»Die Waffeln«, antwortete ich nach einer Ewigkeit. »Die Waffeln sind verdammt gut!« Und ich gab mir Mühe, das Lächeln zu erwidern. »Der Triple Chocolate Dream ist am besten«, schob ich nach einem kurzen Blick auf die Karte hinterher.
»Gut«, sagte sie und legte die Karte zurück auf den Tisch, »dann werde ich das nehmen.«
Überrascht sah ich Mom an, die meinem Blick nicht auswich. Nicht dieses Mal. Keine Ahnung, wann ich sie das letzte Mal etwas Richtiges hatte essen sehen. Etwas, das weder ein gehyptes Superfood war, noch auf Kohlenhydrate verzichtete. Etwas, das man aß, nur weil es einem schmeckte.
»Wie geht es dir, Paul?«, wollte sie wissen, nachdem wir bestellt hatten. Zwei Triple Chocolate Dream Waffeln mit extra viel Soße.
»Gut«, sagte ich, auch wenn das natürlich gelogen war, aber was hätte ich ihr sonst sagen sollen? Dass mein Leben ein verfluchtes Chaos und von einem schwarzen Loch geschluckt worden war ?
Ob unbewusst oder absichtlich – wir umschifften die Themen, von denen wir beide wussten, dass sie zwischen uns standen, führten ein Gespräch, das an der Oberfläche kratzte. Es war verkrampft und steif und oftmals wussten wir nicht, was wir sagen sollten. Immer wieder gab es unangenehme Momente der Stille, in denen nur das Kratzen unseres Bestecks auf den Tellern zu hören war, aber weiß Gott, immerhin war es eine einigermaßen normale Unterhaltung. Die erste richtige seit Jahren, wenn man von meiner Zeit im Krankenhaus absah.
Nach dem Essen bestellten wir beide uns jeweils noch einen Kaffee, auch wenn ich viel lieber etwas Hochprozentiges gehabt hätte. Oder zumindest eine Zigarette, doch die hatte ich in Aidens Auto vergessen. Denn irgendetwas sagte mir, dass der schwierige Teil erst noch kommen würde. Außerdem hatte Mom mir immer noch nicht gesagt, wieso sie mich so unbedingt hatte sehen wollen.
»Dein Vater …«, setzte sie schließlich an, als der Kaffee vor uns stand, und sofort versteifte ich mich wegen all der bestätigten Vermutungen. Wenn er sie hierhergeschickt hatte und es wieder um die ewig gleiche Sache ging, zu der ich meine Meinung nach wie vor nicht geändert hatte, würde ich ausrasten. Oder einfach sofort aufstehen und gehen. Langsam aber sicher war meine Geduld am Ende, spätestens seit Weihnachten, als mein Vater mir unmissverständlich klargemacht hatte, wie er zu mir und meiner Lebenseinstellung stand. An diesem Tag, an dem ich trotz allem, was geschehen war, einen Schritt auf meine Eltern hatte zugehen wollen. Miss Bennett wird dir einen Termin geben, wenn es so weit ist , hatte er gesagt, hatte mich an seine scheiß Sekretärin verwiesen, statt einmal in seinem Leben ein Vater zu sein.
»Wenn das der eigentliche Grund dafür ist, wieso ich hier bin, dann gehe ich jetzt lieber«, sagte ich unterkühlt und wollte schon aufstehen, hielt jedoch inne, als meine Mutter sich vorbeugte und mir eine Hand auf den Unterarm legte. Eine ungewohnte Berührung, die mich innehalten ließ. Der unverkennbare Geruch ihres Parfüms stieg mir in die Nase .
»Nein, Paul«, sagte sie und neigte leicht den Kopf. »Deshalb wollte ich mich nicht mit dir treffen.«
»Wieso dann?«
»Du bist hier, weil …« Sie stockte und schien mit einem Mal nervös zu sein. Eine Gefühlsregung, die so gar nicht zu meiner sonst immer so perfekten Mutter zu passen schien. »Bitte bleib hier und lass mich einfach aussprechen, Paul.«
Ich seufzte, weil ich nicht wirklich überzeugt war, doch ich ließ mich wieder zurück auf den Stuhl sinken. Womöglich lag es an ihrem Blick, der heute sanfter zu sein schien, oder daran, dass allgemein etwas anders war an ihr. Oder aber daran, dass sowieso alles verrückt zu spielen schien. Mit vor der Brust verschränkten Armen wartete ich auf das, was sie mir zu sagen hatte.
»Dein Vater und ich … wir sind nicht immer einer Meinung, wie du weißt. Und ich hätte dir das schon deutlich früher sagen sollen, aber genau wie dein Großvater bin ich der Meinung, dass es nicht deine Pflicht ist, bei Berger Industries einzusteigen und die Firma eines Tages zu übernehmen. Vielleicht liegt es auch daran, dass es nicht mein Erbe ist, sondern seins. Mir ist es wichtig, dass du weißt, dass ich möchte, dass du dein eigenes Leben lebst und deine eigenen Entscheidungen triffst.«
Überrascht sah ich Mom an. Ich hatte keine Ahnung, was ich erwartet hatte, das jedoch mit Sicherheit nicht. Zwar hatte meine Mutter die Meinung meines Vaters nicht mit der lauten Vehemenz vertreten wie er, doch etwas anderes hatte sie auch nie gesagt. Und für mich hatte sich ihre Tatenlosigkeit mindestens so schlimm angefühlt wie sein gefühlskaltes Verhalten. Die Beziehung zwischen ihr und mir war Jahr für Jahr mehr in die Brüche gegangen.
»Danke«, sagte ich schlicht.
»Dennoch … ich kann mich nicht …«, setzte sie an, brach dann jedoch ab .
»Aber du kannst dich nicht gegen ihn stellen«, murmelte ich und vervollständigte damit den Satz für sie. Wir sahen uns an und wussten beide, dass es das war, was sie hatte sagen wollen.
Sie nickte kaum merklich. »Trotzdem ist es mir wichtig«, sagte sie und legte ihre Hände auf dem Tisch übereinander, »dass du weißt, dass ich auf deiner Seite bin, auch wenn es mir nicht möglich ist, dir das auf die Art zu zeigen, wie ich es als deine Mutter tun sollte. Tatsächlich finde ich es sogar bewundernswert, wie du seit drei Jahren dein eigenes Leben lebst und dabei trotzdem für deinen Bruder da bist. Ich selbst hätte in deinem Alter nie den Mut gehabt, derart selbstständig zu sein und mich von meiner Familie zu lösen.« Sie senkte die Stimme. »Ich habe den Mut ja nicht einmal heute.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mit dem meisten hätte ich niemals gerechnet, mit dem letzten Satz aber am allerwenigsten.
»Seit du nach Redstone gezogen bist, habe ich gedacht, dass dein Vater eines Tages einlenken würde, doch inzwischen ist mir klar geworden, dass das wohl nicht mehr passieren wird. Nicht solange du nicht das tust, was in seinen Augen das Richtige ist. Und selbst dann bin ich mir da nicht sicher. Er ist kein schlechter Mensch, Paul, er ist nur … sehr festgefahren in seinen Ansichten. Als an Weihnachten der Anruf kam, dass du im Krankenhaus liegst, kurz nachdem du so Hals über Kopf unser Haus verlassen hast, habe ich mir nicht nur Vorwürfe gemacht, sondern auch wahnsinnige Sorgen. Plötzlich war alles wieder da: die Angst und die Verzweiflung, die ich schon vor fünf Jahren empfunden hatte.« Sie schluckte und überprüfte in einer nervösen Bewegung ihre Frisur. »Nur warst du dieses Mal zum Glück nicht Hunderte Meilen entfernt. Das klingt natürlich so, als hätte ich diesen Autounfall an Weihnachten gebraucht, um zu begreifen, wie wichtig du mir als mein Sohn bist, und daran ist mit Sicherheit auch etwas Wahres. Aber ich möchte ehrlich zu dir sein. Sind es nicht solche Momente im Leben, die einen zum Umdenken bringen? Als ich die ganzen Tage an deinem Bett saß, ist mir etwas bewusst geworden: Ich weiß nicht, welche Musik du hörst. Nicht, wie du neben dem Studium deine freie Zeit verbringst. Wo du nebenbei arbeitest. Mir ist klar geworden, dass ich dich plötzlich nicht mehr zu kennen scheine, und das ist doch nicht, wie es zwischen einer Mutter und ihrem Kind sein sollte. Und ich merke, wie auch Luca mir entgleitet. Natürlich ist mir genauso klar, dass du inzwischen erwachsen bist und mich nicht mehr brauchst und dass das jetzt vermutlich reichlich spät kommt, weil so vieles schon kaputt ist, aber ich möchte dir sagen, dass ich versuchen will, dir eine Mutter zu sein. Ich möchte Teil deines Lebens sein, so gut ich es kann. Würden wir wieder Kontakt miteinander haben, würde mir das wirklich unwahrscheinlich viel bedeuten – vorausgesetzt natürlich, dass du das willst.«
Mom holte tief Luft. In Dads Gegenwart war sie meistens so ruhig, schön anzusehen und dabei doch fast schon unsichtbar, ihre Worte bedacht, sodass ich ganz vergessen hatte, wie viel sie reden konnte, wenn sie wollte. Wenn man sie ließ.
»Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wie das richtig geht, und werde sicher viele Fehler machen«, ergriff sie noch einmal das Wort, »aber ich möchte es sehr gern versuchen. Etwas, das ich schon viel früher hätte tun sollen, und ich kann verstehen, wenn das für dich alles sehr plötzlich kommt und du dir das erst einmal durch den Kopf gehen lassen möchtest …«
In dem Grün ihrer Augen erkannte ich nichts als Aufrichtigkeit und ehrliches Interesse. In dem nun unmaskierte
n Gesicht sah ich Mom. Mom, in meinen frühesten Erinnerungen mit einem haltlosen Lachen, bevor eine lieblose Ehe und ein einsames Leben es ihr genommen hatten.
Ich ließ mir jeden einzelnen ausgesprochenen Satz durch den Kopf gehen und tat das, was ein Mädchen aus Feuer mir vermutlich geraten hätte: Ich hörte tief in mich hinein, weil irgendwo in mir vergraben sowieso schon die Antwort wartete. Meine Mutter hatte recht: Manche Dinge ließen sich beim besten Willen nicht mehr ungeschehen machen, die große Einsamkeit eines kleinen Jungen in einem riesigen Haus zum Beispiel, das Gefühl, dass Liebe nicht bedingungslos, sondern mit Leistung verbunden war, oder ein traumatisierender Unfall, nach dem ich mit jemandem hätte sprechen müssen.
Die wichtigsten Menschen in meinem Leben hatten mir zweite Chancen gegeben, jetzt war es an mir, eine zu geben. Denn wer war ich, nach allem, was passiert war, dass ich jemanden für sein Handeln verurteilte?
Langsam nickte ich, erst zögerlich, dann fest. »Es ist wirklich verdammt viel passiert in den letzten Jahren, und die meisten Dinge kann ich nur schwer vergessen, aber wir können uns ja regelmäßiger treffen und … reden. Und sehen, wie es läuft.«, schlug ich vor.
Ein Moment Stille. Nur unterbrochen von leisen Gesprächen und dem Kratzen von Besteck auf Tellern.
»Vielen Dank, Paul, das bedeutet mir wirklich sehr viel. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig das alles für dich sein muss.«
Unentschlossen sahen wir uns über den Tisch hinweg an, jetzt, wo offensichtlich alles gesagt zu sein schien. Zumindest das, was wir in diesem Moment preiszugeben bereit waren.
Sie warf einen Blick auf die schmale, glänzende Uhr an ihrem Handgelenk. »Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit. Vielleicht möchtest du mir für den Anfang von Trish und Aiden erzählen? Oder wo du nebenbei arbeitest und ob es dir Spaß macht. Machst du eigentlich immer noch Fotos? Früher hast du nach der Schule an den meisten Tagen nichts anderes getan …«
»Du erinnerst dich an Trish und Aiden?«, fragte ich und blickte sie ungläubig an. Bis jetzt war ich davon ausgegangen, dass meine Eltern nicht mal mehr die Namen meiner Freunde kannten.
»Natürlich erinnere ich mich an die Freunde von meinem Sohn, Paul!«, sagte Mom, und ich erahnte ein Lächeln in ihren Mundwinkeln. » Und als du Trish vor ein paar Jahren an Thanksgiving mitgebracht und sie als deine Freundin vorgestellt hast, war mir im Gegensatz zu deinem Vater sofort klar, dass ihr beide nicht wirklich zusammen seid. Ihn konntet ihr vielleicht täuschen, aber nicht mich.«
Einen Moment sah ich Mom einfach nur an, dann musste ich mit einem Mal laut loslachen. Dass es ein echtes Lachen war, überraschte mich wohl am meisten.
»Ich bin aufmerksamer, als du denkst«, merkte sie nach einem Blick in mein Gesicht an, und dann lachte auch sie. Meine Mutter saß in diesem Junge-Menschen-Café und lachte. Einfach so und mitten am Tag. Das alles hier war so dermaßen absurd!
Der Abschied war so unbeholfen wie die Begrüßung und all das dazwischen.
»Das nächste Mal erzählst du mir von dem Mädchen, wegen dem du in manchen Momenten so abwesend bist, Paul«, sagte Mom, als ich schon die ersten Schritte Richtung Auto gelaufen war.
Ich drehte mich zu ihr um und sah sie sprachlos an. Und als ich endlich Aidens Wagen aufsperrte, griff ich als Erstes nach meinen Zigaretten.
Das nächste Mal hallte es in meinem Kopf nach, als ich abends schwitzend in der Küche vom Luigi’s stand. Die Hitze des Pizzaofens lag auf jedem Zentimeter meiner Haut. Obwohl es ein Dienstag war, war der Laden zum Bersten voll, ich kam mit den Bestellungen kaum hinterher und trotzdem hatte ich offensichtlich Zeit, in Gedanken immer wieder das Treffen mit meiner Mom durchzugehen. Hätte ich nicht diese scheiß Fehler gemacht und Louisa für immer verloren, wäre ich nach der Arbeit sofort zu ihr gegangen und hätte ihr davon erzählt. Doch das ging nun nicht mehr. Stattdessen setzte ich mich zu Aiden an die Bar, als schon fast alle Lichter aus waren.
Louis a
Bunte Bilder flackerten über das Laptop auf meinem Schoß. Ich saß auf dem Bett, die Decke über den Schultern, doch mir war trotzdem kalt. Ich sah hin und sah doch nichts. Seit heute Morgen lief eine Folge Gilmore Girls nach der nächsten, weil diese Serie wie nach Hause kommen war, wie Ankommen und sich in Vertrautheit ausruhen. Ich wollte mich ablenken, wollte mich wie sonst auch ein kleines bisschen in Jess verlieben, weil er vielleicht nicht am besten zu Rory passte, aber am besten zu mir. Ich wollte mich in Rory und Lorelais schnellen Dialogen verlieren, doch es war, als würde jedes Bild und jeder Ton einfach an mir abperlen.
Als ich vor einer Woche mit der großen Tasche in den Händen vor Mels Tür gestanden hatte, hatte sie mich wortlos hereingelassen. Sie hatte mich besorgt angesehen, und dieser Blick hatte gereicht, um Tränen in mir aufsteigen zu lassen. Ich hatte mich gefühlt wie unter Wasser, alles verlangsamt und unendlich weit weg. Eine Schwere, die mich unaufhaltsam nach unten drückte. Und dann war ich zusammengebrochen, vor meiner großen Schwester, die mich so nicht hatte sehen sollen. Aber ich wusste nicht, wohin. Sie war meine Familie, das, was davon noch übrig war.
Mel schickte mich ins Bett. Das Zimmer mit den dunklen Holzmöbeln, den Büchern und den kuscheligen Decken, in dem ich geschlafen hatte, bevor ich auf den Campus gezogen war. Irgendwann schlief ich erschöpft ein, schreckte aber ständig aus einer Mischung aus Träumen und Erinnerungen hoch. Und als Mel plötzlich mitten in der Nacht in meinem Zimmer stand und sich in ihren besorgten Blick auch noch Angst mischte, als sie sich zu mir ins Bett legte und fragte, was passiert sei, erzählte ich ihr alles. Nicht nur das, was Paul mir offenbart hatte. Ich fing bei dem Tag an, an dem ich zu ihm in die WG gegangen war, um ihn zur Rede zu stellen. Nachdem das letzte Wort verklungen war, hatte Mel geweint. Wir hatten es beide getan .
Seitdem versuchte ich, mich irgendwie zusammenzuhalten und nicht von dem, was passiert war, überwältigen zu lassen – so lange, bis mir wieder einfiel, dass das schon längst geschehen war. Die Last der wieder lebendig gewordenen Erinnerungen hinderte mich daran, aufzustehen oder überhaupt etwas zu fühlen, außer die Hilflosigkeit, die ich so allumfassend empfand. Es war, als wäre ich zerbrochen, tausend Teile, die in Scherben lagen, von denen ich nicht wusste, wie sie wieder zusammenpassen sollten.
»Lou?«, rief Mel durchs Haus. »Essen ist fertig. Kommst du?«
Ich seufzte und zog die Decke noch enger um meine Schultern. Bisher war ich kein einziges Mal nach unten gekommen, um mich zusammen mit Robbie, Mary und ihr an den Tisch zu setzen. Mel ignorierte diesen Umstand und rief mich trotzdem jeden Tag wieder zum Essen. Doch ich ertrug ihre Blicke genauso wenig wie ihre betont fröhlichen Gesichter, mit denen sie so zu tun versuchten, als wäre alles normal.
Denn normal war seit dem Moment auf der Lichtung gar nichts mehr. Meine Welt war aus ihren Angeln gehoben worden, und bis jetzt hatte ich immer noch nicht wirklich begriffen, was das alles bedeutete. Geschweige denn, wie es tatsächlich in mir aussah. Alles, was ich wusste, war, dass ich eingeholt worden war. Ich war geflohen, war gerannt und hatte mich schließlich sicher gefühlt. Und dann war alles über mir zusammengestürzt, das Feuer, vor dem ich mich fünf Jahre lang so gefürchtet hatte, war zurück. Dantes Inferno, so wie in dieser einen Nacht. Plötzlich schien ich mich an jedes noch so winzige Detail zu erinnern, und es fühlte sich an, als wäre mein Dad ein zweites Mal vor meinen Augen gestorben. Immer noch glaubte ich, die Worte zu hören, die im Krankenhaus zu Mom gesagt wurden: Aortenabriss. Sofort tot. Aortenabriss. Sofort tot.
Eine Endlosspirale in meinem Kopf.
Die Treppe knarzte, dann Schritte auf dem Holz, die näher kamen. Gleich würde Mel an der Zimmertür klopfen und ihren Kopf mit einem geduldigen Lächeln durch die geöffnete Tür strecken. Und ich würde wieder Nein sagen, weil ich einfach nicht konnte. Die gleichen Worte, seit einer Woche jeden Tag. Ich wollte mit niemandem reden, sogar mit ihr nicht, obwohl sie die Einzige war, der ich alles erzählt hatte.
Ich hatte unzählige entgangene Anrufe und Nachrichten von Trish und Aiden, auch Bowie hatte mehrmals versucht, mich zu erreichen. Doch ich hatte sie alle ignoriert, weil ich nichts zu sagen hatte.
> Ich hätte mir gewünscht, dass Paul mich nicht schon wieder einfach von sich gestoßen hätte, anstatt mit mir zu reden. Denn das war es, was er über Wochen getan hatte, statt mir zu sagen, was er wusste. Und Aiden hatte die Wahrheit gekannt. Aiden, der mein bester Freund geworden war und mein sicherer Ort. Aiden, von dem ich mich gewissermaßen verraten fühlte, weil er geschwiegen hatte – und ich wusste nicht einmal wie lange, ob Tage, Wochen oder sogar Monate. Und Trish? Immer wieder fragte ich mich, ob sie es auch gewusst hatte. Doch auch wenn mein Gefühl mir sagte, dass dem nicht so war … war sie es immer noch gewesen, die Paul von dem Kuss erzählt hatte. Eine Sache, die mir angesichts der Erinnerungen an Dads Tod nichtig erschien und doch schmerzte. All das fühlte sich an wie Verrat, Verrat an meinem Herzen. Es fühlte sich so an, als hätten Trish und Aiden ihre Prioritäten, was ihre Freundschaften anging, und die lagen offensichtlich nicht bei mir.
Vor vier Tagen war der Akku meines Handys ausgegangen. Und ich hatte es seitdem nicht mehr aufgeladen. Wenigstens hatte ich kurz nachdem ich aus der WG gestürmt war, noch daran gedacht, Brian zu schreiben, dass ich wegen eines dringenden Familiennotfalls nach Hause hatte fahren müssen und erst einmal ausfiele, mich aber melden würde. Ich hoffte einfach, er würde nicht genauer nachfragen. Immerhin war nach Hause in diesem Fall nur eine halbe Stunde Autofahrt vom Campus entfernt .
Die Tür ging auf, doch es war nicht Mel, die hereinkam, sondern …
»Trish?!«, sagte ich ungläubig.
Mit zwei Tellern, die sie in der rechten Hand balancierte, stand sie im Türrahmen und grinste mich an. Ihre Haare waren zu zwei Knoten zusammengebunden, die auf ihrem Kopf thronten. Sie sah aus wie ein süßer, kleiner Alien, und unter anderen Umständen hätte ich ihr das auch genauso gesagt. Wir hätten zusammen darüber gelacht.
Wir sind der Sturm Page 20