Wir sind der Sturm
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Wir fanden die anderen um eine der Feuerschalen in einer etwas ruhigeren Ecke sitzen. Ihr Lachen hörten wir schon von Weitem. Bowie saß neben Isaac und erzählte ihm mit großen Gesten etwas über eine junge Aktivistin, deren Arbeiten sie erst vor Kurzem entdeckt hatte. Die bunten Armreife an ihren Handgelenken klimperten bei jeder Bewegung. Trish setzte sich auf ihren Schoß und ich neben die beiden und Luke, mit überschlagenen Beinen, während meine Hände den dampfenden Becher mit dem Punsch festhielten. Der Schein des Feuers legte sich wärmend auf mein Gesicht.
Und dann war da Paul auf der anderen Seite der Flammen. Mit dunkler, zerschlissener Jeans und der schwarzen Jacke, in dessen Taschen er seine Hände lässig geschoben hatte. Eine Strähne seines dunklen Haares fiel ihm in die Stirn. Es wirkte, als würden seine Augen das Feuer reflektieren, als sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde auf mir ruhte. Lodernd und einnehmend. Wie konnte es sein, dass er mich in manchen Momenten so intensiv anblickte, als gäbe es für ihn nichts anderes zu sehen als mich? Und in anderen einfach durch mich hindurchsah? Er musste aufhören – mit beidem. Diese Blicke taten meinem Herzen nicht gut: Erstere erinnerten mich an eine Zeit, in der wir das Feuer gewesen waren, Letztere schmerzten aufgrund ihrer Gleichgültigkeit. Letztendlich taten sie gleichermaßen weh und wirbelten in meinem Bauch in einem Strudel aus Gefühlen umher, die ich nicht empfinden wollte.
Seit dem Kuss mit Aiden stürzte ich mich in Arbeit, um meine Emotionen irgendwie unter Kontrolle zu bekommen. Damit so etwas nicht noch einmal passierte. Ich schrieb wie eine Besessene neue Texte für die Storylines , meldete mich freiwillig für jede Extraschicht im Firefly und verbrachte die restliche Zeit am Laptop, um erste Ideen für Mels Junggesellinnenabschied zu sammeln, ihre Freunde einzuladen und Preise für Aktivitäten zu vergleichen. Doch wenn ich Paul sah, war alles wieder da. Jedes einzelne Gefühl. Und dann fühlte es sich an, als würde es von Tag zu Tag nicht besser, sondern nur noch schlimmer werden.
Aiden tauchte mit zwei vollen Bechern in den Händen hinter Paul auf und ließ sich zwischen Isaac und ihn fallen, drückte Paul einen in die Hand, den er dankend entgegennahm. Zusammen mit Isaac stießen die beiden über dem Feuer an, so enthusiastisch, dass ein Teil des Punschs zischend in den Flammen landete.
Neben mir schüttelte Luke amüsiert den Kopf, beugte sich dann zu mir. »Die drei benehmen sich schon den ganzen Abend so, als ob sie irgendetwas Besonderes zu feiern hätten.«
Ich strich mir meine Locken zurück und lachte: »Und das sagst ausgerechnet du, der jeden einzelnen Tag so verbringt, als wäre er eine riesige Party?«
»Wir feiern einfach das Leben«, grinste Aiden uns über das Feuer hinweg an. »Das reicht doch als Grund, oder?« Ein Augenzwinkern. Und knisternde Feuerfunken, die in den Himmel stiegen, Teil eines Meeres aus Sternen wurden. Ich wäre gern wie der Mond, dachte ich mit einem Blick nach oben, würde gern scheinen, ganz egal, ob da Sterne oder Wolken am Himmel waren.
Bowie unterbrach ihr Gespräch mit Isaac und wandte sich uns mit einem Funkeln in den Augen zu. »Da bin ich dabei«, sagte sie überschwänglich und hob ihren Becher in die Höhe und Trish kreischte, weil Punsch auf ihren Haaren landete. »Lasst uns auf dieses unglaublich fantastische Leben trinken!«
»Auf dieses unglaublich fantastische Leben!«, echoten wir alle und erhoben unsere Becher. »Und auf die besten Freunde überhaupt«, fügte Trish lächelnd hinzu. Dann setzten wir alle unsere Becher an die Lippen. Erst sah ich auf Pauls Grübchen, als er ebenfalls lachte, dann sah ich weg, weil ich mich augenblicklich an das stechende Gefühl erinnerte, als er mir geschrieben hatte, dass er an mich denken würde, obwohl er es offensichtlich nicht so meinte.
Der Punsch wärmte mich von innen. Gesprächsfetzen flogen durch die Luft. Fýrgebræc , dachte ich, als ich für einen Moment die Augen schloss. Ein altenglisches Wort, das das Knistern und Knacken von Feuer beschrieb, diese ganz eigene Melodie. Trish und Aiden beschwerten sich abwechselnd über die nervigsten Stammgäste im Firefly und Luigi’s und gaben lachend die besten Anekdoten zum Besten.
»Es gibt da diesen Typen, einer von den Redstone Lions«, erzählte Aiden. »Der kommt ungefähr alle zwei Wochen mit ein paar Jungs aus der Mannschaft.«
»Oh Gott«, unterbrach Paul Aiden mit einem gequälten Stöhnen. »Ich kann den Kerl nicht ausstehen. Wenn ich in den Laden reinkomme und ich ihn schon an einem der Tische sitzen sehe, dann habe ich schon vor meiner Schicht eine scheiß Laune.«
Aiden lachte. »Sei froh, dass du hinten in der Küche in Sicherheit vor seinem Gelaber bist, Berger. Ich muss da vorn nämlich mit den Leuten reden, und das kostet mich bei dem wirklich all meine Selbstbeherrschung!« Aiden wandte sich wieder der Runde zu. »Die Sache ist die, dass er und seine Jungs immer abartig viel bestellen, er sich aber jedes Mal beschwert, dass mit dem Essen irgendetwas nicht gestimmt hat. Und seltsamerweise sind die Teller immer bis auf den letzten Krümel leer, und sie nehmen danach meistens noch Pizzen mit nach Hause.« Aiden rollte mit den Augen. »Der Kerl ist einer von diesen Leuten, die essen gehen und wirklich alles probieren, um dabei irgendetwas für sich herauszuschlagen. Jedes Mal versucht er, als Entschädigung etwas aufs Haus zu bekommen. Und es ist jedes Mal eine riesige Diskussion.« Aiden stöhnte genervt. »Jedes. Verdammte. Mal.«
»Gott, mein persönlicher Favorit ist diese Frau mit dem komischen kleinen Hund, die auch mehrmals im Monat da ist«, meinte Paul. »Wie nennt sie dich immer?« Einen Moment schien er nachzudenken, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Knackig, das ist das Wort. Sie sagt immer so etwas wie ›Hier sind die Mitarbeiter genauso knackig wie die Salate‹. Wobei sie dabei einen ganz bestimmten Mitarbeiter meint.«
Ich blickte zwischen Aiden und Paul hin und her, dann prustete ich laut los. Und neben mir verschluckte Bowie sich fast an ihrem Apfelpunsch.
»Das ist mit Abstand einer der schlimmsten Sprüche, die ich jemals gehört habe«, meinte Isaac. »Und einer der schrägsten!«, fügte ich immer noch lachend hinzu.
»Was kommt als Nächstes?«, warf Luke belustigt in die Runde und senkte anschließend die Stimme. Ein zweideutiger Tonfall, als er erneut zu sprechen begann: »Hier sind die Mitarbeiter so süß wie das Tiramisu.«
Trish lachte.
»Sie sind so heiß wie die Pizzen frisch aus dem Ofen«, ging Paul auf das Spiel ein, seine Stimme dunkel und übertrieben verführerisch.
Und ich konnte gar nicht anders, als wieder zu lachen. So sehr, dass ich mir den Bauch halten musste wegen des Schluckaufs, der sich dort unaufhörlich ausbreitete.
»Leute … die Salat-Frau ist dreißig Jahre älter als ich.« Gequält verzog Aiden das Gesicht. »Mindestens!«
Ein gemeinschaftlich gerauntes Oh und Ach so . Und dann noch mehr Gelächter.
Trish beugte sich zu mir, und ihre Haare strichen dabei kitzelnd über meine Wange. »Vielleicht hat er einfach etwas an sich, das ältere Frauen irgendwie anmacht?! Ein Milf-Opfer quasi …«, wisperte sie kichernd.
»Das würde auch erklären, wieso Mel ständig davon redet, wie heiß sie ihn findet«, fügte ich hinzu und schnitt gleichzeitig eine Grimasse. »Aber lass sie niemals hören, dass ich sie mit ihren neunundzwanzig Jahren gerade in einen Topf mit älteren Frauen geworfen habe! «
Trish legte einen Finger an ihre Lippen und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Der goldene Ring in ihrer Nase glänzte im Schein des Feuers. »Niemals!«, raunte sie.
Mein Blick blieb wieder auf der anderen Seite hängen, bei Aiden, der weitere Geschichten zum Besten gab. Und bei Paul. Mir war klar geworden, mit wem Aiden sich geprügelt haben musste: Bei beiden war die Haut in den Gesichtern an jeweils einer Wange immer noch leicht violett verfärbt. Aiden hatte mir ja nicht sagen wollen, was passiert war – doch als mein Blick jetzt zu ihm huschte, fiel mir wieder ein, was er gesagt hatte, als ich ihn geküsst und dann zu weinen angefangen hatte. Du weißt, dass ich Paul die Nase brechen würde, weil er dir das Herz gebrochen hat, oder? Bei dem Gedanken, dass die beiden sich wirklich deshalb geschlagen haben könnten, wurde mir schlecht. Sie waren seit Ewigkeiten beste Freunde. Dass wegen mir etwas zwischen ihnen stand, war wirk
lich das Letzte, was ich wollte.
Paul legte locker einen Arm um Aiden und raunte ihm etwas ins Ohr, bevor sie mit ihren Bechern anstießen. Sie gingen miteinander um wie sonst auch. Und doch war irgendetwas anders, seit Aiden mit diesem blauen Auge nach Hause gekommen war, auch wenn ich es nicht benennen konnte. Ich hatte das Gefühl, als würde er Paul in manchen, kurzen Momenten auf so eine eigenartige Art ansehen, als gäbe es da plötzlich mehr zu sehen – etwas, das mir offensichtlich entgangen war. Und auch mir gegenüber verhielt Aiden sich anders, wenn es um Paul ging. Plötzlich mied er das Thema, hatte sogar begonnen, Paul immer häufiger in Schutz zu nehmen. Erst gestern hatte er beim Essen in der Cafeteria in einem Nebensatz erwähnt, dass es vielleicht doch eine gute Idee wäre, wenn Paul und ich uns aussprechen würden. Etwas, dass er nach zwei Monaten plötzlich wie aus dem Nichts vorschlug.
Seufzend wandte ich den Blick ab. Ich brauchte eine Pause von dieser Situation und dem Chaos in mir. Gerade wollte ich Trish fragen, ob sie mitkommen und noch etwas zu trinken holen wollte, da bemerkte ich, dass sie, den Kopf an Bowies Halsbeuge gelegt, die beiden ebenfalls musterte. Hätte ich nicht dieses seltsame Gefühl, dass mir eine entscheidendes Detail entgangen war, würde ich es auf sich beruhen lassen, würde denken, dass mich das nichts anging. Aber da war etwas. Etwas Unterschwelliges, das zwischen uns vieren waberte.
Trish zuckte zusammen, als ich sie anstupste. Ein entschuldigendes Lächeln und dieser merkwürdige Blick, der Aidens in gewisser Weise ähnelte und doch völlig anders war.
Ich beugte mich zu ihr. »Ich hole mir noch etwas zu trinken. Kommst du mit?«
Wir fragten die anderen, ob wir ihnen etwas mitbringen sollten, und standen dann auf. Bowie war die Einzige, die lächelnd nach einem heißen Apfelpunsch fragte. »Aber mit Schuss!«, rief sie uns hinterher.
Ich atmete erleichtert auf, als wir Aiden, Paul, Bowie, Isaac und Luke hinter uns ließen – und das Feuer, dessen Knistern uns auf den ersten Schritten begleitete. Schweigend schoben wir uns an den anderen Feuerschalen und Leuten vorbei, schlängelten uns durch die Menge, die sich am Rand des Platzes drängte. Und kurz vor dem Stand mit den Getränken und der langen Schlange davor ertönte Trishs Lachen leise an meinem Ohr, als sie abrupt stehen blieb. Mit schief gelegtem Kopf musterte sie mich. »Jetzt spuck es endlich aus, Lou! Irgendetwas macht dich die ganze Zeit schon richtig hibbelig«, sagte sie und zog mich ein Stück abseits. »Und das will etwas heißen … Hibbelig ist nicht unbedingt eins der Worte, die mir bei dir als Erstes einfallen würden.«
Ich setzte an, etwas zu erwidern, brach dann aber doch ab. Die letzten Monate hatten mir einiges abverlangt, es war so wahnsinnig viel passiert, und womöglich war dieses seltsame Gefühl in mir genauso wenig echt, wie es das mit Paul und mir gewesen war.
»Versuch gar nicht erst, es zu leugnen, Süße«, sagte Trish da und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Hauswand in ihrem Rücken. » Inzwischen kenne ich deine ganzen kleinen Ticks. Zum Beispiel dieses nervöse Gefummel in deinen Haaren.«
Ertappt ließ ich meine rechte Hand sinken, die gerade irgendwo in meinen Locken gewesen war, verdrehte dann aber die Augen. »Du bist manchmal wirklich furchtbar nervig.«
Trish streckte mir die Zunge raus. »Du findest mich nicht nervig. Du kannst es gerade nur nicht leiden, dass ich dich besser kenne als du dich selbst.«
Und dann stellte ich die Frage, die mir so sehr auf der Seele brannte. Ohne weiteres Zögern, weil Trish eben Trish war. Und meine beste Freundin.
»Weißt du, was mit Aiden und Paul los ist?« Mit den Fingerspitzen spielte ich gedankenverloren mit den Perlen in meinen Locken. »Ich meine, es ist offensichtlich, dass sie sich geprügelt haben. Es wäre schon ein großer Zufall, wenn die beiden aus dem Nichts gleichzeitig ein blaues Auge hätten. Aber Aiden will mir einfach nichts sagen. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass das vielleicht etwas mit mir zu tun haben könnte. Ich … ich will dem jetzt auch nicht zu viel Bedeutung beimessen, aber als Aiden und ich uns … geküsst haben … Aiden hat gesagt, er würde Paul die Nase brechen, weil er mir das Herz gebrochen hat und … das hat er doch nicht ernst gemeint, Trish. Oder?« Tief holte ich Luft, bevor ich weitersprach, leiser dieses Mal: »Ich dachte, das wäre ein blöder Witz gewesen.«
Trish sah mich an und dann durch mich hindurch. Und sie sagte gar nichts. Ausgerechnet sie, die zu allem und jedem etwas zu sagen hatte. Für einen Moment legte sie den Kopf in den Nacken, die Augen geschlossen und der Lidstrich darauf eine perfekte schwarze Kurve, als würden ihre Augen auch geschlossen lachen. Als sie sich mir wieder zuwandte, huschte ein Ausdruck über ihr Gesicht, den ich nicht deuten konnte. »Paul hat Aiden an dem Tag, als du mir im Firefly von seiner Nachricht erzählt hast, gesucht und dann im Proberaum gefunden, er ist ja meistens schon früher da als die anderen Jungs. Und ähm … er ist da wohl schon ziemlich pissig angekommen und wollte Aiden zur Rede stellen und fragen, ob es stimmt, dass ihr euch geküsst habt. Er war völlig am Durchdrehen und super eifersüchtig … und dann … hat er Aiden eine verpasst, und der hat zurückgeschlagen. Die Jungs sind gerade reingekommen, als die beiden sich geprügelt haben, und haben sie auseinandergezogen.«
Ich schluckte, nahm die Musik und die ganzen Menschen nur wie aus weiter Ferne wahr. Paul war eifersüchtig gewesen und hatte Aiden deshalb geschlagen? Wieso interessierte er sich überhaupt dafür, wen ich küsste? Er hatte mir doch mehr als deutlich gemacht, dass ich ihm nichts bedeutete, hatte mir ins Gesicht gesagt, dass er mich nie geliebt hatte. Und doch hatte ich mir eingebildet, dass sein Blick dabei nicht ganz aufrichtig gewesen war. Dazu kamen diese kleinen Momente, in denen er mich ansah wie vor Weihnachten – immer dann, wenn er dachte, ich würde es nicht bemerken.
Dass ich Aiden und damit ausgerechnet seinen besten Freund geküsst hatte, war natürlich nicht die beste Idee gewesen. Aber trotzdem war Pauls Reaktion wirklich heftig. Er konnte das mit mir doch nicht auf diese wahnsinnig verletzende Art beenden und dann durch die Gegend rennen und dem ersten Kerl, den ich seitdem küsste, eine verpassen! Er konnte doch nicht ohne mich weitermachen, vor meinen Augen ständig mit anderen Frauen flirten und sie so offensichtlich mit nach Hause nehmen und gleichzeitig erwarten, dass ich trotzdem nur ihm gehören würde! Denn das tat ich nicht. Ich hatte ein Recht auf mein eigenes Leben!
»Aber woher wusste Paul denn überhaupt davon? Ich kann mir nicht vorstellen, dass …« Ich blinzelte, sah Trish an und sie mich, und da wusste ich es mit einem Mal. Sie war die Einzige, der ich von dem Kuss erzählt hatte. Die Einzige, die abgesehen von Aiden davon gewusst hatte. Und er war niemand, der so etwas herumerzählen würde, schon ga r nicht Paul – Aiden wusste, wie wichtig es mir war, dass das unter uns blieb.
»D u warst es«, begriff ich und schloss für einen Moment die Augen, atmete die Nachtluft tief ein und aus. »Du hast es ihm gesagt«, fügte ich leise hinzu. Mein Herz pochte mir gegen die Rippen.
»Ich …Scheiße, es tut mir so leid, Lou!«, sagte Trish zerknirscht und machte einen Schritt auf mich zu.
Ich verschränkte automatisch die Arme vor der Brust. »Trish«, sagte ich bloß und schüttelte den Kopf. Ich war nicht einmal wütend auf sie; das konnte ich bei dem Mädchen, das mich vom ersten Augenblick so genommen hatte, wie ich eben war, gar nicht sein. Aber genau in diesem Moment war ich traurig und enttäuscht.
»Warum?«, fragte ich leise.
»Du bist einer meiner Lieblingsmenschen, Lou«, erwiderte sie mit einem betretenen Ausdruck in den grauen Augen. »Es gibt nichts Schlimmeres, als seine Lieblingsmenschen leiden zu sehen. Du versuchst, es die ganze Zeit so gut wie möglich zu verstecken, aber als du ins Firefly gekommen bist und geweint hast … Ich kann Paul und dich so nicht sehen. Ich wollte nur …« Hilfe suchend rang sie mit den Händen nach Worten. »Ich weiß es auch nicht. Ich wollte Paul wohl aus der Reserve locken, schätze ich. Ihn provozieren, damit er endlich mal checkt, dass das, was er fühlt, und das, was er tut, null zusammenpasst. Ich wollte nicht, dass meine besten Freunde sich deshalb prügeln. Und ganz sicher wollte ich nicht dein Vertrauen missbrauchen!«
Ich nickte langsam. Natürlich war mir
bewusst, dass Trish keine bösen Absichten gehabt hatte, aber die Tatsache, dass sie Paul erzählt hatte, was ich ihr im Vertrauen gesagt hatte, schmerzte trotzdem.
Vorsichtig griff sie nach meinen Händen. »Es tut mir wirklich, wirklich leid! Du bist mir wahnsinnig wichtig, Lou.«
Ich seufzte. »Ich weiß. Aber ich kann nicht einfach so tun, als wäre das nicht passiert«, sagte ich ehrlich .
Ich habe sowieso schon so Schwierigkeiten damit, Menschen zu vertrauen , dachte ich.
»Lass uns heute nicht mehr davon sprechen und das in Ruhe nachholen, okay?«
Trish nickte und lächelte mich zerknirscht an. »Ich hab dich lieb«, sagte sie zwischen den ganzen Bäumen mit den Lichtern darin, als wir zurückliefen.
»Ich dich auch.«
Erst als wir wieder bei den anderen ums Feuer saßen und Bowie nach ihrem Apfelpunsch fragte, fiel mir auf, dass ich die Getränke völlig vergessen hatte.
Paul
Vor dem Auftritt von Goodbye April wollte Aiden unbedingt noch etwas essen, und ich hatte langsam auch wirklich Hunger. Wir seilten uns ab und steuerten den Stand vom Luigi’s an. Und während wir uns durch die Menschen schoben, die halbvollen Becher in den Händen, dachte ich daran, dass ich Louisa allein mit Landon am Feuer zurückgelassen hatte. Er war vor einer halben Stunde aufgetaucht und Gott, die Art, wie er sie ansah, trieb mich in den Wahnsinn. Und je mehr ich trank, desto wütender machte mich die Tatsache, dass mich das überhaupt interessierte.
Ich hatte vorhin das Bier-Pong-Mädchen von Lukes letzter Party abblitzen lassen. Niemals ein zweites Mal, so lautete die Regel. Und die nächste Frau wimmelte ich auch ab, obwohl es das erste Mal und eine einmalige Sache gewesen wäre. Ein unruhiges Flirren hing heute in der Luft, an diesem Abend, in dieser Nacht. Es hatte meinen Blick immer wieder nachdenklich und schmerzhaft zu Louisa wandern lassen. Sie hatte Aiden geküsst, würde noch andere Kerle küssen und irgendwann mit einem von ihnen glücklich werden .
Giovanni winkte ab, als wir die Pizza bezahlen wollten, und drückte Aiden und mir zwei große, heiße Stücke in die Hand. Wir aßen sie auf den Stufen vor dem Eingang eines geschlossenen Cafés.