei. Ich werde super objektiv und knallhart sein.«

  »Das hatte ich befürchtet«, lachte Mel. »Aber bei dir weiß ich, dass du es trotzdem noch schaffen wirst, es mir auf eine nette Art zu sagen, ganz egal, wie scheiße es an mir auch aussehen wird. Du verpackst das dann in wunderschöne Worte.«

  Die Sonne schien über Helena, als wir ankamen, und der Himmel war eisblau. Wir hatten noch gut drei Stunden Zeit bis zu dem Termin in dem Laden, also steuerten wir als Erstes ein kleines Café an, in dem Mel uns zur Feier des Tages den größten Kaffee und die schokoladigsten Muffins bestellte. Danach liefen wir durch die Stadt, wir beide mit jeweils noch einem Becher Kaffee in der Hand, Mary mit der Bommelmütze im Kinderwagen, den ich vor uns herschob.

  Es war mein erster Besuch in Helena. Mel erzählte mir, dass Helenas Spitzname Queen City of the Rockies wäre. Das schien mir mit einem Blick auf die Berge mehr als passend. Die Rocky Mountains wirkten hier ganz anders: näher, größer, atemberaubender. Mel zeigte mir die wichtigsten Sachen, Dinge, die ich ihrer Meinung nach gesehen haben musste. Und ich sog all die Eindrücke genauso begierig auf wie die Geschichten, die sie mir dazu erzählte: das State Capitol aus Sandstein und Granit, Sitz von Montanas Regierung, mit der Nachbildung der Freiheitsstatue auf der Kuppel. Die Cathedral of Saint Helena mit schönen Buntglasfenstern, zwei Türmen und dahinter der Anblick schneebedeckter Berge und Tannen. Überall bunte, raue Häuser, eine Mischung aus modern und alt. Helena war Montanas Hauptstadt und doch kein Vergleich zu Sacramento mit seinen mehr als sechzehnmal so vielen Einwohnern. Und so hatte ich auch in der Queen City das Gefühl, frei atmen zu können, fast so sehr wie in Redstone.

  Im Velvet Bride strahlte die Sonne hell durch die hohen Fenster und zeichnete Muster auf das dunkle Parkett und all die Kleider, die von den Stangen an den Wänden hingen. Alle Schattierungen von Weiß und Rosa gab es, Champagner und Creme. Tüll, Spitze und Seide, die im Licht schimmerten.

  Direkt an der Tür begrüßte uns eine junge Frau in einem rosa Hosenanzug. Die herzförmigen Lippen waren im gleichen Ton geschminkt, die blonden Haare zu einem hohen Dutt zusammengesteckt. Mit einem herzlichen Lächeln stellte sie sich uns als Jillian vor und führte uns nach hinten in einen kleineren Raum. An der Stirnseite hing ein riesiger gold gerahmter Spiegel mit einem kleinen Podest davor. Zusammen mit dem hellen Sofa und dem Tischchen mit dem großen Blumenstrauß daneben wirkte der Raum einladend, aber schlicht genug, um sich voll und ganz auf die Kleider konzentrieren zu können. Mit Mary auf dem Schoß ließ ich mich in die weichen Polster sinken und wartete auf Mel, die mit Jillian das erste Kleid anprobierte. Diese hatte bereits eine kleine Vorauswahl getroffen, nachdem Mel und sie vor ein paar Wochen miteinander telefoniert und über ihre Vorstellungen gesprochen hatten. Als Mel mit dem ersten Kleid hereinkam, beäugte sie sich kritisch von allen Seiten und runzelte die Stirn. Und auch ich schüttelte den Kopf, als ich die unzähligen Tüllschichten sah, die einfach nicht zu ihr passten. Jillian war sehr zurückhaltend und ließ uns mit dem Kleid und unseren Gedanken dazu allein .

  »Ich glaube, das ist es nicht«, sagte Mel, und ich nickte zustimmend, streichelte über Marys Kopf, als diese sich schläfrig enger an mich kuschelte.

  Mel probierte vier weitere Kleider an, eines schöner als das andere, doch in keinem von ihnen sah ich me
ine Schwester heiraten, und ihr schien es ähnlich zu gehen. Es fehlte diese besondere Magie, das gewisse Etwas, von dem ich noch gar nicht wusste, was es genau sein sollte.

  »Möchtest du mir eigentlich endlich erzählen, was zwischen Paul und dir vorgefallen ist?«, wollte Mel bei dem fünften Kleid wissen, während sie sich im Spiegel betrachtete. Eine Drehung nach links, eine nach rechts, aber das Stirnrunzeln blieb.

  »Mel, du probierst gerade dein Brautkleid an!«, erinnerte ich sie. Ich wusste genau, wieso sie nachfragte: Weil sie immer schon ein zu gutes Gespür für meine Empfindungen gehabt hatte. Weil sie mich schon so viel länger hatte fragen wollen und es aus Rücksicht auf mich bis jetzt nicht getan, die Fragen bei meinem letzten Besuch bei ihr hinuntergeschluckt hatte. Trish wusste es, Aiden wusste es, Bowie ebenso. Ich konnte mir selbst nicht erklären, wieso ich ausgerechnet Mel nicht sagen wollte, dass das mit Paul und mir längst vorbei war.

  »Heute soll es um dich gehen, nicht um mich«, wich ich erneut aus.

  »Du weißt genau, dass ich immer für dich da bin, selbst wenn ich mein Brautkleid aussuche«, sagte Mel mit zusammengekniffenen Augen.

  Ein Nicken. »Das weiß ich.«

  Als Mel mit dem nächsten Kleid vor den großen Spiegel trat und sich für mich mehrmals um die eigene Achse drehte, raschelte der cremeweiße Stoff auf dem dunklen Parkett. Und ich erkannte es sofort in ihren hellen Augen, die verdächtig zu glänzen begannen, an dem Strahlen darin. An dem breiten Lachen, welches auf beiden Seiten von zwei dunklen Locken eingerahmt wurde, die sich aus dem nachlässig gebundenen Dutt auf ihrem Kopf gelöst hatten .

  »Das ist es«, sprach ich es leise aus und betrachtete mit einem Lächeln, wie der Stoff des schlichten Kleides sich schimmernd an Mels Körper schmiegte. Angefangen bei den dünnen Trägern und dem V-Ausschnitt, der betonten Taille, bis es schließlich gerade auf dem Boden auflag. Besonders schön aber war der tiefe Rückenausschnitt. Er ließ das kleine Tattoo sichtbar werden, welches neben einem winzigen Herz das Geburtsdatum von Mary zeigte.

  »Du siehst wunderschön aus«, sagte ich andächtig und musste schwer schlucken bei dem Anblick des in Mel pulsierenden Glücks. »Ist deine Mommy nicht wunderschön?«, flüsterte ich gegen Marys Haare und drückte ihr einen Kuss auf den Ansatz.

  Robbie und Mel, das war eine der Liebesgeschichten, die einen daran glauben ließen, dass all die Erzählungen aus Büchern und Filmen doch wahr waren. Dass es Happy Ends auch im echten Leben gab und Schicksal wirklich existierte. Vor allem, wenn dieser erstaunte Ausdruck über Robbies Gesicht huschte – so als könnte er es immer noch nicht fassen, dass meine Schwester ihn tatsächlich heiraten würde.

  Die Hochzeit … In nur drei Monaten. Für einen Augenblick fragte ich mich, ob Mel und Robbie Mom eingeladen hatten. Auch wenn wir nicht darüber sprachen, so wusste ich, dass Mel und sie Kontakt hatten. Und sie war unsere Mutter. Der Gedanke, ihr gegenüberstehen zu müssen, legte sich kalt und schwer um meine Brust. Ich war nicht so weit. Noch nicht. Und vor allem nicht bei der Hochzeit meiner großen Schwester, mit keiner Ausweichmöglichkeit.

  Ich sollte Mel einfach fragen, sollte zumindest sicher gehen, dann wusste ich es. Dann wäre Moms Anwesenheit keine böse Überraschung, sondern eine Tatsache, auf die ich mich irgendwie vorbereiten konnte. An Weihnachten hatte ich ihr in einer kurzen Nachricht versprochen, mich zu melden, doch … ich schaffte es nicht, konnte es nicht. Denn was sollte ich ihr sagen? Es wurde leichter, mit den Erinnerungen an die Jahre nach Dads Tod zu leben, aber das hieß nicht, dass ich sie vergessen konnte. Irgendwann wäre ich gezwungen, wieder mit ihr zu sprechen, zumindest ein klärendes Gespräch zu führen. Aber inzwischen war ich mir ebenso sicher, dass es keine Schwäche wäre, wenn ich sie nach wie vor nicht in meinem Leben haben wollte.

  »Louisa, das ist es«, sagte Mel und strahlte mich an. »Das ist es ganz, ganz sicher!«

  Jillian brachte uns etwas zum Anstoßen. Sekt für Mel, Orangensaft für mich.

  »Auf die werdende Braut!«, sagte ich, Mary auf meinen Hüften.

  »Auf die Trauzeugin!«, erwiderte Mel.

  »Darauf, dass Robbie die Augen aus dem Kopf fallen werden!«

  Das Klirren von Glas an Glas. Mel drehte sich um und betrachtete sich für einen Moment im Spiegel. Als sie sich wieder mir zuwandte, umspielte ein zufriedenes Grinsen ihre Lippen. »Oh, das werden sie.«

  Wolkenmädchen

  9. KAPITE L

  Louisa

  Ich bewegte mich inmitten eines pulsierenden Meeres aus Farben, Musik und Menschen. Zusammen mit Trish und Mary, deren kleine Hand fest in meiner lag, schob ich mich knapp eine Woche später auf der Suche nach Mel und Robbie durch die Leute, die sich an den kleinen Ständen am Rand des Platzes drängten.

  Hier im Stadtzentrum präsentierte sich das 52. Redstone Festival in einer hypnotisierenden Mischung aus handgemachtem Schmuck, wunderschönen getöpferten Schalen und anderen kleinen Kunstwerken, feinen Holzarbeiten und Tüchern in kräftigen Farben. Am Stand des Book Nook lagen neben einer liebevoll zusammengestellten Buchauswahl wunderschöne Notizbücher aus, The Bean verkaufte direkt vor dem Café Muffins, Brownies und heiße Schokolade, und unter der roten Markise des winzigen Plattenladens an der Ecke standen Holzkisten voller Schallplatten. Aus dem Ladeninneren drang leise der Plattenspieler. Musik, die sich zusammen mit dem aufregenden Kribbeln, das in der Luft zu liegen schien, zu einer ganz eigenen Melodie vermischte.

  Plötzlich blieb Trish vor mir stehen und stupste mich in die Seite. »Schau mal, Lou!« Sie deutete grinsend auf einen in bunte Tücher gehüllten Stand, an dem ein Mann und eine Frau jeweils einem Mädchen in ungefähr unserem Alter farbige Bänder und Perlen in die Haare flochten. Ein Blick zwischen uns. »Denkst du das Gleiche wie ich?«, fragte ich mit einem leisen Lächeln. Statt eines Jas griff Trish nach meiner Hand und zog mich mit sich über den Platz. Und ich hob Mary hoch, weil das Gedränge immer stärker wurde. Die Kleine gluckste, die grünen Augen begeistert geweitet, während sie all die Eindrücke in sich aufzunehmen schien.

  Der glitzernde Lidschatten des Mannes schimmerte fast im selben Blau wie seine Augen, als er uns fragte, was wir uns gern machen lassen würden. Trish entschied sich für ein hellblaues und ein weißes Band, die Jackson, wie er sich vorgestellt hatte, ihr in geübten Bewegungen in die blonden Haare flocht. Ich machte ein Foto, als Trish mir eine Kusshand zuwarf, und schickte es Bowie, die sich mit den anderen auch irgendwo hier herumtrieb. Ich entschied mich für drei kleine Holzperlen. Mary saß auf meinem Schoß, während Jackson sie in eine Strähne meines Haares einarbeitete. Mit großen Augen sah meine Nichte immer wieder zu ihm und seinen Fingern hinauf, die sich routiniert und schnell hin und her bewegten. »Lulu!«, sagte sie, als ich fertig war, und lächelte mich mit diesem süßen Mary-Lächeln an.

  »Oh Gott, lass sie auf keinen Fall das rosafarbene nehmen. Wenn Bowie das sieht, hält sie der armen Mary wieder einen Vortrag, von dem sie sowieso noch kein Wort versteht«, sagte Trish und fuhr ihr liebevoll durch die Haare. Ich lachte und griff nach den lilafarbenen Bändern, auf die Mary zeigte.

  »Babygirl, du siehst so niedlich aus!«, sagte ich zu ihr, als auch sie fertig war, und drückte sie an mich. Die Kleine auf meinem linken Arm, Trish neben mir, die ihre Lippen auf meine Wange drückte. Mary quietschte und zog mit einer Hand an meinen Locken. Ich lachte, und genau in diesem Moment schoss ich das Foto. Ein Bild von einem perfekten Moment.

  Wir fanden Robbie und Mel mit den Lippen aneinander an einer Hauswand stehend. Kichernd löste meine Schwester sich von ihrem Verlobten, als Trish und ich uns räusperten. Robbie nahm mir die Kleine ab, und Mel strich über das Band in ihren Haaren, sagte, wie schön sie es fand. Zu fünft machten wir uns zwischen dem Duft von heißem Apfelpunsch und frischem Popcorn auf die Suche nach etwas zu Essen. Die Äste der Bäume bewegten sich im Wind und mit ihnen die bunten Bänder, die an ihnen festgebunden waren.

  Wir machten es uns mit Pizza vom Luigi’s auf einer der großen Bänke unter Bäumen mit Lichtern darin gemütlich. Vor dem immer dunkler werdenden Himmel sahen sie wie bunte Glühwürmchen aus. Wir aßen und redeten wild durcheinan
der. Und ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus, weil Trish sich nicht nur mit Mel angefreundet hatte, sondern sich auch mit Robbie wahnsinnig gut zu verstehen schien. Sie diskutierten über eine True-Crime-Serie, die sie beide gesehen hatten, während Mel mich immer wieder von der Seite musterte. Ich wusste genau, dass sie mich nach Paul fragen wollte, doch ich tat so, als würde ich es nicht bemerken.

  »Versprecht mir, dass ihr heute noch irgendetwas Verrücktes anstellen werdet«, bat sie Trish und mich zum Abschied und drückte uns an sich. »Und vergesst nicht, mir danach alles haarklein zu erzählen«, fügte sie grinsend hinzu. Wir sahen ihnen hinterher: Mel und Robbie, zwischen ihnen Mary an ihren Händen. Robbie sagte etwas, das Mel zum Lachen brachte, und sie küsste ihn auf den Mund, bevor sie die Kleine hochhob.

  »Oh Gott, die drei sind so Zucker zusammen!«

  Ich lehnte mich gegen Trish und winkte Mel zu, als diese sich noch einmal nach uns umdrehte. Ich lächelte. »Das sind sie.«

  Trish und ich holten uns heißen Apfelpunsch in Bechern, die unsere kalten Finger wärmten, ihrer mit Schuss, meiner ohne. Wir liefen über die Mitte des Platzes, wo mehrere Feuerschalen aufgestellt waren. Die Leute standen oder saßen dort in Grüppchen zusammen und füllten diesen Abend mit Lachen und Worten. 52. Redstone Festival stand auf dem Banner, welches an dem Pavillon angebracht war. Neben der amerikanischen Flagge und der Flagge der Stadt flatterte es beständig im Wind. Goodbye April war eine von mehreren lokalen Bands und Künstlern, die dort heute noch auftreten würden. Direkt vor dem Pavillon war ein kleiner Bereich mit bunten Bändern abgetrennt, damit man dort tanzen konnte, wenn der Himmel nicht mehr dunkelblau, sondern schwarz war.

 

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